Auslandseinsätze
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14.02.2003
Jürgen Rose
Ein harmloses Vorspiel?
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DEHNBARER BEGRIFFDeutschlands
»Nichtbeteiligung« an einem Krieg gegen den Irak
reicht trotz NATO-Querelen von Waffenlieferungen an
die Türkei bis zum Einsatz im AWACS-System
Als 1795 der Philosoph Immanuel Kant seine Schrift Zum ewigen
Frieden abfasste, forderte er im ersten Definitivartikel seines
Traktats: »Die bürgerliche Verfassung in jedem Staat soll
republikanisch sein.« Gemeint war damit nach heutigem
Verständnis die Errichtung einer repräsentativen Demokratie.
Kants Begründung für dieses Postulat war schlagend: »Wenn ...
die Beistimmung der Staatsbürger dazu erfordert wird, um zu
beschließen, ob Krieg sein solle oder nicht, so ist nichts
natürlicher, als dass, da sie alle Drangsale des Krieges über sich
selbst beschließen müssten ..., sie sich sehr bedenken werden,
ein so schlimmes Spiel anzufangen«. Ob Gerhard Schröder Kants
Schrift im Sinne hatte, als er vor der Bundestagswahl mit trotziger
Entschlossenheit verkündete, Deutschland werde sich an dem von
den USA geplanten Krieg gegen den Irak keinesfalls beteiligen,
mag dahingestellt sein. Fest steht, dass er getreu Kants Maxime
handelte und - so die Überzeugung der Wahlforscher - vor allem
deshalb im Amt bestätigt wurde, weil eine überwältigende
Mehrheit der Deutschen gegen diesen Krieg war (und weiterhin
ist).
Soweit, so gut, möchte man meinen. Bedenklich stimmt indessen,
wie extensiv seitens der Bundesregierung der Begriff der
»Nichtbeteiligung« am Krieg mittlerweile ausgelegt wird. Immer
deutlicher kristallisiert sich heraus, dass damit lediglich gemeint
war, keine Verbände der Bundeswehr in einen Krieg gegen
Bagdad zu entsenden. Wie aber lässt sich die bereits Ende
November gewährte Zustimmung zu den auf alliierten Basen in
Deutschland stattfindenden militärischen Vorbereitungen sowie
zur Nutzung deutscher Verkehrsinfrastruktur einstufen? Immer
wieder wird behauptet, dass wegen der aus dem NATO-Vertrag
und dem NATO-Truppenstatut nebst Zusatzabkommen
resultierenden Verpflichtungen keine andere Wahl blieb, als diese
Genehmigungen zu erteilen. Doch wird damit eine Legende
bemüht, denn aus keinem der genannten Verträge lässt sich
irgendeine Verpflichtung Deutschlands konstruieren, einen
Angriffskrieg zu unterstützen, der einen eklatanten Bruch geltenden
Völkerrechts darstellen - und überdies gegen das deutsche
Grundgesetz verstoßen würde. Letzteres stellt in Artikel 26
»Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen
werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören,
insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten«
als verfassungswidrig unter Strafe. Nur wenn ein eindeutiges
Mandat des Sicherheitsrates nach Kapitel VII der UN-Charta
vorläge, wäre Deutschland verpflichtet, ein militärisches Vorgehen
gegen den Irak zu unterstützen - aber auch dies lediglich im
Rahmen des Möglichen. Was dabei gegebenenfalls möglich wäre,
unterläge selbstredend weiter den souveränen Beschlüssen von
Regierung und Parlament.
Festzuhalten bleibt, dass ohne Zwang und Not die erwähnten
Entscheidungen über die alliierten Basen und die Verfügbarkeit
der Verkehrsinfrastruktur getroffen wurden. Auch zur Bereitstellung
von täglich etwa 2.600 Bundeswehrsoldaten, die seit dem 24.
Januar mehr als 50 Liegenschaften der US-Armee in Deutschland
bewachen, war die rot-grüne Regierung nicht gezwungen. Für das
ohnehin durch die Vielzahl der Auslandseinsätze überstrapazierte
Heer bedeutet dies, dass dank eines rund um die Uhr zu
leistenden Wachdienstes eine enorme Zahl von Soldaten
permanent gebunden wird. Zwar stellt die Maßnahme eine
erhebliche personelle und finanzielle Entlastung der Amerikaner
dar, dem deutschen Steuerzahler aber bürdet sie unter
Umständen über Jahre hinweg gewaltige Lasten auf. Indirekt wird
so ein Angriff auf den Irak mit finanziert.
