Andreas schrieb am 18.6. 2001 um 10:32:37 Uhr zu
Bewertung: 5 Punkt(e)
"William schrieb am 29.4.01:
Stellen Sie sich vor: Russlanddeutsche Mutter kann nicht auf ihrer Muttersprache mit eigenem Kind sprechen.
Frage: Welche Sprache spricht Mutter? Welche Sprache spricht Kind?"
Eine sehr gute Quiz-Frage, die nicht als Quiz-Frage beantwortet werden kann. Sie mutet mir etwas filisterhaftes und beschrenktes an. Was meine ich damit? Es gibt Menschen, die wir als Weltbürger und intelligente Menschen bezeichnen können, derer Vernunft aber in der Frage über die Russlnaddeutsche versagt: »Soweit können wir doch nicht gehen, das wäre doch absurd, diese 'Überläufer' in unserem Land zu akzeptieren«. Bravo! Bravissimo!
Und jetzt hören Sie bitte genau zu, Sie - salonfähige Weltbürger mit filisterhaften Zügen des vergangenen und doch allgegenwärtigen Spitzbürgertums(ich versuche nicht ganz schroff zu sein).
Die Russlanddeutschen haben ihre spezifische Geschichte wie jeder Mensch. Ihr Vorteil, wage ich es hier zu sagen, liegt im Unterschied zu den Deutschen, die hier geboren sind, dass sie in einer anderen Kultur als ihre ursprüngliche aufgewachsen sind und dadurch als bikulturell gelten können. Sie haben sich nicht einfach gemacht, indem sie aus Deutschland ausgewandert sind, und da ist der erste Punkt: Weil in Deutschland ziemlich schlecht mit der Erinnerungskultur steht, werden die Russlanddeutsche im Hinterbewußtsein, das heisst an der Grenze des Bewußten und Unbewußten, eines mittelstatistischen deutschen Bürgers mit den Krigsverweigerern sprich Deserteuren gleichgesetzt. Ein Schandefleck auf dem sauberen Mantel der deutschen Iustitia, dass die deutschen Deserteure, die einzigen konsequenten Verweigerer des Verbrecherregimes waren und dem Hitlerskrieg eindeutiges mutiges »Nein« gesagt hatten, offiziell bis heute nicht rehabilitiert sind! Hitler hat doch gesagt: »Ein Soldat kann sterben, ein Deserteur muß sterben« (ohne dabei eine Werbung für diesen politischen und menschlichen Schurken zu machen). Diese Scheinmoral lebt aber im Bewußtsein vieler Deutschen weiter. Und so laufen die Russlanddeutsche herum, ohne dabei rehabilitiert zu sein. In unserem Fall aber nicht von der deutschen Justiz sondern im Bewußtsein eines deutschen Bürgers: »Sie haben unsere Heimat verlassen, dann sollen sie in ihrer neuen Heimat auch bleiben!« - sagt er nicht ohne guter Portion Sarkasmus. Eine billige Logik. Der Mensch kann dort leben, wo er möchte und kann, und so lange die offizielle Version des Deutschseins auf dem Blut- und leider nicht auf dem Rechtsprinzip fußt, werden die Russlanddeutschen ihr Recht benutzen, in ihre historische Heimat zurückzukehren.
Ja sie haben in Russland ihre neue Heimat gefunden, die ihnen mit der Zeit auch teuer und lieb war, und hier ist nichts verwerfliches. Nur allzuoft habe ich bei den Wiedergekehrten eine Tendenz bemerkt, vor unseren Bundesgenossen geistig zu kapitulieren und anzufangen, ihre Heimat (Rußland, im Unterschied zu ihrer historischen Heimat oder dem Vaterland, wenn sie wollen, Deutschland) zu verleumden: »Die Russen, diese Dreckshunde, - sagen sie - sie haben unser Leben kaputt gemacht. Jetzt sind wir endlich, Gott sein Dank, in unsere alte Heimat zurückgehert«. Armselige Menschen. Mein Beileid. Wenn ich Deutschland liebe, heisst das noch lange nicht, dass ich Rußland verleumden und hassen muß.
