Einige überdurchschnittlich positiv bewertete
Assoziationen zu »Baphomet-Bar«
SEDVX schrieb am 14.1. 2003 um 00:02:34 Uhr zu
Bewertung: 22 Punkt(e)
Manchmal behalte ich meine Uniform an und gebe vor, im Dienst zu sein. Man sagt, die blauschwarze Uniform und meine blauschwarze Brille paßten zueinander. Meine Gehilfen (Frederik, Lothar, Jens; ich rede ich fast nur mit dem ältesten, Frederik) erscheinen gelegentlich in der Bar, entweder Frederik allein oder alle drei. Auch sie tragen Uniform, mit unauffälligen Rangabzeichen, die kein Verdienst, sondern die Anzahl der Dienstjahre angeben. Stoff und Schnitt stammen von Ladage & Oelke. Mit dieser Uniform assoziiert man uns, so ist es beabsichtigt, sowohl mit der Hamburger Polizei als auch mit dem Hamburger Verkehrsverbund.
Das Abzeichen unseres Wachdienstes ist sehr schlicht: eine dunkelgrüne Mondsichel (aufgehend), zwischen den Spitzen ein goldener Stern.
Heute stürzten alle drei in die Bar, mit einer Nachricht, die sie, wie immer, für besonders dringlich hielten. Frederik teilte mit, unser Dienstfahrzeug, ein alter Mitsubishi - Colt, brauche neue Reifen. Dabei ist Tauwetter und fast aller Schnee verschwunden. Ich überprüfe den Sitz der Uniformen. Jens, der jüngste, ist spürbar gewachsen. Somit wird für ihn eine neue Uniform angeordnet.
In diesem Monat ist in der Bar „Survivor`s Suite“ von Keith Jarrett zu hören.
Ich mag diese Musik nicht besonders, trotzdem höre ich hin, um von dem törichten Reden meiner Untergebenen, die sich Cola bestellt haben, abgelenkt zu sein. Sie trinken nur wenig. Hier wird das teure, aus Ägypten eingeführte Suleika-Cola ausgeschenkt.
Ich trinke im Dienst nur Levico - Wasser.
Dann gehen wir. Jens führt mich, und wenn er mich führt, bin ich sehr hilfsbedürftig. Wobei ich das Gefühl habe, daß mich Frederik und Lothar durchschauen.
Jens führt mich um den Wagen herum, führt mich mit fester Hand durch die trügerischen Schneereste, ich steige ein, dann fahren wir zu Ladage & Oelke.
SEDVX schrieb am 26.1. 2003 um 16:38:48 Uhr zu
Bewertung: 11 Punkt(e)
Heute habe ich wieder meine Therapeutin mit in die Bar genommen, Frau. Dr. Syromjashina.
Ich bin ihr bevorzugter Patient. Gewöhnliche Patienten: Mo-Mi u. Fr. Wir haben unseren Donnerstag.
Hier, in meiner Bar, läßt sie nur den Tee gelten. Sie entdeckt Scheußlichkeiten, von denen mir noch niemand berichtet hat. Wasserflecke an der Decke, Rost an eisernen Balken; und fährt ein Zug über uns vorbei, ist sie gezwungen sich zu erinnern: Schwarzmeerflotte, Sewastopol, Hafen, Kräne, Versorgungsschiff, Lazarett.
In ihrer Praxis hat sie zwei Zimmer, zwei Patienten können sich für jeweils zwei Stunden hinlegen, in beiden Zimmern rieselt fade Musik, Bachsöhne oder Telemann. Keine Fenster, aber beleuchtete Ölgemälde müssen betrachtet werden. Ich bin blind und muß nicht sehen, was ich ahne.
Irina glaubt zu wissen, daß meine Blindheit mit Seele zu tun hat. Ich habe eine Seele! Daran glaubt Irina fest und das bewegt mich. Ihre Therapie findet bei keiner Krankenkasse Anerkennung, aber bei mir.
Hier in der Bar kann sie ihre Arbeit fortsetzen, ohne daß ich sie, abgesehen vom Tee, bezahlen muß.
Sie erzählt mir, was auf den Bildern zu sehen ist. Längst hat sie sich von der platt sowjet-realistischen Sicht gelöst und schildert, was ich zu sehen bevorzuge.
