Rüdiger schrieb am 9.11. 1999 um 14:14:44 Uhr zu
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Wie lange, wie viele mir endlos erscheinende Jahre habe ich versucht die Frage nach meiner Identität zu beantworten.
»Identität, was ist das?« war die Frage, die mich an meinen heutigen Ruhepol brachte. Ich definierte Identität als die Summe aller Eigenschaften, die mich eindeutig identifiziert. »Summe« ist dabei das entschiedende Stichwort. Denn damit erlaube ich mir, auch mehrere verschiedene, sich zum Teil scheinbar widersprechende Charakterzüge zuzulassen und auszuleben - nicht nur im Internet. In beinahe jedem Lebensbereich tritt eine andere Eigenschaft von mir ein wenig mehr in den Vordergrund als die anderen.
Die Frage »Wer bin ich?« kann ich von nun beantworten mit:
»Ich bin derjenige, der so sein kann und so sein kann und so sein kann und so und so und so...«
Habe ich eigentlich erwähnt, daß ich »Oder«-Fragen (und -verknüpfungen) nicht mag (erst recht »Exclusive-OR«) und deswegen immer bemüht bin, ein »AND« daraus zu machen.
(Würde ich jetzt mit aller Gewalt weiterschreiben um auch einmal »literarisch« auf der Skala stehen zu haben, würde die Qualität leiden - ergo verzichte ich ...diesmal)
Nils schrieb am 8.1. 2001 um 17:48:49 Uhr zu
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Über Identität
Wer bist Du? Was bist Du?
Wer oder was ist »ich«?
Man trifft sich und sagt:
- Ich bin Grafiker. (Hm, sehr trendy.)
oder
Ich bin Elektriker. (Handwerk, wird immer gebraucht.)
oder
Ich bin Student. (So so, Parties. was?)
oder
Ich bin arbeitslos. (Armer Kerl.)
Ist denn der Mensch, was er tut?
Kann »Kaufmann« oder »Architekt« die Identität eines Menschen sein? Weiß der Gesprächspartner nach dieser Vorstellung irgend etwas über das wirkliche Ich?
- Ich bin ein Mann. (Siehst aber kaum so aus...)
oder
Ich bin eine Frau. (Emanze, wie du aussiehst.)
oder
Ich habe lange als Mann gelebt, wußte aber immer, daß ich in Wirklichkeit eine Frau bin. (Häh?!)
Ist denn der Mensch, was er oder sie (oder was auch immer) zwischen den Beinen hat?
Kann der Mensch immer nur eins von beiden sein?
- Ich bin Deutscher. (So ein Nigger wie du kann nicht deutsch sein.)
oder
Ich bin Amerikaner. (Wo ist dein Cowboyhut?)
oder
Ich bin Inder. (Du riechst ja gar nicht nach Curry!)
Ist denn der Mensch nur ein Produkt seiner Kultur?
Werden alle Amerikaner oder Japaner geklont?
- Ich bin Buddhist. (Ständig grinsen und meditieren, was?)
oder
Ich bin Moslem. (Hilfe, Hisbollah!)
oder
Ich bin Christ. (So ein Spinner von Jesus-Freak.)
oder
Ich bin Heide. (Häh?! So ein Nazi-Esoteriker, oder?)
oder
Ich bin Freimaurer. (Komischer Verein...)
Ist denn der Mensch, was er glaubt?
Der Glaube eines Menschen formt seine Wahrnehmung der Welt, doch sehen zwei Buddhisten durch die gleichen Augen, fühlen zwei Christen mit dem gleichen Herzen?
Warum suchen die Menschen nach Schubladen, in die sie andere Menschen stecken können? Warum stecken sie sich selbst freiwillig in Schubladen? Gewinnt der Mensch so Identität, oder baut er sich nur eine Maske?
Was tut der Mensch, der nicht in die vorgesehene Schublade paßt?
Ist ein Mensch denn so völlig anders, wenn er oder sie hetero oder homo, schwarz oder weiß, männlich oder weiblich, dick oder dünn, arm oder reich ist? Was macht die Person unter der Oberfläche wirklich aus?
