morgenthau
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Der Morgenthau-Plan
Im Sommer 1944 beginnt sich die Niederlage Deutschlands abzuzeichnen. Nach der Landung der Alliierten in der Normandie kämpfen die Truppen sich unaufhaltsam Richtung deutsche Grenze voran, Anfang September haben sie Frankreich befreit. An der Ostfront wird die Wehrmacht ebenfalls zurückgedrängt. Die USA rechnen damit, dass das Hitler-Regime in Kürze besiegt sein wird und beginnen damit, ihre Pläne für die Nachkriegszeit zu konkretisieren: Was soll mit dem besiegten Deutschland geschehen? Wie sollen sich die alliierten Streitkräfte nach der Kapitulation verhalten? In welcher Form sollen die Siegermächte Reparationsleistungen erhalten?
Die Konferenz von Quebec
Winston Churchill (l) und Franklin D. Roosevelt in Quebec am 11. September 1944. Am 11. September 1944 treffen US-Präsident Franklin D. Roosevelt und der britische Premierminister Winston Churchill im kanadischen Quebec zu einer Konferenz zusammen, um über den weiteren Kriegsverlauf und ihre Deutschlandpläne zu beraten. Bei der Konferenz ist auch US-Finanzminister Henry Morgenthau anwesend. Morgenthau hatte Anfang September eine Denkschrift vorgelegt, die als Diskussionsgrundlage zur Behandlung Deutschlands nach dessen Niederlage dienen und die gemäßigten Deutschlandpläne des alliierten Oberkommandos unter Dwight D. Eisenhower korrigieren sollte. Morgenthau will unter dem Eindruck der Judenvernichtung sicher stellen, dass Deutschland nie wieder einen Krieg anzetteln kann: »Es kann keinen Frieden in der Welt geben, wenn Aggressoren wie Deutschland oder Japan die Stärke behalten, ihre Nachbarn anzugreifen«, sagt er im August 1944 in einer Rundfunkansprache.
Der 14-Punkte-Plan
Demontage der Ruhrchemie AG 1949. Um Frieden zu erreichen, hält er es für unumgänglich, die deutsche Schwerindustrie und das Ruhrgebiet komplett zu zerstören. Morgenthau beauftragt sein Ministerium, seine Vorstellungen für die künftige Deutschlandpolitik als Diskussionsgrundlage für den Präsidenten zusammenzufassen. Dieses Papier, der so genannte Morgenthau-Plan, umfasst 14 Punkte und beinhaltet im Wesentlichen folgende Forderungen:
völlige Entwaffnung und Abrüstung Deutschlands
internationale Kontrolle der deutschen Wirtschaft auf 20 Jahre
vollständige Stilllegung und Demontage aller Industrie- und Kohleförderanlagen des Ruhrgebiets
politische Dezentralisierung, Schaffung eines föderativen Systems
Aufteilung Deutschlands in einen Nord- und Südteil und eine internationale Zone, die von der Saar über das Ruhrgebiet, die Nordseeküste und den Nord-Ostsee-Kanal bis Kiel reichen soll.
Umfangreiche Gebietsabtretungen, z.B. Ostpreußens und Oberschlesiens an Polen, Abtretung des Saargebiets und der Grenzregion von Rhein und Mosel an Frankreich
keine Reparationen in Form von Lieferungen aus der Produktion, sondern Demontage, Beschlagnahmung deutschen Vermögens im Ausland, Abtretung deutscher Gebiet und Zwangseinsatz deutscher Arbeiter im Ausland
Bestrafung von Kriegsverbrechern
Am 15. September 1944 billigen Churchill und Roosevelt in Quebec eine abgemilderte Version des Planes. Die beiden Außenminister Anthony Eden und Cordell Hull protestieren bereits am folgenden Tag dagegen. Am 21. September gelangt der Plan durch eine gezielte Indiskretion an die Öffentlichkeit. Zwar gibt es auch positive Resonanz, aber die Kritik ist stark und setzt den Präsidenten, der mitten im Wahlkampf steckt, unter Druck. Roosevelt distanziert sich von dem Plan.
Nazis nutzen Plan zu Propagandazwecken
Der amerikanische Politiker Henry Morgenthau jr. Die NS-Propaganda nutzt den Morgenthau-Plan, um den Durchhaltewillen zu stärken: »Der Jude Morgenthau« wolle Deutschland in einen »Kartoffelacker« verwandeln. Ein Teil der Forderungen findet später auch Eingang in die Beschlüsse von Potsdam. Dazu gehören die vollständige Entmilitarisierung, die Umerziehung, die Dezentralisierung und die Bestrafung der Kriegsverbrecher. Wirtschaftspolitisch schlagen die Westalliierten vor dem Hintergrund des aufkommenden Anti-Kommunismus später mit dem Marschall-Plan allerdings eine ganz andere Richtung ein - anstelle der Zerstörung der Industrie rückt der wirtschaftliche Wiederaufbau in den Vordergrund.
Bis heute spielt der Morgenthau-Plan in der rechtsradikalen Publizistik eine große Rolle. Er ist Bestandteil des deutschen Antisemitismus und Antiamerikanismus.
Kathrin Weber, NDR Online