Stahlriese
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»He, ihr da drüben, ein bisschen vorsichtiger!« rief Cookling den Matrosen zu.
Sie standen bis zum Gürtel im Wasser, hatten eine kleine Holzkiste an Bord der Schaluppe gewälzt und versuchten nun, sie an der Bootskante entlang zu schieben. Es war die letzte der zehn Kisten, die der Ingenieur zur Insel mitgenommen hatte.
»Was für eine Bullenhitze! Das reine Fegefeuer!« stöhnte er, während er sich den feisten roten Hals mit einem bunten Tuch abwischte. Dann zog er sein schweißnasses Hemd aus und warf es auf den Sand. »Ziehen Sie sich aus, Bud, hier schert man sich einen Dreck um zivile Umgangsformen.«
Ich schaute trübsinnig zu dem leichten Schoner, der Pigeon, hinüber, der etwa zwei Kilometer vom Ufer entfernt sachte auf den Wellen schaukelte. In zwanzig Tagen erst sollte er zurückkommen, um uns wieder an Bord zu nehmen.
»Warum in drei Teufels Namen mussten wir uns mit Ihren Maschinen ausgerechnet in diese höllische Glut verkriechen?« fragte ich Cookling, während ich mein Hemd ablegte. »Wenn die Sonne so weiter brennt, kann man Ihre Haut morgen zum Einwickeln von Tabak benutzen.«
»Ah, macht nichts! Die Sonne kommt uns gerade recht. Wie Sie sehen, ist es jetzt genau Mittag, und sie steht senkrecht über uns.«
»Am Äquator ist das immer so«, brummte ich, ohne den Blick von der Pigeon zu wenden, »das kann man in jedem Geographiebuch nachlesen.«
Die Matrosen kamen heran und blieben stumm vor dem Ingenieur stehen. Er griff umständlich in die Hosentasche und holte ein Bündel Papiergeld heraus.
»Genügt das?« fragte er und reichte ihnen ein paar Scheine.
Einer der Männer nickte.
»Ich brauche Sie jetzt nicht mehr, Sie können auf's Schiff zurückkehren. Erinnern Sie Kapitän Gail daran, dass wir ihn in zwanzig Tagen erwarten.«
»An die Arbeit, Bud«, sagte Cookling, »ich brenne darauf anzufangen.«
Ich sah ihn prüfend an.
»Offen gesagt habe ich nicht die leiseste Ahnung, warum wir hierher gereist sind. Begreiflich, wenn Sie es seinerzeit in der Admiralität für unangebracht hielten, mich einzuweihen. Jetzt aber sollte das möglich sein, denke ich.«
Cookling zog eine Grimasse und starrte auf den Sand. »Selbstverständlich ist das möglich. Ich hätte Ihnen auch dort schon alles erzählt, wenn wir die Zeit dazu gehabt hätten.«
Ich fühlte, dass er log, sagte aber nichts. Cookling stand da, verzog das Gesicht und rieb sich mit seiner freien Hand den dunkelroten Nacken.
Ich wusste, dass er dies zu tun pflegte, wenn er jemandem etwas vorschwindeln wollte. In diesem Augenblick ließ mich das völlig kalt.
»Sehen Sie, Bud, es dreht sich hier um ein spaßiges Experiment, um die Richtigkeit der Theorie dieses, wie heißt er doch gleich...«, er stockte und sah mir fragend in die Augen.
»Wessen Theorie?«
»Dieses gelehrten Engländers ... Hol ihn der Teufel, sein Name ist mir entfallen. Doch halt, da hab ich ihn wieder, Charles Darwin ...«
Ich trat dicht an ihn heran und legte meine Hand auf seine nackte Schulter.
»Hören Sie, Cookling. Sie bilden sich wahrscheinlich ein, ich sei ein Idiot ohne ein Fünkchen Verstand und wüsste nicht, wer Charles Darwin ist. Hören Sie auf, mir einen Bären aufzubinden, und erklären Sie mir vernünftig, warum wir in dieser glühenden Sandwüste mitten im Ozean an Land gegangen sind. Und bitte, kommen Sie mir nicht noch einmal mit Darwin.«
Cookling lachte schallend, wobei er seinen mit künstlichen Zähnen besetzen Mund weit aufriss. Er ging ein paar Schritte beiseite und sagte:
»Und doch sind Sie ein Dummkopf, Bud. Wir sind nämlich tatsächlich hier, um Darwin zu überprüfen.«
»Dazu mussten Sie wohl zehn Kisten voll Eisen herschleppen?« fragte ich und trat wieder auf ihn zu. In mir stieg allmählich der Haß gegen diesen schweißglänzenden Fettwanst auf.
»Jawohl«, erwiderte er und hörte zu lachen auf. »Um jetzt aber auf Ihre Obliegenheiten zu kommen: Machen Sie als erstes die Kiste Nr. 1 auf und entnehmen Sie ihr das Zelt, Wasser, Konserven und die Werkzeuge, die Sie zum Öffnen der übrigen Kisten brauchen.«
Cookling sprach im gleichen Ton wie auf dem Schießplatz, als man mich mit ihm bekannt gemacht hatte. Damals war er in Uniform. Ich ebenfalls.
»In Ordnung«, knurrte ich durch die Zähne und ging zur Kiste Nr. 1.
Zwei Stunden später war das große Zelt am Ufer fertig aufgeschlagen. Wir trugen einen Spaten, ein Brecheisen, einen Hammer, mehrere Schraubenzieher, einen Meißel und andere Schlosserwerkzeuge hinein. Auch an die hundert Dosen mit verschiedenen Konserven und die Trinkwasserbehälter brachten wir darin unter.
Obwohl Cookling mein Vorgesetzter war, schuftete er wie ein Stier. Er konnte wahrhaftig kaum erwarten, ans Werk zu gehen. Ganz in die Arbeit vertieft, bemerkten wir nicht, wie die Pigeon ihre Anker lichtete und am Horizont verschwand.
Nach dem Abendessen nahmen wir die zweite Kiste in Angriff. In ihr befand sich eine gewöhnliche zweirädrige Karre, wie sie zur Gepäckbeförderung auf Bahnsteigen benutzt wird.
Ich wollte mich an die dritte Kiste machen, aber Cookling hielt mich zurück.
»Lassen Sie uns zuerst noch einen Blick auf die Karte werfen. Die gesamte restliche Ladung muss nämlich auf verschiedene Stellen verteilt werden.«
Ich sah ihn erstaunt an.
»Das ist für unser Experiment unerlässlich«, erklärte er.
Die Insel war rund wie ein umgestülpter Teller, mit einer kleinen Bucht im Norden, wo wir gelandet waren. Sie war umsäumt von einem etwa fünfzig Meter breiten Sandstreifen. Jenseits dieses Sandgürtels am Ufer erhob sich ein flaches Plateau, das von niederem, von der Hitze ausgedörrtem Gestrüpp bewachsen war.
Der Durchmesser der Insel betrug nicht mehr als drei Kilometer.
Auf der Karte waren ein paar Stellen mit Rotstift markiert, einige längs des Sandstrandes, andere weiter im Innern.
»Was wir jetzt auspacken, muß auf diese Punkte verteilt werden«, sagte Cookling.
»Was ist es denn, vielleicht Messgeräte?«
»Nein«, erwiderte der Ingenieur kichernd. Er hatte die widerwärtige Angewohnheit zu kichern, wenn ein anderer nicht wusste, was er wusste.
Die dritte Kiste war unheimlich schwer. Mir schien, dass mindestens eine massive Werkbank darin verpackt sein müsse. Als dann die ersten Bretter abflogen, hätte ich vor Überraschung beinahe aufgeschrien. Ihr entquollen Metallplatten und -stangen von unterschiedlicher Größe und Form. Die Kiste war bis an den Rand mit Metallteilen gefüllt.
»Man könnte fast meinen, wir seien hier, um Würfel zu spielen«, rief ich, während ich die schweren rechteckigen, würfelförmigen, runden und kugelförmigen Metallstücke abwechselnd in der Hand wog.