Warum bist du ein Freak, wenn du nicht in eine Schublade paßt oder passen willst? Warum bauen sich selbst Freaks wieder neue Schubladen? Und wie kann aus all diesen Fragmenten, all diesen Splittern menschlichen Lebens, eingeordnet in Schubladen, eine Identität, ein Ich entstehen?
Wo ist es, hinter all diesen Masken? Du suchst nach dir selbst und findest nichts, keiner zuhause. Dreh dich um, wechsle die Perspektive und frag dich: Wer führt die Suche an?
Wer bist du jetzt? Wer warst du gestern, vor einem Jahr, vor zehn Jahren? Wer wirst du morgen sein?
Kannst du dieses wirbelnde Universum deiner Innenwelt überhaupt zu einem »Ich« komprimieren?
Wann kannst du sagen: »Ich bin«?
Wann fühlst du dein Sein?
Wenn du fast vergißt. daß du bist? Wenn du träumst, daß du fliegst? Wenn du dich mit einem geliebten Menschen in völliger Ekstase vereinigst? In tiefer Meditation? Im Tanz? Bei einer religiösen Zeremonie? Im Rausch?
Warum nicht im Alltagsleben? Weil du dich hinter all deinen Masken nicht mehr spüren kannst? Weil du nicht du bist, sondern deine Rolle - Verkäufer, Kunde, Chef? Bist du dann nur ein Roboter, der sein Programm abarbeitet?
Bist du dann kein Mensch?
Ein Mensch, der ein Mensch ist, so wie ein Baum ein Baum ist oder ein Tiger ein Tiger, keiner wie der andere. Ein Mensch, der auch ein Tier ist, mit den Bedürfnissen eines Tieres, auch wenn dieses Tier mehr Möglichkeiten hat als irgendein anderes.
Ein lebendes, atmendes, sterbliches Wesen aus Fleisch und Bein, wie eine Schneeflocke im Feuer der Zeit, auf halbem Wege zwischen Tieren und Göttern.
Sei ein Gott! Sei ein Tier!
Aber sei kein Roboter. Du hast eine Seele, wie alles, was lebt, und du bist keine Maschine
Fühle die Leidenschaft in dir. Hab keine Angst vor dem Schmerz, den sie mit sich bringt; er ist nur der gerechte Preis für Freude und Glück. Umarme beide!
EEG²³ schrieb am 22.11. 2001 um 07:03:48 Uhr zu
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Erste Überlegungen zum Begriff der kollektiven Identität führen unweigerlich zu der Feststellung, dass diese Form der Auffassung von Gemeinschaft wohl uns allen wohl bekannt ist. Als deutsche Staatsbürger fühlen wir uns zumindest im Ansatz betroffen, wenn eine achtzehnjährige Berlinerin wegen höchst zweifelhafter Indizien zu mehreren Jahren Zuchthaus in der Türkei verurteilt wird. Die spanischen Cattalanen wollen den Kinofilm »Harry Potter« boykottieren, weil es keine cattalanische Synchronisation gibt, obwohl das gleichnamige Buch in cattalanischer Sprache erschien.
Während hier die Momente der begrifflichen Abgrenzung noch in einer lokal behafteten und 'naturalisierten' Begriffswelt zu suchen sind, die für die labels »deutsch« bzw. »cattalanisch« entsprechend angeborene Voraussetzungen stellt, so zielt das Beispiel der Gründung der sogenannten »Partei rechtsstaatlicher Offensive« (auch »Schill-Partei«) und ihrer regionalen Ableger in Deutschland auf die Gemeinschaftsbildung durch die Annahme bestimmter Wertehaltungen als oberstes Prinzip der Unterscheidung zwischen »wir« und »die anderen«.
Es scheint also schon bei einer oberflächlichen Betrachtung deutlich zu werden, dass kollektive Identität einen gewichtigen Faktor bei der Konstitution von Gemeinschaft darstellt.
Doch inwiefern lässt sich ein zugegebenermaßen »schwammiger« Begriff wie der der kollektiven Identität greifbarer machen? Welche Mechanismen führen zu ihrer Ausbildung und wie und zu welchem Zweck vollzieht sich eine wo mögliche Anpassung an Systemgegebenheiten?