Ja, ein wundervoller Sonnenuntergang. Ein Bahndamm. Ja, ich höre den Zug, die heisere Dampfpfeife. Ich sehe rußige Wolken sich herabwälzen. Schrille Schreie. Jungen, die sich am Bahndamm raufen.
„Sitzt da nicht einer etwas abseits und schaut nur zu?“
Ganz links sitzt ein hübscher Junge, niemand beachtet ihn. Ein alter Mann zieht einen Karren mit Holz vorüber.
„Laß den Karren. Wie ist er angezogen?“
Eine Schirmmütze. Ein schwarz und weiß gestreifter Schal.
„Laß das. Es ist Hochsommer.“
Ein schmutziges, ehemals weißes Hemd ist von einem noch schmutzigeren Bart bedeckt.
„Irina, von dem Mann mit dem Karren will ich nichts wissen!“
Immer wieder ärgere ich mich, dabei verstehe ich sie. Manchmal geht sie willig auf jede meiner Visionen ein, dann ärgere ich mich wieder und verlange Unvorhergesehenes jeder Art. Dann drückt sie meine Hand und sagt, die Therapie schlage an.
SEDVX schrieb am 12.1. 2003 um 20:45:31 Uhr zu
Bewertung: 32 Punkt(e)
Es setzen sich 3 Männer an meinen Tisch und ich fühle: sie kommen von weit her. Ein kühler Hauch, ein feiner Sog, das genaue Gegenteil von Aufdringlichkeit. Ich fühle mich betrachtet, aber auf die zurückhaltendste Weise.
Gibt es das: Menschen, die nicht Raum einnehmen, sondern Raum geben?
Ich höre zu. Sie sprechen alle ein gebrochenes Englisch.
Ich höre:
„18 Säulen.“
„Tempelsäulen.“
„Auf beiden Seiten zweimal zwölf Stufen.“
„Nein, auf der südlichen Seite nur zwölf und elf .“
„Wie wunderbar!“
Mein Herz klopft. Das ist die U-Bahn-Station STEINSTRASSE, keine 3 Minuten von hier!
Und die drei sind keineswegs blind. Sie sehen Details in der Bar, die bislang noch niemand erwähnt hat.
Sie trinken Milch wie ich.
Die drei sind Feng - Shui - Meister.
Ich erfahre, in Hamburg war ein Kongreß.
Hamburgs STEINSTRASSE wird Kandidat für eine Weltrangliste von U - Bahnhöfen. Nur für Feng-Shui - Adepten.
Lange fragen sie mich aus. Auch sie glauben, daß ein Blinder Dinge wahrnimmt, die einem Sehenden verborgen bleiben.
Es interessiert sie, daß es allein Klänge sind, die mich verzaubern.
Kaum je die Oberfläche von Mauerwerk, die Textur von Stoffen. Abgesehen von der Haut von Knaben - mich wundert, daß ich diesen Meistern gegenüber so unbefangen bin. Haben sie mir nicht ebenso unbefangen gesagt, daß sie Meister seien?
„Aber nun sind es meist die Stimmen“ füge ich hinzu.
Sie gehen wieder; ich fühle mich erregt und wach wie selten.
SEDVX schrieb am 15.12. 2002 um 16:41:18 Uhr zu
Bewertung: 10 Punkt(e)
Tagsüber arbeite ich in meinem Keller.
Durchgänge (niedrige, ich muß mich bücken) verbinden große und weniger große Weinlager.
Links und rechts Regale, drei oder vier Böden hoch. Vergilbte Etiketten sind noch ans Holz geheftet. Deutsche Weine, Jahrgänge 1895 bis 1948.
In die leeren Regale lege ich mich gern. Stabil, eben breit, eben hoch genug.
Alle Regale sind leer.
Besucher denken an Konzentrationslager.
Heute noch rieche ich den verschütteten Wein.
Der Boden ist überall zur Mitte hin abschüssig, dort sind Siele.
In einem der Räume steht eine Bau - Trocknungsmaschine. Wenn ich sie abschalte, wird es still.
Nach einer Weile höre ich den von Raum zu Raum ziehenden Wind. Das Holz der Regale knackt. Wasser tropft. Bahngeräusche.
