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am 13.12. 2001 um 12:39:55 Uhr schrieb bananafish
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am 13.7. 2010 um 11:25:41 Uhr schrieb Sprocki
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am 25.12. 2002 um 17:00:50 Uhr schrieb Duckman über Popkultur
am 21.8. 2009 um 15:57:02 Uhr schrieb fluor über Popkultur
am 29.4. 2004 um 19:48:21 Uhr schrieb New York über Popkultur
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wuming schrieb am 10.3. 2003 um 05:02:40 Uhr zu
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Tatu, die Popkultur und die Politik
Burkhard Schröder 10.03.2003
Alles ist inszeniert bei der russischen Girlgroup - aber kann nicht auch die
Inszenierung einer politischen Aussage gegen den Krieg im US-Fernsehen
subversiv sein?
Katina Elena Seergeevna und Volkova Julia Olegowa wissen, wovon Männer träumen.
Das russische Pop-Duo t.A.T.u. lässt sich gern in Unterwäsche fotografieren, die
Mädchen küssen sich, wenn eine Kamera in der Nähe ist, sitzen gern eng umschlungen
in lasziver Pose und lieben offenbar, um auch den Japanern etwas zu bieten,
Schuluniformen.
Und wenn es dem Marketing dient, tragen sie bei Fernsehauftritten wie in Jay Lenos
Late Night-Show bei NBC.com eine vulgäre Botschaft gegen den Krieg auf ihrem
Busen - in russischer Sprache. Russisch versteht in Amerika sowieso keiner, aber der
mediale Nachhall war um so größer.
Politik auf Mädchen-Brüsten ist eine offenbar ähnlich wichtige Angelegenheit wie ein
Blix-Report über Anthrax im Irak. Alle Medien berichteten, von der Deutschen Presse
Agentur bis zu Spiegel online. »Tatu« - laut Eigenwerbung "die russische Antwort auf
westliche Girlgroups" - ist ein Lehrstück darüber, wie man Realität konstruieren kann, wenn
man nur die postkapitalistischen Gesetze des Genres kennt.
Die Welt des Scheins
Von Russland lernen heißt: »Ökonomie der Aufmerksamkeit« lernen. Lolita-Sex, der nicht
aggressiv sein darf, weil sich pubertierende Mädchen nicht wiedererkennen würden,
vermeintliche Tabubrüche wie Zungenküsse in Videoclips, suggestive Bilder in welchen
Tönen à la David Hamilton, und der Russen-Bonus, der Exotik verspricht - das ist der Stoff,
aus dem die Männerträume sind und wie sich sich in unzähligen »tatu«-Fansites in beinahe
jedem Land im Internet wiederspiegeln.
Diese Welt des bloßen Scheins entwickelt aber eine Eigendynamik, die von ihren Machern
nicht steuerbar ist. Politik ist Teil der Popkultur und daher bloße Attitüde. Die jungen
Rezipienten der Pop-Kultur sind aber mittlerweile kompetent, also zynisch und abgebrüht: Sie
wissen, dass nichts ernst gemeint ist. Sie dekodieren die vorgestanzten und sinnfreien
Plattitüden in ihrem Sinn - das ursprünglich nicht ernst Gemeinte beeinflusst hinterrücks
wieder die Realität. Daher weiß niemand mehr, was eher da war: die Henne oder das Ei. Ist
eine politische Aussage nur inszeniert oder wirkt die Inszenierung von Politik vielleicht doch
politisch, auch wenn sie das gar nicht will? Zu einem professionellen Werbefeldzug gehört
heute auch der vordergründig bescheidene Hinweis, dass ein »Skandal« um einen
vermeintlichen Tabubruch und die vorgebliche Empörung darüber »vielleicht« nur
Marketing sei.
Ein Werbetext fabuliert: »Yulia und Lena sind 'typisch russisch': schonungslos und ehrlich.«
Das ist wahr und gelogen zugleich. Wahr, weil die jungen Damen so zynisch über die Branche
reden wie ein Altrocker. Julia hält das Business für »schmutzig« "Show business is a dirty
word. Everyone talks about it, but you have to live there to know. If I'm nice, a good girl, I
won't finish first. I have to be smart, be a snake, in order to be successful." Und Katina
formuliert getreu ihrem Image der Rotzgöre: »Show business is just a pile of crap.« (ein
»Haufen Kacke«). Diese Binsenweisheit mag gelogen sein, weil von den Managern
vorformuliert, aber genau weiß das niemand.
