Säurefass
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shz.de von Klaus Lohmann
13. Februar 2012, 06:09 Uhr
Hamburg | Die Taten dieses Mannes sind unvorstellbar. So unvorstellbar, dass die Polizei Jahre braucht, um ihm auf die Schliche zu kommen. An der Oberfläche scheint Lutz Reinstrom ein netter Zeitgenosse zu sein - freundlich, höflich, ein gern gesehener Partygast, ist verheiratet. Tatsächlich aber ist der gelernte Kürschner einer der skrupellosesten Sadisten des Nordens.
Das erste Opfer
Das - polizeilich nachgewiesen - erste Mal schlägt er am 12. März 1986 zu. Sein Opfer: Hildegard K., 61, die Ehefrau seines früheren Lehrherren, dem Pelzhändler K. In Hamburg-Rahlstedt lockt der Kürschner die Ahnungslose in seinen privaten, unterirdischen Atombunker. Der Beginn eines einwöchigen, unvorstellbaren Martyriums.
Reinstrom fesselt die Frau, lässt sie hungern, malträtiert sie mit Schraubzwingen und quält sie sexuell. Zugleich nutzt er die Zeit, um aus dem Haus seiner Gefangenen 20.000 Deutsche Mark zu stehlen. Damit niemand Verdacht schöpft und womöglich nach Hildegard K. sucht, zwingt er diese, Briefe an ihre Angehörigen zu schreiben, die ihr Verschwinden erklären sollen.
Nach einer Woche erhängt Reinstrom Hildegard K. in seinem Bunker, zersägt ihre Leiche, versenkt sie in einem Säurefass. Das Fass vergräbt er anschließend in seinem Garten. Jahre später soll der Staatsanwalt im Prozess gegen Lutz Reinstrom über die Tat sagen: Er »lebte Machtgefühle aus in der Rolle des Sadisten und den Hass auf seinen Ex-Chef«.
Das zweite Opfer
Rund zweieinhalb Jahre später, am 5. Oktober 1988, schlägt der »Säurefassmörder«, wie die Presse Reinstrom später nennen wird, erneut zu. Diesmal trifft es Annegret B., eine 31-jährige Industriekauffrau, die er aus dem Schwimmverein kennt. Auch sie lockt er in sein Verlies, wo er die Wehrlose einen ganzen Monat lang ankettet, foltert, sexuell missbraucht, während er zugleich ihr Konto leer räumt.
Auch B. muss Briefe an ihre Angehörigen schreiben und ihnen erklären, sie habe sich entschieden fortan im Ausland zu leben, weil ihr das alte Leben nicht mehr genug geboten habe. B. jedoch gelingt es, Täterhinweise in ihren Briefen zu verstecken. Sie schreibt bestimmte Anfangsbuchstaben dicker; zusammengesetzt ergeben diese die Worte »Hilf« und »Lutz«. Doch der Polizei gelingt es erst Jahre später, diesen verzweifelten Hilferuf richtig zu deuten. Lutz Reinstrom ist zudem dazu übergegangen, die Qualen seines Opfers zu verewigen - auf Tonbändern und in Form von Polaroids vom rasierten Kopf und dem nackten, geschundenen Körper der jungen Frau. Er zwingt Annegret B. sogar - wissend, dass sie bald sterben muss - sich auf einer Tonbandaufnahme von ihrem Peiniger zu verabschieden und ihre Gefangenschaft zu beschreiben.
Nach vier Wochen hat Lutz Reinstrom dann genug: Er tötet Annegret B., zerstückelt ihren Körper, versenkt ihn in einem weiteren Säurefass und vergräbt dieses im Garten seines Ferienhauses in Basedow bei Lauenburg.