Also, zu unseren Schafen. Über die Mutter und Kind werde ich so sagen. Sie können beiderlei sprechen, es kommt darauf an, in welcher kultureller und sprachlicher Umgebung sie sich gerade befinden (wegen der Platzmangel wird hier über historische Hintergründe nicht gesprochen). In Russland könnte die Mutter in den ländlichen Gegenden auf ihre Frage in deutscher Sprache von ihrem Kind durchaus eine Antwort auf Russisch bekommen. Es gab eben in Rußland, besonders seit den 1970er Jahren, genau gesagt nach dem letzten Vaterländischen Krieg, ein sehr starkter Trend unter den jungen Deutschen Russisch zu sprechen (bedingt durch die Sprach- und Kulturpolitik des sowjetischen Staates). Dadurch entstand diese Sprachsituation. Nun damalige Kinder sind jetzt Mütter und Väter geworden und in Deutschland angekemmoen, sprechen sie mit ihren Kindern Russisch. Das ist aber, sehr vereehrte bundesdeutsche FilisterInen, auch nicht schlimm. Die Menschen haben das Recht die Sprache zu sprechen, in der sie sich gerade wohlfühlen. Das bereichert nur unsere bunte (mit deutschen Dialekten und anderen europäischen Sprachen geschmückte) linguistische Umgebung. Wenn sie so wollen, das ist eine zusätzliche Art der Bewußtseinserweiterung, noch eine andere Sprache als Muttersprache zu beherrschen. Andersrum, diese Andersartigkeit der Rußlanddeutschen ist eine Bereicherung für für unsere Kulturlandschaft und dient unserer stärkeren Profilierung als »richtige« Deutsche. Es lebe das deutsche Weltbürgertum, es lebe die Toleranz und nicht zuletzt unser kulturelles Kunter-bund.
Mit lieben Grüßen
Andreas
Gerhard Walter schrieb am 15.12. 2006 um 16:36:27 Uhr zu
Bewertung: 1 Punkt(e)
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Warum wir Russlanddeutsche nach 200 Jahren immer noch Deut-sche sind.
Unter der deutschen Bevölkerung herrscht mehr noch als vor 10 Jahren die Meinung vor, die Aussiedler, die jetzt kommen, sind doch keine Deutsche mehr nach so langer Zeit, nach über 200 Jahren. Gemessen an den vielen Millionen Auswanderern nach Amerika könnte dies stim-men. Diese waren gezwungen, sich so schnell wie möglich anzupassen, um überhaupt ein menschenwürdiges Dasein fristen zu können.
Die Auswanderer, die nach Russland Mitte des achtzehnten Jahrhunderts und in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts ausgewandert waren, fanden ganz andere Verhältnisse vor. Während die Auswanderer nach Amerika auf eigene Faust in eine ungewisse Zukunft sich begaben, konnten die nach Russland in ziemlich geordneten Bahnen auswandern.
Im Jahre 1862 erließ die Zarin Katharina I. ein Manifest, um ausländische Siedler ins Land zu locken. Sie sollten das neueroberte Land an der Wolga urbar machen und gleichzeitig als Bollwerk gegen die eingesessenen Nomadenvölker dienen. Es kamen etwa 27 000 Menschen, die ihre eigenen Dörfer, ca. 100 an der Zahl, gründen durften. Ihnen waren Tagegelder wäh-rend der Reise, 30 Hektar Land, Freistellung vom Militärdienst, Steuerfreiheit für 10 Jahre und noch manche Privilegien mehr in den Werbeschriften versprochen worden. Diese Ver-sprechen wurden auch eingehalten und so entwickelte sich hier an der Wolga in den folgenden Jahrzehnten ein gegenüber der russischen Bevölkerung bemerkenswerter Wohlstand.
Der Enkel Katharinas der Großen, wie sie später genannt wurde, Zar Alexander I., wiederholte die Tat seiner Großmutter und rief in einem Manifest mit ähnlichen Versprechungen wieder-um ausländische Siedler in das Gebiet der heutigen Ukraine, das zwei Jahrzehnte zuvor von den Türken zurückerobert worden war(?) Über 50 000 Menschen nahmen die Strapazen der 2 000 km langen Reise auf sich und wurden auch hier in geschlossenen Dörfern angesie-delt.
Die Betonung liegt auf „geschlossene Dörfer“, denn sie waren ins Land gerufen worden, um es zu besiedeln, zu bebauen und der einheimischen Bevölkerung beispielgebend in der Land-wirtschaft zu sein.
Das Letztere war kein großer Erfolg. Nur wenige Dörfer in der näheren Umgebung der deut-schen Kolonien, wie die Dörfer der Deutschen genannt wurden, profitierten von ihren neuen Nachbarn. Die deutschen Kolonien jedoch gediehen auch hier und brachten es im Laufe der Jahrzehnte zu beträchtlichem Wohlstand.