Der kleinsten Raum ist das Kontor. Mein Ledersessel. Mein Tonarchiv. Das Mikrophon. Die Öffnung in der Wand, der Luftschacht, durch den ich mit dem U- und S-Bahn-Netz verbunden bin. Mein Beruf ist: horchen. Durchs Mikrophon gelegentlich eine Ansage, eine leise Warnung, ein geflüsterter Befehl.
Ich überwache das ganze unterirdische Streckennetz.
Was ich jetzt vorspielen werde (das zentrale Dokument in meinem Archiv):
Der Tod eines S-Bahn - Surfers.
SEDVX schrieb am 24.11. 2002 um 18:03:03 Uhr zu
Bewertung: 8 Punkt(e)
Wieder ändert sich alles. Schon wenn ich die Bar betrete: der Geruch.
Die Musik, die Stimmen, das Benehmen der Gäste, die Auswahl der Getränke. Sooft ein Monat zu Ende geht, ändert sich alles.
Vertraut bleibt der nächtliche Fahrplan der Züge. Züge nähern und entfernen sich, fahren über die Gewölbe hinweg. Langsam. Die Bar gehört zum südlichen und verwahrlosten unterirdischen Bereich des Hauptbahnhofs.
Vertraut bleibt, wenn auch ohne erkennbaren Plan, wenn auch immer beunruhigend, das unendliche Rollen der Güterzüge.
Vertraut bleibt mein Stammplatz. Anders ist die Form des Glases, anders die Bitterkeit meiner Milch. Neu: kleine Figuren auf meinem Tisch.
Ich nehme sie in die Hand und erkenne sie.
In der Baphomet-Bar kennt man mich.
Dies ist eine NunZilla; vergeblich öffnet sie den Mund zum Feuer - Speien: der Knopf zum Aufziehen ist abgebrochen. Und das ist ein SerendipityKid: stumm, tot. Ersetzt man die Batterie nicht rechtzeitig, ist SerendipityKid für immer tot.
Und wer sitzt neben mir, fast lebensgroß? Nicht lebensecht: Plastik, kalt.
Figuren sind heute unter die Gäste gemischt. Unweit, in der nördlichen Deichtorhalle, ist eine Manga - Ausstellung.
Ich gehe umher. Anfangs wich man mir, dem Blinden, voreilig aus - heute genieße ich es, wenn Berührung weder gesucht noch gemieden wird.
Die Monster, auf die ich stoße, weichen nicht; sie betaste ich. Die großen Augen, die winzigen Nasen. Die zu einem Lust- oder Entsetzensschrei geöffneten kleinen Münder. Die gehörnten Knaben mit Drachenflügeln, mit unförmigen Genitalien. Die schräg in den Raum ragenden, kunstvoll gequirlten Samen - Fontänen.
Ich glaube, hier wird ausgestellt, was nicht für die Öffentlichkeit der Deichtorhalle bestimmt war.
Noch eine Fontäne durchquert im Bogen den Raum: an den Wirbeln eines spiraligen Gebildes taste ich mich entlang und stoße auf üppige Brüste. Eine Milchstraße, von einer Brust zur anderen! Ein tanzendes Mädchen, viel zu klein für solche Brüste, hält sie mit schwachen Armen hoch.
Ich weiß, daß diese Wesen schon richtig sich bewegen und fast schon leben - noch auf Bildschirmen und schattenhaft.
Und dieses Wesen, das mit mir am Tisch sitzt - ich taste und entdecke ich nichts Erschreckendes. Es ist nur ein Junge mit Mädchenbrüsten. Oben rollen schwere Güterwagen und dieser Junge an meiner Seite bebt, als ob er Angst verspürte.
Wie leicht ist Leben nachzuahmen! Wie leicht sind wir zu betrügen!
SEDVX schrieb am 26.9. 2004 um 18:25:38 Uhr zu
Bewertung: 6 Punkt(e)
Woher der angeblich Unsterbliche gekommen war, wann er sich neben mich gesetzt hatte, ich weiß es nicht mehr.
Da war nichts. War es ein kalter Luftzug? Meine Eingeweide verkrampfen sich leicht; ich presse dann die Arme gegen den Bauch. Horus (der hier die Gäste hereinlockt bzw. hinausekelt) kennt mich, kennt meine Zustände. Bringt mir jederzeit meine Wärmflasche.
„Luke, ich bins“.
Niemand nennt mich Luke.
War das eine männliche, eine weibliche Stimme? Eine heisere alte Dame. Ein stimmbrüchiger Knabe.