Das dritte Opfer
Drei Jahre scheint Ruhe zu sein. Dann schlägt Lutz Reinstrom erneut zu. Diesmal trifft es Christa S., 53, die neue Lebensgefährtin seines früheren Lehrherren. Der Pelzhändler hatte sie kennengelernt, nachdem seine Frau, Hildegard K. spurlos verschwunden war. Am 6. September 1991 überwältigt er sie mit einem Elektroschocker in ihrem Auto. Er verschleppt sie in seinen Bunker nach Rahlstedt. Reinstrom hat es diesmal auf ein Lösegeld von 300.000 Mark abgesehen, das er von seinem ehemaligen Chef erpressen will. Um S. gefügig zu machen, droht er ihr, sie umzubringen, zu zerstückeln und in einem Säurefass verschwinden zu lassen. Zugleich zeigt er der mit Handschellen an ein eisernes Bettgestellt geketteten Frau sexuell-perverse Folterfotos von Annegret B.
Nach einer Woche wartet Reinstrom noch immer vergebens auf sein Lösegeld. Doch dann kommt die Ehefrau des Sadisten vorzeitig aus dem Urlaub zurück. Reinstrom droht aufzufliegen. Überstürzt bricht er ab, schafft Christa S. nach sieben Tagen Kerker nach Hamburg-Langenhorn und lässt die traumatisierte Frau dort vor einem Polizeirevier frei.
Ein erster Prozess mit mildem Urteil
Vier Tage braucht die Polizei, um Lutz Reinstrom auf die Spur zu kommen. Ein halbes Jahr später, am 26. Mai 1992, wird ihm der Prozess gemacht - allerdings nur für die Entführung von Christa S. Das Urteil lautet auf drei Jahre Haft wegen erpresserischen Menschenraubes. Reinstrom sei ansonst nichts vorzuwerfen, befindet das Gericht. Er habe bis dato einen lupenreinen Lebenswandel geführt, sei weder straffällig geworden noch sonst unangenehm aufgefallen.
Eine Polizistin deckt auf
Die Aussagen von Christa S. scheinen dem Gericht zu wirr gewesen zu sein. Eine aber glaubt ihr - und sie bleibt am Ball: Die Kriminalbeamtin Marianne Atzeroth-Freier hatte S. nach ihrer Aussage auf dem Polizeirevier am 13. September 1991 nach Hause gefahren. Auch ihr berichtete S. von dem Bunker, in dem sie gefangen gehalten wurde, von Sadomaso-Fotos, die der Täter ihr gezeigt habe, von Astrologie und der spanischen Mafia, von der er gesprochen habe. All das erscheint wirr, doch Atzeroth-Freier nimmt die traumatisierte Frau ernst, fertigt im Anschluss ein Gedächtnisprotokoll an.
Im Prozess gegen Reinstrom tritt sie als Zeugin auf. Sie erregt mit ihren Aussagen die Aufmerksamkeit der Mutter von Annegret B., die dem Prozess beiwohnt. In einer Pause erzählt diese der Kriminalbeamtin vom Verschwinden ihrer Tochter. Atzeroth-Freier nimmt die Spur auf. Nach einer hartnäckigen Ermittlungsarbeit gelingt es der Beamtin schließlich, den Chef der Mordkommission dazu zu bewegen, der Sache ernsthaft auf den Grund zu gehen.
Die Soko 924 wird gebildet. »Das erste handfeste Beweismittel bot der Umstand, dass wir nachweisen konnten, dass Reinstrom das Auto eines der Opfer verkauft hatte«, erinnert sich Andreas Lohmeyer, heute Kriminaldirektor. Dann der Durchbruch: Auf Rein stroms Grundstück in Rahlstedt finden die Ermittler ein vergrabenes Säurefass mit den sterblichen Überresten von Hildegard K. Ein weiteres Fass graben sie auf dem Grundstück seines Sommerhauses in Basedow aus. Es enthält nur noch wenige, nicht aufgelöste Knochen von Annegret B.
1996 - zehn Jahre nach seiner ersten Tat - fällt ein zweites Gericht sein Urteil über Lutz Reinstrom: Lebenslange Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung. Die Richter sind sich zudem sicher, dass Lutz Reinstrom weitere Frauen gequält und getötet habe.
– Quelle: https://www.shz.de/275535 ©2019