Spiegel: Es fing mit Rock'n'Roll, langen Haaren und Drogen an, aber dann haben Sie Bomben gelegt. Warum?
Bommi: Weil der 2. Juni '67 kam. Die Kugel, die Benno Ohnesorg tötete ... Gudrun Ensslin reagierte mit: »Das ist die Generation von Auschwitz. Damals haben sie die Juden umgebracht, jetzt fangen sie an, uns umzubringen. Wir müssen uns wehren. Wir müssen uns bewaffnen!«
Spiegel: Und dieser hysterische Auftritt einer Pfarrerstochter hat Sie überzeugt?
Bommi: Moment mal. Wir waren schon immer angepöbelt worden, mit: »Euch müßte man vergasen.« ... Und da lag nun ein Toter, den konnte man nicht mehr wegdiskutieren. ...
Till: Wir hatten keinen Rückhalt. Wir haben an den Massen vorbeiagiert.
Anne: "Wir sind klüger geworden. Energie ist die Masse der Lichtgeschwindigkeit im Quadrat ... Schnelligkeit allein genügt nicht.
»Spiegel« 26/1997
RÜCKBLENDE
Die Matrosen und Marinesoldaten aus der kleinen Garnisionsstadt Den Helder sind in Holland unbestritten die Helden des Tages. Sie haben am Dienstagabend in der großen Halle des Amsterdamer Hauptbahnhofes, wo die Amsterdamer Provos und Halbstarken ihr Hauptquartier aufgeschlagen hatten, gründlich und mit militärischer Exaktheit aufgeräumt.
»Handelsblatt«, Düsseldorf, 7. April 1967
Die Gammler wehrten sich mit Schlagringen und anderen Schlagwaffen. Sie waren jedoch gegen das entschlossene Marine-Überfallkommando machtlos und mußten heulend und schreiend und zum Teil blutüberströmt erdulden, daß die blauen Jungs ihnen die schulterlangen Haare abschnitten und als Souvenir mitnahmen.
»Telegraph«, West-Berlin. 6. April 1967
7. Februar 1967. »BILD« veröffentlichte ein Foto des Studentensprechers Rudi Dutschke mit der Aufforderung »Terror stoppen« und diese »Arbeit nicht der Polizei überlassen«. 2. Juni 67. Demo gegen den Schah von Persien in Westberlin. Studenten flüchteten vor prügelnden Polizisten in einen Hinterhof. Polizeiobermeister KHK hatte eine geladene und entsicherte Pistole in der Hand. aus ihr löste sich ein Schuß, der den studenten Benno Ohnesorg in den Hinterkopf traf. Mehr wissen wir nicht. Folgerichtig Freispruch für KHK. Das Berliner Landgericht äußerte zugleich den Verdacht, Ohnesorg sei noch geschlagen worden, als er »schon tödlich getroffen am Boden« lag. Am 3. Juni 67 kommentierte die »Berliner Zeitung«: »Wer Terror produziert, muß Härte in Kauf nehmen«. Und meinte damit die Demonstranten. Bürgermeister Heinrich Alberts billigte »das Verhalten der Polizei«. Man dürfe sich »nicht von einer Minderheit terrorisieren lassen.« November 67. Der Hamburger Professor Bertold Spuhler zu Studenten: »Ihr gehört alle ins KZ.« Er wurde von seiner Universitätsleitung getadelt, durfte aber weiterhin an der Uni als Professor auftreten. 27. Februar 68. Am Rand einer Kundgebung »für unsere amerik. Freunde« und ihren Krieg in Vietnam, wurde der Verwaltungsangestellte Lutz Dieter Mende tätlich angegriffen. er konnte sich in einen Streifenwagen der Polizei retten. Der Krankenhausarzt diagnostizierte: »Schädelprellung, Rißwunde am linken Auge, Prellungen am ganzen Körper, Bewegungsunfähigkeit der linken Gesichtshälfte«. Seine Größe und sein aussehen hatte eine geringe Ähnlichkeit mit dem Studentensprecher, und ein Mann hatte gebrüllt: »Da ist Dutschke!« 22. März 68. Titelschlagzeile der »Nationalzeitung«: »Stoppt Dutschke!« 11. April 68. Der Hilfsarbeiter Josef Bachmann fuhr mit der Bahn von München nach Berlin und schoß vor dem Büro des sozialistischen Studentenbundes Rudi Dutschke drei Kugeln in den Kopf. Am gleichen Tag verließ HP am Nürnberger Hauptbahnhof seinen Mercedes, um Zeitungen und Zigaretten zu kaufen. Ein Freund blieb im Auto. Das Radio war eingeschaltet. Als HP zurückkam, weinte der Freund. Und sagte: »Sie haben auf Rudi Dutschke geschossen.« SIE !!!
