Ein Bootcamp ist ein Trainingslager für Rekruten, die dort eine Grundausbildung erhalten. Umgangssprachlich bzw. in kritischer Auseinandersetzung werden auch bestimmte Einrichtungen zur (Um-)Erziehung von (jugendlichen) Straftätern, Drogensüchtigen und verhaltensauffälligen Jugendlichen »Bootcamps« genannt.
Inhaltsverzeichnis
1 Begriff
2 Kritik
3 Einrichtungen in Deutschland
4 Literatur
5 Weblinks
6 Einzelnachweise
Begriff
Die Bezeichnung boot kommt von den neuen, schweren und harten Stiefeln (englisch = Boots), die in solchen Camps getragen werden müssen. Boot ist außerdem eine ältere US-amerikanische Bezeichnung für Rekruten in der Grundausbildung. Über Boot Camps im engeren Sinn liegt kaum deutschsprachige Literatur vor. Glen Mills Schools sind kein Boot Camp, sondern eine jugendjustizbezogene, offene Umerziehungs-Einrichtung mit einem streng strukturiertem gruppendynamischen Ansatz („Guided Group Interaction“[1]). In Deutschland und in den Niederlanden wurde und wird diese Einrichtung aber immer wieder als Muster herangezogen, weil hier entsprechende „Glen Mills“-Initiativen tätig sind.
Rehabilitation
Zweck ist grundsätzlich die Umerziehung der Schwierigsten. Neben Einrichtungen in den USA und einer in Hessen soll auch verwiesen werden auf die Auswüchse dieses Ansatzes, wie sie zum Beispiel im Jugendwerkhof Torgau stattgefunden haben. Ihnen soll der Wille genommen werden zu den Eltern nein zu sagen.
Seit etwa 1990 ist der Begriff Boot Camp als Bezeichnung für ein Lager zur Besserung und Rehabilitation von Straftätern bekannt geworden, insbesondere im Zusammenhang mit straffällig gewordenen Jugendlichen. Als Alternative zu einer zwei- bis dreijährigen Freiheitsstrafe in einem gewöhnlichen Gefängnis können straffällig Gewordene nach 120 Tagen extremer physischer und psychischer Beanspruchung in einem Boot Camp in die Freiheit gelangen. Boot Camps existieren unter diesem Namen nur in den Vereinigten Staaten und werden sowohl staatlich als auch privat betrieben. Das Konzept der Boot Camps wird besonders von konservativen Politikern favorisiert, vor allem weil die Kosten des Strafvollzugs für einen Delinquenten verringert werden. Für Boot Camps sind nur Straftäter zugelassen, die kein Verbrechen wie Mord oder Totschlag begangen haben. Das Boot Camp kommt zum Beispiel bei Diebstahl, Drogenhandel, Körperverletzungsdelikten oder Mordversuch in Frage.
Boot Camps werden nach den disziplinarischen Grundregeln einer US-Militäreinheit der Marines geleitet. Die Philosophie dieser Camps ähnelt der der Marines: Willen brechen, um ihn später wieder aufzubauen.
Erziehung
Es gibt eine zweite Form von Boot Camps, in die Jugendliche allein auf Veranlassung der Eltern als Erziehungsmaßnahme (nicht: -angebot) eingewiesen werden. Je nach Status der Einrichtung zahlen die Eltern für diese Dienstleistung sehr hohe Gebühren. Jugendliche, die sich dieser Einweisung widersetzen, können, ebenfalls auf Veranlassung der Eltern, mit Gewalt dazu gezwungen werden. Zu diesem Zweck gibt es professionelle Einfänger, die sich selbst „Transporter“ nennen. Die Verweildauer in diesen Einrichtungen ist nicht auf 120 Tage beschränkt, sondern kann mehrere Jahre betragen. Lediglich das Erreichen der Volljährigkeit stellt eine Obergrenze dar.
Die Befürworter von Boot Camps gehen davon aus, dass diese Form der Umerziehung den Charakter der Verurteilten entsprechend einer Norm formen würde, die vor allem bei der Bevölkerung der USA als erstrebenswert erachtet würde: der eines disziplinierten Soldaten. Auf der anderen Seite ist man davon überzeugt, dass ein Gesetzesbrecher nach dieser Tortur nicht mehr straffällig werden wird.
Kritik
Rekruten während der Ausbildung
Vielfach wird von großen Erfolgen der Boot Camps berichtet, die darin bestehen, dass die Rückfallquote im Vergleich zu anderen Einrichtungen niedriger sei. Dies ist jedoch nach neueren Studien von Camp zu Camp unterschiedlich. So meldet beispielsweise die Kommune Miami-Dade, dass nur 6,6% aller Insassen rückfällig wurden, wobei das Camp der Kommune Pinella County mit knapp 90% eine weit höhere Rückfallquote aufweist.[2]
Mindestens 30 Jugendliche sind seit 1980 in amerikanischen Boot Camps zu Tode gekommen, überwiegend durch eigene Hand. Für das Jahr gäbe es mehr als 1600 dokumentierte Fälle von Kindesmissbrauch in Boot Camps[3]. Hinzu kommen zahllose Fälle von schweren Verletzungen wie Knochenbrüchen bei den extrem belastenden täglichen Aktivitäten, die die Häftlinge bis an ihre Grenzen strapazieren. Derartige Verletzungen bedeuten den Abbruch des Bootcamps und Überführung in eine normale Haftanstalt, wo die ursprünglich verhängte Haftstrafe angetreten wird, da man damit nicht mehr am Tagesprogramm des Boot Camps teilnehmen kann.[4] In einem weiteren Fall, in dem ein 14-Jähriger vor laufender Kamera von sieben Wärtern zu Tode geprügelt wurde und die anwesende Krankenschwester nicht eingriff, haben die Angehörigen eine Klage gegen die Boot Camps eingereicht, bisher allerdings erfolglos, da die Staatsanwaltschaft zu dem Ergebnis kam, die Wärter hätten aus Notwehr gehandelt.[5]
Kritische Diskussion
Morton Rhue, Autor des Buches Boot Camp und bekannter Kritiker
Viele Psychologen und Sozialpädagogen stehen den Boot Camps äußerst kritisch gegenüber, weil es in der Regel darum gehe, den Willen eines Menschen zu brechen. Die Jugendlichen würden nur abgerichtet werden, was häufig zu Unterwerfungs- und Minderwertigkeitskomplexen führt. Die gleichen Methoden würden beispielsweise bei der Ausbildung von Elite-Kampftruppen eingesetzt, um den bedingungslosen Gehorsam zu trainieren; damit sei das Ergebnis einer solchen Erziehung eher für den Krieg als für ein Zivilleben geeignet.
