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positiv bewertete Texte
Der erste Text am 12.7. 2001 um 20:53:36 Uhr schrieb
Salva über Gelegenheitsfrisör
Der neuste Text am 20.8. 2021 um 22:57:30 Uhr schrieb
S. über Gelegenheitsfrisör
Einige noch nie bewertete Texte
(insgesamt: 6)

am 20.8. 2021 um 22:57:30 Uhr schrieb
S. über Gelegenheitsfrisör

am 22.1. 2005 um 23:22:15 Uhr schrieb
Richterin B. Salesch über Gelegenheitsfrisör

am 3.2. 2005 um 13:25:03 Uhr schrieb
Seelendokter über Gelegenheitsfrisör

Einige überdurchschnittlich positiv bewertete

Assoziationen zu »Gelegenheitsfrisör«

Ole schrieb am 24.1. 2002 um 02:45:45 Uhr zu

Gelegenheitsfrisör

Bewertung: 2 Punkt(e)

Meine Güte, war ich damals noch klein.... und ein ganz klein bisschen doof." Dominik Schanowski blätterte in einem uralten Fotoalbum, das vor allem Bilder seiner Kinderzeit enthielt. Es war in dunkelgrünesWildleder gebunden und hatte eine messingfarbene Schnalle, dieinzwischen schon ermattet und leicht angerostet war. Deshalb
quietschte sie bei jeder Öffnung und Schließung. So wussten selbst die Nachbarn immer sofort, wenn Dominik wieder in Kindheitserinnerungen schwelgte. Die Wände waren ziemlich schalldurchlässig. Und die Schnalle in ihrer Eigenart doch sehr laut. Das »doof« bezog Dominik darauf, dass er als Kind des Ruhrpotts immer Kamelle und Karamelbonbons zu Kamelen in Verbindung gesetzt hatte. Einmal hatte er im Zoo versucht, ein Kamel mit Karamelbonbons zu füttern. Als dieses aber nicht gerade von der Idee begeistert zu sein schien,beschlich ihn der Gedanke, dass »Kamelbonbons«, wie er sie unwissentlich nannte, dann wohl eher aus Kamelen hergestellt würden
und somit so etwas ähnliches, wie leckere, süße Wurst oder Schnitzel seien. Nur viel kleiner. Damals hatte er auch noch eine sehr merkwürdige Frisur. Es war zwar nicht unüblich für dreijährige Rothärer (rothaarige), in den frühen sechziger Jahren eine merkwürdige Frisur zu haben, aber seine Mutter hatte sich an ihm gern als Gelegenheitsfrisör versucht und die Gelegenheit ergriffen, Neues auszuprobieren. Indem sie ihm zum Beispiel mit einer Zackenschere für schottische Kiltstoffe die Nackenhaare stutzte - sie versuchte sich nebenberuflich auch als Gelegenheitsschneiderin, schneiderte allerdings keine Gelegenheiten, sondern nähte lediglich wirr zerschnittene Kiltstofffetzen aneinander, um sie dann zu Flokatis und Patchworkdecken mit schottischen Touch zusammenzufügen. Zudem flocht sie Dominik gern kleine Perlenkordeln in die verwuschelten roten Haarsträhnen ein. Er hatte das schon immer albern gefunden. Aber aus Mitleid mit ihr hatte er es über sich ergehen
lassen. Denn ihr machte es immer große Freude, ihren »Kleinen« zu frisieren. Und was macht es da schon, wenn alle Kinder im Kinderhort lachen - selbst die Erzieherinnen - wenn es seiner Mama so große Freude bereitete. Zu dem Zeitpunkt hatte er sie nämlich noch ganz doll lieb. Sie hatte damals einen Psychiater, der aus Kirgistan stammte. So lange er sie kannte, war sie manisch depressiv gewesen und hatte alle möglichen Psychopharmaka in sich hineingeschüttet, weil sie an einer
nahezu, allerdings eingebildeten unheilbaren Papstphonie litt. Sie war stark hypochondrisch veranlagt. Und meinte ständig, der Papst wisse, dass sie nicht an ihn glaube und schicke ihr deshalb ständig neue Krankheiten. Obwohl sie sich diese eigentlich nur einbildete. Sie wäre die perfekte Besetzung für den »eingebildeten Kranken« Molières gewesen. Heimlich hatte sich David dann auch mal das ein oder andere Pillchen genehmigt. Er wusste ja nicht, was er tat. Denn was für Mama
gut war, war es für ihn allemal. Irgendwie wurde er allerdings von den Antidepressiva hyperaktiv, so dass er alsbald auf Ritalin eingestellt werden musste, um nicht ständig durchzudrehen und die kirgisischen Zellophanlöwen, die seine Mutter leidenschaftlich sammelte, mit Nutella zu beschmieren. Wenn er das tat, weinte seine Mama immer, weil sie die Löwen liebhatte, auch wenn sie aus Zellophan waren und es eigentlich keinen Sinn machte, so etwas zu lieben. Aber sie liebte auch
