CostaNostra
Bewertung: 2 Punkt(e)
Punk (im urspr. us-amerikanischen Slang) »Neuling in der Verbrecherwelt, junger Ganove«; aus dem frz. pain »Brot«; das Wort kam aus dem mehrheitlich frz. Kanada in die USA und wurde da, aufgrund der härteren engl. Aussprache zu punk; weil man in der Weltwirtschaftskrise, 1929/1930, arbeitslosen Vagabunden/jungen Landstreichern oft altes Brot gab, und das Wort »pain, punk, Brot« wurde dann auf die Jungs selbst übertragen - Quelle der Worterklärung:
Knaurs Herkunftswörterbuch 1983
Der berühmte us-amerikanische Schriftsteller hat diese Zeit und sein Leben als Punk in seinem Roman »Abenteurer des Schienenstranges« faszinierend gut beschrieben.
Er schrieb, ich zitiere aus dem Gedächtnis: Als er 25 war, hatte er aufgrund der Kurzgeschichten, die in mehreren Zeitungen von ihm veröffentlicht wurden, ein Stipendium an einer berühmten US-Universität bekommen. Er bekam einen monatlichen Betrag für seinen Lebensunterhalt und für die Miete seiner Studentenbude. Er studierte Literaturwissenschaft, Geschichte, Politik. Er lief eines Tages, in Gedanken versunken, durch eine Straße der Universitätsstadt. Dabei hob er seinen Kopf und sah direkt in das Gesicht eines uniformierten Polizisten. Ohne eine Sekunde zu zögern, drehte er sich um und rannte und lief. Nachdem er zwei Kilometer gerannt war und, sich umdrehend, keinen Polizisten hinter sich sah, fiel er in ein langsameres Tempo, blieb plötzlich stehen und erkannte, daß er, ordnungsgemäß angemeldet, gekleidet wie viel andere Studenten, mit Wohnung und Stipendium, überhaupt keinen Grund mehr hatte, vor einem Polizisten davonzulaufen.
Als ich jung war und in Frankfurt/Main, 1967, bürgerliche Passanten anbettelte, sagte ich meist: »Ich komme von Paris, ich bin unterwegs nach Nürnberg zu meinen Eltern, ich komme von der Autobahn, denn ich reiste als Anhalter, ich hab seit 40 Stunden nichts gegessen, können sie mir bitte zwei Mark geben, für Brötchen und eine Erbsensuppe?«
Den Spruch hatte ich von einem anderen Gammler oder Beatnik (bin jetzt zu müde das Wort »Beatnik« erklären, schau bitte im Wörterbuch nach), den Spruch »ich komme gerade von der Autobahn und aus Paris« und so weiter, hatte ich von einem anderen Gammler gelernt. Irgendwann, irgendwo, enthielt er auch Tatsachen, und nichts als Tatsachen, aber ich hatte, damals, Paris noch nicht gesehen. Auch fuhr ich mit dem so erbettelten Geld nicht nach Nürnberg zu meinen Eltern. - Zu ihnen fuhr ich erst kurz vor Weihnachten. Per Anhalter. Und aus Amsterdam.
Mit dem oben zitierte Spruch konnte ich an einem guten Tag 80 Mark zusammenbetteln. - Ich sprach am Frankfurter Marshallbrunnen mit einem Beatnik. Anfang des Gesprächs war ein Buch, das ich las. Ich weiß jetzt nicht, was für ein Buch ich las, aber der Autor hieß Nietzsche. Beatnik, nannte sich der Gammler-Adel, der sich mit diesem Wort vom »gewöhnlichen«, bis zum »Penner« herabsinkenden Gammler unterscheiden wollte. - Der Beatnik, er hieß James, hatte lange Haare, war Student, und las nicht nur, wie ich, Nietzsche, er hatte auch »Die Lehrreden Des Buddha« und Bücher über den japanischen Zen-Buddhismus gelesen. Durch meine Nietzsche-Lektüre kamen wir ins Gespräch und er öffnete mir den Weg in den Buddhismus.
Er war der erste Guru, der mir als Mensch, und nicht nur als Buch eines Menschen entgegenkam. Denn gewiß hatte ich vorher schon zahlreiche Werke der Gurus gelesen. Wenn ich sie jetzt alle aufzählen würde, käme ich heute nicht mehr an meinen Schreibtisch, nicht mehr zum Friseur und nicht ins Bett. Ich nenne daher jetzt nur vier Namen: Timothy Leary, Hermann Hesse, Albert Camus und Jean-Paul Sartre.
James war der erste Guru in meinem Leben, der mir als Mensch gegenübertrat. Gewiß waren auch meine Eltern und ein Lehrer in der Volksschule meine Gurus. Doch war mir das damals noch nicht bewußt. James war der erste Guru, den ich bewußt als Guru erkannte.
Guru ist ein indisches Wort. Es heißt in deutsch: »Lehrer der richtigen Lebensart«
Als ich erkannte, daß ich als Dealer mit Haschisch und LSD viel Geld verdienen konnte, das war 1969, davor, also 1968, ließ mir die Politzeit mit Rudi Dutschke, der Provobewegung, Hippies und SDs keine Zeit, danaxch lebten wir als »Nürnberger Kommune 13«, von der Herausgebe und dem Verkauf einer eigenen Zeitung (heute sagt man zu so was Fanzine), als ich erkannte, daß ich als Dealer mit illegalen Drogen Haschisch, Marihuana, LSD, viel Geld machen konnte, hatten das viele meiner Bekannten und Freunde schon vor mir erkannt.
