MichaelKohlhaas
Beginn der Erzählung im Novellenband von 1810Michael Kohlhaas ist eine Novelle von Heinrich von Kleist. Erste Fragmente erschienen bereits in der Juniausgabe 1808 von Kleists Literaturzeitschrift Phöbus. In vollständiger Form wurde sie erst 1810 veröffentlicht.
Inhaltsverzeichnis [Verbergen]
1 Hintergrund
1.1 Der historische Kohlhaas
1.2 Politischer Hintergrund
2 Inhalt
2.1 Verschiedene Rechtsauffassungen
3 Literatur
4 Verfilmungen
5 Hörspiel
6 Hörbuch
7 Literarische Bearbeitungen und Anspielungen
8 Weblinks
9 Einzelnachweise
Hintergrund [Bearbeiten]
Die historische Vorlage für Michael Kohlhaas ist eine Chronik aus dem 16. Jahrhundert: Hans Kohlhase wollte mit einem Feldzug sein erlittenes Unrecht sühnen und somit den Konflikt mit der Obrigkeit für sich entscheiden. Diese Vorlage gestaltete Kleist zu einer Novelle um, in der es auch um die Konfrontation zwischen Idealwelt und Wirklichkeit geht. Kohlhaas sieht sich Gegensätzen ausgeliefert, die zum Teil heute noch Bestand haben:
Idealwelt gegen Wirklichkeit
Freiheit gegen Unterdrückung durch Herrschende
Rechtsstaat/Gewaltenteilung gegen absolutistische Fürstenhäuser
Moral gegen unrühmliches Verhalten
Verbrechen gegen Selbstjustiz
Niedrige soziale Schichten gegen einflussreiche Oberschicht
soziale Aufgabe des Staates gegen Machtmissbrauch von Staatsämtern
Rechtsrichtigkeit, Rechtsdurchsetzung gegen Rechtsfrieden – (Kohlhaas handelt nach der Devise „Fiat iustitia, et pereat mundus“, frei übersetzt: „Ich muss Recht bekommen, mag darüber auch die Welt zugrunde gehen“)
Ernst Bloch nennt Michael Kohlhaas den „Don Quijote rigoroser bürgerlicher Moralität“.[1]
Der historische Kohlhaas [Bearbeiten]
Hauptartikel: Hans Kohlhase
Hans Kohlhase lebte im 16. Jahrhundert als Kaufmann in Cölln an der Spree, im Brandenburgischen. Am 1. Oktober des Jahres 1532 begab er sich auf eine Reise zur Leipziger Messe. Auf dem Weg dorthin wurden ihm jedoch auf Geheiß des Junkers von Zaschwitz zwei seiner Pferde als Pfand für die Durchreise nach Dresden abgenommen. Kohlhase versuchte, juristisch dagegen vorzugehen, scheiterte jedoch. Aus diesem Grund erklärte er 1534 die Fehde und brannte Häuser in Wittenberg nieder. Auch ein mahnender Brief Martin Luthers konnte ihm keinen Einhalt gebieten. Er beging weitere Verbrechen. Schließlich wurde er ergriffen und am 22. Mai 1540 in Berlin öffentlich durch Rädern hingerichtet.
Politischer Hintergrund [Bearbeiten]
Um 1800 sorgten sowohl die außenpolitischen Misserfolge (Niederlage im Krieg gegen Napoleon) als auch die unklaren innenpolitischen Verhältnisse (unterschiedliches Verhalten deutscher Fürsten gegenüber Napoleon) für Unzufriedenheit in Preußen.
Kleist stellt sich entschieden gegen Frankreich, seine Haltung war reformbestimmt. Seine rechtlich-politischen Forderungen drückt er durch die Person Kohlhaas’ aus und äußert seine Meinung, ohne dabei politischer Agitation verdächtig zu werden.
Inhalt [Bearbeiten]
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Die Personenkonstellation von Michael KohlhaasDer im Brandenburgischen („an den Ufern der Havel“) lebende Rosshändler Michael Kohlhaas, eingangs zunächst als „einer der rechtschaffensten […] Menschen seiner Zeit“ bezeichnet, ist mit einer Koppel Pferde in Richtung Sachsen unterwegs, als er sowohl vom Burgvogt als auch vom Verwalter des Junkers Wenzel von Tronka aufgehalten wird, mit der Begründung, dass er keinen Passierschein habe. Da Kohlhaas sich diesen in Dresden nach Verkauf seiner Pferde besorgen möchte, nötigt der Burgvogt ihn, zwei Pferde als Pfand zurückzulassen. In Dresden erfährt Kohlhaas, dass die Passforderung reine Willkür gewesen war, woraufhin er zur Tronkenburg zurückkehrt, um sich seine Pferde wieder zurückzuholen. Dort angekommen muss er feststellen, dass die Pferde durch den Einsatz in harter Feldarbeit sehr abgemagert und heruntergekommen sind und dass sein Knecht Herse, welcher gegen die missbräuchliche Verwendung der Pferde protestiert hatte, übel zugerichtet wurde.