»Kaum«, sagte Cookling einsilbig und machte sich ans Auspacken der nächsten Kiste.
Auch die Kisten Nummer 4 bis 9 hatten den gleichen Inhalt - nichts als Metallstücke. Es gab davon drei verschiedene Sorten:
graue, rote und silberfarbene. Ich konnte unschwer feststellen, daß es sich dabei um Eisen-, Kupfer- und Zinkteile handelte.
Als ich die letzte, zehnte Kiste öffnen wollte, hielt Cookling mich zurück:
»Die machen wir erst auf, wenn wir die Metallstücke auf der Insel verteilt haben.«
Die drei darauf folgenden Tage waren Cookling und ich damit beschäftigt, das Metall mittels der Karte über die ganze Insel zu verteilen. Wir legten die Metallstücke in kleineren Haufen aus. Einige blieben einfach an der Oberfläche liegen, andere vergrub ich auf Anweisung des Ingenieurs in die Erde. In manchen Haufen befanden sich Metallbarren aller Sorten, in andern nur eine einzige Art.
Als dies getan war, kehrten wir zu unserm Zelt zurück und traten auf die zehnte Kiste zu.
»Machen Sie auf, aber vorsichtig«, sagte Cookling.
Diese Kiste war bedeutend leichter als die übrigen und auch nicht so groß.
Ihr Inhalt bestand aus fest zusammengepresstem Sägemehl, in der Mitte lag ein mit Filz und Wachspapier umwickeltes Paket.
Was sich dann unseren Augen darbot, war ein Gerät von sonderbarer Form.
Auf den ersten Blick erinnerte es an ein großes Kinderspielzeug aus Metall, das einem Krebs ähnlich sah. Aber dies war nicht einfach ein Krebs. Außer den sechs großen gegliederten Füßen hatte es vorn noch ein Paar dünner Fühler oder Greifzangen, deren Ende in einer Art Hülle steckten, die an den vorgeschobenen, halboffenen Schlund eines abscheulichen Tieres erinnerte. Auf dem Rücken funkelte in einer Vertiefung ein kleiner parabelförmiger Spiegel aus poliertem Metall mit einem dunkelroten Kristall in der Mitte. Im Gegensatz zu einem Spielzeugtier hatte dieses Wesen zwei Paar Augen - eins vorn und eins hinten.
Ich starrte das seltsame Ding lange verständnislos an.
»Na, wie gefällt es Ihnen?« fragte Cookling nach langem Schweigen.
Ich zuckte die Achseln.
»Es scheint, als seien wir tatsächlich hier, um mit Würfeln und Kinderspielzeug zu spielen.«
»Das da ist ein gefährliches Spielzeug«, erwiderte Cookling selbstgefällig. »Sie werden gleich sehen. Heben Sie es auf und stellen Sie es in den Sand.«
Der Krebs war leicht, er wog nicht mehr als drei Kilogramm.
Er stand ziemlich fest auf dem Sandboden.
»So, und jetzt?« fragte ich den Ingenieur ironisch.
»Warten wir ab, es muss erst ein bisschen warm werden.«
Wir ließen uns auf den Sand nieder und beobachteten das metallene Ungetüm. Etwa nach zwei Minuten bemerkte ich, wie sich der Spiegel auf seinem Rücken langsam in Richtung auf die Sonne drehte.
»Oho, anscheinend wird das Biest lebendig!« rief ich und sprang auf die Füße.
Dabei fiel zufällig mein Schatten auf die Maschine, der Krebs machte plötzlich ein paar schnelle, trippelnde Schritte und drehte sich flink wieder der Sonne zu. Dies geschah so unvermutet, dass ich einen großen Satz zur Seite tat.
»Da haben Sie Ihr Spielzeug!« Cookling lachte aus vollem Halse. »Was denn, Sie haben sich doch nicht etwa erschrocken?«
Ich wischte mir die schweißnasse Stirn.
»Sagen Sie mir um Gottes willen, Cookling, was sollen wir mit diesem Ding? Warum sind wir hier?«
Cookling war ebenfalls aufgestanden, er trat dicht an mich heran und sagte, diesmal mit ernster Stimme. »Um die Darwinsche Theorie zu überprüfen.« »Aber, das ist doch eine - biologische Angelegenheit, Theorie der natürlichen Auslese, Evolution und so weiter ... « brummte ich verblüfft.
»Vollkommen richtig. Übrigens, sehen Sie, unser Held ist losmarschiert, um zu trinken.«
Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Das Spieltier war zum Ufer hinunter gekrochen, ließ seinen kleinen Rüssel ins Wasser hängen und saugte offensichtlich Wasser in sich hinein. Als es genug getrunken hatte, kroch es wieder in die Sonne und blieb unbeweglich liegen.
Ich starrte die kleine Maschine an und empfand dabei einen seltsamen, mit Furcht gemischten Widerwillen gegen sie. Einen Augenblick lang kam es mir so vor, als hätte dieser plumpe Spielzeugkrebs eine gewisse Ähnlichkeit mit Cookling.
»Haben Sie sich das da ausgetüftelt?« fragte ich den Ingenieur nach einigem Schweigen.
»Hm«, brummelte er undeutlich und streckte sich im Sand aus.
Auch ich legte mich nieder und sah stumm auf das merkwürdige Gerät. Jetzt schien es vollkommen leblos zu sein.
Ich kroch auf dem Bauche näher heran um es eingehend betrachten zu können.
Der Rücken des Krebses bildete einen Halbzylinder mit Abplattungen vorn und hinten. Darin befanden sich zwei Löcher, die wie Augen aussahen. Dieser Eindruck wurde dadurch verstärkt, daß hinter diesen Löchern im Innern des Rumpfes Kristalle funkelten. Unter dem Rumpf des Krebses war an dessen Hinterteil eine Art Plattform sichtbar. Etwas oberhalb dieser Plattform streckten sich aus dem Innern drei Paar große und zwei Paar kleine gegliederte Scheren heraus.
Ins Innere des Krebses konnte ich mir keinen Einblick verschaffen.
Während ich dieses Spielding musterte, bemühte ich mich, dahinter zu kommen, warum wohl die Admiralität ihm so große Bedeutung beigemessen hatte, dass sie eigens ein Schiff dafür ausrüsten ließ, um es auf diese Insel zu transportieren.
Cookling und ich blieben im Sande liegen, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt, bis die Sonne so niedrig über dem Horizont stand, dass der Schatten des in einiger Entfernung wachsenden Gesträuchs auf den metallenen Krebs fiel. Kaum war dies eingetreten, da rückte er ein wenig zur Seite und schob sich wieder ins Sonnenlicht. Indes, der Schatten erreichte ihn auch hier. Und da kroch unser Krebs am Ufer entlang, immer tiefer zum Wasser hinunter, immer noch von der Sonne beschienen. Man hatte den Eindruck, als wolle er um jeden Preis im Bereich der Sonnenstrahlen bleiben.
Wir waren aufgestanden und folgten der Maschine langsam. Auf diese Weise wanderten wir allmählich um die ganze Insel, bis wir schließlich an ihrer Westseite angelangt waren.
Hier lag, fast unmittelbar am Ufer, einer der Metallhaufen. Als der Krebs etwa zehn Schritt davon entfernt war, kroch er plötzlich, als hätte er auf einmal jegliches Interesse an der Sonne verloren, eilig auf diesen Haufen zu, wo er neben einem Kupferbarren unbeweglich liegen blieb.
Cookling fasste mich am Arm und sagte:
»Kommen Sie mit zum Zelt. Vor morgen früh wird sich nichts Sehenswertes mehr ereignen.«
Im Zelt verzehrten wir schweigend unser Abendbrot und wickelten uns dann in die leichten Flanelldecken. Anscheinend war Cookling zufrieden, dass ich ihm keine Fragen stellte. Ehe ich einschlief, hörte ich, wie er sich von einer Seite auf die andere wälzte und hin und wieder leise vor sich hinkicherte. Also wusste er etwas, das außer ihm keine Menschenseele wusste.
