"Die von de Sade ausgedrückte Gewaltsamkeit hatte die Gewaltsamkeit in das verwandelt, was sie nicht ist, dem sie sogar notwendigerweise entgegengesetzt ist: in einen überlegten, rationalisierten Willen zur Gewalt.
Die philosophischen Äußerungen, die bei jeder Gelegenheit die Erzählung de Sades unterbrechen, machen schließlich die Lektüre ermüdend. Man braucht Geduld, Resignation, um ihn zu lesen. Man muß sich sagen, daß eine Sprache, die von der anderen, aller anderen so verschieden ist, die Mühe lohnt, bis zum Schluß zu lesen. Diese monotone Sprache ist übrigens zugleich von einer zwingenden Kraft. Wir stehen vor seinen Büchern, wie einst der geängstigte Wanderer vor schwindelerregenden Felsentürmen gestanden sein mag: eine Bewegung genügte, um uns davon abzuwenden, und dennoch! Dieser Greuel beachtet uns nicht, aber hat er nicht, da er ist, einen Sinn, der uns angeboten wird? Die Berge stellen etwas dar, was auf den Menschen nur über einen Umweg eine Anziehungskraft ausüben kann. Dasselbe gilt von den Büchern Sades. Und die Menschheit hat mit der Existenz der hohen Gipfel nichts zu schaffen. Dagegen ist sie aber ganz enthalten in einem Werk, das es ohne sie nicht gäbe. Die Menschheit verwirft, was dem Wahnsinn entstammt... Aber die verwerfung des Wahnsinns ist nur eine bequeme Gepflogenheit, und die Überlegung muß darauf zurückkommen. Immerhin ist das Denken Sades nicht auf den Wahnsinn zurückzuführen. Es ist nur ein Exzeß, ein schwindelerregender Exzeß, doch ist es der exzessivste Gipfel dessen, was wir sind. Wir können uns von diesem Gipfel nicht abwenden, ohne uns von uns selbst abzuwenden. Wenn wir uns diesem Gipfel nicht nähern, wenn wir uns nicht bemühen, wenigstens die Abhänge zu ersteigen, leben wir wie eingeschüchterte Schatten – und zittern vor uns selber."
Georges Bataille: 'Die Erotik' (S. 187 ff)
|