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® schrieb am 24.9. 2010 um 05:11:28 Uhr über

Journalismus

Herrliche Belege für Kampagnenjournalismus
Verantwortlich: Albrecht Müller | Druckversion | Beitrag versenden | < zurück
Es gibt immer noch Journalisten, die bestreiten, dass ein beachtlicher Teil ihrer Kolleginnen und Kollegen in Kampagnen der Meinungsbeeinflussung eingebaut sind, beziehungsweise sich dafür nutzen lassen. Ich mussin Ergänzung eines Beitrags vom 15. Maigestehen, dass ich diese Zweifel nur noch kopfschüttelnd wahrnehmen kann. Denn Kampagnenjournalismus wird inzwischen vermutlich zum beherrschenden Charakteristikum der schreibenden und sendenden Zunft. Zwei Beispiele aus der neueren Zeit stelle ich Ihnen vor: die Kampagne zu Steinbrück und die Kampagne zum angeblichen, neuen Wirtschaftswunder. Albrecht Müller

1.Zu Steinbrück
Er soll offensichtlich als Kanzlerkandidat der SPD aufgebaut werden. Die Hintergründe dieser Kampagne habe ich hier ausführlich analysiert. Der Ankündigungstext für die Sendung mit Beckmann vom 20. September spricht für sich – widerlicher Hofschranzenjournalismus – und lässt nichts aus:

Nach der Lehman-Pleite im Herbst 2008 glänzte er als Krisenmanager: Peer Steinbrück gilt als der Mann, der Deutschland erfolgreich durch die größte Finanz- und Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit führte. Seit dem SPD-Wahldebakel 2009 ist es stiller um den früheren Bundesfinanzminister gewordenjetzt meldet sich der streitbare Querdenker zurück und spricht beiBeckmannwie gewohnt Klartext: Ist die Finanzkrise endgültig überstanden oder übernehmen Zocker und Spekulanten schon wieder das Kommando? Wie beurteilt er die Integrationsdebatte um die Thesen seines Parteigenossen Thilo Sarrazin? Welche gesellschaftlichen Herausforderungen muss Deutschland bewältigen, und warum darf die SPD seiner Ansicht nach den Umbau des Sozialstaates nicht scheuen?”

Jetzt wird Steinbrück schon zum Querdenker stilisiert und aus dem Förderer der Zocker und Spekulanten wird ihr Gegner gemacht. Das ist die Hohe Schule des Kampagnenjournalismus. Ein Freund von mir, der sich die Sendung angetan hat, schrieb dazu am 21. September:

„… Gestern waren Steinbrück und Gauck im ARD bei Beckmann. Die beiden saßen da und agierten wie Grzimek und sein Affe selig. Beckmann schwang beständig das Weihrauchfass vor dem Krisenretter und Welterklärer, gelegentlich unterbrochen von bewundernden Zwischenreden des Beisassen. Nach allem, was wir darüber erfahren, muss es so auch im nordkoreanischen Fernsehen zugehen.“

Vermutlich merken diese Journalisten gar nicht, wie sehr sie langsam den übelsten Vorbildern in Medien totalitärer Staaten gleichen.

Ich ergänze hier auch noch das gesprochene Wort des Juso-Bundesvorsitzenden, das zunächst in der Wiedergabe der Beckmann Sendung herausgeschnitten war:

Sascha Vogt, Bundesvorsitzender der Jungsozialisten, sagt:

Ich glaube, die Partei sollte sich manchmal eher ein bisschen mehr von dem abgucken, was wir sagen. Wenn ich mal an die Finanzkrise denke: die Jusos haben schon viele Jahre vorher gesagt, dass es da an den Finanzmärkten was zusammenbraut, dass man da reguliert eingreifen mussHerr Steinbrück hat 2008 noch die HedgefondsEntschuldigungdie Private Equity Fonds steuerlich begünstigt. Hätte man mal ein bisschen früher auf die Jusos gehört, wäre vielleicht vieles nicht so gekommen. Und dementsprechend halte ich das nicht für pseudoradikal, sondern für eigenständig und damit gut und vernünftig.

Ich glaube, ‘ne konsequente Erneuerung der SPD, die die weiterhin braucht, funktioniert nicht mit alten Köpfenvon daher hat Herr Steinbrück jetzt ein Buch geschrieben. Wir in den Jusos nehmen das zur Kenntnis, aber ich glaube nicht, dass Herr Steinbrück in der Zukunft weiter Spitzenpositionen in der Partei einnehmen wird.“

2.„Wirtschaftswunder
Zum Komplex „wirtschaftlicher Aufschwung, Boom, Wirtschaftswunder, Fachkräftemangel“ erschienen innerhalb von rund zwei Monaten in der Bild-Zeitung, bei SpiegelOnline und einigen anderen Medien Artikel mit dergleichen Botschaft (Wirtschaftswunder, Aufschwung XL, besser als andere Länder, Arbeitskräfte werden knapp, Zuwanderung ist nötig, der Aufschwung ist eine Folge der so genannten Reformpolitik), den gleichen Personen (Brüderle) und den gleichen angeblichen Belegen. So taucht der Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts im zweiten Quartal von 2,2 % sowohl in den Artikeln von Juli/August wie auch in den Artikeln des Wochenendes um den 19. September auf. Vergleichen Sie selbst.

Hier die Überschriften und die Einführungstexte zu den einschlägigen Produkten des offensichtlichen PR- und Kampagnenjournalismus:

a.SpiegelOnline vom 19. September 2010, 07:48 Uhr
Not auf dem Jobmarkt
Deutschland gehen die Arbeitskräfte aus
Von Markus Dettmer
Deutschlands Arbeitsmarkt entwickelt sich prächtig, bald sind wohl weniger als drei Millionen Menschen ohne Job. Doch was gut klingt, bereitet Ökonomen große Sorge: Dem Land droht ein Fachkräftemangel, der durch das Altern der Gesellschaft noch verstärkt wird. Der Ausweg: mehr Zuwanderung.