Früh am andern Morgen ging ich los, um zu baden. Das Wasser war warm, und ich schwamm lange im Meer und hatte meine Freude am Anblick de purpurnen Morgenrotes, das im Osten über der von den breiten Wellen kaum bewegten, glatten Wasseroberfläche erglühte. Als ich zum Lagerplatz zurückkehrte und in das Zelt trat, war von dem Ingenieuroffizier keine Spur zu erblicken.
»Sicher ist er schon fort, um sein mechanisches Scheusal zu bewundern«, dachte ich und öffnete eine Dose mit Ananas.
Ich hatte jedoch noch keine drei Scheibchen hinuntergeschluckt, da hörte ich, zuerst noch in der Ferne, dann aber immer deutlicher die Stimme des Ingenieurs: »Leutnant, kommen Sie rasch her! Aber schnell! Es geht los! Beeilen Sie sich!«
Ich trat aus dem Zelt und erblickte Cookling, der mitten im Gestrüpp auf einer Erhebung stand und mir zuwinkte.
»Kommen Sie!« rief er und keuchte wie eine Lokomotive. »Machen Sie schnell!«
»Wohin denn, Ingenieur?«
»Dahin, wo wir unser Schmuckstück gestern verlassen haben.«
Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als wir bei dem Haufen anlangten. Die Metallstücke funkelten und blendeten mich, und zunächst konnte ich nichts erkennen.
Erst als wir nicht mehr als zwei Schritt von dem Haufen entfernt waren, bemerkte ich zwei dünne Säulen bläulichen Rauches, die in die Höhe stiegen, und dann ... Und dann blieb ich wie angewurzelt stehen. Ich rieb mir die Augen, aber die Erscheinung wollte nicht schwinden. Neben dem Metallhaufen hockten zwei Krebse, haargenau solche Geschöpfe wie der, den wir gestern aus der Kiste ausgepackt hatten.
»War einer davon etwa noch im Metall versteckt?« rief ich. Cookling ging ein paar Mal hintereinander in die Hocke und kicherte, sich die Hände reibend.
»Hören Sie doch endlich auf, verrückt zu spielen«, brauste ich auf, »wo kommt der zweite Krebs her?«
»Geboren! In dieser Nacht ist er geboren worden!«
Ich biss mir auf die Lippen und ging, ohne ein Wort zu erwidern, auf die Krebse zu, über deren Rücken feine Rauchsäulen in die Luft stiegen. Im ersten Moment glaubte ich an Halluzinationen zu leiden: Beide Krebse waren emsig bei der Arbeit!
Jawohl, dies war genau das richtige Wort: Sie arbeiteten, indem sie ihre dünnen Greifzangen an der Vorderseite hurtig hin- und herbewegten. Die Vorderfühler betasteten die Metallbarren, wobei sie an deren Oberfläche einen Lichtbogen erzeugten wie beim Elektroschweißen und auf diese Weise kleine Metallteilchen abtrennten. Dann schoben die Krebse das Metall rasch in ihre breiten Mäuler. Etwas surrte im Innern der mechanischen Geschöpfe. Hin und wieder stieß ihr Schlund zischend eine Funkengarbe aus, danach förderte das zweite Paar Greifzangen die fertigen Teilstücke zutage.
Diese Stücke wurden in bestimmter Reihenfolge auf der kleinen flachen Plattform montiert, die sich allmählich unter dem Rumpf des Krebses hervorgeschoben hatte. Auf der Plattform des einen Krebses war bereits das fast fertige Abbild eines dritten zusammengesetzt, während beim zweiten eben erst die Umrisse des neuen Mechanismus zu erkennen waren. Ich war starr vor Staunen über das, was ich gesehen hatte.
»Aber diese Geschöpfe erzeugen ja ihresgleichen!« rief ich.
»Vollkommen richtig! Die einzige Bestimmung dieser Maschine ist es, Maschinen zu produzieren, die ihr gleich sind«, antwortete Cookling.
»Ja, ist das denn möglich?« fragte ich, ohne irgendetwas zu begreifen.
»Warum nicht? Schließlich kann auch jede beliebige Werkbank, eine Drehbank beispielsweise, die Teilstücke für genauso eine Drehbank produzieren, wie sie selbst eine ist. So kam mir die Idee, eine Maschine zu konstruieren, die sich von A bis Z selbst reproduziert. Das Modell dieser Maschine ist mein Krebs hier.«
Ich überlegte und mühte mich, einen Sinn in den Worten des Ingenieurs zu finden. Unterdessen hatte sich der Rachen des ersten Krebses geöffnet und ein breites Metallband ausgespien. Das Band überzog den ganzen, bereits zusammengefügten Mechanismus auf der kleinen Plattform und bildete so den Rücken der dritten Maschine. Als das Rückenteil montiert war, schweißten die flinken Vorderbeine vorn und hinten Metallwände mit den Augenlöchern an, und fertig war der neue Krebs. Genau wie bei seinen Geschwistern funkelte in der Vertiefung auf dem Rücken der metallene Spiegel mit dem roten Kristall.
Nun zog der erste Krebs seine Plattform wieder ein, und sein »Kind« stand auf eigenen Füßen im Sand. Ich beobachtete, wie der Spiegel auf seinem Rücken anfing, sich auf der Suche nach der Sonne langsam hin- und herzudrehen. Nachdem der Krebs ein Weilchen still gelegen hatte, kroch er zum Ufer hinab und saugte sich voll Wasser. Dann kehrte er in die Sonne zurück, blieb regungslos liegen und wärmte sich.
Ich glaubte, dies alles zu träumen.
Während ich das Neugeborene betrachtete, sagte Cookling:
»Da hätten wir auch schon den vierten.«
Ich wandte den Kopf und sah, dass der vierte Krebs »geboren« war. Inzwischen standen die beiden ersten immer noch unbekümmert neben dem Metallhaufen, schweißten kleine Brocken los, schoben sie in ihr Inneres und taten, was sie bisher getan hatten.
Auch der vierte Krebs bewegte sich langsam zum Ufer hinunter, um Meerwasser zu trinken.
»Warum zum Teufel saugen sie sich voll Wasser?« fragte ich.
»Auf diese Weise wird der Akkumulator aufgefüllt. Solange die Sonne scheint, reicht ihre Energie, die mit Hilfe des Spiegels auf dem Rücken und einer Siliziumbatterie in Elektrizität verwandelt wird, um die Arbeit durchzuführen. Nachts wird der Automat mit der im Lauf des Tages gespeicherten Energie aus einem Akkumulator gespeist.«
»Demnach sind diese Biester Tag und Nacht in Betrieb?«
»Freilich, ununterbrochen, Tag und Nacht.«
Jetzt regte sich der dritte Krebs und kroch ebenfalls an den Metallhaufen.
Nun waren also drei Maschinen bei der Arbeit, während die vierte noch mit Sonnenenergie aufgeladen wurde.
»Aber in diesem Metallhaufen befindet sich doch kein Material für Siliziumbatterien«, wandte ich ein, bemüht, in die Technologie dieser sonderbaren Selbstproduktion der Maschinen einzudringen.
»Das ist nicht erforderlich. Es ist auch so mehr als genug davon vorhanden.« Cookling schleuderte ungeschickt mit dem Fuß etwas Sand in die Höhe. »Sand ist bekanntlich nichts anderes als Siliziumoxyd. Im Innern des Krebses wird er mittels eines Lichtbogens in reines Silizium umgewandelt.«
Als wir abends ins Zelt zurückkehrten, waren neben dem Metallhaufen bereits sechs Maschinen an der Arbeit, während zwei sich in der Sonne aufheizten.
»Und wozu das Ganze?« fragte ich Cookling beim Abendessen.
»Für den Krieg. Diese Krebse sind eine furchtbare Diversionswaffe «, erklärte er offenherzig.