Kohlhaas schickt nun eine Klage an den Kurfürsten von Sachsen, in der er den Junker auf Erstattung der Krankenkosten für seinen Knecht und auf Wiederauffütterung der Rappen verklagt. Nach vier bis fünf Monaten erfährt er jedoch, dass seine Klage durch Hinz und Kunz von Tronka, zwei Vettern des Junkers und enge Mitarbeiter des Kurfürsten, niedergeschlagen wurde. Trotzdem versucht er weiterhin auf gesetzlichem Wege Recht zu bekommen. So versucht er zunächst, durch die Unterstützung des befreundeten Stadthauptmanns Heinrich von Geusau zu seinem Recht zu gelangen. Als dieser Versuch ebenfalls scheitert, bietet ihm seine Frau Lisbeth an, dem Kurfürsten von Brandenburg eine Bittschrift zu überreichen. Dabei wird sie jedoch von den übereifrigen Wachen des Kurfürsten durch einen unglücklichen Lanzenstoß so schwer verletzt, dass sie bald nach ihrer Rückkehr stirbt. Mit ihren letzten Worten ermahnt sie ihren Mann, seinen Feinden zu vergeben und die Sache ruhen zu lassen.
Durch die Enttäuschung, dass sein Land sein Eigentum nicht schützen kann und er auf gerichtlichem Weg keinen gerechten Prozess bekommt, beginnt Kohlhaas anlässlich des bitteren Verlusts seiner Frau seinen Rachefeldzug gegen den Junker Wenzel von Tronka. Er fühlt sich vom Staat verstoßen, so versucht er nun seinerseits, durch offene Rebellion gegen die Weltordnung zu seinem Recht zu kommen: Kohlhaas verwandelt sich nun vom rechtschaffenen Pferdehändler zusehends zu einem rücksichtslosen Mordbrenner, einem entsetzlichen Menschen seiner Zeit.
Nachdem er sein Haus und seine Besitztümer verkauft hat, ruft er sieben seiner Knechte zusammen und überfällt die Burg des Junkers Wenzel von Tronka, wobei die Burgbewohner, unter ihnen der Burgvogt sowie der Verwalter und deren Frauen und Kinder, getötet werden. Der Junker selbst kann jedoch entkommen.
Darauf verfasst er sein erstes „Kohlhaasisches Mandat“. Er richtet sich damit an das Volk und erklärt, dass er mit dem Junker Wenzel von Tronka „in einem gerechten Krieg liege“ und niemand ihm Unterschlupf gewähren solle.
Seine Truppe vergrößerte sich schon am zweiten Tag um einige Knechte der Tronkenburg, „die mit dem Junker unzufrieden waren“. Zusammen reiten sie zum Stift nach Erlabrunn, wo eine Tante des Junkers diesem Unterschlupf gewährt. Im Kloster angekommen, ist Wenzel von Tronka allerdings schon wieder verschwunden, nach Wittenberg, wie Kohlhaas erfährt. Mit seinem in der Zwischenzeit auf etwa 30 Mann angewachsenen Kriegshaufen zieht Kohlhaas nach Wittenberg und verlangt in einem zweiten und dritten Mandat die Auslieferung des Junkers. Da die Stadt den Junker nicht ausliefert, fällt er dreimal brandschatzend in Wittenberg ein, um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen. Selbst ein 500 Mann starkes Heer schafft es nicht, Kohlhaas’ Kriegshaufen zu schlagen.
Nachdem das Volk durch die Attacken gegen Wittenberg zusehends in Panik gerät, verlangt es die Auslieferung des Junkers an Kohlhaas, um weiteren Attacken zu entgehen. Dieser wird jedoch weiterhin versteckt gehalten, stattdessen wird vorgetäuscht, er habe die Stadt verlassen und sei nach Leipzig geflohen. Kohlhaas fällt auf diese List herein und begibt sich ebenfalls nach Leipzig.