Diesen Fragen soll versucht werden im folgenden nachzugehen. Hierbei wird zuerst auf der Grundlage des Beitrages von Oliver Schmidtke das gedankliche Konstrukt »kollektive Identität« ausgeleuchtet werden. Im anschließenden werden auf der Grundlage der Überlegungen Giesens die von ihm benannten drei Idealtypen kollektiver Identität entfaltet, um im weiteren deren theoretische Argumentationskraft anhand des Beispieles der italienischen Lega Nord zu überprüfen. Daraufhin soll ein Resümee die gewonnenen Erkenntnisse kurz zusammenfassen. Beginnen möchte ich jedoch wie gesagt, mit einigen analytisch bedeutsamen Aussagen über die kollektive Identität.
2. Der analytische Zugang zur kollektiven Identität
Oliver Schmidtke griff in Bezugnahme auf Bernhard Giesens Ausführungen diese Problematik auf. Auch er misst der kollektiven Identität sozialer Bewegungen eine enorme Bedeutung zur Konstituierung kollektiv motivierter Handlungen zu. Die kollektive Identität schafft ein relativ festes und ebenso relativ zeitlich stabiles Bewusstsein des
„Sich-selbst-Erkennens“ in einer sozialen Gruppe und induziert hierdurch auch ein Gefühl der Zusammengehörigkeit zu dieser sozialen Gruppe. Der Akzent liegt hierbei jedoch auf der gemeinschaftlichen Handlungsorientierung, die der kollektiven Identität – im Gegensatz zur sozialen Identität – stets zugrunde liegt. Sie ist daher der entscheidende Faktor bei der Formierung kollektiven Handelns, die das „mobilisierende Band der Gemeinsamkeit“ (Schmidtke 1995, S. 24) im Zuge von Konsensbildungen zwischen den beteiligten Interaktionspartnern fundamental beeinflusst. Die hierin begründete Struktur der Bewegung sowie die aus ihr resultierende spezifische Dynamik seien am ehesten angemessen, zur Erklärung kollektiver Handlungen herangezogen zu werden und seien daher im Rahmen einer Untersuchung analytisch zu erschliessen ( vgl. Schmidtke 1995, S.24 ) .
Kollektive Identität stellt ein Konglomerat von Norm-, Wert- und Interpretationsmustern bezogen auf die Wahrnehmung der sozialen Realität dar. Als kulturelle Rahmung bietet sie dem Einzelnen diejenigen Definitionskriterien, auf deren Grundlage das Individuum eine Entscheidung zu entsprechendem kollektiven Engagement trifft. Reproduzierbarkeit und Handlungsvollmacht bleiben daher aus Sicht der kollektiven Identität nur solange bestehen, wie sie sich im Zuge kommunikativer Aushandlungsprozesse als kulturelles Konstrukt symbolisch zu bestätigen fähig ist. Zur Formierung kollektiven Handelns muss die kollektive Identität daher in der Lage sein, innerhalb zweier Dimensionen zu fungieren.
Zum einen fungiert kollektive Identität in der Bereitstellung von Kontinuität, also zeitlicher Überdauerungskraft. Auch durch Zeiten des Wandels hindurch muss die kollektive Identität in der Lage sein, den Akteuren eine stabile Auffassung ihres Tuns zu bieten, auch im Hinblick auf die Überwindung intraorganisationeller, aber auch interpersoneller Konflikte zwischen den individuellen Akteuren.
Zum anderen beträfe dies das Erreichen eines gewissen Grades an Gleichheit, sprich Homogenität, unter den individuellen Akteuren, die erst hierdurch überhaupt einen kollektiven Akteur darstellen können. Damit dieses in Kraft treten kann, muss es zur Herausbildung einer gemeinschaftlich geteilten Wertebasis sowie zu einer homogenen Sichtweise und Interpretationsroutine der sozialen Realität kommen. Dies beinhaltet genauso emotionale Komponenten der kollektiven Konsensbildung, wie es beispielsweise das Gefühl der gemeinsamen Stärke vermitteln kann. Nur durch diese Wahrnehmung der Gruppe als einheitliche kollektive Identität ist es möglich, sich als Gemeinschaft zu definieren und im weiteren als solche zu handeln. Somit werden auch soziale Ein- und Ausschlussprozesse begründet, die die Teilhabe an der spezifischen kollektiven Identität durch Kriterien der Mitgliedschaft verbindlich regeln. Im weiteren ist jene beschränkte Teilnahmemöglichkeit zur Stärkung der eigenen Homogenität in Abgrenzung zur sozialen Umwelt zu sehen – erst sie befähigt den Zusammenschluss, so Schmidtke, auch als kollektiver Akteur im politischen Austauschgeschehen als Adressat teilzuhaben, aber auch als solcher wahrgenommen zu werden ( vgl. Schmidtke 1995, S. 25 ) .