»Ich verstehe nicht, Ingenieur.«
Gemächlich an einem Stück Rindfleisch kauend, setzte Cookling mir folgendes auseinander:
»Stellen Sie sich vor, was passiert, wenn man diese Dinger unbemerkt auf das Gebiet des Gegners schmuggelt.«
»Na und?« fragte ich und hielt im Essen inne.
»Wissen Sie, was eine mathematische Progression ist?«
»Ich denke schon.«
»Gestern haben wir mit einem einzigen Krebs angefangen. Heute sind es bereits acht. Morgen werden es vierundsechzig sein, übermorgen fünfhundertzwölf, und so weiter. In zehn Tagen sind es mehr als zehn Millionen. Dazu würden dreißigtausend Tonnen Metall benötigt werden.«
Als ich diese Zahlen hörte, erstarrte ich vor Staunen.
»Ja, aber ...«
»Diese Krebse können binnen kürzester Frist sämtliche Metallreserven des Gegners verschlingen, alle seine Panzer, Kanonen und Flugzeuge. Alle seine Werkbänke, Maschinen und Fabrikeinrichtungen. Das ganze Metall auf seinem Territorium. Einen Monat später wird es kein einziges Metallkrümchen auf dem ganzen Erdball mehr geben. Alles wird für die Produktion dieser Krebse draufgehen ... Vergessen Sie nicht, im Krieg ist Metall das wichtigste strategische Material.«
»Darum also hat sich die Admiralität für Ihr Spielzeug interessiert ... « sagte ich tonlos.
»Erraten. Aber dies ist nur das erste Modell. Ich habe die Absicht, es wesentlich zu vereinfachen und dafür den Herstellungsprozess der Maschinen zu beschleunigen. Vielleicht um das Doppelte oder Dreifache. Die Konstruktion muss widerstandsfähiger und härter, die Maschinen müssen beweglicher werden. Die Empfindlichkeit der Indikatoren auf Metallvorkommen muss gesteigert werden. Dann sind meine Maschinen im Kriegsfall schlimmer als die Pest. Mein Ziel ist es, den Gegner innerhalb von zwei- oder dreimal vierundzwanzig Stunden seines gesamten Metallpotentials zu berauben.«
»Schön und gut, wenn aber diese Maschinen alles Metall auf dem Gebiet des Gegners verschlungen haben, werden sie doch auf unser eigenes Territorium übergreifen«, rief ich.
»Das ist eine zweite Frage. Man kann die Funktion der Maschine mit einem Kode versehen und sie - vorausgesetzt, dass man diesen Kode kennt - abstoppen, sobald sie auf unserm Territorium auftreten. Im Übrigen kann man auf diese Weise sämtliche Metallreserven des Gegners auf unsere Seite holen.«
... In dieser Nacht wurde ich von Alpträumen heimgesucht. Ganze Heerscharen von metallenen Krebsen krochen auf mich zu, raschelten mit ihren Greifzangen, während dünne blaue Rauchsäulen über ihren Rümpfen aufstiegen.
Vier Tage danach hatten Ingenieur Cooklings Roboter-Krebse die ganze Insel in Besitz genommen.
Wollte man seinen Berechnungen Glauben schenken, so waren es jetzt mehr als viertausend.
Ihre in der Sonne glänzenden Leiber waren überall anzutreffen. Sobald ein Haufen des Metalls zu Ende gegangen war, irrten sie suchend auf dem ganzen Eiland umher, bis sie auf neuen Vorrat stießen.
Vor Sonnenaufgang des fünften Tages wurde ich Zeuge einer furchtbaren Szene: Zwei Krebse kämpften um ein Stück Zink.
Dies trug sich auf der Südseite der Insel zu, wo wir ein paar Zinkbarren vergraben hatten. Die an verschiedenen Stellen arbeitenden Krebse kamen von Zeit zu Zeit hierher, um das jeweils benötigte Zinkteil zu produzieren. Da wollte es der Zufall, dass etwa zwei Dutzend Krebse auf einmal zur Zinkgrube eilten, und hier entspann sich ein regelrechtes Handgemenge. Die Maschinen suchten sich gegenseitig zu behindern. Dabei tat sich ein Krebs besonders hervor, der wendiger und, wie mir schien, auch unverschämter und stärker war als die übrigen.
Er stieß seine Geschwister einfach beiseite, kroch über deren Rücken, emsig bemüht, einen Metallbrocken vom Grund der Grube zu ergattern. Aber da, als er schon am Ziel war, packte noch ein anderer Krebs mit seinen Scheren dasselbe Stück. Beide Maschinen zerrten den Metallblock in verschiedene Richtungen. Demjenigen, der nach meinem Dafürhalten wendiger war als die anderen, gelang es schließlich, seinem Rivalen das Stück zu entreißen. Sein Widersacher war jedoch keineswegs gewillt, die Beute fahren zu lassen, er nahm Anlauf von hinten, hockte sich auf den Rücken des anderen Krebses und steckte diesem seine dünnen Fühler in den Schlund. Im Nu hatten sich die Greifzangen der ersten und zweiten Maschine ineinander verstrickt, und sie fingen an, sich gegenseitig mit furchtbarer Gewalt hin- und herzuzerren.
Keine der anderen Maschinen ringsum achtete darauf. Die beiden indessen kämpften schon nicht mehr auf Leben, sondern auf Tod. Ich sah, wie der oben sitzende Krebs plötzlich rücklings hinunterrollte, wie seine eiserne Plattform verrutschte und das metallene Innere freigab. Da begann sein Rivale, mit einem elektrischen Funken blitzschnell den Rumpf des Feindes zu zerteilen. Als der Leib des Opfers auseinanderbrach, riss der siegreiche Krebs die Hebel, Zahnrädchen und Leitungen heraus und stopfte sie eiligst in den eigenen Schlund.
Kaum waren die solcherart erbeuteten Teilstücke ins Innere des räuberischen Roboters gelangt, da wurde auch schon dessen Plattform ausgefahren, auf der bereits fieberhaft an der Montage eines neuen Automaten gearbeitet wurde.
Ein paar Minuten später glitt der neue Krebs von der Plattform auf den Sand.
Als ich Cookling berichtete, was ich mit angesehen hatte, kicherte er nur.
»Das ist genau, was ich erreichen will«, sagte er.
»Wozu?«
»Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich meine Maschinen vervollkommnen will.«
»Na und? Nehmen Sie Ihre Zeichnungen und überlegen Sie, wie Sie das machen können. Was soll diese Fehde untereinander? So fangen die Biester ja an, sich gegenseitig aufzufressen!«
»Sehr richtig. Und nur die vollkommensten bleiben übrig.«
Ich überlegte einen Augenblick und gab dann zu bedenken:
»Was heißt die vollkommensten? Sie sind sich doch alle gleich. Soviel ich sehen konnte, erzeugen sie sich doch immer wieder aufs neue.«
»Ja, glauben Sie denn, dass man jemals eine absolut getreue Kopie herstellen könnte? Sie wissen doch wohl, dass man selbst bei der Produktion von Kugeln für Kugellager niemals zwei vollkommen gleiche Kugeln anfertigen kann. Und das ist noch eine relativ unkomplizierte Angelegenheit. Hier dagegen hat die herstellende Maschine eine Kontrollvorrichtung, welche die entstehende Kopie mit ihrer eigenen Konstruktion vergleicht. Können Sie sich vorstellen, was geschieht, wenn jede nachfolgende Kopie nicht mehr nach dem Original hergestellt wird, sondern nach der jeweils vorangegangenen Maschine? Dabei kann zu guter Letzt ein Mechanismus herauskommen, der mit dem Original nicht mehr die geringste Ähnlichkeit hat.«
»Wenn er aber dem Original nicht mehr ähnlich ist, kann er auch seine ursprüngliche Funktion nicht mehr ausüben, nämlich sich selbst zu reproduzieren«, wandte ich ein.