ihren Psychiater. Sie hatte deswegen sogar drei mal einen »Kirgisisch-Kurs« an der Volkshochschule belegt. Hatte aber wenig gebracht. Weder half es ihren Sprachkenntnissen auf die Sprünge - sie war völlig sprachunbegabt - noch empfand ihr Psychiater auch nur den Hauch von ernsthafter Zuneigung zu ihr. Der führte eine doppelbödige Beziehung zu ihr. Er bestärkte sie unterschwellig nur noch in ihrer Papstphobie, um weiter an ihr verdienen zu können. Andererseits nutzte er sie sich ihm bietende Chance auch gern. Unter wissenschaftlichem Vorwand setzte er sich seinen Nabelscheinwerfer auf und liebkoste ihre »Vatikanischen Knoten« rund um den Bauchnabel. Er sagte, dass würde diese angeblich vorhandenen Knoten nach und nach zersetzen. Diese seien genetisch bedingt und gottgewollt. Der Papst habe dies in einem Konzil so bestätigt. Gott strafe ihm nicht wohlgesonnene Menschen, beziehungsweise Menschen, die dem Papst entsagten durch geschwürartige Knoten in der Bauchnabelgegend. Und diese seien nur wegzukosen durch die von ihm erfundene »Handhabungstherapie«. Dumpf, wie Frau Schanowski war, glaubte sie ihm.
Sie glaubte auch, ihr Pschiater sei ein Bauchredner, weil er mit ihrem
Bauch redete. Sie verstand leider so einiges nicht. Sie hatte noch nie einen echten Bauchredner gesehen. Das interessante war, dass ihr Psychiater eigentlich Mormone war. Obwohl er ihr den katholischen Blödsinn einredete. Und er wiederum litt an Mormonenstau. So nennt man es, wenn Mormonen an hormonellem Triebstau leiden. Auch seine eigenen Unpässlichkeiten diagnostizierte ihr Psychiater so, dass er sie zur Selbsttherapie nutzen konnte. Er nannte das
»Handhabungstherapie«. Sie musste sich entkleiden und flach auf eine wachstuchbehangene Couch legen und er handhabte sie dann. Das sollte ihr den bösen Geist aus dem Körper spülen. Dominik seufzte. Wie hatte sie sich so einen Quatsch einreden lassen können? Jahrelang hatte sie dieser merkwürdige Kirgise schamlos ausgenutzt und an der Nase herumgeführt. Ganz zu schweigen von den Unkosten, die dadurch der Krankenkasse angefallen waren. Das fand er beinahe noch schlimmer.
Viel Mitleid empfand er nicht für sie, seit sie ihn in den wilden siebzigern von einem Tag auf den anderen hatte sitzen lassen, um mit einem sehbehinderten Gelenkbusfahrer nach Indien zu trampen. Der war entlassen worden, weil er aufgrund seiner Sehbehinderung versehentlich den Busbahnhof mit einer Einkaufspassage verwechselt hatte und mit voller Geschwindigkeit in eben dieses Einkaufszentrum hineingefahren war. Dummerweise war dann nicht nur er samt Bus da
drin, sondern schon vorher eine Reihe an Leuten, die nach Kontakt mit dem hochgeschwindigen Bus nicht mehr wirklich quicklebendig wirkten. Und da hatten sie ihn dann entlassen. Danach hatte er sich erst noch als Erfinder versucht. Aber seine »Notdurftschleuse« erschien niemandem von Bedarf, geschweige denn von Brauchbarkeit und Sinn. Und so suchte er nun sein Heil im Hinuismus und wollte wasserpfeiferauchend einen Guru aufsuchen, der ihn ans wahre Licht führen sollte. Dominiks Mutter hatte davon erfahren und gehofft, auf diesem Wege ihre Papstphobie vielleicht endlich loszuwerden. Sie ließ die kirgisische mormonenstaukurierende Handhabungstherapie sausen und ging mit Ewald, dem Gelenkbusfahrer nach Indien. Leider hatte sie vergessen, dass sie noch einen Sohn hatte. Sie war einfach zu spontan in ihrer Eindimensionalisiertheit. Dominik war dann zu den Großeltern auf einen Bauernhof auf der Magdeburger Börde gekommen und durfte da vor allem Schweinetröge säubern. Vielleicht hatte ihn das so nachhaltig geprägt, dass er sich langsam hocharbeitete und nun Facharbeiter einer Gebäudereinigungsfirma war. Seine Mutter hatte er nie wieder gesehen. Eher noch einmal den Papst. Im Fernsehen. Und dann dachte er wieder an die alte Zeit, die Kamelbonbons und ließ das Fotoalbum quietschen. Und die Nachbarn dachten wieder: Er schon wieder.

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