Dieser Wohlstand kam nicht von ungefähr. Es war nicht nur der sprichwörtliche deutsche Fleiß oder die viel besungene Lieber zur „Scholle“, sondern vor allem die von der russischen Regierung erlaubte Selbstverwaltung der deutschen Einwanderer. Hierfür wurde ein eigenes Verwaltungsamt eingerichtet, Fürsorgekomitee genannt. Geleitet wurde es von einem soge-nannten Oberrichter und überwacht von der russischen Regierung in Form eines Inspektors. Hier wurden strenge Gesetze und Verhaltensnormen erlassen und deren Einhaltung ebenso streng überwacht. Jede Kolonie hatte ihre eigene Schule, deutsch war Unterrichtssprache und imposante Kirchen wurden gebaut.
Die ersten zwanzig Jahre nach der Einwanderung waren für die Ansiedler äußerst hart. Die Gewöhnung an das neue Klima, Missernten, Heuschreckenplage über mehrere Jahre hinweg, Viehseuchen usw. erschwerten ihr Fortkommen.
Doch die dritte Generation war schon so wohlhabend, dass die deutschen Bauern in ganz Russland Land aufkaufen und Tochterkolonien gründen konnten, denn ihre reiche Kinder-schar, 10 Kinder in einer Familie waren keine Seltenheit, musste später mit Land versorgt werden. Das ihnen zugeteilte Land durfte nicht verkauft werden und auch nicht geteilt. Es war Gemeindebesitz und so wurde eine fortwährende Erbaufteilung wie in Deutschland vermie-den.
Mit der Gründung des Deutschen Reiches im Jahre 1871 kamen deutschfeindliche Ressenti-ments auf, in der Presse wurde gegen die deutschen Kolonisten gehetzt und alle Privilegien wurden zurückgenommen, an den Schulen russisch als Unterrichtssprache eingeführt.
Dies war bereits der Anfang vom späteren Ende. Der Zusammenhalt in den Kolonien wurde dadurch jedoch nicht grundlegend gestört. Die deutsche Sprache und die von den Vätern ü-bernommenen deutschen Sitten und Gebräuche wurden weiterhin gepflegt, dabei muß betont werden, dass diese deutschen Kolonien keinerlei Unterstützung aus dem Reich erhielten, wie die Presse behauptete. Sie waren einfach „vergessen“ worden. Und nicht zu vergessen ist die Tatsache, dass im Zuge dieser Entwicklung, die eine reine Neidkampagne war, einige Zehn-tausend Russlanddeutsche nach USA und Kanada auswanderten.
Zu Beginn des Ersten Weltkrieges existierten in Russland über 2 000 Tochterkolonien mit zusammen über 2 Millionen Einwohnern und der Landbesitz war mit 7,5 Millionen Hektar so groß wie das gesamte landwirtschaftlich genutzte Land im alten Deutschen Reich.
Die Revolution in Russland löschte diese Idylle restlos aus. Die. Soldaten der deutschen Trup-pen, die 1918 von der ukrainischen Regierung ins Land gerufen worden waren, staunten nicht wenig, als sie mitten in der ukrainischen Steppe geordnete, saubere, an die Heimat erinnernde Dörfer mit deutsch sprechenden Bewohnern vorfanden. In vielen Briefen und in Büchern kommt dies zum Ausdruck. Ein Beispiel: Unser Großvater war Schulz (Bürgermeister) in solch einem Dorf. Bei dem Einmarsch einer Abteilung dieser deutschen Armee, die in die Krim und den Kaukasus vorgedrungen war, waren alle Dorfbewohner am Ortseingang ver-sammelt, eine von Großvaters Nichten musste zur Begrüßung ein Gedicht aufsagen und dem Offizier Blumen überreichen. Dieser fragte: „Was ist denn dies für eine Sprache, die das Kind spricht?“ Großvater antwortete: „Das ist Schwäbisch, Herr Major!“
Räuberbanden überfielen nach dem Abzug der deutschen Truppen vorwiegend die deutschen Dörfer, weil da am meisten zu holen war. Doch allmählich stabilisierte sich das Leben unter den Kommunisten, nur auf eine neue Art. Hungersnöte gab es auf einmal wie noch nie vorher. Ein paar Jahre wurden die Deutschen in Ruhe gelassen, doch etwa 1929 begann die „Entkula-kisierung“. Jeder Bauer, der jemals einen oder mehrere Menschen beschäftigt hatte und der mehr als eine Kuh besaß, wurde zum Großbauern erklärt, sein Eigentum weggenommen.. Vie-le dieser Bauern wurden verhaftet, ihre Familien vom Hof vertrieben und ihrem Schicksal überlassen.