Dort angekommen steckt er die Stadt an drei Stellen in Brand und quartiert sich im Schloss zu Lützen ein, das er in einem weiteren Mandat als „Sitz unserer provisorischen Weltregierung“ bezeichnet; sich selbst nennt er einen „Statthalter Michaels, des Erzengels“. Dank eines Regenschauers richtet das Feuer nur sehr wenig Schaden in Leipzig an. Das Stadtoberhaupt – das Kohlhaas und seine Truppe fürchtet – lässt die Stadt absperren und versichert, dass sich der Junker zu keinem Zeitpunkt in der Stadt Leipzig befunden habe, er bittet Kohlhaas die Stadt zu verschonen. Unbekannte verbreiten darüber hinaus das Gerücht, der Junker Wenzel sei in Dresden bei seinen Vettern Hinz und Kunz von Tronka zu finden. Dies will Kohlhaas jedoch nicht glauben und steckt Leipzig zum zweiten Mal in Brand.
Daraufhin mischt sich Martin Luther in die Sache ein und hängt ein Plakat auf, in dem er Kohlhaas als Gotteslästerer beschimpft. Kohlhaas ist davon zutiefst betroffen, da er Luther sehr verehrt, und begibt sich heimlich zu Luther, um ihm seine Sicht des ihm zugefügten Unrechts darzustellen. Er verlangt freies Geleit nach Dresden, wo er seine Klage vorbringen und sich dann der Gerichtsbarkeit stellen möchte. Luther verspricht daraufhin, ihm zu helfen, und schreibt eine Bittschrift nach Leipzig.
Das geforderte freie Geleit wird gewährt, woraufhin Kohlhaas seine Mitstreiter entlässt und nach Dresden geht. Dort schlägt die Stimmung des Volks allerdings gegen ihn um, als es die inzwischen herbeigeschafften Rappen sieht und erkennt, was für ein nichtiges Gut der ursprüngliche Auslöser für Kohlhaas’ Taten war.
Dennoch scheint Kohlhaas zunächst zu seinem Recht zu kommen, bis ihm die Rückreise nach Kohlhaasenbrück verwehrt und sein Haus gegen seinen Willen bewacht wird. Der Pferdehändler betrachtet dies als Bruch des Amnestieversprechens und hält sich ebenfalls nicht mehr an die vereinbarten Abmachungen. Nun geht er schließlich der Gegenseite in die Falle, indem er einen Brief seines ehemaligen Mitstreiters Nagelschmidt, welcher den Kriegshaufen unter Kohlhaas’ Namen wiedervereinigte, beantwortet. Kohlhaas bekundet in der Antwort an Nagelschmidt scheinbar seinen Willen, die Rebellion aufgrund des Amnestiebruchs gegen den Staat weiterzuführen. Tatsächlich wollte er die Hilfe Nagelschmidts nur ausnutzen, um aus der Stadt zu fliehen und „nach der Levante oder nach Ostindien, oder so weit der Himmel […] blau war, einzuschiffen“. Doch natürlich glaubt niemand an seine tatsächlichen Absichten und so wird ihm der abgefangene Brief schließlich zum Verhängnis.
Allein der Fürsprache des befreundeten Stadthauptmanns Heinrich von Geusau aus Berlin ist es zu verdanken, dass schließlich von brandenburgischer Seite auf Kohlhaas’ Auslieferung, der als Brandenburger nicht in Sachsen verurteilt werden könne, gedrängt wird. Um diese verweigern zu können, ruft der sächsische Hof den Kaiser in Wien an; so wird die höchste Instanz im Reich auf den Fall aufmerksam. Nun wird der Prozess mit großer Genauigkeit geführt und der Junker von Tronka dazu verurteilt, die Pferde des Kohlhaas dick zu füttern und ihm zurückzuerstatten. In einem parallel geführten Prozess wird allerdings Kohlhaas wegen Landfriedensbruchs zum Tode durch das Schwert verurteilt.
Diese Erzählung um die Wiederherstellung des verletzten Rechts durch einen offenkundigen Rechtsbruch durchzusetzen, erfährt in ihrem letzten Viertel einen ähnlichen Bruch auf der Erzählebene: Während zunächst in realistischer Manier von dem Unrecht, das Kohlhaas erfuhr, und seinen vergeblichen Versuchen, sich Recht zu verschaffen, berichtet wurde, wird diese Erzählweise im letzten Teil verlassen und ein phantastisches Moment hinzugefügt:
Der Kurfürst von Sachsen befindet sich mit seinem Gefolge auf einer Jagd. Zufällig befindet sich Kohlhaas, der auf dem Weg nach Berlin ist, im gleichen Ort wie die Jagdgesellschaft. Heloise, die Frau des Kunz von Tronka und ehemalige Geliebte des Kurfürsten, möchte sich den Rebellen einmal anschauen. Es kommt zum heimlichen Treffen zwischen den dreien. Der Kurfürst von Sachsen entdeckt eine Kapsel an Kohlhaas’ Brust und fragt nach dessen Herkunft.
