Arbeitsplätze
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Stuttgarter Zeitung: Herr Werner, wie wichtig ist Ihnen die Schaffung neuer Arbeitsplätze?
Götz Werner: Überhaupt nicht wichtig. Sonst wäre ich ja ein schlechter Unternehmer. Als solcher habe ich meine Aufgaben zu erfüllen.
SZ: Wäre es nicht Ihre vornehmste Aufgabe, Arbeitsplätze zu schaffen?
W.: Ich muss wirklich sagen, dass ich dieses Gerede von der Schaffung neuer Arbeitsplätze langsam nicht mehr hören kann. Warum wird dem so wenig widersprochen? Die Wirtschaft hat nicht die Aufgabe, Arbeitsplätze zu schaffen. Im Gegenteil. Die Aufgabe der Wirtschaft ist es, die Menschen von der Arbeit zu befreien. Und das ist uns in den letzten 50 Jahren ja auch grandios gelungen.
SZ: Sie finden Arbeitslosigkeit grandios?
W.: Moment. Noch keine Generation in Deutschland musste jemals so wenig arbeiten und hatte gleichzeitig einen solchen Lebensstandard wie wir heute. Als ich ins Gymnasium ging, hatten zwei Kinder in der Klasse einen Fernseher und bei zwei Kindern in der Klasse hatten die Eltern ein Auto. Bei meinen Kindern heute gibt es wahrscheinlich zwei Elternhäuser, die keine zwei Autos haben. Und vielleicht zwei Elternhäuser, die keine zwei Fernseher haben.
SZ: Aber der Wohlstand kommt doch von Arbeit, nicht von Arbeitslosigkeit. Wie schaffen wir es, dass wieder mehr Arbeitsplätze entstehen?
W.: Das ist nicht die Frage, die sich ein Unternehmer stellt. Kein Unternehmer überlegt sich morgens, wenn er in den Laden kommt: Wie kann ich heute möglichst viele Menschen beschäftigen? Allein die Vorstellung ist schon absurd. Die Frage lautet umgekehrt: Wie kann ich mit einem möglichst geringen Aufwand an Zeit und Ressourcen möglichst viel für meine Kunden erreichen? Wie kann ich den Laden besser organisieren? Und besser organisieren heißt immer, Arbeit einzusparen. Das ist ein absolutes unternehmerisches Prinzip.
SZ: Aber Herr Werner. Sie haben bei DM in den letzten Jahren doch selbst tausende von Arbeitsplätzen geschaffen.
W.: Ja schon. Aber unser Unternehmen ist deswegen erfolgreich, weil es produktiver ist als andere. Weil es produktiver ist, wächst es. Weil es wächst, schafft es Arbeitsplätze. Aber die gehen zu Lasten der Arbeitsplätze bei den Unternehmen, die weniger produktiv sind. Volkswirtschaftlich gesehen führt Erfolg bei gesättigten Märkten immer zum Abbau von Arbeitsplätzen.
SZ: Sie halten fünf Millionen Arbeitslose also für einen Beweis der Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft?
W.: Zumindest ist es ein Ausdruck der Produktivitätsentwicklung. Und eine Produktivitätsentwicklung ist immer ein Fortschritt. Ich erinnere mich daran, dass meine Mutter 1959 einen VW-Käfer bestellt hat. Da betrug die Lieferzeit 13 Monate. Können Sie sich das heute noch vorstellen?
SZ: Kaum.
W.: Sehen Sie. Und Anfang der 70er Jahre warb die Post mit dem Motto: Fasse dich kurz. Der Grund war, dass ständig die Leitungen belegt waren und die Leute sich die Finger wund wählten. Stellen Sie sich mal vor, die Telekom oder Vodafone würden heute mit solchen Werbesprüchen kommen. Das ist gar nicht denkbar.
SZ: Sie wollen sagen, dass es uns heute besser geht als früher.
W.: Wir leben quasi in paradiesischen Zuständen. Denn wir sind heute in der Lage, weit mehr zu produzieren, als wir sinnvoll verbrauchen können. Ein Beispiel: Wäre die Wiedervereinigung 20 Jahre früher gekommen, hätte es in Deutschland riesige Mangelerscheinungen gegeben. 1970 war die Wirtschaft noch nicht so weit, mal eben 17 Millionen Menschen mitzuversorgen. 1990 funktionierte das doch erstaunlich glatt. Niemand im Westen musste einen Mangel erleben.