Und auch für mich wurde ein Jugendtraum Wahrheit. Denn die amerikanischen Mafiosis hatte ich schon mit 13 oder 14 im Kino bewundert. Als 16jähriger lief ich mit Anzug und Hut durch die Gegend. Hut, Taschentuch in der Brusttasche des Anzugs und Krawatte mußten die gleichen Farben haben. Denn das war eine der ironisierenden Übertreibungen, mit denen der Gangster den Bourgeois, den wohlhabenden Bürger ins Lächerliche zog. Nicht einen Ring, sondern fünf an den Händen, na und so weiter. Mit diesem Stil orientierte sich der Mafiosi an seinem Vorgänger, dem englischen Dandy.
Und mein Vater, der vor dem zweiten Weltkrieg, in Leipzig in der Modebranche tätig war, 1949 mit Familie aus dem Osten in den Westen floh, sagte zum Thema »lange Haare auf den Köpfen junger Männer«, erstens sei diese angeblich neue Mode sehr alt, zweitens mache die Jugend in jedem Jahrhundert eine neue Mode, drittens sei es ein erstaunlicher Mangel an historischen Kenntnissen, wenn die Kleinbürger sich noch immer darüber aufregen.
Anlass dieser Belehrung war, daß ein Freund bei mir, der ich in dieser Zeit bei meinen Eltern wohnte, übernachtete, weil sein Vater ihm mit körperlicher Gewalt und einer großen Schere die langen und in den Augen dieses Vaters weibisch machenden Haare abschneiden wollte. Sich von hinten heranschleichend, hatte dieser Vater seinem Sohn schon ein Büschel abgeschnitten. Dann rannte der Sohn davon und kam zu mir in die Wohnung meiner Eltern. So erfuhr mein Vater von dieser in seinen Augen komischen und zugleich traurigen Geschichte.
Ich mache jetzt einen großen Zeitsprung, weil ich ins Bett will. Muß aber noch einfügen, was ich vorhin vergaß, daß nämlich ich durch ein Gespräch mit James und das dabei in mir geweckte Interesse an Buddha und Buddhismus, ich zuerst James, dann mich, dann all die anderen Freunde, als Nachfolger Buddhas, als Bettelmönche, als bettelnde Prinzen in Lumpen sah. Und so sehe ich einen bettelnden Punk, egal welchen Geschlechts heute. Wenn ich ihnen nach der Frage »Haste mal ne Mark?« fünf Mark gebe, dann, weil ich es in diesem Moment kann, ich kann es nicht immer, und weil ich ja nur das Geld in diese Jugend zurückfließen lasse, das ich selbst als Jugendlicher von Erwachsenen nahm.
Wenn ich das Wort Punk aufs Papier bringe, ins Internet setze oder aus meinem Mund lasse, dann weiß meine In-Szene, daß ich damit, primär, einen Neuling in der Verbrecherwelt meine, ob der gefärbte Haare und Hundehalsband (macht echt geil) am Leib hat, oder einen Maßanzug mit passendem Hemd und mit Krawatte, ob er einen Schlagring, ein Messer oder einen teuren Lederaktenkoffer durch die Gegend trägt, ob er gar als Skinhead erscheint, ist für mich nicht das Wesentliche. Für mich ist er in jeder Uniform und/oder Verkleidung ein Neuling in der Verbrecherwelt. Und wenn er zu meiner Gruppe gehört, bin ich für ihn und seinen weitere Reise durch sein derzeitiges Leben mit verantwortlich.
Darüberhinaus bin ich für die Punks außerhalb meiner Gruppe mitverantwortlich soweit ich die Kraft, die Macht, das Kapital dafür habe. Soweit wir es haben. Denn, da ich Teil einer Gruppe bin, war ich soeben ein Esel. Denn, sagte mein Vater: »Ein Esel nennt sich immer zuerst«.
»Haste mal ne >Mark?«
Was unterscheidet mich alten Mafiosi, mich alten Esel von einem jungen Punk?
Daß ich, wenn ich bei meinen Bruder, bei meiner Mutter, bei Freunden auftauche, frage: »Haste mal tausend Mark«.
Die alten Mafiosis nur sklavisch und/oder phantasielos nachahmen, ist gewiß nicht schöpferisch. Und weil der intelligenteste Teil der Jugend schöpferisch sein will, hat die Cosa Nostra und die Mafia (zwei Worte für das gleiche) auch weiterhin eine zwar streßige Gegenwart aber ganz gewiß eine auch goldene Zukunft.
Cosa Nostra (ital.) Unsere Sache
Mafia (ital.) Geheimbund
Daß die Zukunft keine phantasielose und daher streßige Wiederholung der Vergangenheit und Gegenwart sein wird, hat ein sehr intelligenter Mensch, dessen Name mir jetzt nicht einfällt, mit dem folgenden Monolog verdeutlicht. Er schrieb:
"Frage: Warum, macht der intelligente Teil der Jugend eine blöde Mode nicht mit?
Antwort: Weil sie ihr schon von den Erwachsenen vorgemacht wurde."
Jürgen Anoubi
Amenokal aus Peters Dorf