Wie-man-ein-Pferd-reitet
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Wenn du nicht die Hand einer Dame hättest, würde ich dir die Hand eines Kindes wünschen.
Wirst du an Zartheit in der deinen nicht ein Kind übertreffen ?
Liebst du den Tanz ?
Das Pferd ist ein Tänzer in deiner Hand: ein Tänzer in die Unendlichkeit. Aus dem Schwung, den du ihm mitteilst, folgt die Leichtigkeit, folgt das Schweben. Alle Kraft fühlst du sich unter deinem Sattel zu vereinigen. Das Land bleibt hinter dir zurück. Dein Tänzer trägt dich davon.
Wunderbares zartes Spiel und Gegenspiel von Menschenhand und Pferdelippe.
Hast du je darüber nachgedacht ? Es ist als ob ein leichter beseelter Widerstand das Tier entzückt wie der Widerstand deiner Seele deinen Freund entzückt.
Dies ist das Leben.
Wenn du recht reitest wird das beglückende Spiel von deinem Pferde immer von neuem im Schwunge nach vorwärts gesucht. Je mehr deine Hand ihm nach vorne eilt umso dringender, eifriger wird das Tier dir nachstreben- um jenes Spieles willen.
Treibe dein Pferd im Gang ein wenig in das Spiel hinein. Dann längt sich der Hals. Um der Hand die es liebt nachzukommen, werden die Tritte länger, schwungvoller, ruhiger zugleich und ausgiebiger. Der ganze Leib strebt nach dem Punkte hin, wo das Spiel sich abspielt, fühlbar wird:
Die Hinterbeine setzen sich eifriger unter den sich aufwölbenden Rücken. Das Ohr ist nach vorwärts gespitzt. Das Genick richtet sich auf.
Der Hals hebt sich frei aus den Schultern. Die ganze Säule der Wirbel vom Schwanz bis zum Genick ist zu einer elastischen, federnden Brücke gewölbt, ins Freie hinaus gespannt, bis sie auf der Stange des Gebisses in ihrem immer nach vorne enteilenden unvergleichlichen Stützpunkt ruht, so sicher und leicht wie eine Tänzerin im Schweben auf dem Finger ihres Partners.
Es ist aber kein Spiel sondern eine plumpe Vergewaltigung durch mächtige Hebel, die jene treiben, welche dem die feine Hand suchenden Pferdemaul einen Widerstand setzen dem es entgehen will, mag es auch zaghaft vorwärts schreiten. Dann wird sein Hals kürzer statt länger, die Ohren legen sich rückwärts, die Nase fällt gegen die Brust, das Genick senkt sich und der Gang verkürzt sich. Es stosse sich ab am Gebiss, sagt der Reitlehrer mit Reitknechtsgedanken. Es ist aber, dass die Hand das Pferd abstösst, dass es abgestossen wird.
Geschöpfe der Erde schauen dich an- vielerlei.
Gleichen Lebens sind sie teilhaftig wie du. Aber das Pferd, das dich trägt, darf dir darum von allen das herrlichste sein. Sein Auge wird ein ruhiger See sein, in den Jahrhunderte von Adel und Kraft zusammengeflossen sind. Es wird gelassen und aufmerksam um sich blicken und auch dich erfassen, während du in einiger Entfernung stehen bleibst um es zu betrachten. Die Ohren spielen bedächtig, sind spitz und oft still nach vorne gerichtet, die Nüstern fein und zart; die Lippen dünn, die Zunge unsichtbar; weder Geifer noch Schaum nässt in diesem Augenblick das Maul.
Der Kopf ist von feinem Meissel gemeisselt, die Nase gerade und schmal. Der Hals wird lang, frei und leicht getragen und wächst zwischen aufrechten, eng an den Leib anliegenden Schultern empor, die von der Macht des Rumpfes nicht auseinander gepresst werden. Die Brust ist nicht zu breit, aber tief und auf den Schultern liegt kein Fett oder dickes Gewebe. Der Widerrist ist schmal (doch nicht spitz) stark und wohlausgebildet und läuft wie ein festes Band in den prall von Muskeln federnden Rücken. Hier verweile ein wenig mit deinem Blick. Dieser Punkt, dicht hinter dem Widerrist nahe den Schultern, wird dich tragen. Diese Partie muss förmlich dazu einladen Platz zu nehmen. Sie ist kurz, aber darunter bedeckt ein tiefer unerforschlicher Brustraum Lungen und Herz.