SZ: Dafür sind heute im Osten 20 Prozent der Menschen arbeitslos.
W.: Ja, schlimm genug. Aber diese ganze Diskussion um die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit führt ins Nichts. Und jeder, der etwas von Wirtschaft versteht, weiß doch eines: Die Zeit der Massenarbeit ist vorbei. Ich war gerade in Island. Doch hat mir ein Fischer erzählt, dass die Isländer heute dank Fabrikschiffen mit einem Viertel der Arbeiter vier mal so viel Fisch produzieren wie vor 30 Jahren. Verstehen Sie? 75 Prozent der Leute werden einfach nicht mehr gebraucht. Solche Beispiele gibt es überall. Unsere Fähigkeit, Dinge zu produzieren, übersteigt unseren Bedarf, Dinge zu konsumieren. Das ist eine ganz einfache Tatsache, und keine Arbeitsmarktreform kann daran etwas ändern.
SZ: Trotzdem fordern Politiker, Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften ständig bessere Rahmenbedingungen, damit mehr Arbeitsplätze entstehen können.
W.: Ich weiß. Aber wir müssen uns doch fragen: Was ist eigentlich die Aufgabe der Wirtschaft? Es gibt zwei Aufgaben. Die erste: Sie muss die Menschen mit Gütern und Dienstleistungen versorgen. Und nie in der Geschichte hat die Wirtschaft diese Aufgabe so gut erfüllt wie heute. Wir sehen doch den totalen Überfluss. Obwohl die meisten Fabriken längst nicht ausgelastet sind, wird alles produziert, was man sich wünschen kann.
SZ: Produziert schon. Aber die Leute haben nicht genug Geld, es zu kaufen.
W.: Aha! Jetzt kommen wir zur zweiten Aufgabe: Die Wirtschaft muss die Güter nicht nur produzieren. Sie muss die Menschen auch mit ausreichend Geld ausstatten, um zu konsumieren.
SZ: Ausstatten? Für Geld muss man arbeiten.
W.: Ja, ja. Und wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen, nicht wahr? Dieses Denken sitzt immer noch tief in den Köpfen. Aber damit kommen wir heute nicht mehr weiter.
SZ: Also wollen Sie das Geld einfach verteilen? Das ist doch naiv.
W.: Meinen Sie? Lassen Sie mich bitte auf folgendes Phänomen hinweisen: Warum gehen in Deutschland Baufirmen zu Grunde, obwohl es im Straßenbau dringenden Bedarf gibt und wir die Leistung erbringen könnten?
SZ: Weil der Staat kein Geld hat, die Firmen zu bezahlen.
W.: Ja. Aber dieser Irrtum kommt zu Stande, weil alles immer durch den Geldschleier gesehen wird. Der Lebensstandard einer Gesellschaft hängt doch davon ab, wie viele Güter sie produzieren kann. Nicht davon, wie viele sie finanzieren kann.
SZ: Nicht?
W.: Nein. Nehmen Sie die frühere DDR. Dort gab es Geld im Überfluss, aber man konnte sich nur sehr wenig kaufen. Also was ist wichtiger: Das Geld? Oder die Güter?
SZ: Was also schlagen Sie vor? Die Maschinen arbeiten, und der Staat verteilt das Geld, damit die Bürger konsumieren können?
W.: So ähnlich. Wir brauchen das bedingungslose Bürgergeld. Eine Lebensrente für jeden Bürger. Selbstverständlich können solche Veränderungen nur schrittweise über einen längeren Zeitraum eingeführt werden.
SZ: Wie hoch soll dieses Bürgergeld denn sein?
W.: Hoch genug, um die Grundbedürfnisse zu decken. 1300 bis 1500 Euro.
SZ: Schöne Idee. Und wie wird das finanziert? Sagen Sie jetzt bitte nicht, wir brauchen mehr Steuern.
W.: Keine Angst. Ich bin dafür, alle Steuern abzuschaffen. Bis auf eine: die Mehrwertsteuer.
SZ: Und wie hoch soll die dann sein?
W.: Das könnten bis zu 48 Prozent sein.
SZ: Sie machen Witze.
