Früher

Früher war ich klein.
Ich hatte andere Sorgen als jetzt.
Früher habe ich mich mit Händen und Füßen gestritten und gewehrt,
jetzt tue ich es mit Worten.
Früher war die Welt groß, voller Gefahren und unheimlich spannend.
Sie ist es immer noch,
aber jetzt ist es eine bewusstere Größe und Vielfalt,
jetzt sind die Gefahren andere und vor allen Dingen schwerer zu bewältigende geworden,
aber eins ist früher wie heute gleich: Die Welt ist so unglaublich spannend! Ich kann gar nicht genug vom Leben bekommen!
Früher bin ich zu Mama gegangen und habe geweint.
Jetzt gehe ich nicht mehr oft zu Mama, jetzt bin ich meist allein traurig oder gehe zu Freunden.
Früher haben ich den Sandkasten geliebt, die Schaukel...
Jetzt nicht mehr.
Früher habe ich die Gummibärenbande und die Ewoks geliebt-
ICH TUE ES IMMERNOCH!
Und ich liebe heute wie früher meinen Eli!

Frueher war alles besser - puuh, ich kann es nicht mehr hoeren...
Es gibt in der Psychologie und der Kommunikationswissenschaft einen Haufen Theorien, die unter dem Label »Kognitive Dissonanz« und »Selektive Wahrnehmung« laufen. Danach nimmt mensch solche Sachen, die gut zu der timmung passen, in der mensch gerade ist, viel intensiver wahr und beschaeftigt sich mehr mit ihnen als mit solchen Eindruecken, die dem zuwiderlaufen. Die Wahrnehmung letzterer wird sogar aktiv vermieden, und wenn sie doch den Weg in das Bewusstsein schaffen, werden sie nach Kraeften relativiert.
Tja. Frueher war alles besser. Demzufolge ist die Realitaet schlecht, und wir wollen das auch nicht anders? Es ware schade, wenn der Mensch wirklich so waere.
In der Kueche eines Freundes hing mal ein Poster aus der Titanic: »Die etwas andere Meinung: frueher war alles besser!«.
Mehr ist dazu wohl nicht zu sagen.

mochte ich meine Suppe nicht essen. Meine Mutter packte mich wütend, schleppte mich über die Diele und drohte, mich in den Schweinestall zu stecken. Ich schrie.
Es gab selten Spargel und Spaghetti, Makaroni: ja.
Blumenkohl und Rosenkohl mochte ich nicht, auch nicht Kohlrabi.
Früher hörten meine Geschwister Schlager im Radio. Wir spielten mit den Nachbarjungs.
Mein Opa hatte noch 2 Ochsen. Papa kaufte sich ein Pferd und später einen 11 PS-Traktor.
Abwaschen mußte ich nie.
Wir mußten aber in der Landwirtschaft helfen: Ställe ausmisten, bei der Ernte helfen, pflügen mit dem Traktor etc.
Am Dreschtag war der ganze Hof vollgestopft mit Stroh.
Säe- und Mähmaschine lieh uns ein Nachbar.

früher war alles besser,
sagen viele,
sauber waren Gewässer
und viel besser die Spiele.

ach das früher gefiel dir?
dann geh doch wieder nach früher, ich bleib hier.

Dieses Wort hatte schon als Kind einen mystischen Klang für mich. Die Leute bekommen immer so ein Leuchten in den Augen, wenn sie es aussprechen. Es ist ein heiliges Wort. Früher zeigt uns, wo wir herkommen und gibt Anhaltspunkte, wer wir sind. Gestern hab ich mich anlässlich einer Kostümparty, auf die wir dann doch nicht reingelassen wurden, angezogen wie früher. Das war toll - und für eine Weile ist Autonomen-Schwarz wieder meine Lieblingsfarbe.

Früher war alles besser,
früher war alles gut,
da hielten alle noch zusammen,
die Bewegung hatte noch Wut.

Früher, hör auf mit früher,
ich will es nicht mehr hörn.
Denn damals war es auch nicht anders,
mich kann das alles nicht störn.

Ich bin noch keine 60
und ich bin auch nicht nah dran.
Und erst dann werde ich erzählen,
was früher einmal war.

Solange Johnny Thunders lebt,
solange bleib ich ein Punk.
Solange es was zu trinken gibt,
dauern alle unsere Feste an.
Solange ich noch zwei Freunde find,
werden wir durch die Straßen ziehn.
Solang die Wellenreiter lästern,
weiß ich, dass es nichts Besseres gibt.

Ich bin noch keine 60
und ich bin auch nicht nah dran.
Und erst dann werde ich erzählen,
was früher einmal war.

Ich werde immer laut durch's Leben ziehn,
jeden Tag in jedem Jahr,
und wenn ich wirklich einmal anders bin,
ist das heute noch scheißegal!

Kein Zeitungsknabe wird uns jemals erzählen,
was grad alt oder brandneu ist.
Damit wird er höchstens so viel erzielen
wie ein Hund, der gegen Bäume pisst.
Das Ende setzen wir uns selbst
und niemand anders auf der Welt.
Begreift besser jetzt als nie:
Es kommt erst, wenn es uns gefällt!

Wir sind noch keine 60
und wir sind auch nicht nah dran.
Und erst dann werden wir erzählen,
was früher einmal war.

Wir werden immer laut durch's Leben ziehn,
jeden Tag in jedem Jahr,
und wenn wir wirklich einmal anders sind,
ist das heute noch scheißegal.

( Die Toten Hosen, Wort zum Sonntag )

...war ja wohl alles viel besser. Also sorgen wir dafür, dass es schlechter wird, damit man das auch weiterhin sagen kann.