»Na und wenn schon. Ausgezeichnet. Aus seinem Kadaver werden die erfolgreichen Kopien eine andere, lebensfähige Maschine herstellen. Und erfolgreich werden diejenigen sein, in denen rein zufällig gerade die Eigenschaften der Konstruktion zusammentreffen, die sie besonders lebenstüchtig machen. Auf diese Weise müssen stärkere, wendigere und weniger komplizierte Typen entstehen. Darum habe ich auch nicht die Absicht, mich mit Zeichnungen und Entwürfen aufzuhalten. Ich brauche nur abzuwarten, bis die Maschinen alles Metall auf dieser Insel verschlungen haben und einen Krieg untereinander anfangen, wobei sie sich gegenseitig auffressen und neu produzieren werden. Dadurch werde ich genau die Maschine erhalten, die ich haben will.«
In dieser Nacht saß ich noch lange rauchend im Sand vor dem Zelt und sah aufs Meer hinaus. Hatte sich Cookling da wirklich etwas ausgeheckt, das für die gesamte Menschheit ernsteste Gefahren mit sich bringen konnte? Züchteten wir auf diesem verlassenen Eiland tatsächlich eine entsetzliche Pest heran, die imstande sein würde, alles Metall auf der Erde zu verschlingen?
Während ich da saß und diesen Gedanken nachhing, krochen ein paar der metallenen Geschöpfe an mir vorüber. Selbst im Laufen knirschten ihre Mechanismen, sie waren unermüdlich bei der Arbeit. Einer der Krebse lief geradewegs auf mich zu, und voll Abscheu stieß ich ihn mit dem Fuß beiseite. Hilflos fiel er rücklings in den Sand. Fast augenblicklich stürzten sich zwei andere Roboter auf ihn, in der Dunkelheit sprühten blendende elektrische Funken.
Das unglückselige Opfer wurde in Stücke geschnitten. Jetzt aber hatte ich genug. Eilig ging ich ins Zelt und holte das Brecheisen aus der Kiste. Cookling schnarchte bereits. Behutsam schlich ich mich an die Rotte der Krebse heran und schlug aus Leibeskräften zu, um einen von ihnen zu treffen. Ich hatte mir eingebildet, dies müsse auf die übrigen eine abschreckende Wirkung haben. Aber nichts dergleichen geschah. Die andern fielen über die von mir erschlagene Maschine her, und wieder sprühten die Funkengarben.
Ich schlug noch ein paar Mal zu, was die Zahl der elektrischen Funken jedoch nur vermehrte. Aus dem Innern der Insel eilten noch mehrere Ungetüme herbei.
Im Finstern konnte ich kaum die Umrisse der Krebse erkennen, und doch kam es mir bei diesem Handgemenge so vor, als sei einer darunter besonders groß.
Auf ihn hatte ich es abgesehen. Als aber mein Brecheisen seinen Rücken berührte, schrie ich auf und tat einen Satz zur Seite. Das Metall des Brecheisens hatte einen elektrischen Schlag auf mich geleitet. Der Rumpf dieses Scheusals war elektrisch geladen! »Eine Verteidigungswaffe, die sich im Lauf der Evolution herausgebildet hat«, schoss es mir durch den Sinn.
Am ganzen Leibe zitternd näherte ich mich dem surrenden Knäuel der Maschinen, um mein Werkzeug wiederzuholen. Aber es war nicht mehr da. Im Dunkeln, beim ungewissen Licht der vielen Lichtbögen, musste ich mitansehen, wie das Brecheisen zerstückelt wurde. Besonders tat sich dabei jener große Krebs hervor, den ich hatte erschlagen wollen.
Ich kehrte ins Zelt zurück und legte mich auf mein Feldbett. Für kurze Zeit sank ich in einen tiefen, schweren Schlaf. Aber er war nicht von langer Dauer. Plötzlich wurde ich wach, denn ich spürte, wie etwas Kaltes, Schweres über mich kroch. Ich sprang auf die Füße. Ein Krebs - im ersten Moment hatte ich gar nicht recht erfasst, was es war - verschwand im Innern des Zeltes. Sekunden später erblickte ich einen hellen elektrischen Funken.
Das verwünschte Biest war auf seiner Metallsuche ohne weiteres auch in unser Zelt eingedrungen. Seine Elektrode zerschnitt den Blechkanister mit Trinkwasser!
Hastig rüttelte ich Cookling wach und erklärte ihm ziemlich verworren, was geschehen war.
»Alle Konservendosen ins Meer! Lebensmittel und Wasser ins Meer!« ordnete er an.
Wir machten uns daran, alle Blechdosen zum Meer hinunterzuschleppen, und versenkten sie an einer Stelle, wo uns das Wasser bereits bis zum Gürtel reichte, auf den sandigen Grund. Auch alle unsere Werkzeuge brachten wir dort in Sicherheit.
Nass und erschöpft von dieser Arbeit blieben wir bis zum Morgen schlaflos am Ufer sitzen. Cookling atmete keuchend, und ich war in der Seele froh, daß auch er die Auswirkungen seiner Erfindung zu spüren bekam. Aber jetzt haßte ich ihn und gönnte ihm eine noch härtere Strafe.
Ich weiß nicht mehr, wieviel Zeit seit unserer Landung auf der Insel vergangen war, als Cookling eines schönen Tages feierlich erklärte: »Jetzt wird es erst richtig interessant. Das ganze Metall ist aufgefressen.«
Und wirklich, wir sahen an allen Stellen nach, wo wir Metallstücke ausgelegt hatten. Dort war nichts mehr zu entdecken. Am Ufer entlang und zwischen den Sträuchern gähnten nur noch leere Löcher.
Die Metallwürfel, Stangen und Barren hatten sich in Maschinen verwandelt, die in gewaltiger Zahl auf der Insel hin- und herliefen. Ihre Bewegungen wurden hastig und ruckartig; die Akkumulatoren waren bis zum Bersten geladen, aber da es nichts für sie zu tun gab, wurde keine Energie verbraucht. Suchend irrten sie am Ufer entlang, krochen zwischen dem Gestrüpp auf dem Plateau umher, wobei sie immer wieder aufeinander prallten, ja, auch wir selbst wurden häufig von ihnen angerempelt.
Während ich sie beobachtete, kam ich zu der Überzeugung, dass Cookling Recht hatte. Es gab tatsächlich verschiedenartige Krebse. Sie unterschieden sich voneinander durch ihre Größe, Beweglichkeit, durch das Ausmaß der Greifzangen und ihres als Werkstatt dienenden Schlundes. Wahrscheinlich gab es noch weitergehende Unterschiede in der Apparatur ihres Innern. »Da wären wir nun soweit«, sagte Cookling, »höchste Zeit, dass wir sie aufeinander hetzen.«
»Ist das Ihr Ernst?« fragte ich.
»Natürlich. Um das zu erreichen, braucht man ihnen bloß ein Stückchen Kobalt vorzuwerfen. Ihr Mechanismus ist so beschaffen, dass ihnen, sobald nur ein Bruchteil dieses Metalls in ihr Inneres gelangt, jeglicher Respekt, wenn man es so nennen will, voreinander abhanden kommt.«
Am anderen Morgen machten Cookling und ich uns auf den Weg zu unserer »Vorratskammer« im Meer. Vom sandigen Grund holten wir die für den Tag benötigte Portion Konserven und Trinkwasser, dazu vier schwere, graue Kobaltblöcke, die der Ingenieur eigens für diese entscheidende Phase des Experiments reserviert hatte.
Als Cookling ans Ufer trat, die Arme mit den Kobaltblöcken hoch erhoben, wurde er augenblicklich von mehreren Krebsen umringt. Sie wagten sich zwar nicht in den Bereich seines Schattens, aber man spürte deutlich, wie das neue Metall sie in höchste Erregung versetzte. Ich stand ein paar Schritte von dem Ingenieur entfernt und sah zu meinem Staunen, dass einige Maschinen sogar ungeschickt in die Höhe zu springen versuchten.