Im Rückblick wird erzählt, wie Kohlhaas im Beisein des Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg von einer wahrsagenden Zigeunerin einen versiegelten Zettel erhalten hatte, auf dem steht, wer der letzte Kurfürst von Sachsen aus seiner Familie sein wird, das dazugehörige Datum und derjenige, der die Macht an sich reißen wird. Die Glaubwürdigkeit der Wahrsagerin wird dabei durch das Eintreffen mehrerer, vom Erzähler selbst als höchst unwahrscheinlich bezeichneter Ereignisse bezeugt. Dadurch erkennt der Kurfürst in Kohlhaas den Besitzer des Zettels und fällt in Ohnmacht. Als er wieder aufwacht, setzt er alles daran, ihn vor dem Tod zu bewahren und die Anklage wegen Landfriedensbruch zurückzuziehen. Doch er kommt zu spät zurück nach Dresden, der Anwalt hatte die Klage schon in Berlin vorgetragen. So versucht er auf andere Weise in den Besitz des Zettels zu gelangen. Er schickt seinen Kämmerer zu Kohlhaas ins Gefängnis nach Berlin, der ihm den Zettel abnehmen soll. Der Kämmerer beauftragt eine alte Frau, die sich als die damalige Wahrsagerin ausgeben soll, um Kohlhaas den Zettel abzunehmen, unter dem Vorwand, dass der Zettel bei ihm nicht mehr in Sicherheit wäre. Doch die alte Frau ist die Zigeunerin selbst und warnt Kohlhaas, den Zettel nicht abzugeben, da dieser seine einzige Chance sei, am Leben zu bleiben. Seltsamerweise trägt die Zigeunerin Merkmale von Lisbeth, Kohlhaas' Frau, so scheint es, dass die Figur seiner Frau nochmal in das Geschehen eingreift, da sich Kohlhaas für den Zettel sein Leben hätte erkaufen können.
Am Tag der Verurteilung wird dennoch Kohlhaas’ Rechtswille ausgeführt: Gegen den Junker Wenzel von Tronka wurde eine zweijährige Haftstrafe verhängt und alle Verluste Kohlhaas’ inklusive der Rehabilitationskosten des Knechts Herse werden zurückerstattet. Die Rappen wurden wieder aufgefüttert und sind jetzt wieder so prächtig wie zuvor. Weiterhin wurde ein Vormund für die Kinder Kohlhaas’ bestimmt, sie auf eine Pagenschule geschickt und zum Ritter geschlagen.
Als das Urteil für Kohlhaas’ Köpfung gesprochen ist, öffnet er die Kapsel, liest den Zettel und verschluckt ihn anschließend, um sich noch in seinem Tod am sächsischen Kurfürsten zu rächen: Beim Anblick der Vernichtung des Zettels sinkt der Kurfürst „ohnmächtig und in Krämpfen“ zu Boden.
Verschiedene Rechtsauffassungen [Bearbeiten]
Im Buch besteht ein ständiger Konflikt zwischen verschiedenen Rechtsauffassungen, insbesondere mittelalterlichen und denen der Aufklärung. Kohlhaas selbst scheint sich in seinen Gedankengängen bzw. Handlungsweisen nahe an denen aufklärerischer Philosophen wie beispielsweise John Locke zu bewegen. Seine Selbstjustiz kann gleichsam als Austritt aus dem Gesellschaftsvertrag und Rückführung in den Naturzustand gewertet werden: Nachdem der Staat seiner Pflicht, Gerechtigkeit zu schaffen, nicht nachgekommen ist, nimmt Kohlhaas daraufhin das Gesetz selbst in die Hand, bewegt sich damit also außerhalb der Gesellschaft. Kohlhaas: „Verstoßen […] nenne ich den, dem der Schutz der Gesetze versagt ist! […] und wer ihn mir versagt, der stößt mich zu den Wilden der Einöde hinaus; er gibt mir […] die Keule, die mich selbst schützt, in die Hand“ [S. 39 ff].