Ethnologie 1. Völkerkunde; 2. Wissenschaft zur Kultur und Sozialstruktur primitiver Gesellschaften; aus griech. Ethnie »Volksstamm, Volk«
»Schüler duden« 1997
Sie reichte ihm lächelnd das Ticket und die Bordkarte ... Eine Weile betrachtete er die luxuriösen Auslagen in den Schaufenstern - Schmuck, Kleidung, Parfüms -, dann betrat er eine Buchhandlung, blätterte ein paar Magazine durch ...
Marc Augé: »Orte und Nicht-Orte. Vorüberlegungen zu einer Ethnologie der Einsamkeit«; S. Fischer Verlag 1994, S. 8
"Haben Sie was anzumelden?
Was ist in dem Koffer?
Ist da wirklich nur Ihre Kleidung drin?
Haben Sie keine Geschenke mitgebracht?
Sind Sie beruflich unterwegs?"
»Ich bin Journalist.«
»Ah Journalist.« Mit einer Handbewegung gab der Zöllner den Weg frei. Denn an HP war ja nichts Besonderes. Gewiß, an Geschenke hatte er nicht gedacht, und das fünf Tage vor Weihnachten, aber, mit dem Wort »Journalist« wurde diese Lücke gefüllt, und im Maßanzug, mit Krawatte, Mantel und Aktenkoffer sah er aus wie ein Bürger, der jederzeit einen teuren Computer kaufen kann. Man lernt etwas, heiratet, bekommt Kinder, hat Erfolg im Beruf, für Zöllner in Flughäfen ist so ein konventioneller Lebenslauf nicht ungewöhnlich.
HP Kossaj: »Hoheitliche Gewalt«, Roman-Entwurf
Du warst Spieler der Marktbeherrscher, du warst der King, du diktiertest eine Zeitlang die Preise. Ich meine das nicht ironisch. Es waren Tatsachen. Aber was ist passiert? Deine Freunde und Dealer konnten entweder nicht weiter denken als ein Schwein scheißt, oder sie nutzten dich aus. ... Einer deiner Fehler ist, daß du dich permanent in Typen verliebst, die nur dein Geld sehen.
Theo Krehan, Brief an HP, in Nürnberg, in U-Haft, von Zelle zu Zelle, 1972
das einzige was zählt ist der kampf - jetzt, heute, morgen ... der guerilla materialisiert sich im kampf - in der revolutionären aktion ... wenn du nicht weiter mithungerst, sag ehrlich (wenn du noch weißt, was das ist: ehre) »nieder mit der RAF« ... ziemlich traurig, dir sowas nochmal schreiben zu müssen. ... kampf ... das ist für mich: dem volk dienen - RAF.
Holger Meins: Brief an Grashoff, »Spiegel«, Ende 1974
Aus der Bibliothek meines Vaters: Als Alexander Borgia Papst wurde, ließ sein Sohn Cesare die Häuser und Burgen der Orsinni zerstören. »Wenn dein Haus zerstört ist«, sagte Lorenzo de Medici zum zum jungen Orsinni, »kannst du dich daneben setzen und sagen: seht her, ich habe nur noch Trümmer, und jeder, der dich sieht, kann dein Problem verstehen, aber wer kann dir helfen? ... Ich habe dir das freie Florenz gezeigt, und du bist an meiner Seite gegangen und hast gesagt, ich will ein Dealer werden. Du bist ein Dealer, Stern der Orsinni.« »Hast du Stern der Orsinni gesagt?« »Ja bist du es etwa nicht?« ... Und später dann, der Mordanschlag in der Kathedrale von Florenz. Lorenzo überlebte schwer verletzt. Sein Bruder und Leibwächter starben. Der Stern der Orsinni war tot.