Mit dem Aufkommen der Nazis in Deutschland wurden die Repressalien gegen die deutschen Einwohner der Sowjetunion verstärkt, das Jahr 1937 wurde zum Jahr der Massenverhaftun-gen. Von der Gesamtbevölkerung wurden Hunderttausende, darunter überdurchschnittlich viele Deutsche unter den fadenscheinigsten Gründen verhaftet und in die ersten Lager des später so genannten Gulag verschickt.
Nach dem Einfall der Deutschen in die Sowjetunion gipfelten die Repressalien gegen die Deutschen in der totalen Verschickung aller Deutschen nach Sibirien, Kasachstan und Usbe-kistan. Wieder wurden die Männer von den Familien getrennt und mussten zur so genannten Trudarmee, sie kamen in nichts anderes als in Arbeitslager, vergleichbar mit den KZ’s. der Nazis. Großmütter und Mütter, später auch die in den sechziger Jahre zurückgekehrten Väter sorgten innerhalb der Familie für den Erhalt der deutschen Sprache, nur, es war gefährlich, auf der Straße deutsch zu sprechen. Bis in die jüngste Zeit gab es noch Vorbehalte gegen alles, was deutsch ist und die Deutschen wurden als Faschisten beschimpft. Bei solchen erniedri-genden neben den ebenso schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen verwundert es nicht, dass der inzwischen wieder auf über 2 Millionen Personen angewachsene Bevölkerungsanteil der Deutschen in Russland die Gelegenheit ergriff und zum größten Teil das Land als anerkannte Deutsche in Richtung alte Heimat ihrer Vorväter zurückkam. Daran ändert auch nichts die Tatsache, dass viele russische Ehepartner mitkamen und kommen, von denen man erwarten kann, dass sie sich mit Erlernung der deutschen Sprache besser in ihrer neuen Heimat integrie-ren werden.
Im „Unterhaltungsblatt für deutsche Ansiedler in Südlichen Russland“, einer monatlich er-schienen deutschsprachigen Zeitung während der Jahre 1846-1862 findet sich ein Gedicht (1848), dessen letzte Strophe lautet und noch heute gilt:
Rein, ja rein
Muß die Landessprache sein.
Halte nicht die Landessprache
Für geringe Nebensache.
Fleißig lernen mußt du sie
Musst sie rein und richtig sprechen,
Sprechen und nicht radebrechen
Sonst versteht man dich ja nie.
Gerhard Walter
Historischer Forschungsverein der Deutschen aus Russland e. V.
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Warum wir Russlanddeutsche nach 200 Jahren immer noch Deut-sche sind.
Unter der deutschen Bevölkerung herrscht mehr noch als vor 10 Jahren die Meinung vor, die Aussiedler, die jetzt kommen, sind doch keine Deutsche mehr nach so langer Zeit, nach über 200 Jahren. Gemessen an den vielen Millionen Auswanderern nach Amerika könnte dies stim-men. Diese waren gezwungen, sich so schnell wie möglich anzupassen, um überhaupt ein menschenwürdiges Dasein fristen zu können.
Die Auswanderer, die nach Russland Mitte des achtzehnten Jahrhunderts und in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts ausgewandert waren, fanden ganz andere Verhältnisse vor. Während die Auswanderer nach Amerika auf eigene Faust in eine ungewisse Zukunft sich begaben, konnten die nach Russland in ziemlich geordneten Bahnen auswandern.
Im Jahre 1862 erließ die Zarin Katharina I. ein Manifest, um ausländische Siedler ins Land zu locken. Sie sollten das neueroberte Land an der Wolga urbar machen und gleichzeitig als Bollwerk gegen die eingesessenen Nomadenvölker dienen. Es kamen etwa 27 000 Menschen, die ihre eigenen Dörfer, ca. 100 an der Zahl, gründen durften. Ihnen waren Tagegelder wäh-rend der Reise, 30 Hektar Land, Freistellung vom Militärdienst, Steuerfreiheit für 10 Jahre und noch manche Privilegien mehr in den Werbeschriften versprochen worden. Diese Ver-sprechen wurden auch eingehalten und so entwickelte sich hier an der Wolga in den folgenden Jahrzehnten ein gegenüber der russischen Bevölkerung bemerkenswerter Wohlstand.