Auch Kohlhaas’ Rechtsübertretungen im Zuge seiner Gerechtigkeitsherstellung lassen sich durch die Philosophie Lockes rechtfertigen: So schreibt Locke in „Die natürlichen Rechte des Menschen“: „Ein jeder hat somit das Recht, diejenigen, die das Gesetz überschreiten, in dem Maße zu strafen, wie es nötig ist, eine neue Verletzung zu verhindern“. Andererseits stehen Kohlhaas’ Taten in keinem Verhältnis zu dem an ihm verübten Unrecht; insbesondere kommen durch seine Mordbrennereien viele Unbeteiligte und Unschuldige zu Schaden. Bei seinen Gesetzesüberschreitungen spielen neben seinem Rechtsgefühl weitere Faktoren wie z. B. sein verletzter Stolz oder einfache Rachegefühle (wahrscheinlich insbesondere in Bezug auf seine getötete Frau) eine wesentliche Rolle („[…] und übernahm sodann das Geschäft der Rache“, S. 25). Auch muss erwähnt werden, dass Kohlhaas vor seiner Entscheidung, zur Selbstjustiz zu greifen, nicht alle juristischen Instanzen ausgeschöpft hatte – der sächsische Kurfürst selbst hatte Kohlhaas’ Bittschrift noch nicht zu Gesicht bekommen.
Kohlhaas’ aufklärerische Gedanken stellen zudem gewissermaßen einen Anachronismus dar: Kohlhaas lebte laut Erzählung „Mitte des 16. Jahrhunderts“, also lange vor der Aufklärung. Es liegt hier nahe, dass Kleist die Vorstellungen seiner Zeit in seine (historische) literarische Figur hineinprojizierte.
Widersprüchlich ist zudem Kohlhaas’ Forderung bei den juristischen Instanzen nach Genugtuung: Ein Begriff, der an die (mittelalterliche) Duell- und Fehdepraxis erinnert. Auch seine „Kohlhaasischen Mandate“ lassen einen solchen Schluss zu; das Fehderecht war allerdings zu Kohlhaas’ Zeit schon längst außer Kraft gesetzt, was jedoch von großen Teilen des Adels ignoriert wurde.
Kohlhaas Gerechtigkeitssinn erfährt während der Handlung eine Wende: Erst als alle legalen Mittel ausgeschöpft sind, die Bittschrift von Dresden abgelehnt wurde und seine Frau beim Versuch, eine Supplik beim Kurfürsten von Brandenburg vorzubringen, tödlich verletzt wurde, beginnt Kohlhaas seine Selbstjustiz in Form eines Racheakts. Danach setzt er nur noch auf Rache und weitet diese, nachdem Sachsen dem Junker Unterschlupf gewährt hat, auf das Fürstentum aus. Dennoch kommt er zum Schluss zur Einsicht, da er sein Urteil widerstandslos hinnimmt und es als gerechte Strafe für seine schlimmen Taten ansieht.
Grundthema der Novelle ist daher, ob ein Mensch befugt ist zur Selbstjustiz zu greifen, wenn ihm der Staat Unrecht zufügt.
Literatur [Bearbeiten]
Tilman von Brand, Heinrich von Kleist: Michael Kohlhaas. Reihe Oldenbourg Interpretationen. München 2007.
Claus August Burghardt, Der historische Hans Kohlhase und Heinrich von Kleist's Michael Kohlhaas, 1864 [1]
Klaus-Michael Bogdal, Heinrich von Kleist: Michael Kohlhaas. Fink, München 1981. ISBN 3-7705-1943-4.
Wolfgang Barthel, Heinrich von Kleists „Michael Kohlhaas“ (1808–1810). Werden und Wirkung. Heilbronn 1993. ISBN 3-931060-07-1.
Ditmar Skrotzki, Ist Kleists Erzählung vom Kohlhaas wirklich die Geschichte des Rebellen Kohlhaas? Oder: Wie stoppt man den Teufel, der auf zwei Rappen durch Sachsen reitet? Heilbronn 1993. ISBN 3-931060-08-X.
Bernhard Greiner, Kleists Dramen und Erzählungen: Experimente zum ‚Fall‘ der Kunst, Tübingen/Basel 2000.
Wolf Kittler, Die Geburt des Partisanen aus dem Geist der Poesie: Heinrich von Kleist und die Strategie der Befreiungskriege, Freiburg 1987.
Andrea Rinnert, Michael Kohlhaas. Interpretationshilfe. Deutsch. Stark. 1. Auflage 2006.