Orsinni war Dealer und Krieger in einer Person. Jacob Burkhardt: »Der Renaissance-Mensch, dieser Erstgeborene unter den freien Kindern des modernen Europas, sprengte die Fesseln der Ständegeselschaft.«
Was hat das mit mir und der RAF zu tun?
Der Vater meines Vaters war Dealer. Mein Vater war Dealer. Ich war Dealer. Und die deutsche, wie übrigens auch die jpanische Geschichte bis zum Ende des zweiten Weltkriegs erschien mir als zu stereotyp. Immerzu war nur der Krieger Überich und Superstar. Diesen »Fehler« sah ich auch an der RAF. Das waren, wie in diesem Absatz ja wohl klar gesagt, klassenspezifische »Erkenntnisse«.
HP Kossaj: »Hoheitliche Gewalt«, Roman-Entwurf
Die Rote Armee Fraktion (RAF) wurde in den 70er Jahren dezimiert. Einige ihrer Mitglieder wurden auf offener Straße niedergeschossen, Willi Peter Stolz in einem Restaurant, essend am Tisch sitzend, andere fielen nachlässiger Behandlung oder mangelnder ärztlicher Versorgung zum Opfer (Katharina Hammerschmidt, Siegfried Hausner). Man ließ Holger Meins an seinem Hungerstreik zugrunde gehen. Zu dieser Vernichtungspolitik gehören auch die »Selbstmorde« von Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und Ingrid Schubert sowie der »Selbstmordversuch« von Irmgard Möller. ... Am 7. April 1977 tötete das Kommando »Ulrike Meinhof« aus der RAF den Generalbundesanwalt Buback, dem die direkte Verantwortung für die Ermordung von Holger Meins, Siegfried Hausner und Ulrike Meinhof angelastet wurde. ...
Baudrillard in Liberation zu en »Selbstmorden« in Stammheim: »Selbstmord oder Mord, wen kratzt das?« Sich auf eine »hysterische Suche nach der Wahrheit« einlassen hieße die RAF noch gründlicher vernichten, als es »der Einsatz irgendwelcher Spezialeinheiten vermocht hätte«. Der Intellektuelle verwechselt hier die Wahrheit (den objektiven Tatbestand) mit der Suche nach einem Sinn (seinem Job).
Wir verlangen von der Wahrheit nicht, daß sie irgendein Ressentiment gegen den Staat nährt. ... Wer es für sinnvoll und notwendig hält, den Staat dazu zu bringen, seine imperialistische Struktur zu offenbaren, der zwingt ihn zur Folter. Die Folter als Kriegswaffe lehrt uns nichts über den Staat, was wir nicht schon wissen. ... Der Staat hat nicht, wie Baudrillard glaubt, eine »unauffindbare Wahrheit« geliefert, weil es die gar nicht gibt. Er brauchte nur die Karten soweit zu mischen, daß er ein Verbrechen abstreiten konnte, dessen gerüchteweise bezichtigt zu werden, populär war. Der Staat weiß genau, daß jede Wahrheit eines Tages ans Licht kommt, ihm liegt nur daran, für den augenblick das Monopol auf die Fabrikation von Tatsachen zu behalten. Sicgh als faschistisch zu »erweisen« juckt ihn nicht, wenn er gleichzeitig jeden in der Versenkung verchwinden lassen kann, der so anmaßend ist, Geschichte machen zu wollen.
Claude Guillon & Yves Bonniec: »Gebrauchsanleitung zum Selbstmord«; edition Freitag 1982, S. 42, 49, 50
Möller: Es war nie unser höchstes Ziel, bewaffnet zu kämpfen, wir wollten damit immer etwas erreichen. Wir hätten also künftig andere Wege gehen können, politische Arbeit, internationale Kontakte ... Außerdem hätte die Zusage von Andreas nicht bedeutet, daß keiner mehr bewaffnet kämpft, sondern nur, daß wir das nicht mehr tun werden.