Niemand nannte mich Luke.
In der Schulzeit ein Lehrer. Verwechselte mich immer. Luke war ein anderer.
Ich bin nicht Luke. Und wer bist du?
Fragte ich nicht. Sagte vielmehr:
„Was riechst du nach Schwefel!“
Kein Laut, keine Bewegung, kein Atmen.
„Mein Teint.“ Er flüstert. „Ich brauche Schwefelpuder. Erstaunlich, daß du das bemerkst. Wird bei euch hergestellt. Deutsche Schwefelblüte.“
Er spricht immer leiser, wie ein vollkommer Erschöpfter. Wie einer, der, so deutlich es geht, noch eine Botschaft hinterlassen will, bevor er ohnmächtig wird oder stirbt.
Diese Stimme! Er sitzt rechts neben mir. Ich muß ihn berühren. Ich fühle ein seidenes Hemd, darunter einen mageren Arm, eine magere Schulter. Keine Bewegung, kein Atmen.
Der Arm hält einen Mantel fest, der zusammengefaltet auf dem Schoß liegt. Der Mantel ist aus weichem Leder. Schönes Leder.
„Ist der Mantel nicht wunderbar?“
Er gibt ihn mir. Reicht ihn mir mit einer leichten, aber entschlossenen Bewegung. Geruch von Kamelurin. Unwiderstehliche Geste. Tote Stimme, lebendige Bewegung! Ich wollte diesen naturgegerbten Mantel nicht.
Genäht aus schön geformten Schuppen. Ein Fischmuster. Ich spüre den Schuppenrändern nach. Gutes Handwerk. Der Mantel liegt schwer auf meinem Schoß und wärmt mich.
„Alle Schuppen sind dunkelgrün. Jede mit feinem, hellgrünem Rand. Könnte ich ihn dir nur geben. Was ich dir geben kann, ist das.“
Als hätte er kein Gewicht, verschwindet der Mantel.
Eine kalte Hand führt mein rechtes Handgelenk zum Tisch. Was dort vor mir liegt, ist eine Brille.
Ein Wunderheiler, die mich kurieren will!
„Erwarte kein Wunder. Das hier ist besser als nichts. Und kostet nicht die Welt.“
Ich bin Geschäftsmann. Jedes Interesse kann ich verbergen. Das habe ich von Kind auf geübt. Was ich nicht kann, ist: Interesse vortäuschen.
Was mich interessiert: das Alter neuer Gäste. Kann es oft erraten, manchmal auf dem Monat genau. Knaben verblüfft das.
„Ist attraktiver als deine jetzige Brille, Luke. Nebenbei: man nennt mich Jogger.“
Heiße ich Luke, kann er gern Jogger heißen. Sein Alter errate ich nicht. Das verstört mich. Seine Reglosigkeit, und daß ich keinen Atem spüre, ist greisenhaft. Das Plötzliche und Leichte seiner Bewegungen ist jugendlich.
„Kümmer dich nicht um mein Alter!“
Das höre ich von schräg oben. Unbemerkt ist er aufgestanden. Ich höre, wie er den Mantel anzieht.
Schritte. Es klingt wie Hüpfen. Dann eine kalte Bö von der Tür her.
Ich betaste die schwere Brille. Dicke Gläser, breite Bügel. Ich will sie nicht. Ich bin 1929 geboren. Aller Respekt gilt meiner Blindheit, nicht meinem Alter.
Horus zündet die Kerze auf dem Tisch an.
Serviert heißen Sake in kleinen Vasen, alle verschiedenen geformt. Setzt sich neben mich. Er hat die Ausstrahlung eines Lebenden.
Der Gast von soeben sei schon einigemal hiergewesen. Habe jedesmal nach mir gefragt. Er sei nicht unattraktiv. Wie die Mumie eines attraktiven Knaben. Er bezahle jedesmal sein Levico-Wasser mit einem Maple Leaf. Er trinke sein Glas nie aus. Wir sollten mit seiner Spende die Bar renovieren. Das hier sei die verkommenste Bar, die er in den letzten tausend Jahren erlebt habe!
Horus hatte nachgefragt: Unsterblichkeit sei nichts. Unsterblichkeit könnten wir alle haben. Das genau sei die Hölle: Unsterblichkeit.
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