Vor allem aber werden Boot Camps von Menschenrechtsschützern abgelehnt. In Boot Camps seien seelische Misshandlungen Teil des Programms. Auch körperliche Misshandlungen seien dokumentiert, obwohl in der Regel das Personal entsprechend den Vorgaben die Insassen nicht von sich aus berühren dürfe. Die ständigen Beleidigungen, Demütigungen und der Druck, in kürzester Zeit ohne Rücksicht auf Verletzungen Aufgaben erledigen zu müssen, die nie zur Zufriedenheit erfüllt werden können, verstießen gegen allgemein anerkannte Menschenrechte.
Einrichtungen in Deutschland
Es gibt wenige Einrichtungen in Deutschland; bekannt ist die Jugendhilfeeinrichtung Trainingscamp Lothar Kannenberg in Hessen. Das Camp befindet sich im früheren Versuchs- und Lehrbetrieb für Waldarbeit und Forsttechnik in Diemelstadt-Rhoden (Kreis Waldeck-Frankenberg). Kannenberg ist kein gelernter Pädagoge: Er war Fleischer, Übungsleiter Boxen (B) und Boxer. Er erhielt 2005 die Medaille des Verdienstordens der BRD und sprach als erster [6] auf dem SPD-Parteitag 2010. Sein Konzept unterscheidet sich deutlich von den einschlägigen US-Camps.[7][8]
Literatur
Selcuk Cara: Das Bootcamp – Formen der Jugenderziehung in der zivilisierten Welt. Tragikomödie mit offenem Ende. Drei Masken Verlag, München 2009
Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.): Die Glen Mills Schools, Pennsylvania, USA. Ein Modell zwischen Schule, Kinder- und Jugendhilfe und Justiz? Eine Expertise. DJI, München 2002, ISBN 3-935701-10-1 (http://www.dji.de/bibs/124_619_expertise2.pdf).
Rene Grummt, Petr Schruth u. Titus Simon: Neue Fesseln der Jugendhilfe: Repressive Pädagogik. Schneider, Hohengehren 2010, ISBN 978-3-8340-0677-6.
Howard W. Polsky: Cottage Six, New York 1977
Morton Rhue: BootCamp. Ravensburger, Ravensburg 2006, ISBN 3-473-35258-6.
Louis Sachar: Holes. Cornelsen, Berlin 2002, ISBN 3-464-31051-5.
Jens Weidner, Rainer Kilb, Dieter Kreft (Hrsg.): Gewalt im Griff, Weinheim 1997. ISBN 3-407-55799-X
Weblinks
Bootcamps – Nachts angekettet in einem Hundekäfig, Interview mit Maia Szalavitz (amerikanische Journalistin), Stern online 15. Januar 2008
Boot Camp for Kids: Torturing Teens for Fun and Profit. Cruelty, sadism, injury & death in locked residential facilities for troubled youth, Parents and Teachers Against Violence in Education, englisch, Kritik an Bootcamps mit weiterführenden Weblinks (Presse-Dokumentation)
[2]
In US-Umerziehungslagern ist das Leben brutal, Netzeitung 2. Januar 2008
Boot Camps in den USA – Das Versagen der Drill-Maschine, Spiegel-online 3. Januar 2008
Zypries: Erziehungscamps verstoßen gegen die Menschenrechte, Süddeutsche Zeitung 3. Januar 2008
NRW-Posse um Jugendstrafrecht – Das falsche Erziehungscamp, Der Spiegel-Online 7. Januar 2008
Manfred Günther: „Alternative Konzepte für ‚nichtbeschulbare’ und delinquente Jugendliche in den USA" in: Sozialpädagogik 23 1981
Einzelnachweise
↑ [1] GGI, gesehen am 20. September 2010 auf www.springerlink.com
↑ http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,526461,00.html
↑ Annette Langer: US-Erziehungslager: Tod im Boot-Camp - Freisprüche für Aufseher bei spiegel-online
↑ http://www.spiegel.de/sptv/themenabend/0,1518,159017,00.html
↑ Annette Langer: Tod im Boot-Camp – Freisprüche für Aufseher. In: Spiegel Online. 12. Oktober 2007, abgerufen am 27. August 2008.
↑ Gabriel/Kannenberg eröffnen den SPD-Bundesparteitag 2010
↑ http://www.sueddeutsche.de/politik/677/318550/text/
↑ Diana Zinkler: Letzte Chance für Jugend-Gangster. In: Hamburger Abendblatt. 22. Mai 2006, abgerufen am 27. August 2008.
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