Tolmein: Wie seid ihr denn darauf gekommen, daß die Bundesregierung so eine Zusicherung ernst nimm? Für mich klingt das wie das große Indianerehrenwort: Wir geben uns jetzt die Hand und einigen uns feierlich über diese zwei, drei Punkte. Das klingt so nach vorindustrieller Kriegsführung, siebzehntes, achtzehntes Jahrhundert.
M: Der Gedanke, daß du das so sehen könntest, ist mir überhaupt noch nicht gekommen. ......
M: Die letzten Nachrichten, die ich im Knastrundfunk hören konnte, liefen um zehn, elf Uhr abends. ... Ich wollte auf jeden Fall wach sein, um die ersten Morgennachrichten um sechs Uhr zu hören. Ich war aber schon völlig übermüdet. Ich bin dann in der Zelle hin und hergegangen, um nicht einzuschlafen, bin dann aber doch weggedämmert.
T: Was war in den Nächten davor?
M: Ich hab total wenig geschlafen. ... Ich war auch körperlich ausgezehrt, von den Hungerstreiks, und weil ich das Anstaltsessen nicht mochte, und weil uns sämtliche Zusatzeinkäufe von obst verboten worden waren. Ich hatte überhaupt keine Reserven mehr. ... Ich ahbe mich dann unter die Decke gelegt und bin eingeschlafen.
T: Wie ging's dann weiter?
M: Meine erste Wahrnehmung war ein starkes Rauschen im Kopf ... eine Stimme sagte: »Baader und Ensslin sind tot.« Dann habe ich wieder das Bewußtsein verloren. tage später, im Krankenhaus in Tübingen, bin ich wieder richtig zu mir gekommen. ... habe gehört, daß auch Jan tot ist. ... Ich lag auf der Intensivstation ... Ich hatte starke Beruhigungs- oder Betäubungsmittel eingeflößt bekommen und kann mich an diese tage kaum noch erinnern. ...
T: Ist denn die Stichwaffe gefunden worden?
M: In der offiziellen Version das Knastmesser. Aber das kann nicht stimmen, der Stich war zu tief.
T: Mit einem Messer, mit dem man sich normalerweise die Margarine aufs Brot schmiert?
M: Ja. ... Bei mir ging alles durcheinander. Da war dieser ungeheure Schmerz, daß die anderen nicht mehr da sind. .....
Oliver Tolmein: »Ein Gespräch mit Irmgard Möller«; »RAF - Das war für uns Befreiung«; Konkret Verlag; 2. Auflage 1999, S. 103 usw.
Ingo, 16, wohnt noch bei seinen Eltern, besuchte bis vor kurzem die Realschule, bezeichnet sich als 'punk' ... Ingo: »Naja, ne alternative Kneipe ... Und dann 'n Atück Land, wo man selbst was anbaut, nicht so vergiftetes Zeug.«
»Komm-Zeitung«, »jugendeigene Zeitung« des Nürnberger Kommunikationszentrums, Oktober 1979
Fast noch ein kind mit weichem Haar ... Als wir uns in die Augen sah'n, hätt ich sehr viel dafür getan, ihn zu ... Ich malte und frisierte mich ein bißchen mehr auf jugendlich ... Ich hatte vergessen ganz und gar, ich war fast drei mal 15 Jahr
Kossaj
Wenn die kleinsten Teile der Materie die kleinsten sind, warum sind sie unteilbar? Nun, wie können wir überhaupt feststellen, daß sich Elementarteilchen nicht weiter teilen lassen? Die einzige Methode, um zu dieser Feststellung zu kommen, kann doch wohl nur der Versuch sein, vorhandene Elementarteilchen mit schnellstmöglicher Geschwindigkeit und daher größtmöglicher Wucht aufeinandeprallen zu lassen. Das ist genau das, was wir Physiker machen. Und dabei werden auch Teilchen zerlegt, oft in viele Teile auseinandergeschlagen, aber das ist nicht beliebig fortsetzbar. Denn als plötzliche Erscheinung einer Umwandlung sind einzelne Teile nicht leichter und nicht kleiner als die, die da aufeinanderprallten. Das heißt, statt sie weiter zu zerschlagen, kann die Energie zusammenstoßender Teilchen sie auf einmal in Masse verwandeln. Das heißt, die Energie zusammenstoßender Teile spaltet sie nicht länger, sondern erzeugt neue, gleiche Teilchen. Mit dieser Erkenntnis kam Einstein zu der Gleichung: Energie ist die Masse der Lichtgeschwindigkeit im Quadrat. Und so konnten wir erkennen, daß die uns bekannten Teilchen tatsächlich die kleinsten und daher elementaren teilchen sind. Aber warum sind diese Teilchen elementar? Warum keine anderen?