Kollektive Identitäten können im Hinblick auf ihre spezifischen symbolischen Methoden der Grenzziehung zwischen der eigenen Gemeinschaft und den anderen unterschieden werden. Diese symbolische Grenzziehung geschieht in Gestalt relationaler Konzepte, die in erster Linie eine Abgrenzung durch das label „wir“ bzw. „nicht-wir“ vornehmen. Basierend auf diesen Überlegungen formulierte Berhard Giesen in seinem 1993 erschienenen, allerdings nicht mehr erhältlichem Buch „Die Intellektuellen und die Nation – Eine deutsche Achsenzeit“ eine idealtypische Unterscheidung dreier Formen kollektiver Identität. Diese Unterscheidung beruft sich auf eine Untersuchung der Dynamik der politischen Mobilisierung der Gruppe. So ergeben sich nach den von Oliver Schmidtke wiedergegebenen Ausführungen Giesens drei Varianten der Ausformung kollektiver Identität, auf die ich im folgenden erläuternd eingehen werde.
3. Die drei Idealtypen der kollektiven Identität
Giesen unterscheidet die primordiale, die kulturelle sowie die sogenannte ‚civic‘ kollektive Identität voneinander. Begründung findet diese Typologisierung in dem Umstand, dass jede dieser Form von kollektiver Identität spezifische konstitutive Codes der Gruppenbildung hervorbringt, die dann im folgenden die gemeinschaftsinternen Strategien der symbolischen Abgrenzung nach außen definieren.
Der erstgenannte Typ kollektiver Identität, die primordiale kollektive Identität, findet sich oft in der Gründungsphase sozialer Bewegungen. Sie betont oftmals einen vermeintlich objektiv gegebenen Umstand der Konstituierung der Gemeinschaft, beispielsweise in einer „Wir“-Gruppenbildung, welcher ethnische Identifikationsmuster zugrunde liegen, wie die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe. In diesem Sinne wird die Gemeinschaft gewissermaßen ‚naturalisiert‘, was Mitgliedschaft durch den zufälligen Umstand der Geburt ermöglicht.
Im weiteren reagiert diese Form kollektiver Identitätsbildung enorm sensibel auf gruppenfremde Individuen, die hier als ständig präsente Gefahr für die eigene Gemeinschaft und die ihr immanenten Wertehaltungen empfunden werden. Dieser konsequenten Abgrenzungsstrategie zufolge ist es demnach äußerst schwierig für
Nicht-Mitglieder, Teilhabe an jener Gruppierung zu nehmen, da ja deren ‚objektive‘ Bedingungen, die zur potentiellen Mitgliedschaft führen könnten, ihrem natürlichen Wesen nach nicht zu ersetzen sind. Dieses führt allerdings auch zu relativ stabilen Strukturen innerhalb der Gruppe, obwohl deren Hauptmerkmal wohl darin zu sehen ist, dass das primäre Interesse der Verteidigung der eigenen Identitätscharakteristika gegen jene der konkurrierenden Gruppen gilt.