»Beachten Sie die Vielfalt der Bewegungen! Wie wenig ähneln sie einander. Zudem werden nur die stärksten und fähigsten den Krieg überleben, in den wir sie jetzt verwickeln werden. Sie werden eine noch weiter perfektionierte Nachkommenschaft hervorbringen.«
Mit diesen Worten schleuderte Cookling die Kobaltstücke in das Gebüsch. Was dann geschah, lässt sich schwer schildern.
Im Nu stürzten sich mehrere Roboter-Krebse auf die Blöcke, stießen sich gegenseitig beiseite und machten sich daran, das Metall mit ihren elektrischen Funken zu zerschneiden. Andere drängten sich im Hintergrund, vergeblich bemüht, ebenfalls einen Metallbrocken zu ergattern. Einige kletterten kurzerhand über die Rücken ihrer Gefährten, um in den Mittelpunkt des Getümmels zu gelangen.
»Sehen Sie, da hätten wir das erste Handgemenge!« frohlockte der Ingenieuroffizier und klatschte in die Hände.
Wenige Minuten später hatte sich die Stelle, auf die Cookling die Metallblöcke geworfen hatte, in die Walstatt eines mörderischen Kampfes verwandelt, zu der immer neue Automaten hineilten. Kaum dass die Einzelteile der zerschnittenen Mechanismen und Kobaltstücke von den neuen Maschinen verschlungen worden waren, verwandelten sich diese in wilde und furchtlose Raubtiere, die sofort über ihre Artgenossen herfielen.
Im ersten Stadium dieses Krieges waren die Krebse im Angriff, die bereits etwas vom Kobalt abbekommen hatten. Sie waren es, welche die anderen Maschinen zerstückelten, die von der ganzen Insel hier zusammenströmten in der Hoffnung, etwas von dem begehrten Metall zu erhaschen. Als sich dann jedoch immer mehr Krebse am Kobalt gütlich getan hatten, steigerte sich die Erbitterung des Kampfes. In diesem Augenblick traten auch die neuen Roboter in Aktion, die erst im Lauf der Schlacht entstanden waren.
Dies war eine erstaunliche Generation von Maschinen. Sie waren kleiner als die vorhergegangenen und verfügten über eine kolossale Geschwindigkeit. Zu meiner Verwunderung waren sie nicht mehr auf die traditionelle Prozedur der Ladung ihrer Akkumulatoren angewiesen wie ihre Ahnen.
Für sie reichte die Sonnenenergie vollkommen aus, die jetzt mit ungewöhnlich großen Rückenspiegeln eingefangen wurde. Ihre Angriffslust war verblüffend. Sie stürzten sich auf mehrere Krebse und zerstückelten mit ihren Funken gleich zwei oder drei auf einmal.
Cookling stand im Wasser, und seine Physiognomie drückte grenzenlose Selbstgefälligkeit aus. Er rieb sich die Hände und ächzte:
»Sehr gut! Ich kann mir ausmalen, wie es weitergehen wird!...«
Ich dagegen betrachtete diesen Kampf der Roboter mit tiefem Widerwillen und mit Furcht und fragte mich insgeheim, wie wohl die nächste Generation der mechanischen Raubtiere aussehen würde. Was für Wesen mochten zuletzt noch aus diesem Getümmel hervorgehen?
Gegen Mittag hatte sich der Strand vor unserem Zelt in ein einziges riesiges Schlachtfeld verwandelt. Von der ganzen Insel kamen die Automaten herbeigelaufen. Der Krieg wurde stumm geführt, ohne Geschrei und Wehklagen, ohne Lärm und Getöse. Nur das Knistern zahlloser elektrischer Funken und das Klirren der metallenen Rümpfe begleiteten dieses unheimliche Gemetzel mit einem merkwürdigen dumpfen Geräusch.
Wenn auch ein beachtlicher Teil des jetzt entstandenen Nachwuchses klein und sehr behände war, so tauchten im Lauf der Zeit noch andere Typen auf. Diese waren bedeutend größer als die übrigen. Ihre Bewegungen waren langsam, aber man spürte eine gewaltige Kraft darin, und sie wurden mühelos mit den gegen sie anrennenden Zwergen fertig.
Als die Sonne sich ihrem Untergang zuneigte, ging in den Bewegungen der kleinen Maschinen eine plötzliche Veränderung vor: Sie alle drängten sich auf der Westseite der Insel zusammen, und ihre Bewegungen wurden langsamer.
»Verdammt noch mal, diese ganze Bande ist zum Untergang verurteilt«, sagte Cookling heiser. »Sie haben keine Akkumulatoren, und sobald die Sonne versinkt, ist es aus mit ihnen.«
Wirklich, als die Schatten der Büsche so lang geworden waren, dass sie die Menge der kleinen Automaten bedeckten, blieben diese augenblicklich still und starr liegen. Jetzt war das nicht mehr eine Armee kleiner angriffslustiger Ungeheuer, sondern ein riesiger Haufen leblosen Schrotts.
Gemächlich krochen die riesigen Krebse, die fast halb so groß waren wie ein Mensch, darauf zu und verschlangen einen nach dem andern. Auf den Plattformen der gigantischen Eltern zeigten sich die Konturen einer Nachkommenschaft von noch ungeheuerlicheren Ausmaßen.
Cooklings Miene verdüsterte sich. Diese Evolution war offensichtlich nicht nach seinem Geschmack. Schwerfällige Roboter-Krebse von diesen Proportionen sind eine untaugliche Waffe für die Diversion im Rücken des Gegners!
Während die Riesenkrebse der kleineren Generation den Garaus machten, herrschte am Strand vorübergehend Ruhe.
Ich stieg aus dem Wasser, der Ingenieur folgte mir schweigend. Wir gingen auf die Ostseite der Insel, um ein bisschen zu verschnaufen. Ich war sehr müde und schlief fast augenblicklich ein, kaum daß ich mich auf dem warmen, weichen Sand ausgestreckt hatte.
Mitten in der Nacht erwachte ich von einem fürchterlichen Schrei. Als ich auf die Füße sprang, sah ich nichts als den grauen Streifen des Sandstrandes und das Meer, das am Horizont in den schwarzen, sternenübersäten Himmel überging.
Und wieder drang ein Schrei, diesmal jedoch etwas leiser, vom Gestrüpp zu mir herüber. Jetzt erst bemerkte ich, daß Cooklings Lager neben mir leer war. Eilig rannte ich in die Richtung, aus der, wie mir schien, seine Stimme erschollen war.
Das Meer war sehr ruhig wie immer, nur hie und da klatschten kleine Wellen mit kaum wahrnehmbarem Laut auf den Sand. Doch glaubte ich zu erkennen, dass an der Stelle, wo wir unsere Lebensmittelvorräte und Trinkwasserbehälter auf den Meeresgrund versenkt hatten, der Wasserspiegel seltsam unruhig war. Ein platschendes und gluckerndes Geräusch drang von dort herüber.
Ich nahm an, dass es Cookling sei, der sich dort zu schaffen mache.
»Ingenieur, was tun Sie hier?« rief ich und ging auf unsere Vorratskammer unter Wasser zu.
»Hier bin ich!« hörte ich plötzlich seine Stimme irgendwoher von rechts.
»Guter Gott, wo denn?«
»Hier«, wieder vernahm ich die Stimme des Ingenieurs. »Ich stehe bis zum Hals im Wasser, kommen Sie her!«
Ich ging ins Wasser und stieß unvermutet gegen etwas Hartes. Wie sich herausstellte, war dies ein gewaltiger Krebs, der auf seinen hohen Scheren tief im Wasser stand.
»Warum sind Sie so weit hineingegangen? Was machen Sie dort?« fragte ich.
»Sie waren hinter mir drein und haben mich bis hierher verfolgt!« piepste der Dickwanst kläglich.
»Hinter Ihnen drein? Wer in aller Welt?«
»Die Krebse.«
»Ausgeschlossen. Mir tun sie doch überhaupt nichts.«
Wieder stieß ich im Wasser auf einen Automaten, watete um ihn herum und langte schließlich neben dem Ingenieur an. Er stand tatsächlich bis zum Hals im Wasser.