So ausgerüstet tritt dein Pferd, uralten Adels seiner Geburt eingedenk, mit einer fast königlichen Würde über die Schwelle seines Stalles ins Freie. Sein Tritt ist sicher und leicht. Ewiges Feuer der Wüste strömt in seinen Adern. Sein Blut ist rein, überkommen von erprobten und erlesenen Ahnen. Seine Manieren sind vollkommen. Es war Reitpferd schon im Mutterleibe.
Reite Pferde die dir anstehen. Wie dein Reitkleid einfarbig sein soll, so soll auch dein Pferd einfarbig sein. Lass bunte Pferde, Füchse mit Blessen und viel Weiss an den Beinen Koketten und Kokotten. Du reite Pferde von reinem tiefen Braun, Schwarzbraun, Rot oder Gold.
Meinst du, das Leben zerbreche die Menschen ?
Sieh, was Menschen aus Pferden machen. Die Menschen sind es die das Leben zerbrechen. So zerbrechen sie auch das Leben im Pferde. Armselige Wirkung landläufiger Dressur: die Dressur ist beendet aber das Leben ist dahin.
Strafen und Knebel, Zusammenschrauben zwischen ewig verhaltende Zügel und ewig treibende Schenkel und Sporen, verfluchte Ausbinderriemen, nicht endendes Stillstehen herangetrieben an unerbittliche Säulen, die ungeheure Freudlosigkeit der Schulmeisterei hat es zerbrochen. Du sitzest nur noch auf einer gut gewöhnten Maschine. Die Beglückung deines Pferdes durch dich gelingt keiner deiner Bemühungen.
Es nutzt nichts dass du wirbst. Unter dir tanzt es nicht, lacht es nicht, spielt es nicht mehr. Nichts sucht dich. Das Pferd gehorcht aus Gewohnheit, weil es nichts anderes mehr weiss.
Doch sieh edle Fohlen und Jährlinge frei in der Koppel. Wohl hängen sie im Getrappel der Herde achtlos und lässig am Wind. Wenn sie aber das Selbstbewusstsein ergreift, wenn sie sich brüsten und zeigen, schweben sie in erhobenen Tritten daher. Feuer ist unter ihrem Huf. Die Beine fliegen. Der ganze Leib ist getragen: ein Hebelspiel aller Gelenke zugleich.
Auf unsichtbaren Zaum stützen sie leicht den geschwungenen aufgerichteten Hals. Das ganze Tier scheint unter die Wölbung des Halses zu treten. Eine unsichtbare Reiterhand folgt ihm in nie gelernten Gängen einer natürlich hohen Schule.
Dem sinne nach und du wirst wissen, was jungfräuliche Pferde sind- was jungfräuliche Pferde vermögen.
Reitest du aus dem Hof, nimm nicht den Zügel auf, ehe du deinem Pferde nicht die Freiheit geschenkt sich umzusehen in dem Morgen, in dem es dich trägt. Gönne ihm eine Freiheit, die du selber geniessest. Wenn es seinen Hals ausstreckt so lang es mag, seine Ohren spitzt, seine Augen ruhig und gross schweifen lässt, seine Nüstern weitet, wie oft wird ein Lachen in seiner Seele sein, das zur Morgenluft will. Wehre ihm nicht.
Denke, dass auch du dich emporreckst, du dich in die Brust wirfst, du tief atmend vor der Fülle des Tages stehst. Nachtgedanken, Uebelkeiten, unverdaute Gastmähler, schwere Bäuche, versagte Wünsche, unbefriedigte Geilheiten bringen jene auf den Rücken der Pferde.
Du aber sollst Morgengedanken, Geschmack von Küssen, Nachhall von Beglückungen und einen schlanken Leib auf deines Pferdes Rücken bringen.
Gib Ohr allen Geheimnissen die dir das Pferd anvertraut, während es dich trägt. Denn dein Pferd hat Geheimnisse und liebt, sie mitzuteilen:
kleine Ungezogenheiten, Liebhabereien, Zuneigungen und Abneigungen, kleine Untreuen, Vertraulichkeiten, Perversitäten.
Wenn aber der Reiter blind ist und taub, gefühllos gegen die Regungen eines unter ihm lebenden Leibes und Wesens, wird er sie bald gleichgültig und verstockt finden; und er meint, sein Pferd verstehe ihn nicht.