Der Enkel Katharinas der Großen, wie sie später genannt wurde, Zar Alexander I., wiederholte die Tat seiner Großmutter und rief in einem Manifest mit ähnlichen Versprechungen wieder-um ausländische Siedler in das Gebiet der heutigen Ukraine, das zwei Jahrzehnte zuvor von den Türken zurückerobert worden war(?) Über 50 000 Menschen nahmen die Strapazen der 2 000 km langen Reise auf sich und wurden auch hier in geschlossenen Dörfern angesie-delt.
Die Betonung liegt auf „geschlossene Dörfer“, denn sie waren ins Land gerufen worden, um es zu besiedeln, zu bebauen und der einheimischen Bevölkerung beispielgebend in der Land-wirtschaft zu sein.
Das Letztere war kein großer Erfolg. Nur wenige Dörfer in der näheren Umgebung der deut-schen Kolonien, wie die Dörfer der Deutschen genannt wurden, profitierten von ihren neuen Nachbarn. Die deutschen Kolonien jedoch gediehen auch hier und brachten es im Laufe der Jahrzehnte zu beträchtlichem Wohlstand.
Dieser Wohlstand kam nicht von ungefähr. Es war nicht nur der sprichwörtliche deutsche Fleiß oder die viel besungene Lieber zur „Scholle“, sondern vor allem die von der russischen Regierung erlaubte Selbstverwaltung der deutschen Einwanderer. Hierfür wurde ein eigenes Verwaltungsamt eingerichtet, Fürsorgekomitee genannt. Geleitet wurde es von einem soge-nannten Oberrichter und überwacht von der russischen Regierung in Form eines Inspektors. Hier wurden strenge Gesetze und Verhaltensnormen erlassen und deren Einhaltung ebenso streng überwacht. Jede Kolonie hatte ihre eigene Schule, deutsch war Unterrichtssprache und imposante Kirchen wurden gebaut.
Die ersten zwanzig Jahre nach der Einwanderung waren für die Ansiedler äußerst hart. Die Gewöhnung an das neue Klima, Missernten, Heuschreckenplage über mehrere Jahre hinweg, Viehseuchen usw. erschwerten ihr Fortkommen.
Doch die dritte Generation war schon so wohlhabend, dass die deutschen Bauern in ganz Russland Land aufkaufen und Tochterkolonien gründen konnten, denn ihre reiche Kinder-schar, 10 Kinder in einer Familie waren keine Seltenheit, musste später mit Land versorgt werden. Das ihnen zugeteilte Land durfte nicht verkauft werden und auch nicht geteilt. Es war Gemeindebesitz und so wurde eine fortwährende Erbaufteilung wie in Deutschland vermie-den.
Mit der Gründung des Deutschen Reiches im Jahre 1871 kamen deutschfeindliche Ressenti-ments auf, in der Presse wurde gegen die deutschen Kolonisten gehetzt und alle Privilegien wurden zurückgenommen, an den Schulen russisch als Unterrichtssprache eingeführt.
Dies war bereits der Anfang vom späteren Ende. Der Zusammenhalt in den Kolonien wurde dadurch jedoch nicht grundlegend gestört. Die deutsche Sprache und die von den Vätern ü-bernommenen deutschen Sitten und Gebräuche wurden weiterhin gepflegt, dabei muß betont werden, dass diese deutschen Kolonien keinerlei Unterstützung aus dem Reich erhielten, wie die Presse behauptete. Sie waren einfach „vergessen“ worden. Und nicht zu vergessen ist die Tatsache, dass im Zuge dieser Entwicklung, die eine reine Neidkampagne war, einige Zehn-tausend Russlanddeutsche nach USA und Kanada auswanderten.
Zu Beginn des Ersten Weltkrieges existierten in Russland über 2 000 Tochterkolonien mit zusammen über 2 Millionen Einwohnern und der Landbesitz war mit 7,5 Millionen Hektar so groß wie das gesamte landwirtschaftlich genutzte Land im alten Deutschen Reich.