»Sagen Sie um Himmels willen, was ist passiert?«
»Ich begreife es ja selber nicht«, stieß er mit zitternder Stimme hervor. »Mitten im Schlaf wurde ich plötzlich von einem dieser Automaten angefallen. Zuerst glaubte ich, es sei bloßer Zufall gewesen ... rückte beiseite, er aber kroch wieder näher und fuhr mit seinen Scheren über mein Gesicht ... Da stand ich auf und ging zur Seite... Er folgte... Ich lief davon ... Der Krebs mir nach. Noch ein anderer gesellte sich zu ihm ... Dann mehrere ... Eine ganze Horde ... Und so hetzten sie mich bis hierher...«
»Sonderbar. Das ist ja noch nie geschehen«, überlegte ich. »Selbst wenn sich im Verlauf der Evolution ein menschenfeindlicher Instinkt in ihnen ausgebildet haben sollte, so hätten sie auch mich nicht verschont.«
»Keine Ahnung«, keuchte Cookling heiser. »Nur habe ich Angst, ans Ufer zu gehen ...«
»Unsinn«, erwiderte ich und nahm ihn an der Hand. »Kommen Sie, wir laufen am Ufer entlang nach Osten. Ich werde auf Sie aufpassen.«
»Wie denn nur?«
»Wir gehen jetzt zum Vorratslager, und ich hole mir irgendeinen schweren Gegenstand. Einen Hammer beispielsweise.«
»Bloß nichts aus Metall«, stöhnte der Ingenieur. »Nehmen Sie lieber ein Brett oder sonst etwas Hölzernes.«
Langsam wateten wir am Ufer entlang. Als wir uns dem Vorratslager näherten, ließ ich den Ingenieur zurück und ging aufs Ufer zu. Auf einmal hörte ich ein lautes Plätschern und das bekannte Surren der Maschinen. Die metallenen Ungeheuer waren dabei, unsere Konservendosen zu plündern. Sie waren bis zu unserer Vorratskammer unter Wasser vorgedrungen.
»Cookling, wir sind verloren!« schrie ich. »Sie haben alle Konservendosen verschlungen.«
»Wirklich?« stieß er kläglich hervor. »Was sollen wir jetzt tun?«
»So zerbrechen doch Sie sich den Kopf darüber, was jetzt zu tun ist. Das alles haben wir Ihrer idiotischen Erfindung zu verdanken. Schließlich sind Sie es gewesen, der diesen Typ von Diversionswaffen gezüchtet hat. Jetzt löffeln Sie gefälligst die Suppe aus!«
Ich wich der Rotte der Maschinen aus und watete an Land. Hier raffte ich, in der Finsternis zwischen den Krebsen kriechend und tastend, rasch noch ein paar Fleischbrocken, eingemachte Ananas, Äpfel und anderes im Sande auf und trug es zum Sandplateau hinüber. Aus der Menge der Lebensmittel, die am Ufer herumlagen, musste ich schließen, daß diese Geschöpfe ganze Arbeit geleistet hatten, während wir schliefen. Ich konnte keine einzige unversehrte Dose mehr entdecken.
Während ich die Reste unseres Proviants zusammenklaubte, stand Cookling etwa zwanzig Schritt vom Ufer entfernt bis zum Hals im Wasser.
Ich war so beschäftigt mit dem Einsammeln der kläglichen Überbleibsel unserer Essvorräte und so bekümmert über das Geschehene, dass ich ihn ganz vergessen hatte. Bald wurde ich jedoch durch einen durchdringenden Schrei an ihn erinnert.
»Um Gottes willen, Bud, zu Hilfe! Sie dringen bis zu mir vor!«
Ich stürzte ins Wasser und ruderte, immer wieder über die metallenen Ungetüme stolpernd, mit den Armen in die Richtung, wo ich Cookling verlassen hatte. Und hier, etwa fünf Schritte von ihm entfernt, stieß ich wie üblich auf einen der Krebse.
Um mich kümmerte sich das Scheusal überhaupt nicht.
»Verdammt, was haben diese Biester bloß gegen Sie? Sie sind doch sozusagen ihr Papa!« sagte ich.
»Ich weiß es nicht«, ächzte der Ingenieur nach Luft schnappend.
»Unternehmen Sie irgendetwas, Bud, um ihn zu vertreiben. Falls ein noch größerer Roboter entsteht, bin ich verloren ...«
»Da haben Sie Ihre Evolution. Welcher Punkt ist bei diesen Krebsen eigentlich besonders empfindlich? Wie kann man den Mechanismus außer Funktion setzen?«
»Früher genügte es, den Spiegel zu zerschlagen ... oder den Akkumulator aus dem Innern herauszuziehen. Jetzt aber ... keine Ahnung ... Man müsste spezielle Forschungen durchführen.«
»Zum Teufel mit Ihren Forschungen!« knirschte ich und packte das dünne Vorderbein des Krebses, mit dem dieser zum Gesicht des Ingenieurs hinauflangte. Der Roboter wich zurück.
Ich tastete nach dem zweiten Bein und bog es ebenfalls zurück.
Die Greifzangen ließen sich mühelos biegen, wie Kupferdraht.
Diese Operation behagte dem Metallungeheuer offensichtlich nicht, denn es kroch langsam aus dem Wasser heraus. Der Ingenieur und ich setzten unseren Weg am Ufer entlang weiter fort.
Als die Sonne aufging, krochen alle Maschinen aus dem Wasser auf den Sand, wo sie sich eine Zeitlang aufheizten. Unterdessen gelang es mir, mit einem Stein die Rückenspiegel von gut fünfzig Ungeheuern zu zertrümmern. Sie alle blieben regungslos liegen.
Aber leider wurde unsere Situation dadurch keineswegs verbessert, denn sie wurden augenblicklich zu Opfern ihrer Artgenossen, und aus ihren Resten wurden mit beklemmender Schnelligkeit neue Maschinen hergestellt. Es ging über meine Kräfte, die Siliziumbatterien auf den Rücken aller Roboter zu zerstören. Mehrmals geriet ich an elektrisch geladene Automaten, was meinem kämpferischen Elan begreiflicherweise Einbuße tat.
Cookling blieb die ganze Zeit über im Meer stehen.
Bald entbrannte der Kampf zwischen den Ungeheuern wieder mit ganzer Wucht, und sie schienen den Ingenieur völlig vergessen zu haben.
Wir verließen das Schlachtfeld und wanderten auf die entgegengesetzte Seite der Insel. Der Ingenieur war so durchfroren vom stundenlangen Stehen im Meer, daß er sich zähneklappernd zu Boden warf und mich bat, ihn mit dem heißen Sand zuzuschütten.
Dann kehrte ich zum Lagerplatz zurück, um unsere Kleidung und die Überreste unseres Proviants zu holen. Jetzt erst entdeckte ich, dass das Zelt zerstört war: die in den Sand gerammten eisernen Pflöcke waren verschwunden und die Metallringe am Saum der Zeltplane, mit denen die Seile gespannt waren, abgerissen.
Unter dem Zelttuch fand ich Cooklings und meine Kleider. Aber auch hier hatte die Tätigkeit der unersättlichen Krebse ihre Spuren hinterlassen. Alle Haken, Knöpfe und Spangen waren verschwunden. An ihrer Stelle sah ich Löcher und verbrannte Stoffreste.
Inzwischen hatte sich der Kampf der Roboter vom Ufer ins Innere der Insel verlagert. Als ich zum Plateau hinaufstieg, sah ich im Gebüsch, fast im Mittelpunkt der Insel, mehrere Ungetüme, die sich auf ihren hohen, fast menschengroßen Scheren steil aufgerichtet hatten. Sie standen sich paarweise gegenüber, nahmen erst langsam Anlauf, um dann in gewaltiger Wucht aufeinander loszugehen.
