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anoubi schrieb am 20.10. 2006 um 09:13:07 Uhr über

Kommunismus

1959 wollte ich vor allem eins: unabhängig, stark, erwachsen sein, hatte also ein ganz anderes Bild vor den Augen als jene Jugendlichen heute, die sich eher weigern erwachsen zu werden, weil sie den Lebensstil, die Kultur und perspektiven der Erwachsenenwelt ablehnen. ... Einen Wert hatte man etwas leistete. Da der Jugendliche aber in der Leistungskonkurrenz dem Erwachsenen unterlegen war, wollte er so schnell wie möglich diesem schimpflichen Zustand entgehen. ... Der schlimmste Vorwurf, den ich mir denken konnte, war »wirklichkeitsfremden Idealen« nachzuhängen. ... Ich hätte Angst gehabt - als Student in der Kleineleutepartei der Schwabinger SPD von 1961 - als Idealist zu gelten. Unser Schimpfwort dafür hieß »Spinner«.

Peter Glotz: »Die Innenausstattung der Macht. Politisches Tagebuch 1976-1978«

Ich bin 1939 geboren, Rudi Dutschke 1940. Ich hätte also durchaus ein 68er werden können. Daran hinderte mich aber mein persönliches Schicksal. Als mein Vater starb, war kein Pfennig Geld übrig. Also wurde ich Hilfssachbearbeiter bei einer Versicherungsgesellschaft und studierte nebenbei. ... Mir ist klar, wie die verbliebenen Anhänger von 1968 diese Biographie kommentieren werden: Ein Aufsteiger aus der unteren Mittelschicht, der sich anpaßte, um nach oben zu kommen. mag sein. ... Wir waren die Realisten, gegen die Achtundsechsziger, die Utopisten.

Peter Glotz auf der Titelseite des »Rheinischen Merkur« zu »30 Jahre nach 68«, 28. August 1998

Ich war, als die Revolte ausbrach, schon ein lehrender Assistent. Ich gehörte also zur untersten Kaste des angegriffenen Establishments und mußte meine Seminare verteidigen, die die Achtundsechsziger (die man damals natürlich noch nicht so nannte) sprengen wollten. ... Reden wir nicht um den heißen Brei: Ich war nicht nur dagegen, ich habe sie gehaßt.

Peter Glotz: »Von Heimat zu Heimat«; ullstein Verlag 2005

Helmut Schmidt, SPD, war von 1974 bis 1982 Bundeskanzler. Kurt Biedenkopf, CDU, war von 1990 bis 2002 Sachsens Ministerpräsident. Journalist zu ihnen in einem Interview: »Müssen wir uns von der Illusion verabschieden, dass durch höheres Wachstum die Arbeitslosigkeit nennenswert verringert werden kannSchmidt: »Abbau der Arbeitslosigkeit muß keine Illusion sein.« Biedenkopf: »Wesentliche Probleme auf dem Arbeitsmarkt haben nichts mit fehlendem Wachstum zu tun. Wir haben zum Beispiel in den letzten 30 Jahren den Markt für einfache Tätigkeiten beseitigt und diese Beseitigung mit dem ideologischen Überbau versehen, dass einfache Tätigkeiten unzumutbar sindSchmidt: »Einem 28jährigen Akademiker, der nun endlich sein Diplom gemacht hat und nun nach einer Stelle sucht, muß auch zugemutet werden können, Obst zu pflücken.« Biedenkopf: »RichtigSchmidt: »Oder den Garten des nachbarn in Ordnung zu bringen.« Biedenkopf: »Der seine Ausbildung mit 25 abgeschlossen hat und schon etwas geworden ist

»Die Zeit«, 15. September 2005

In seinem Vorwort zu »Kritischer Rationalismus und Sozialdemokratie« (Dietz-Verlag 1975) schrieb Helmut Schmidt: »Die grandiose Erkenntnis von Karl Marx, nach der das Sein das Bewußtsein bestimmt, ist zu einer ungeheuren Hilfe für uns alle geraten. Jedoch: eine Handlungsanweisung liegt darin nicht. Dies ist kein wirkliches Dilemma; denn schließlich muß jeder Mensch sein Handeln selbst verantworten
Nicht zufällig erinnert der Schlußgedanke des Zitats an die Behauptung der Margaret Thatcher, dass es »keine Gesellschaft, sondern nur Individuen« gibt. Wenn aber jeder mit seiner Verantwortung allein bleibt, wozu dann die Gedanken von marx, Schmidt, Thatcher beachten?
Nehmen wir mal an, wir würden sagen: »Eine klassenspezifisch begrenzte Erkenntnisfähigkeit bestimmt unser Bewußtsein. Jedoch: eine Handlungsanweisung liegt darin nichtOder: »Gammelfleisch und Käfighühnereier bestimmen unser Bewußtsein. Jedoch: eine Handlungsanweisung liegt darin nichtGenau das ist dann die Nachtwandlermentalität einer »Kleineleutepartei«, in der die Akteure nie über Machtpyramiden und individuelle Aufstiegsphantasien hinausdenken können. Sie erstarren in Ehrfurcht vor der »Realität«. Kriechen untertänigst in sie hinein. Wollen »sich anpassen«. »Etwas leisten«. »Aufsteigen«. So »nach oben« kommend ein »Wert« werden, einen »Wert« haben, ein »Wert« sein. Und damit »dem schimpflichen Zustand entgehen«, in der »Leistungskonkurrenz« unten zu bleiben. Und wenn sie »etwas geworden« sind, sollen wir Versager ihre Gärten »in Ordnung bringen«.
Marx hatte diese subjektlose Bestimmung des Seins über das Bewußtsein nicht als ewigen Kreislauf, sondern als veränderbaren Zustandsbericht gedacht, Schmidt erscheint die Bestimmung des Seins, und das Erkennen dieser Bestimmung, als Schlußpunkt mit unveränderbaren Tatsachen, dem sich das Bewußtsein unterzuordnen hat.
Nur folgerichtig stand am 10. November 1980 in der zeitschrift »Spiegel«: »Die Liberalen wollten ein Antidiskriminierungsgesetz, das die Sex-Werbung mit Frauen einschränken und für Gleichstellung am Arbeitsplatz sorgen soll. Der Kanzler lehnte ab. Begründung: Nirgends in der Welt gebe so ein GesetzUnd was es noch »nirgends in der Welt« gibt, war und ist mit Schmidt nicht zu machen. Wie aber so »die kleinen Leute« verlassen? Da doch die Zugehörigkeit zu deren Milieu die ganze Wahrnehmung der sozialen Welt strukturiert.


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