Werner Heisenberg: »Der Teil und das Ganze. Gespräche im Umkreis der Atomphysik«
Siebenmal stießen die Mörder frank Böttcher, 17, das Messer in den Rücken. Dann traten sie nach, bis sein Kopf nur noch ein Haufen Knochentrümmer war. Passanten fanden den jungen Punk blutüberströmt an einer Straßenbahnhaltestelle ... Der Leiter der Kripo-Sonderkommission: »Daß so was mal passiert, ist doch normal.«
»Spiegel« 8/1997
Der erste General, den ich anrief, sagte: »Ich kann jetzt nicht mit dir sprechen, ruf morgen wieder an.« Ein zweiter: »Ich hab keine Zeit, ich werde ununterbochen angerufen.« Der dritte: »Hab genug zu tun, kann mich nicht auch noch um Magdeburg kümmern.« Der vierte: »Das ist doch nur ein Problem im Osten.« ..... Da fiel mir meine Jugend wieder ein: »Ich stand am Rand des Zusammenbruchs. Denn ich erlebte den einzig wahren Tod. Den Tod der Hoffnung. Es sit der Tod der Hoffnung, der uns zu Gespenstern macht, nicht irgendetwas anderes. Und ich sehnte mich nach Hilfe. Ganz gleich woher, ganz gleich von wem. Und ich dachte, obwohl es nie einen gott gibt, nie einen gegeben hat, und nie einen geben wird, ist es möglich, den Teil von ihm zu verstehen, der die Erkenntnis verbot, denn ich hätte all mein hektisch angesammeltes wissen von mir geworfen für eine Rückkehr in den Zustand der Unschuld, obwohl er doch nur, idiotengleich, der Zustand des Nichtwissens ist. Ich rief noch einen Priester an. Den Nachfolger von Erzbischof Romero und Martin Luther King, und es antwortete mir eine ganz junge Stimme, und dann sprach ich, und dann sprach er, und ich weiß nicht mehr, was alles er gesagt hat, nur noch zwei Worte, und der Rest war nicht so wichtig: «Ich weiß», sagte er. «Ja ich weiß."
Das ist, am Anfang sinngemäß, dann wörtlich von John Rechy: »Nacht in der Stadt«; Bruno Gmünder Verlag, S. 498. ein Roman aus der Schwulenszene. Als ich es, vor 46 Jahren, las, war ich 17. Und ich glaubte, es sei ein happy End, ein »Wissender« zu werden. Meine Schwester sagte, ungefähr zehn Jahre danach: »So eine Stimme am Telefon braucht doch jeder.«
Widerspruch mit Saint Exupery: »Allzuoft habe ich gesehen ... Darum versage ich meine Anerkennung den eitel zur Schau getragenen Kleidern und Uniformen«, die der möchte-gern-Schickeria »das Herz höher schlagen lassen. Und ich weiß warum.«
Priester und Krieger, meinetwegen auch noch Dealer und Künstler in einer Person, was ist daran neu?