Die Revolution in Russland löschte diese Idylle restlos aus. Die. Soldaten der deutschen Trup-pen, die 1918 von der ukrainischen Regierung ins Land gerufen worden waren, staunten nicht wenig, als sie mitten in der ukrainischen Steppe geordnete, saubere, an die Heimat erinnernde Dörfer mit deutsch sprechenden Bewohnern vorfanden. In vielen Briefen und in Büchern kommt dies zum Ausdruck. Ein Beispiel: Unser Großvater war Schulz (Bürgermeister) in solch einem Dorf. Bei dem Einmarsch einer Abteilung dieser deutschen Armee, die in die Krim und den Kaukasus vorgedrungen war, waren alle Dorfbewohner am Ortseingang ver-sammelt, eine von Großvaters Nichten musste zur Begrüßung ein Gedicht aufsagen und dem Offizier Blumen überreichen. Dieser fragte: „Was ist denn dies für eine Sprache, die das Kind spricht?“ Großvater antwortete: „Das ist Schwäbisch, Herr Major!“
Räuberbanden überfielen nach dem Abzug der deutschen Truppen vorwiegend die deutschen Dörfer, weil da am meisten zu holen war. Doch allmählich stabilisierte sich das Leben unter den Kommunisten, nur auf eine neue Art. Hungersnöte gab es auf einmal wie noch nie vorher. Ein paar Jahre wurden die Deutschen in Ruhe gelassen, doch etwa 1929 begann die „Entkula-kisierung“. Jeder Bauer, der jemals einen oder mehrere Menschen beschäftigt hatte und der mehr als eine Kuh besaß, wurde zum Großbauern erklärt, sein Eigentum weggenommen.. Vie-le dieser Bauern wurden verhaftet, ihre Familien vom Hof vertrieben und ihrem Schicksal überlassen.
Mit dem Aufkommen der Nazis in Deutschland wurden die Repressalien gegen die deutschen Einwohner der Sowjetunion verstärkt, das Jahr 1937 wurde zum Jahr der Massenverhaftun-gen. Von der Gesamtbevölkerung wurden Hunderttausende, darunter überdurchschnittlich viele Deutsche unter den fadenscheinigsten Gründen verhaftet und in die ersten Lager des später so genannten Gulag verschickt.
Nach dem Einfall der Deutschen in die Sowjetunion gipfelten die Repressalien gegen die Deutschen in der totalen Verschickung aller Deutschen nach Sibirien, Kasachstan und Usbe-kistan. Wieder wurden die Männer von den Familien getrennt und mussten zur so genannten Trudarmee, sie kamen in nichts anderes als in Arbeitslager, vergleichbar mit den KZ’s. der Nazis. Großmütter und Mütter, später auch die in den sechziger Jahre zurückgekehrten Väter sorgten innerhalb der Familie für den Erhalt der deutschen Sprache, nur, es war gefährlich, auf der Straße deutsch zu sprechen. Bis in die jüngste Zeit gab es noch Vorbehalte gegen alles, was deutsch ist und die Deutschen wurden als Faschisten beschimpft. Bei solchen erniedri-genden neben den ebenso schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen verwundert es nicht, dass der inzwischen wieder auf über 2 Millionen Personen angewachsene Bevölkerungsanteil der Deutschen in Russland die Gelegenheit ergriff und zum größten Teil das Land als anerkannte Deutsche in Richtung alte Heimat ihrer Vorväter zurückkam. Daran ändert auch nichts die Tatsache, dass viele russische Ehepartner mitkamen und kommen, von denen man erwarten kann, dass sie sich mit Erlernung der deutschen Sprache besser in ihrer neuen Heimat integrie-ren werden.
Im „Unterhaltungsblatt für deutsche Ansiedler in Südlichen Russland“, einer monatlich er-schienen deutschsprachigen Zeitung während der Jahre 1846-1862 findet sich ein Gedicht (1848), dessen letzte Strophe lautet und noch heute gilt:
Rein, ja rein
Muß die Landessprache sein.
Halte nicht die Landessprache
Für geringe Nebensache.
Fleißig lernen mußt du sie
Musst sie rein und richtig sprechen,
Sprechen und nicht radebrechen
Sonst versteht man dich ja nie.
Gerhard Walter
Historischer Forschungsverein der Deutschen aus Russland e. V.
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Warum wir Russlanddeutsche nach 200 Jahren immer noch Deut-sche sind.
Unter der deutschen Bevölkerung herrscht mehr noch als vor 10 Jahren die Meinung vor, die Aussiedler, die jetzt kommen, sind doch keine Deutsche mehr nach so langer Zeit, nach über 200 Jahren. Gemessen an den vielen Millionen Auswanderern nach Amerika könnte dies stim-men. Diese waren gezwungen, sich so schnell wie möglich anzupassen, um überhaupt ein menschenwürdiges Dasein fristen zu können.
Die Auswanderer, die nach Russland Mitte des achtzehnten Jahrhunderts und in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts ausgewandert waren, fanden ganz andere Verhältnisse vor. Während die Auswanderer nach Amerika auf eigene Faust in eine ungewisse Zukunft sich begaben, konnten die nach Russland in ziemlich geordneten Bahnen auswandern.