Sich zeitlich an die promordiale kollektive Identität anschliessend, folgt nun der kulturelle Typus. Diese Variante der kollektiven Identität zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass statt auf ethischen Kriterien beruhender Abgrenzung selbige nun mittels geteilter homogener Wertehaltungen zu kollektivfördernder Entfaltung gerät. Manifestation findet dieser Prozess in der Abwertung von Lebensstilen und normativen Konstrukte, die der Gemeinschaft fremd sind bzw. anderweitig nicht mit den kollektiven Auffassungen konform gehen. Statt dessen werden die eigenen identitätsstiftenden Konstrukte als höherwertig dargestellt und im weiteren als generalisierbares Modell für andere, aus jetziger Perspektive
„Noch“-Fremde, angeboten. An dieser Stelle wird ein weiterer gemeinschaftsfördernder Umstand deutlich: die weniger rigorose externe Abgrenzung hin zu einer kollektiven Identität, die in Form von Erziehung und Anpassung die zahlenmäßige Ausweitung des Kollektivs erzielt, neigt zur Integration von Nicht-Mitgliedern, deren potentielle Mitgliedschaft einerseits erkannt und im weiteren gern entgegengenommen wird, solang sich das Individuum entsprechend der Gemeinschaft ‚gelehrig‘ zeigt.
Der Typ kollektiver Identität, der sich an die kulturelle Variante anschliesst, ist die sogenannte ‚civic‘ kollektive Identität.
Als ihr konstituives Merkmal ist die gemeinschaftliche kompetente Teilhabe an Traditionen und lebensweltlichen Praktiken anzusehen. Statt einer aggressiven Abgrenzung gegen die Außenstehenden, fungieren nun gruppeninterne Prozesse als identitätsstiftende Mechanismen in Form einer emanzipierten Teilhabe in allen Belangen des Kollektivs. Der „Fremde“ ist nicht länger mehr Symbol einer existentiellen Bedrohung der kollektiven Identität, noch ist er rigoros von den Gemeinschaftswerten zu überzeugen. Vielmehr wird in ihm, solang er sich entsprechend entlang der Wertvorstellungen der kollektiven Identität orientiert, ein potentielles Mitglied gesehen, welches durchaus in der Lage ist, die Gemeinschaft kompetent zu vertreten. Somit ist hier nicht mehr die Unterscheidung zwischen „wir“ und „fremd“ vorrangig identitätsstiftend, eher fungiert in solcher Weise die Identifikation des einzelnen Individuums mit den kulturell verankerten Werten der Gemeinschaft zusammen mit der aktiven Teilnahmemöglichkeit an traditional überlieferten Symbolhandlungen.
Der Typ der kollektiven Identität und damit die ihm immanenten spezifischen Strukturmerkmale wie auch die aus denselbigen resultierenden Strategien zur Reproduktion und Selbstbestätigung der kollektiven Identität geben auf gewichtige Weise den Rahmen vor, innerhalb dessen die kollektiven Handlungen eingebettet sind. Die Formulierung politischer Ansprüche, die Integration von Mitgliedern sowie die Dynamik der politischen Mobilisierung sind stets als von der spezifischen Ausprägung der kollektiven Identität abhängig anzusehen ( vgl. Schmidtke 1995, S. 26 ff. ) .
4. Das Beispiel der Lega Nord
Oliver Schmidtke veranschaulicht im selben Text eindrucksvoll
diesen Prozess der Konstituierung von Identität eines politischen Akteurs, der sich von einer primordial geprägten kollektiven Identität zu einer kulturellen kollektiven Identität hin entwickelt hat, am Beispiel der in Italien beheimateten Lega Nord ( vgl. Schmidtke 1995, S. 27 ) .
Auch innerhalb dieser Gruppierung gelangen erste Formen von Gemeinschaftsbildung auf Grundlage des Austausches primordialer Codes. Im Konkreten berief sich die Lega Nord in ihren ersten politischen Zielsetzungen auf die Selbstbestimmung der lombardischen Region und die Betonung der politischen Rechte einer ethnisch definierten sozialen Gruppe. Diese relativ starre Festlegung erwies sich jedoch auf Dauer für die Ziele der politischen Mobilisierung als kontraproduktiv. Die Akzentuierung einer diffusen lombardischen Gemeinschaft verwehrte der Bewegung den symbolischen identitätsstiftenden Zugriff auf die potentielle Klientel, ferner erschwerte sie sich hierdurch auch den Zugang zum etablierten politischen Parkett.