Auslandseinsätze der Bundeswehr im Februar
2003
Kosovo
4.600 Soldaten in den
KFOR-Verbänden
Bosnien-Herzegowina
1.550 Soldaten im SFOR-Korps
Mazedonien
225 Soldaten bei der Task Force
»Fox«
Afghanistan
1.250 Soldaten bei den "International
Security Assistance Forces" (ISAF)
Usbekistan
200 Soldaten zur logistischen Hilfe für
ISAF
Kuwait
50 ABC-Abwehrkräfte
Djibouti
1.035 Soldaten bei einer Marine Task
Force innerhalb der
Anti-Terrorkampagne "Enduring
Freedom"
Kenia
140 Soldaten beim "Marine Patrol
Aircraft" (MPA) innerhalb von
»Enduring Freedom«
Mittelmeer
320 Soldaten bei der "Standing Naval
Force Mediterranean Active
Endeavor"
Georgien
12 Soldaten bei der "United Nations
Observer Mission" in Georgien
(UNOMIG)
USA
12 Soldaten beim Central Command
(US-Centcom) in Florida
insgesamt
9.395 Soldaten
Die deutsche Verstrickung in einen möglichen Krieg reicht jedoch
viel weiter: So wurde bereits beschlossen, Israel
PATRIOT-Flugabwehrraketen leihweise zu überlassen - allerdings
ohne deutsches Personal. Darüber hinaus hat
Verteidigungsminister Struck Ende Januar angekündigt, den
US-Streitkräften am Persischen Golf im Kriegsfall durch den
Einsatz von MedEvac-Flugzeugen - den »fliegenden Lazaretten«
der Bundesluftwaffe - beizustehen. Auch in Kuwait stationierte
Spezialeinheiten der Bundeswehr zur ABC-Abwehr müssen mit
einem Einsatzbefehl rechnen, sollten amerikanische oder
kuwaitische Einrichtungen durch ABC-Waffen bedroht werden.
Bekannt sind zudem Überlegungen, diesen Verband erheblich zu
verstärken.
Besonders heikel ist der Einsatz von AWACS-Flugzeugen des in
Geilenkirchen stationierten NATO-Frühwarn-Verbandes. Bei dem
Airborne Early Warning and Control System handelt es sich nicht
nur um ein luftgestütztes Radarsystem zur Luftraumüberwachung,
sondern zugleich um einen fliegenden Gefechtsstand, von dem
aus im Luftwaffenjargon »Verbundene Luftkriegsoperationen«
koordiniert und geleitet werden. Luftangriffe gegen Ziele im Irak
wären ohne AWACS-Maschinen kaum denkbar. Allerdings ist zum
Einsatz der NATO-AWACS ein einstimmiges Votum aller
Verbündeten notwendig. Für die Amerikaner gravierender
erscheint jedoch der Umstand, dass die AWACS-Crews
multinational besetzt sind und deutsche Soldaten daran einen
hohen Anteil haben. Theoretisch kann der AWACS-Verband ohne
sie nicht eingreifen. Sollte daher die Bundesregierung den
AWACS-Einsatz blockieren, würde sie sich den Zorn anderer
NATO-Partner, vor allem natürlich der USA, zuziehen. Sollte sie
ihn billigen, wären ohne jeden Zweifel deutsche Soldaten an
Kriegsoperationen beteiligt - unter Umständen auch am Bruch der
eigenen Verfassung. Die gegenüber einer skeptischen
Öffentlichkeit bereits vorauseilend getroffene Zusicherung, das
AWACS-System würde nur defensiv zum Schutze des Luftraumes
der Türkei eingesetzt, ist unter den operativen Aspekten eines
Luftkrieges völlig irreal und stellt eine grobe Irreführung dar.
Die bisher letzte Aktion, mit der sich Deutschland inzwischen am
Vorspiel eines Angriffskrieges beteiligt, ist die Lieferung von
PATRIOT-Raketen an die Türkei, zu der Verteidigungsminister
Struck während der Konferenz für Sicherheitspolitik in München
auf Druck der USA und anderer NATO-Staaten sein Plazet
gegeben hat.
Insgesamt verdichtet sich der Eindruck, dass die Bundesrepublik
immer tiefer im Sumpf eines gegen das Zweistromland geplanten
Krieges zu versinken droht. Höchst bedenklich, dass selbst eine
überwältigende Mehrheit der Bevölkerung in den westlichen
Demokratien ihre Regierungen nicht von dem einmal
eingeschlagenen Kriegskurs abzubringen vermag.
Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt in diesem
Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.
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