Brustsack
Bewertung: 6 Punkt(e)
Dieter H. Stündel (man sollte Menschen, die nach Theodor W. Adorno noch Buchstabenkürzel im Namen führen, sowieso grundsätzlich misstrauen) hat eine deutsche Übersetzung von James Joyce' Finnegans Wake geschrieben, die ich mit aller fragwürdigen Kompetenz meines abgebrochenen Komparatistikstudiums als rundum misslungen bezeichnen würde. Auf die Einzelheiten einzugehen, würde den Rahmen eines ganzen Kelchregals sprengen, jedenfalls ist es mir ein Rätsel, in welcher Wahnwelt Stündel lebt oder von seinen Verlegern gehalten wird, der hat da mit Sicherheit Jahre dran gearbeitet, und das Gesamtwerk Lewis Carrolls hat er auch übersetzt, das ist auch nicht viel besser. Vielleicht hat er reich geerbt oder im Lotto gewonnen und hat diese ganze Übersetzungsarbeit einer Mischung aus Missionstrieb und Langeweile gemacht, und irgendwann hat dann einer gesagt, na komm, wenn er sich schon die Mühe gemacht hat und nichts dafür haben will... Ein ArnoSchmidt-Devotee ist er natürlich auch. Sonderbar, dass die innigsten Jünger (siehe auch Wollschläger) im Grunde scheißige Übersetzer sind. Jedenfalls ist die mit einigen meist nur wenig weiterführenden Annotationen Stündels versetzte zweisprachige Ausgabe allenfalls so ähnlich wie die Googleübersetzung eines 'normalen' Texts zu sehen, die eine oder andere Bedeutungsebene wird erhellt, aber dazwischen bleiben ganze Inseln der Sinnfreiheit und des Unklangs. Völlig beliebig seien die Zeilen 19-25 der Seite 240 angeführt (die Zählung ist in allen Wake-Ausgaben gleich, das ist wie bei der Bibel oder Zettels Traum), der besseren Übersichtlichkeit wegen, und weil der so sangliche Charakter des Texts dadurch deutlicher hervortritt, quasilyrisch in Sinnabschnitte gebrochen:
No more throw acids, face all lovabilities,
appeal for the union and play for tirnitys.
He, praise Saint Calembaurnus,
make clean breastsack of goody girl
now as ever drank milksoep from a spoen,
weedhearted boy of potter and mudder,
chip of old Flinn the Flinter,
twig of the hider that tanned him.
Bei Stündel klingt das so:
Nicht weiter warfen die Säuren, biete allen LiebesMöglichkeiten trotz,
angeklagen wegen der Vereinigung spielen für die Trinnigkeit.
Er, preise Sankt Cålembaunus,
mache nun den BrustSack des guten Mädchens sauber,
da man je MilchSuppe mit einem Löffel einflöste,
witzharziger Bursch von Vatter und Mudder,
Appel fällt nicht weit vom alt Stamm dem Stammer,
Rute von der Heider, die ihn lohgerbte.
Ich finde, das klingt über weite Strecken so geschmeidig und facettenreich wie die Google-Übersetzung, die ich unten angefügt habe. Nun ja. Was im Originaltext von Joyce unter anderem bemerkenswert ist: Wie mehr als 20 Jahre vor der Erfindung des LSD ein psychedelischer Bedeutungsstrom in den Sprachfluss einfließt: 'Throw acid', 'weedhearted boy of potter'. Eine Seite zuvor wird das Wort Hochzeit von Joyce durch das denglische Hightime ausgedrückt- Hàllóhgéhtsnòch? Dann wären da zu Beispiel auch die nie unterzubewertenden sexuellen Konnotationen, die aus einem 'make clean breast of', was 'sich das Herz ausschütten (was man im Busen trägt, sozusagen) einen breastsack, Brustsack machen. Brustsack? Wenn ich in meinem englisch-deutschen Wörterbuch von 1890 nachsehe - ein Nachschlagewerk aus der Zeit, in der ein zu übersetzender Autor seine sprachliche Prägung genossen hat, ist bei jeder seriösen Übersetzung unverzichtbar - ich merke das doch an mir Amateur, wie ich mit zunehmend kristallisierender Gedächtnisleistung den aktiven Sprachschatz etwa vor 20 Jahren größtenteils abgeschlossen habe, und auch mein 'sicherer Kenntnisstand würde einigermaßen komplett durch ein 30 Jahre altes Lexikon repräsentiert) Ach so, der Brustsack: Ja, wenn ich im FLÜGEL nachschlage, ist ein Sack im englischen unter anderem: 'Eine Art Frauenzimmer(schlaf-)rock od. Negligée... Gleichzeitig schwingt natürlich im Englischen breastsack noch vieles mit, was nicht ohne weiteres auch im Deutschen mittransportiert werden kann, breastsuck, breastsick, und natürlich ist ein breastsack auch veterinärmedizinisch als Eingeweidesack zu verstehen... Aber das beste verrät uns ein norwegisches Wörterbuch: Nämlich, dass der Büstenhalter im Norwegischen umgangssprachlich 'tuttekasse' genannt wird, was wiederum