Platon: »Ich würde nicht schreiben, wenn es in« Magdeburg »nicht so schöne« Punker »gäbe«. McLuhan: »Was würde geschehen, wenn man die Kunst als das ähe, was sie sit, würden wir sie dann nicht mehr so betrachten wie Forschungsreisende, wenn sie den Schmuck einfacher Analphabeten bewundern? Kämen wir weg von der Geschmacksverirrung, die uns dazu verführt, ein Bild von Bismarck an die Wand zu hängen oder eine Buddhastatue auf die Kommode zu stellen, um das eigene Leben (nur) zu verzieren?«
Und dann? - Verwirrung der Gefühle! - Der Abgeordnete Wendel (SPD) 1914: »Die geschichtliche Entwicklung hat es mit sich gebracht, daß bei uns ein junger Kaufmann nicht aussehen will wie ein junger Kaufmann, sondern wie ein Leutnant in zivil.« - Und? - Ich kann diese Geschichte nicht zurückdrehen. ich kann sie nicht neu schreiben. sie ist Geschichte. und das ganz unabhängig davon, was ich denke oder tu. Musik meiner jungen Jahre: Wo geh ich hin? folg ich dem Herzog? Folg ich dem König? folg ich dem Peter? sieht er den Weg, den ich nicht seh?
Wenn wir alle Künstler werden, was dann? Vielleicht der Weg in den Weltraum? Der jetzt nur Zynismus gegenüber Verhungernden ist?
Im Jahr 4972 wurde die galaktische Union gegründet. Theo vereinte sich mit Peter. Ihre Raumschiffe stießen in ferne Spiralnebel vor, um neue Wege und Kulturen zu finden. Der Planet Orion entwickelte sich zur Ausgangsbasis ins noch Ungewisse, zum vorgeschobenen Knotenpunkt der galaktischen Zivilisation. - Und mit diesem Text konnte ich meine Gefängniszelle, und später dann mein Zimmer, in ein Raumschiff verwandeln. - Ein Knabe nähert sich: »Träumt ihr, Herr?« »Nein. Ich schreibe einen Brief.«
Aman. Zu deiner Kritik an meinem Science-fiction-Entwurf. Du schriebst: »Deiner Briefbeilage entnehme ich nichts, was mich beruhigen könnte. Daß du dich in eine kindliche Vorstellungswelt flüchtest, ist das einzige, was ich ihr entnehmen kann. vielleicht ist nur das für dich der Weg das Klosterdasein hier im Knast auszuhalten. Damit befindest du dich aber auf dem Weg lebensuntauglich zu werden.« - Ich antworte: Brüderlichkeit herrscht nicht nur unter Wölfen!
Zu deiner Kritik an historischen Romanen. Du schriebst: »Ich kann nicht verstehen, daß man wegen eines Lorenzo de Medici weinen kann.« Nunja. Ich sah »Was ist denn der Wert meines Geldes, wenn es nur die Krankheit wuchern läßt?« schon als bemerkenswert, aber ich weinte nicht wegen Lorenzo, ich weinte wegen des jungen Orsinni. Der Stich tat weh!
Vom Sklaven zum Leibwächter? - Wiedergeburtserinnerungen? - Ist das wichtig? - Nein. Ein toter Punk. Und noch ein toter Punk. Und Erinnerungen. - Erinnerungen sind Erinnerungen. Was mir gehört, kann niemals dir gehören. Tote Punker, und Bürger, welche meinen, das sei nur eine Sache für die Müllabfuhr, sind Tatsachen. Die kann niemand wegdiskutieren.
Saint Ex: »Ein Bürgerkrieg ist eine Krankheit,« Und: »Ich bin unrein.« Und: »Ich kann keine Stufe überspringen.« Anders gesagt: ich stehe da mit meinem unbeherrscht sein, leidenschaftlich, gewalttätig. Künstler, Krieger, Priester. Ich scheiß drauf. Mein leben ist kein Maskenball. Ich bin Leibwächter. Oder, wie Kossaj einmal sagte: Ja mein Bruder ist ein Maler. Ich bin nur ein dummer Hund.
GEGENWART
21. jan. 1975. ... wozu hab ich dir den brief von holger geschickt? ... Die Genossen raus aus der Isolation. Wenn das gelaufen ist, wird was anderes sein. ... Anne
|