In utero
1
Niemand berichtet vom Anfang der Reise, vom frühen Horror
Betäubt in den Wassern zu schaukeln, vom Druck
In der Kapsel, vom Augenblick, der sie sprengt.
Wochenlang blutig, und das Fleisch wächst amphibisch
Zuckend wie die Frösche Galvanis, in Folie eingeschweißt.
Horchen ist trügerisch und das Strampeln vergeblich
Wo Liebe erwidert und ein Herz schlägt, so nah.
Über Kloschüsseln hängend wie über offenem Grab
Erwacht bald die Scham. Und es gibt kein Zurück
Für die Hände, die Füße, Farnblättchen gleich eingerollt
Oder schlafenden Mücken, für Jahrmillionen im Bernstein.
Bis es die ersten Namen gibt, später, herrscht Dunkel,
Ein Chorus aus Lauten wie Alkohol, Hoden und Elektroden.
Hautfalten kräuseln sich, daß man den Säugling erkennt.
Alles ist vorstellbar, und ein Gehirn schaut herab.
Ein Blitz zaubert Landschaft in leere Augen.
Um als Lurch zu beginnen und zu enden als Mensch ...
2
Wer hätte gedacht, daß es so einfach ist, schließlich?
Das Wetter schlägt um, Reste von Gestern lösen sich auf.
Von Station zu Station geht der Körper in härterem Licht.
Als gäbe es wirklich Sprüche, die Regen machen, Regeln
Nach denen verstanden wird, ein Entsetzen, das trägt.
Mit den Tagen kommen die Tode, das »Ich bin der ich bin «.
Unscharfe Photos werden vom Sonnenlicht retuschiert.
Langsam biegt sich der Stachel zurück, kühlt die Wunden.
Der Schatten des Eigenen nimmt der Welt ihr Gewicht.
Durs Grünbein
Aus: Falten und Fallen. Gedichte
© Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1994
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(Ich sehe das anders, aber ein Gedicht ist ein Gedicht.
Hans*im*Glück)
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