Aber es ist, dass er sein Pferd nicht verstand.
Wenn dein Pferd nicht gut geht, so suche in dir.
Der Grund liegt fast immer in dir.
Aber ich sah Reiter aus dem Sattel steigen und ängstlich den Bauch ihres Pferdes absuchen, als ob es eine Fliege gewesen sei, die es hinderte über den Graben zu springen, vor dem es gerade mit einem abweisenden Stampfen stehen geblieben war.
Verachte die, welche da sagen: ich weiss nicht was der eigensinnige Bock heute hatte, dass er so schlecht ging, dass er nicht über den Bach wollte, dass er vor der Windmühle kehrt machte.
Frage dich, ob deine Hand leicht, dein Sinn frei, deine Zuversicht unverrückt war.
Warst du es nicht, die sich weigerte über das Wasser zu setzen ? Warst du nicht ängstlich, ob dein Pferd nicht vor den schlagenden Flügeln scheuen würde ?
Das Pferd ist dein Spiegel. Es schmeichelt dir nie. Es spiegelt dein Temperament. Es spiegelt auch seine Schwankungen.
Aergere dich nie über dein Pferd; du könntest dich ebensowohl über deinen Spiegel ärgern.
Du sollst nicht schlechter reiten als du kannst.
Die meisten Menschen reiten noch schlechter als sie können. Alle ihre Launen, ihre Verdriesslichkeiten, ihre schlechten Geschäfte und ihren Aerger über sich selbst lassen sie am Pferde aus- wenn sie es auch oftmals nicht wissen.
Sie reiten auf schlechten Wegen schlechter als auf guten, obwohl die Steine nur das Pferd fühlt.
Sie hängen bei Sturm und Regen wie nasse Säcke schief und schlottrig zur Seite, sie reiten allein schlechter als mit anderen, die sie beobachten können.-
Auf dem Pferde ist das Wetter immer besser als auf dem Wege.
Deines Pferdes Huf stösst dich ab und alles versinkt. Die Erde verlässt dich. Gegenwart trägt dich auf ihrer zartesten Schneide. Du schwebst.
Denn gesammelter unter dich schiebt sich die Kraft. Das Spiel der Muskeln löst sich befreiter. Sei deines Pferdes Gang unter dir wie die Bahn eines Sterns. In deiner fühlenden Hand, in deinem schwingenden Leib, in deinem schwebenden Herzen liegt Kurve und pfeilgerader Weg, liegt Anfang und Ende, liegt die unermessliche Poesie der Bewegung, liegt die lebendige Kraft.
Störe die Bahn des Sternes nicht.
Wehe dem Augenblick wo du sie störtest !- Sei voller Angst.
Beharre ! Beharre, Geliebte, im Augenblick !
Beharre wie ein schöner Gedanke der mit einem Stern dahinzieht.
Wölkchen von Schweiss verdampfen hinter den Ohren des Pferds, steigen von seinen Schultern herauf und die Nüstern stossen Gewölk in den Morgen.
Scharfer erregender Duft des Pferdes umwogt und berauscht dich. Lass ihm sein Recht, lass ihm seine Macht.
Tiefer, freudiger, verheissest du dich in deinem Innern, unbefangen und ohne Beschwerung. Ungeheures Recht, dich an die Welt zu verschenken, strömt in dich ein.
Stolz- wie ein unwiderstehliches körperliches Gefühl- übermannt dich und schwellt deine Adern. Deine Handgelenke, deine Knöchel, dein Hals sind kühl; aber deine Wangen, deine Brüste, deine Schenkel sind heiss vom Glück des Besitzes.
Der Himmel ist hoch und die Erde ist weit. Drei Fuss höher über dem Boden als andere Menschen, gibt dir ein ewiges Gefühl davon.
Es wird dich nie mehr verlassen.
Ich aber verlasse dich nun. Dein Pferd wird dich trösten. Höre nicht auf den Reitschwatz müssiger Begleiter.
Der Himmel ist hoch und die Erde ist weit und jene sind weder so heiter noch so ernst wie dein Pferd. Reite allein. Plaudre mit deinem Pferde, wie du zu tun gelernt hast.
Der Himmel ist hoch und die Erde ist weit.
aus »Reitvorschrift für eine Geliebte«
Rudolf G. Binding, 1927