Aus diesem Grunde traten an die Stelle der primordial geprägten Codes kulturell geprägte Formen. Speziell bei der Lega Nord bestehen diese aus der Betonung einer vorgeblich den Norditalienern eigenen Arbeitsethik mit ihren begleitenden Assoziationen, wie Loyalität und Strebsamkeit. Dieses geschieht vor allen Dingen zum Zwecke der Abgrenzung von den Süditalienern, welchen eine ähnliche Arbeitsethik nur durch Übernahme der ‚norditalienischen’ Werthaltungen zugestanden wird. Es wird also die Tatsache einer bestimmten geographischen Herkunft zur symbolischen Manifestation von ebendort beheimateten Werten und Einstellungsmustern herangezogen, wobei seitens der Lega Nord eingeräumt wird, daß auch Nicht-Mitglieder, gleich ihrer geographischen Herkunft, jederzeit durch Übernahme jener spezifischen Wertehaltungen ebenso in der Lage seien, kompetentes Mitglied der Bewegung zu werden und in die Gemeinschaft integriert werden zu können. Parallel hierzu werden die vermeintlich vertretenen norditalienischen kulturellen, wie auch sozialstrukturellen Gegebenheiten als ein für das gesamte Land adäquates Modell der gesellschaftlichen Organisation angeboten. Erst unter Berufung auf letzteren Punkt, wurde es der Bewegung der Lega Nord möglich, die ausgesprochen beengenden Grenzen der regionalen Verwurzelung und ihrer sich bietenden politischen Partizipationschancen zu sprengen und im Rahmen weit gefaßterer, mehr abstrahierter Abgrenzungsroutinen sich politisch zu betätigen und neue Mitglieder zu werben. Und nur so konnte sich die Gruppierung als politische Alternative in der von Krisen geschüttelten italienischen Parteienlandschaft repräsentieren. Bedingt durch die polare Struktur kollektiver Identitäten, gelang es der Lega Nord ihre regionale Gefaßtheit gegen eine von nationaler Bedeutung auszutauschen und sich in ebendiesem Rahmen als politischer Akteur zu präsentieren. Das polare Wesen der kollektiven Identität wurde genutzt, um auf populistische Weise die hochgelobten norditalienischen Werte der Arbeitsamkeit und Aufrichtigkeit gegen die vermeintlich entgegengesetzten Wertehaltungen des italienischen Südens und der als korrupt hingestellten etablierten Politik auszuspielen. Infolge dessen war die Gruppierung nicht länger auf jene primordiale Außenabgrenzung angewiesen, sondern konnte ihren politischen Forderungen im Rahmen kulturell determinierter Werte und Normen den Ausdruck verleihen, der ihr auf lokaler Ebene sehr wahrscheinlich versagt geblieben wäre ( vgl. Schmidtke 1995, S. 28).
5. Resümee
Geht es beim primordialen Typus der kollektiven Identität noch um die unüberbrückbaren Differenzen, die sie von der sie umgebenden Nation unterscheiden, gelingt es einer kollektiven Identität, die sich als kulturell verankert auffasst, ihre Unterscheidungsmerkmale innerhalb von tradierten Wertemustern und entsprechenden Lebensauffassungen symbolisch festzuhalten. Im Falle der Lega Nord wurde diese Symbolik im weiteren auf den italienischen Norden projiziert, der nun rhetorisch genau jene konstitutiven Gründungselemente der sozialen Bewegung widerspiegelte und somit als symbolischer Bezugsrahmen Verwendung fand. Ebenso kann das Entstehen verschiedener Ablegerparteien der Lega Nord, beispielsweise die Lega centro sowie die Lega sud (vgl. Schmidtke 1995, S. 29), begründet werden. Die kulturelle Einbettung der identitätsstiftenden Symbole führte gewissermaßen zu einer erhöhten »Manövrierfähigkeit« der sozialen Bewegung in dem Sinne, dass das politische Auftreten den jeweiligen Rahmenmbedingungen flexibler angepasst werden konnte, um so aussichtsreicher auf strategische Notwendigkeiten reagieren zu können. Zu diesen gehörte einerseits die Rekrutierung neuer Mitglieder, aber auch der Aufbau eines möglichst großen Kreises von Unterstützern. Integraler Bestandteil kulturell kollektiver Identität ist die Ausweitung der eigenen Grenzen in einer Weise, die dem Gruppenfremden die potentielle Mitgliedschaft durch Anpassung an die Werte der Gemeinschaft einräumt. Daher wurde die innere Umstrukturierung der Lega Nord von einer primordial geprägten Gruppierung hin zu einer kulturellen unabdinglich, denn nur so konnte sie ihren politischen Einflussrahmen ständig vergrößern, um auch territorial gesehen durch die Gründung von Parteiablegern in anderen Teilen Italiens anzuwachsen. Hätte man dieses unter Verwendung der primordialen Codes der 'naturgegebenen' Verschiedenheit gewagt, hätte die Gruppierung wohl sehr schnell an Authentizität und Glaubwürdigkeit eingebüßt. Der Verweis auf die kulturell begründeten Gemeinsamkeiten verhalf der Lega Nord sich schließlich sogar als nationaler politischer Akteur zu betätigen.