lt. englischer Übersetzung 'breast sack' bedeuten würde... Das alles in ein, zwei deutsche Worte zu fassen, ist nahezu unmöglich, die kurz zuvor erfolgte Anrufung St. Calembourgs mag mir zur Lizenz dienen, ein recht plattes Wortspiel zur Hilfe zu nehmen, die tabula rasa, die die 'clean breast' evoziert, wird zur Spielwiese der ritualisierten Lüste, dem FeTisch... Und tirnity? Das ist trinity, eternity, aber mein FLÜGEL hat auch, in den französisierenden Aussprache, einen Ausdruck aus der Zeit Spensers: 'Die Reihe von Wesen', die Geschlechterfolge, wie man so sagt. Play for tire dagegen ist etwas, was Kinder zu tun pflegen oder Liebende, das sich ermüden im Spiel. Der Späße und Umwege sind viele im Wake, und es ist klar, dass jede Übersetzung in eine einzige Sprache scheitern müsste, die beste Herangehensweise an das Wake wäre vielleicht, es musikalisch zu betrachten, allerdings eine typische 'moderne' Notation, deren Interpretation bei jeder Aufführung, jedem Lesen also, neu gefunden werden kann und muss. Twig zum Beispiel ist nicht nur die Rute, der Zweig, to twig kann zum Beispiel 'voyeuristisch belauern' bedeuten, aber auch schlagen, mit Ruten peitschen, twig and hide, aber der Hider ist schnell zum Hide, einem Ochsenziemer, aufgelöst, und 'to tan ones hide' ist einfach 'einem das Fell gerben', da passt auch der 'chip' aus der vorherigen Zeile, den unter anderem man mit 'Abgang vom Holz, Leder' erläutert findet, chip of leather ist gar 'Afterleder'... Eine typische Szene 'englischer Erziehung', Flagellantismus, wird hier angetuscht. Und wieso 'milksoep', nicht 'milksoup'? Um 1400 pflegte man in England eine 'weak, sissy person' milksoep zu nennen. A man lacking courage and other qualities deemed manly. milk sop py adj. milksop [ˈmɪlkˌsɒp]. n. 1. a feeble or ineffectual man or youth... Wenn man so einen ins allerneueste Deutsch transportieren wollte, könnte man vielleicht 'Darmbakterienlöffler' sagen, als Anspielung auf einen Mann, der so unmännlich ist, dass er Lightprodukte und 'Functional Food' isst. Aber so einen hätte Joyce noch benennen können, was nichts heißen muss, man kann ein Stück für Laute auch mit der E-Gitarre spielen. Aber dazu beherrsche ich beides nicht gut genug, also begnüge ich mich mit dem Hinweis auf den geckenhaften und irgendwie zwittrigen Göffel. In wenigen Zeilen schafft Joyce hier eine Atmosphäre, die von der Wiege zum Bordell reicht. Aber genug der Präliminarien, hier meine persönliche Lesefolie:
Keine Einwürfe mehr, jeder Hang mit Liebe bereitet
Anrufung zur Einigung und ewigendReyhen getanzt
Er, gepriesen sei Der heilige Kalaus,
mach reinen Fetisch mitten braven Mädchen
wie je nur eins seine Milchsupp gegöffelt,
grasliniger Junge von Papp' und Mudder,
Abgang Flinns, dem Feuersteinherz,
Entspross'ner Zweig der Rute, die ihn gezüchtet.
Das ist meine, nicht Übersetzung, Interpretation, und sie ist wohlklingender, tieflotender und trotzdem nur eine zweitklassige Annäherung an dieses vielleicht tollkühnste Werk der Literaturgeschichte, wobei immer noch nicht ganz klar ist, ob einer der begabtesten Dichter seiner Zeit sich da nicht einfach einen 17 Jahre Bauzeit währenden Jux geleistet hat. Wie auch immer man dieses Werk lesen möchte, man sollte es so oft wie möglich laut lesen, auch eine Partitur will ja nicht nur gelesen sein. Vielleicht bekommt man dann auch jenseits aller sprachlichen Hürden Freude an diesem philologischen Hoax.
Nachtrag: Es versteht sich von selbst, dass ein Werkzeug wie die Googleübersetzung vor einem Brocken wie FW kapitulieren muss - desto amüsanter oft die untauglichen Versuche, übersetzbare Zusammenhänge aus dem polyglotten Gesang zu destillieren. Aber wie aus dem Hider ein Hitler werden konnte? Ich bin fast sicher, wenn Joyce noch lebte, er hätte Haiders eingedenk geschmunzelt. Hier jedenfalls das wortwörtliche Google-Wake, ich betone noch einmal, den hider hat die Maschine ganz von selbst umgehitlert:
Nicht mehr zu werfen Säuren, sind alle lovabilities,
Rechtsmittel für die Gewerkschaft und spielen tirnitys.
Er, Lob Saint Calembaurnus,
make clean breastsack von goody Mädchen
nun als je getrunken milksoep von einem spoen,
weedhearted Junge Töpfer und mudder,
Chip der alten Flinn die Flinter,
Ästchen des Hitler, [sic!]dass gegerbt ihn.