Nichts ist dem Zufall überlassen
Bei »Tatu« sind jede Geste, jedes Wort, jede Haarsträhne, jedes Detail der Biografie der
Mädchen seit frühester Kindheit stromlienienförmig auf Erfolg gestylt. Nichts wird dem Zufall
überlassen. Katina, Jahrgang 1984, und Julia, ein Jahr jünger, sangen schon in der Kinderband
»Neposedi« zusammen. Der ehemalige Kindespsychologe Ivan Shapovalov formte sie zu
einem mediengerechten Produkt, nachdem sie 1999 bei einem Casting in Moskau aus über 500
Bewerbern ausgewählt worden waren. Als corporate identity der Mädchen wählte
Shapovalov die lesbische Liebe. Der Song Ya Soshla S Uma machte sie in ganz Russland
bekannt. Der Text über die Liebe eines Mädchens zu einen anderen - "Ich habe meinen
Verstand verloren - ich brauche dich" - wurde von der Fernsehjournalistin Yelena Kipper
verfasst, die sich im realen sowjetischen Sozialismus um die Belange der Verbraucher
gekümmert hatte. Lesbische Liebe ist in Russland noch immer tabuisiert.
»Tatu« hat jedoch den Bann gebrochen - erst die Popkultur machte das Thema diskutabel:
"Now home camera shooting it is really very popular with schoolgirls: girls take cameras and
make their »easy movements« in the bathroom. Further tapes can be watched with friends at a
party while drinking beer, or some prefer to send such tapes to TV program Producer to
yourself (a rather funny popular TV program in Russia to which people sent amateur videos of
their family, kids and funny moments of their life)", schreibt Larisa Suetenko in der Pravda.
In Russland weiß man jedoch, dass die lesbische Liebe der jungen Damen ein
Marketingprodukt ist. Nur einige westlichen Medien nahmen die Inszenierung ernst.
Insbesondere die Boulevard-Presse stürzt sich auf den vermeintlichen Skandal: Die
österreichische Krone behauptete kühn, Katina und Julia seien »ein Paar« und Elton John
wolle sie adoptieren. Kevin O'Flynn von der Moscow Times sah das so gelassen wie fast
alle russischen Zeitungen: "The members of t.A.T.u. are about as lesbian as I am... There
hasn't been too much of a fuss in Russia about t.A.T.u.'s claims to be lesbians. I don't think
anybody believes it." Die schottische Sunday Mail outete sogar die Namen der Freunde der
Mädchen: Seryozha und Vanya. Svetlana Makunina von der Moskauer Zeitung Zhizn. "Their
boyfriends are both students who are a little bit older than themselves. Nobody in Russia
believes they are lesbians."
Aber erst die englischen Medien gaben der Sache in Westeuropa den richtige Kick: Richard
Madeley und Judy Finnigan, die seit mehr als zehn Jahren das englische Nachmittagsfernsehen
dominieren, witterten sittlich gefährdende Kinderpornografie. Bei »Tatu« handele es sich um
»minderjährigen Lesben-Sex« und »Pädophilen-Pop«. Sie verlangten, »Tatu« aus Radio und
Fernsehen zu verbannen. Das besiegelte den Erfolg in den Charts. Der Hit "All the things she
said" brauchte Tatu den internationalen Durchbruch, ihre Stücke stürmten in mehreren Ländern
an die Spitze der Hitparaden.
Politisch zweideutig
»Russia is not exactly famed for its pop music«, schrieb Colin Paterson sarkastisch im
»Guardian«, und prognostizierte gleich den Mega-Erfolg auch in den USA: "But Tatu shows
the sad extremities of what middle-aged men will create in a bid to cause outrage. And if the
sight and sound of two allegedly amorous teenage girls getting busy with each other is too
much for the US public, then there is an easy get out."
Daher können sich die »Tatu«-Mädchen jetzt alles erlauben, sogar Politik. Bei ihrem zweiten
Talksshow-Auftritt bei Jimmy Kimmel von ABC waren ihnen nicht nur Zungenküsse und
Politik, sondern auch russische Worte verboten worden. Deutschlands Superstars hätten
gehorcht, aber die Russinnen protestierten mit einem großen censored auf ihren T-Shirts.
Vermutlich war auch das Kalkül. Aber die Inszenierung des Protestes als Marketing-Gag ist
subversiv. Popkultur, hat sie eine politische Botschaft, ist immer zweideutig, kann also als
bloßes Entertainment genommen werden. Pop wagt aber mehr als die Medien mit ihrer
ausgewogenen Schere im Kopf. Alle Zeitungen umschrieben vornehm den »obszönen«
Ausdruck gegen den Irak-Krieg, mit dem die Mädchen beim ersten Mal aufgetreten waren.
Doch niemand verriet, wie dieser lautete: »chuj vojna«. »Vojna« heißt »Krieg«, »chuj« jedoch
steht im keinem Lexikon. Am besten übersetzt man es mit dem deutschen Wort »Pimmel«.
»Fuck the war« wäre eine adäquate englische Version, die analfixierten Deutschen würden
vermutlich »Scheißkrieg« sagen. Und das ist eigentlich ein hinreichender Grund, den beiden
Damen auch als Hetero lange und ausgiebig auf den Busen zu starren.
Kommentare:
Hetenfan und Masterplan (dr.cheeba, 10.3.2003 3:24)
Oh nein das sind böse Kommunisten-Lesben (nachdenklicher, 10.3.2003 2:09)
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last modified: 09.03.2003
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