Im Jahre 1862 erließ die Zarin Katharina I. ein Manifest, um ausländische Siedler ins Land zu locken. Sie sollten das neueroberte Land an der Wolga urbar machen und gleichzeitig als Bollwerk gegen die eingesessenen Nomadenvölker dienen. Es kamen etwa 27 000 Menschen, die ihre eigenen Dörfer, ca. 100 an der Zahl, gründen durften. Ihnen waren Tagegelder wäh-rend der Reise, 30 Hektar Land, Freistellung vom Militärdienst, Steuerfreiheit für 10 Jahre und noch manche Privilegien mehr in den Werbeschriften versprochen worden. Diese Ver-sprechen wurden auch eingehalten und so entwickelte sich hier an der Wolga in den folgenden Jahrzehnten ein gegenüber der russischen Bevölkerung bemerkenswerter Wohlstand.
Der Enkel Katharinas der Großen, wie sie später genannt wurde, Zar Alexander I., wiederholte die Tat seiner Großmutter und rief in einem Manifest mit ähnlichen Versprechungen wieder-um ausländische Siedler in das Gebiet der heutigen Ukraine, das zwei Jahrzehnte zuvor von den Türken zurückerobert worden war(?) Über 50 000 Menschen nahmen die Strapazen der 2 000 km langen Reise auf sich und wurden auch hier in geschlossenen Dörfern angesie-delt.
Die Betonung liegt auf „geschlossene Dörfer“, denn sie waren ins Land gerufen worden, um es zu besiedeln, zu bebauen und der einheimischen Bevölkerung beispielgebend in der Land-wirtschaft zu sein.
Das Letztere war kein großer Erfolg. Nur wenige Dörfer in der näheren Umgebung der deut-schen Kolonien, wie die Dörfer der Deutschen genannt wurden, profitierten von ihren neuen Nachbarn. Die deutschen Kolonien jedoch gediehen auch hier und brachten es im Laufe der Jahrzehnte zu beträchtlichem Wohlstand.
Dieser Wohlstand kam nicht von ungefähr. Es war nicht nur der sprichwörtliche deutsche Fleiß oder die viel besungene Lieber zur „Scholle“, sondern vor allem die von der russischen Regierung erlaubte Selbstverwaltung der deutschen Einwanderer. Hierfür wurde ein eigenes Verwaltungsamt eingerichtet, Fürsorgekomitee genannt. Geleitet wurde es von einem soge-nannten Oberrichter und überwacht von der russischen Regierung in Form eines Inspektors. Hier wurden strenge Gesetze und Verhaltensnormen erlassen und deren Einhaltung ebenso streng überwacht. Jede Kolonie hatte ihre eigene Schule, deutsch war Unterrichtssprache und imposante Kirchen wurden gebaut.
Die ersten zwanzig Jahre nach der Einwanderung waren für die Ansiedler äußerst hart. Die Gewöhnung an das neue Klima, Missernten, Heuschreckenplage über mehrere Jahre hinweg, Viehseuchen usw. erschwerten ihr Fortkommen.
Doch die dritte Generation war schon so wohlhabend, dass die deutschen Bauern in ganz Russland Land aufkaufen und Tochterkolonien gründen konnten, denn ihre reiche Kinder-schar, 10 Kinder in einer Familie waren keine Seltenheit, musste später mit Land versorgt werden. Das ihnen zugeteilte Land durfte nicht verkauft werden und auch nicht geteilt. Es war Gemeindebesitz und so wurde eine fortwährende Erbaufteilung wie in Deutschland vermie-den.
Mit der Gründung des Deutschen Reiches im Jahre 1871 kamen deutschfeindliche Ressenti-ments auf, in der Presse wurde gegen die deutschen Kolonisten gehetzt und alle Privilegien wurden zurückgenommen, an den Schulen russisch als Unterrichtssprache eingeführt.
Dies war bereits der Anfang vom späteren Ende. Der Zusammenhalt in den Kolonien wurde dadurch jedoch nicht grundlegend gestört. Die deutsche Sprache und die von den Vätern ü-bernommenen deutschen Sitten und Gebräuche wurden weiterhin gepflegt, dabei muß betont werden, dass diese deutschen Kolonien keinerlei Unterstützung aus dem Reich erhielten, wie die Presse behauptete. Sie waren einfach „vergessen“ worden. Und nicht zu vergessen ist die Tatsache, dass im Zuge dieser Entwicklung, die eine reine Neidkampagne war, einige Zehn-tausend Russlanddeutsche nach USA und Kanada auswanderten.