Ingeborg Scholz, Heinrich von Kleist: Michael Kohlhaas. Königs Erläuterungen und Materialien (Bd. 421). C. Bange Verlag, Hollfeld 2003. ISBN 978-3-8044-1803-5.
Erläuterungen und Dokumente; Heinrich von Kleist, Michael Kohlhaas, Reclam. ISBN 3-15-016026-X.
Manfred Mitter, Heinrich von Kleist: Michael Kohlhaas. Interpretationsimpulse. Merkur Verlag, Rinteln 2007. Textheft: ISBN 978-3-8120-0852-5, CD-ROM: ISBN 978-3-8120-2852-3.
Verfilmungen [Bearbeiten]
1967: Michael Kohlhaas. Regie: Wolf Vollmar
1969: Michael Kohlhaas – der Rebell. Regie: Volker Schlöndorff
1999: Reiter auf verbrannter Erde (Orig. The Jack Bull), 1999. Regie: John Badham, nach Motiven der Novelle
Hörspiel [Bearbeiten]
1953: Michael Kohlhaas. Regie: Ulrich Lauterbach, u. a. mit Walter Richter (Kohlhaas), Heinz Schimmelpfennig (Herse, Kohlhaas’ Knecht), Annedore Huber (Lisbeth, Kohlhaas’ Frau), Friedrich Schoenfelder (Prinz Christian von Meißen), Konrad Georg (Junker Wenzel von Tronka)
Hörbuch [Bearbeiten]
2008: Edition Hörbuch - Heinrich von Kleist: Michael Kohlhaas, Vollständige Lesung Klett Verlag
Sprecher: Axel Thielmann, MP3-Format Gelesen wird die Textausgabe, zusätzlich enthält die CD den Text vollständig als PDF-Datei.
Literarische Bearbeitungen und Anspielungen [Bearbeiten]
In dem Roman Ragtime von E. L. Doctorow ist der Erzählstrang über das Leben des Coalhouse Walker deutlich an Michael Kohlhaas angelehnt.
Die Tragödie Palmsonntag eines Rosshändlers (Egy lócsiszár virágvasárnapja) des ungarischen Schriftstellers András Sütő, erschienen in 1975, verarbeitet die Geschichte von Michael Kohlhaas, um die Umstände des Ceaușescu-Regimes mit einem historischen Beispiel zu beleuchten.
1978 dramatisierte Frieder Schuller, der damalige Dramaturg des deutschen Theaters von Hermannstadt in Rumänien, Kleists Novelle unter dem Titel „Viele Grüße Michael Kohlhaas“. Es kam zu den ersten Proben, doch dann erhielt Schuller den Ausreisepass und musste Rumänien verlassen. Die Aufführung, in der es um Willkür, Pass- und Grenzkonflikte ging, wäre im damaligen kommunistischen Rumänien vorhersehbar verboten worden.
Weblinks [Bearbeiten]
Heinrich von Kleist:Ausgewählte Schriften. Online-Text, Project Gutenberg.
Das Kohlhaas-Portal
Der Text der Novelle als PDF Datei (451 kB)
Deutscher Text und russische Übersetzung (PDF-Datei; 427 kB)
Lesung bei librivox.org
Rechtslage in Michael Kohlhaas
Einzelnachweise [Bearbeiten]
1.↑ Abschnitt Unverworrene Idee, Übereinstimmung des Willens mit dem Endzweck im Aufsatz Über den Begriff Weisheit, 1953, Gesamtausgabe in 16 Bänden (Suhrkamp), Band 10, S. 355–395, S. 376
EinklappenWerke von Heinrich von Kleist
Dramatische Werke: Die Familie Schroffenstein | Amphitryon | Der zerbrochne Krug | Die Hermannsschlacht | Penthesilea | Robert Guiskard | Das Käthchen von Heilbronn | Der Schrecken im Bade | Prinz Friedrich von Homburg
Prosa: Das Erdbeben in Chili | Die Marquise von O… | Michael Kohlhaas | Anekdote aus dem letzten preußischen Kriege | Das Bettelweib von Locarno | Die heilige Cäcilie | Die Verlobung in St. Domingo | Der Findling | Der Zweikampf
Essays: Über das Marionettentheater | Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden
Politische Schrift: Katechismus der Deutschen
Herausgegebene Zeitschriften: Phöbus | Berliner Abendblätter
Von „http://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Kohlhaas“
Kategorien: Literarisches Werk | Literatur (19. Jahrhundert) | Literatur (Deutsch) | Novelle | Heinrich von Kleist
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