Jedes Mal, wenn sie zusammenprallten, erdröhnten dumpfe metallische Stöße. In den schwerfälligen Bewegungen dieser Giganten ahnte man ungeheure Kraft und ein enormes Gewicht.
Vor meinen Augen wurden mehrere Maschinen zu Boden geworfen und auf der Stelle in Stücke gerissen.
Ich aber hatte übergenug von diesen Kampfszenen der wahnsinnigen Maschinen, so wandte ich mich ab und kehrte, bepackt mit allem, was ich am Ort unseres einstigen Lagerplatzes noch hatte aufsammeln können, langsam zu Cookling zurück.
Die Sonne brannte erbarmungslos, und ehe ich zu dem Fleck gelangte, wo ich den Ingenieur im Sand eingegraben hatte, kühlte ich mich noch einmal im Wasser ab. Ich hatte genügend Zeit, alles Geschehene zu überdenken.
Eines stand jedenfalls fest. Die Hoffnungen der Admiralität auf die Evolution der Maschinen hatten offensichtlich getrogen. Anstelle der perfektionierten Miniatur-Roboter waren ungeschlachte mechanische Giganten von gewaltiger Kraft und mit schwerfälligen Bewegungen entstanden.
Vom militärischen Gesichtspunkt aus waren sie absolut wertlos.
Ich war bereits nahe an den Sandhügel gekommen, unter dem der von seinem nächtlichen Bad erschöpfte Cookling schlief, als plötzlich vom Plateau her ein ungeheuer großer Krebs aus dem Gebüsch hervorbrach. Er war größer als ich, seine Beine waren hoch und stämmig. Er bewegte sich in unregelmäßigen Sprüngen vorwärts, wobei er mit dem Rumpf seltsame Verrenkungen vollführte. Seine vorderen Greifzangen waren ungewöhnlich lang und schleiften im Sande. Besonders übermäßig war sein Schlund, der fast die Hälfte des Rumpfes einnahm.
Dieser »Ichthyosaurier«, wie ich ihn im Stillen nannte, kam schwerfällig herunter gekrochen und drehte seinen Rumpf langsam nach allen Seiten als wolle er die Örtlichkeit erkunden. Mechanisch schwenkte ich ihm die Zeltplane entgegen, wie man tut, um eine Kuh zu verscheuchen, die sich einem in den Weg gestellt hat. Er beachtete mich indessen überhaupt nicht, sondern bewegte sich, einen seltsamen weiten Bogen beschreibend, von der Seite her auf den Sandhügel zu, unter dem Cookling schlief.
Hätte ich geahnt, dass der Unhold sich dem Ingenieur näherte, wäre ich diesem augenblicklich zu Hilfe geeilt. Aber sein Zickzackkurs war so unbestimmt, dass ich zunächst annehmen musste, er wolle zum Wasser hinunter. Erst als er, kaum dass seine Beine das Wasser berührt hatten, plötzlich umschwenkte und rasch auf den Ingenieur zulief, warf ich meine Last von mir und rannte, so schnell mich meine Füße trugen, ebenfalls in diese Richtung.
Inzwischen hatte sich der »Ichthyosaurier« einen Augenblick über Cookling hingehockt.
Ich bemerkte, wie die Enden seiner langen Greifzangen unmittelbar neben dem Gesicht des Ingenieurs auf dem Sande hin-und herglitten.
Im nächsten Moment stob da, wo eben noch der Sandhügel gewesen war, eine Staubwolke auf. Das war Cookling, der wie rasend auf die Füße sprang und in panischer Furcht vor dem Ungetüm zu fliehen suchte.
Doch es war zu spät. Die dünnen Greifzangen hielten den feisten Hals des Ingenieurs fest umklammert und zogen ihn immer höher, zum Schlund des Mechanismus. Cookling baumelte mit zuckenden Armen und Beinen hilflos in der Luft.
Wenn ich den Ingenieur auch zutiefst verabscheute, so konnte ich doch nicht untätig zusehen, wie er im Kampf mit einem seelenlosen Scheusal aus Metall zugrunde ging.
Ohne lange zu überlegen, packte ich die hohen Scheren des Krebses und zog aus aller Kraft daran. Aber das hatte nicht mehr Erfolg, als wenn ich versucht hätte, ein tief in die Erde gerammtes Stahlrohr umzustoßen. Der »Ichthyosaurier« rührte sich überhaupt nicht. Ich richtete mich auf und kletterte auf seinen Rücken. Einen Augenblick befand sich mein Gesicht in gleicher Höhe mit dem verzerrten Gesicht Cooklings.
»Die Zähne«, schoss es mir durch den Sinn, »Cookling hat ja Stahlzähne! ...«
Mit voller Wucht stieß ich meine Faust gegen den in der Sonne funkelnden parabolischen Spiegel.
Der Krebs begann, sich im Kreise zu drehen. Cooklings blau angelaufenes Gesicht mit den hervorquellenden Augen hing in Höhe des Schlundes. Und da geschah etwas Grauenerregendes. Ein elektrischer Funke sprang über die Stirn, auf die Schläfen des Ingenieurs. Dann lockerten die Zangen des Krebses plötzlich ihren Griff, und der leblose, schwere Körper des Schöpfers der eisernen Pest polterte auf den Sand.
Als ich Cookling beerdigte, jagten über die ganze Insel, einer hinter dem anderen, mehrere riesige Krebse. Sie nahmen weder von mir noch vom Leichnam des Ingenieuroffiziers die geringste Notiz.
Ich hüllte Cookling in die Zeltplane und begrub ihn in der Mitte der Insel in einer flachen Sandgrube. Ich bettete ihn ohne Mitleid zur letzten Ruhe. In meinem ausgedörrten Mund knirschte der Sand, und in Gedanken verfluchte ich den Toten wegen seiner abscheulichen Erfindung. Vom christlichen Standpunkt aus beging ich eine furchtbare Lästerung.
Dann lag ich mehrere Tage hintereinander regungslos am Ufer und starrte auf den Horizont in die Richtung, aus der die Pigeon auftauchen musste. Die Zeit verrann mit qualvoller Langsamkeit, und die erbarmungslose Sonne schien über meinem Kopf stillzustehen. Hin und wieder schleppte ich mich zum Wasser hinunter und tauchte mein verbranntes Gesicht in die kühlen Wellen.
Um den Hunger und den quälenden Durst zu vergessen, versuchte ich, an etwas Abstraktes zu denken. Ich dachte daran, wie viele kluge Menschen unserer Zeit die Kraft ihres Verstandes dazu missbrauchen, um anderen Menschen Böses zuzufügen. Man brauchte ja nur Cooklings Erfindung als Beispiel zu nehmen. Ich war überzeugt davon, dass man sie für edle Zwecke hätte nutzbar machen können, etwa zur Metallgewinnung. Man hätte diese Roboter so weiterentwickeln können, dass sie eine solche Aufgabe mit größtem Erfolg gelöst hätten. Ich kam zu der Schlussfolgerung, dass der Mechanismus bei entsprechender Perfektionierung nicht zu einem so gigantischen, plumpen Koloss entartet wäre ...
Eines Tages fiel ein großer, runder Schatten auf mein Gesicht. Ich hob mühsam den Kopf, um zu sehen, was sich da vor die Sonne geschoben hatte. Wie sich herausstellte, lag ich zwischen den Scheren eines ungeheuerlich großen Krebses. Er wanderte zum Ufer hinunter, und es war, als schaue er zum Horizont, als warte er auf irgendetwas.
Dann begannen die Halluzinationen. In meinem erhitzten Gehirn verwandelte sich der Riesenkrebs in einen hohen Trinkwasserbottich, dessen Rand ich trotz aller Anstrengung nicht erreichen konnte.
Als ich erwachte, befand ich mich an Bord des Schiffes. Auf Kapitän Gails Frage, ob man den seltsamen riesigen Mechanismus, der am Ufer liege, an Bord nehmen solle, antwortete ich, das sei vorerst durchaus nicht notwendig.
(Anatolij Dnjeprow)