Zu Beginn des Ersten Weltkrieges existierten in Russland über 2 000 Tochterkolonien mit zusammen über 2 Millionen Einwohnern und der Landbesitz war mit 7,5 Millionen Hektar so groß wie das gesamte landwirtschaftlich genutzte Land im alten Deutschen Reich.
Die Revolution in Russland löschte diese Idylle restlos aus. Die. Soldaten der deutschen Trup-pen, die 1918 von der ukrainischen Regierung ins Land gerufen worden waren, staunten nicht wenig, als sie mitten in der ukrainischen Steppe geordnete, saubere, an die Heimat erinnernde Dörfer mit deutsch sprechenden Bewohnern vorfanden. In vielen Briefen und in Büchern kommt dies zum Ausdruck. Ein Beispiel: Unser Großvater war Schulz (Bürgermeister) in solch einem Dorf. Bei dem Einmarsch einer Abteilung dieser deutschen Armee, die in die Krim und den Kaukasus vorgedrungen war, waren alle Dorfbewohner am Ortseingang ver-sammelt, eine von Großvaters Nichten musste zur Begrüßung ein Gedicht aufsagen und dem Offizier Blumen überreichen. Dieser fragte: „Was ist denn dies für eine Sprache, die das Kind spricht?“ Großvater antwortete: „Das ist Schwäbisch, Herr Major!“
Räuberbanden überfielen nach dem Abzug der deutschen Truppen vorwiegend die deutschen Dörfer, weil da am meisten zu holen war. Doch allmählich stabilisierte sich das Leben unter den Kommunisten, nur auf eine neue Art. Hungersnöte gab es auf einmal wie noch nie vorher. Ein paar Jahre wurden die Deutschen in Ruhe gelassen, doch etwa 1929 begann die „Entkula-kisierung“. Jeder Bauer, der jemals einen oder mehrere Menschen beschäftigt hatte und der mehr als eine Kuh besaß, wurde zum Großbauern erklärt, sein Eigentum weggenommen.. Vie-le dieser Bauern wurden verhaftet, ihre Familien vom Hof vertrieben und ihrem Schicksal überlassen.
Mit dem Aufkommen der Nazis in Deutschland wurden die Repressalien gegen die deutschen Einwohner der Sowjetunion verstärkt, das Jahr 1937 wurde zum Jahr der Massenverhaftun-gen. Von der Gesamtbevölkerung wurden Hunderttausende, darunter überdurchschnittlich viele Deutsche unter den fadenscheinigsten Gründen verhaftet und in die ersten Lager des später so genannten Gulag verschickt.
Nach dem Einfall der Deutschen in die Sowjetunion gipfelten die Repressalien gegen die Deutschen in der totalen Verschickung aller Deutschen nach Sibirien, Kasachstan und Usbe-kistan. Wieder wurden die Männer von den Familien getrennt und mussten zur so genannten Trudarmee, sie kamen in nichts anderes als in Arbeitslager, vergleichbar mit den KZ’s. der Nazis. Großmütter und Mütter, später auch die in den sechziger Jahre zurückgekehrten Väter sorgten innerhalb der Familie für den Erhalt der deutschen Sprache, nur, es war gefährlich, auf der Straße deutsch zu sprechen. Bis in die jüngste Zeit gab es noch Vorbehalte gegen alles, was deutsch ist und die Deutschen wurden als Faschisten beschimpft. Bei solchen erniedri-genden neben den ebenso schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen verwundert es nicht, dass der inzwischen wieder auf über 2 Millionen Personen angewachsene Bevölkerungsanteil der Deutschen in Russland die Gelegenheit ergriff und zum größten Teil das Land als anerkannte Deutsche in Richtung alte Heimat ihrer Vorväter zurückkam. Daran ändert auch nichts die Tatsache, dass viele russische Ehepartner mitkamen und kommen, von denen man erwarten kann, dass sie sich mit Erlernung der deutschen Sprache besser in ihrer neuen Heimat integrie-ren werden.
Im „Unterhaltungsblatt für deutsche Ansiedler in Südlichen Russland“, einer monatlich er-schienen deutschsprachigen Zeitung während der Jahre 1846-1862 findet sich ein Gedicht (1848), dessen letzte Strophe lautet und noch heute gilt:
Rein, ja rein
Muß die Landessprache sein.
Halte nicht die Landessprache
Für geringe Nebensache.
Fleißig lernen mußt du sie
Musst sie rein und richtig sprechen,
Sprechen und nicht radebrechen
Sonst versteht man dich ja nie.
Gerhard Walter
Historischer Forschungsverein der Deutschen aus Russland e. V.