Quelle: SPIEGEL Online

Den Namen des Spiegelredakteurs Markus Dettmer muss man sich wohl merken. Offensichtlich ist er PR-Journalist.

Vergleichen Sie seinen Beitrag mit den folgenden:

b.SpiegelOnline vom 07. Juli 2010, 14:23 Uhr
Industriestaaten-Vergleich
Jubel über schwarz-rot-goldenes Jobwunder
Das hat sonst kein Industrieland geschafft: In der Bundesrepublik ist trotz Wirtschaftskrise die Arbeitslosigkeit gesunken. Eine neue OECD-Studie lobt die Entwicklung in Deutschlandnur ein großes Problem gibt es. In anderen Staaten finden Arbeitslose wesentlich schneller wieder einen Job.
Quelle: SPIEGEL Online
c.Bild-Zeitung vom 13. August 2010
Wirtschafts-Märchen Ausland feiert Deutschlands Konjunktur-Boom
Höchstes Quartalswachstum seit der Wiedervereinigung +++ Politiker halten 3 Prozent Wachstum für möglich +++ Experte: „Sommermärchen!“
Krise war gestern, heute ist Aufschwung! Die deutsche Wirtschaft boomt wieder, meldet das Statistische Bundesamt in Form von Zahlen: Ganze 2,2 Prozent legte das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal zu. Das höchste Quartalswachstum seit der Wiedervereinigung!
Quelle: BILD.de
d.Bild-Zeitung vom 30.7.2010
Fachkräftemangel wird zum Schlüsselproblem“ Brüderle will Spezialisten aus dem Ausland mit Geld locken
Unternehmen sollen Lock-Prämien zahlen +++ Kritik von CSU und Verdi
Quelle: BILD.de
e.Bild-Zeitung vom 28.7.2010
2010 rund zwei Millionen Arbeitsplätze mehr Neue Studie sagt Jobwunder voraus!
Brüderle spricht schon von Vollbeschäftigung
Quelle: BILD.de
f.und noch einmal die Bild-Zeitungvom 17.9.2000:
Keiner kommt so gut aus der Krise wie wir! Das neue deutsche Wirtschaftswunder
Die Amerikaner feiern die starke deutsche Wirtschaft als „Powerhouse“
Von Oliver Santen und Jan W. Schäfer
Keiner kommt so gut aus der Krise wie wir! Das neue deutsche Wirtschaftswunder
Die Amerikaner feiern die starke deutsche Wirtschaft als „Powerhouse“
Von Oliver Santen und Jan W. Schäfer

AlsGermany Superstar!“ und „Deutsches Powerhouse!“ feiern uns die Amerikaner. Unser Jobwunder wird zum Wirtschaftswunder.
+++ Wachstum rauf! +++ Arbeitslosigkeit runter! +++ Auftragsbücher voll!
Bald haben wir unter drei Millionen Arbeitslose und so viele Jobs wie vor der Wende. Die Welt staunt über die bärenstarke deutsche Wirtschaft!
US-Medien feiern die deutsche Wirtschaft bereits alsGermanys Superstar Economy“ und neues „Powerhouse“ (dt. Kraftpaket). Das angeseheneWall Street Journal“ urteilt „Merkel 1, Obama 0und lobt: „Die Kanzlerin befolgte eine simple Regel: Schade der Wirtschaft nicht.“

+++ Von April bis Juni wuchs die Wirtschaft um stolze 2,2 %. Das ist das größte Plus seit der Wiedervereinigung vor 20 Jahren. Zum Vergleich: Die US-Wirtschaft legte nur um 1,6 % zu.

Mittlerweile beklagen viele Unternehmen, dass sie nicht mehr genügend Mitarbeiter finden. (…) CDU/CSU-Fraktionsvize Michael Fuchs: „Wir müssen klären, wie wir die Abwanderung von jährlich 150 000 Fachkräften aus Deutschland stoppen können. Und wie wir mehr ausländische Fachkräfte zu uns ins Land holen können.“
Quelle: BILD.de
Im September lief erkennbar die gleiche Kampagne wie im Juli und August. Es ist zu erwarten, dass dies so weitergeht. Übrigens wurde der letzte Artikel in der Bild-Zeitung von einem ausgewiesenen PR-Journalisten mit verfasst, von Oliver Santen. Leser der NachDenkSeiten wie auch meines Buches „Machtwahn“ kennen ihn schon von der Kampagne zur Privatisierung der Renten. Er war früher als Pressesprecher der Allianz AG tätig und wechselte dann zu der Bild-Zeitung und betreibt dort allerlei Produkte des Kampagnenjournalismus.

Deutschland ist Schlusslicht: Einkommensentwicklung von 2000-2010 im EU-Vergleich

Mit der laufenden Kampagne soll verdeckt werden, wie die Lage der Mehrheit der Menschen in Deutschland wirklich ist und wie sie sich in den letzten Jahren entwickelt hat: sehr viel schlechter als in nahezu allen anderen Ländern der Europäischen Union. Dazu nur eine einzige Abbildung [PDF - 541 KB] mit der Quelle Kommission der Europäischen Union, die Darstellung der Einkommensentwicklung von 2000-2010 im EU-Vergleich. Deutschland ist bei der durchschnittlichen jährlichen Zunahme der realen Bruttoverdienste je Arbeitnehmer mit 0,1 % weit abgeschlagenes Schlusslicht.



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