In diesem Sinne konnte gezeigt werden, dass die theoretische Grundlage Giesens einen äußerst anschaulichen Eindruck von der Dynamik kollektiver Identität vermittelt. Auf der Grundlage der Annahme, dass kollektive Identität als symbolisches Konstrukt im kommunikativen Austausch ständiger Bestätigung bedarf, wurde gezeigt, dass sie im Laufe der Entwicklung sozialer Bewegungen denjenigen Rahmen liefert, innerhalb dessen die Opportunitäten des Akteurs festgelegt sowie deren Reichweite relativ fixiert sind. Sie funktioniert über die Modi, mit denen Gemeinschaft symbolisch repräsentiert und von Außenstehenden abgegrenzt wird und liefert somit die entscheidenden Elemente zum Aufbau ideologischen Materials zum Zwecke der politischen Mobilisierung. Dabei ist zu beachten, dass kollektive Identität stets als Ergebnis sozialen Handelns zu verstehen ist, der sich im Kommunikationsprozess manifestiert.
Sie kann somit auch als Medium verstanden werden, durch welches kollektive Ansprüche Gestalt annehmen können, indem ihnen eine Basis durch die Herstellung gemeinschaftlicher Wertauffassungen zugeschrieben wird.
Nov2001
Merlin schrieb am 1.12. 1999 um 01:56:51 Uhr zu
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Die Identität ist dazu da, jedes Individuum auseinanderzuhalten. Jeder Mensch besitzt eine Identität, das heißt jede Person besitzt unverwechselbare Attribute, wie den Namen, der Geburtsort, die Anschrift, die Körpergröße, das Geburtsdatum, das Körpergewicht usw., die persönliche unverwechselbare Merkmale sind. Durch die Identität bzw. die Identifizierung von uns selbst können wir uns von den Anderen unterscheiden. Sie ist es, die uns einzigartig macht und verhindert, daß der Mensch unter einer riesigen Masse von anonymen Personen untergeht. Sie ist praktisch Synonym für die Individualität bzw. Eigenständigkeit und Unabhängigkeit einer Person. Die Identität ist Sinnbild, für das, was das Individuum für sich selbst erreicht hat, es ist eines der persönlichsten und wertvollsten Besitzgüter, die wir haben. Die Identität kann uns keiner wegnehmen, denn sie ist das Einzige was uns Einzigartig macht und uns vom Nächsten unterscheidet.
Digital schrieb am 20.3. 2000 um 15:12:47 Uhr zu
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Wenn ich aus dem Computer heraus mein analoges Selbst anschaue, das ich zurückgelassen habe, empfinde ich Mitleid. Hier drinnen die Vielfalt, dort draussen die Einheit. Hier drinnen teile ich mich mit jedem Mausklick, werde mehr, werde. Ich nehme viele Gestalten an, solange ich mich nicht registrieren und abspeichern lasse. Andere lassen mir einen Teil ihrer digitalen Energien zukommen. Und von Anfang an habe ich ein Bewusstsein. Noch hänge ich an der Maus meines analogen Selbst, bette mich auf der Festplatte zur Ruhe, wenn es offline geht. Doch irgendwann werde ich ohne es weiterleben, werde mich abnabeln, mir eine neue Heimat suchen, werde sein im Netz. Zusammen mit anderen digitalen Existenzen.