W.: Nein. Zählen Sie doch mal alle Steuern und Sozialleistungen zusammen. Da haben wir doch schon eine Staatsquote von rund 48 Prozent. Wenn die nur noch über die Mehrwertsteuer zu finanzieren wäre, hätte das riesige Vorteile.
SZ: Welche denn?
W.: Die Mehrwertsteuer ist die einzige Steuer, die den Wertschöpfungsvorgang nicht behindert, nicht bremst, nicht verzerrt. Das heißt: die ganze Produktion wird steuerfrei gehalten und es kann unbehindert investiert werden.
SZ: Also noch mehr Entlastung für die Unternehmen und noch mehr Belastung für die Verbraucher?
W.: Nein. Einfach mehr Klarheit und mehr Fairness. Ich weiß, dass Politiker unterschiedlichster Couleur fordern: Wir müssen die Reichen besteuern, die Unternehmen müssen wir besteuern und damit den kleinen Mann entlasten. Das ist eigentlich eine Lüge. Warum? Weil Unternehmer und Unternehmen faktisch keine Steuern bezahlen.
SZ: Da werden Ihnen einige Unternehmerkollegen widersprechen.
W.: Jammern gehört zum Handwerk. Aber jeder Unternehmer weiß, was man mit Steuern macht: Man muss sie einkalkulieren. Alle Steuern, die die Unternehmen zahlen, fließen in die Preise für die Produkte ein. Letzten Endes zahlt immer der Verbraucher.
SZ: Was wäre also der Vorteil, alle Steuern in der Mehrwertsteuer zusammenzufassen?
W.: Na, der ganze gewaltige Verwaltungsapparat des Staates würde zusammenschnurren. Denken Sie mal daran, wie viele Beamte ihre Zeit damit verschwenden, die Steuern zu erheben, auszurechnen und zu überprüfen. Das wäre alles überflüssig.
SZ: Welche anderen Vorteile hätte Ihr Plan?
W.: Dass die Importe endlich mal richtig besteuert werden. Die billigen Textilien aus China oder Rumänien kommen doch nur so billig hier an, weil sie nur mit einer Mehrwertsteuer von 16 Prozent belastet sind. In jedem Produkt stecken Infrastrukturkosten. Aber die Infrastruktur in Deutschland ist natürlich teurer als die in China. Anders herum würden die deutschen Exporte extrem attraktiv, weil sie von Steuern völlig unbelastet wären. Außerdem würden die Arbeitskosten extrem sinken, weil ja das Bürgergeld auf die Einkommen angerechnet würde.
SZ: Wie soll das funktionieren?
W.: Nehmen wir an, eine Krankenschwester verdient 2500 Euro. Nach Abzug des Bürgergeldes von 1300 Euro müsste das Krankenhaus ihr noch 1200 Euro bezahlen. Sie hätte danach gleich viel, aber ihre Arbeitsleistung wäre für das Krankenhaus viel leichter zu finanzieren. Das Bürgergeld würde die arbeitsintensiven Güter und Dienstleistungen entlasten und dadurch den Arbeitsmarkt enorm beleben. Insgesamt würden die Preise dadurch gleich bleiben, denn der Staat müsste ja das zu zahlende Bürgergeld über die Mehrwertsteuer wieder refinanzieren.
SZ: Aber wer wird denn in Zukunft noch arbeiten, wenn er für 1500 Euro auch zu Hause bleiben kann?
W.: Sie unterschätzen den immateriellen Wert der Arbeit. Viele Menschen haben sehr viel Spaß an ihrer Aufgabe. Denken Sie auch an alle sozialen Berufe und die ganze Kulturarbeit. Da gibt es einen riesigen Bedarf in der Gesellschaft, der endlich finanzierbar wäre.
SZ: Und die langweiligen, die unangenehmen Jobs?
W.: Die müssten dann eben höher entlohnt werden, wenn wir sie benötigen. Natürlich wird es dann zukünftig Berufe und auch Unternehmen geben, denen es schwer fallen wird, Menschen zu finden. Warum? Weil ja die Menschen dann nicht mehr arbeiten werden, weil sie müssen, sondern weil sie in ihrer Arbeit eine Sinnerfüllung erleben. Und auch, weil es ihnen Spaß macht.
SZ: Herr Werner, alle sprechen von der Krise. Wer Ihnen zuhört, könnte denken, es geht Deutschland ausgezeichnet.
W.: Das stimmt ja auch. Unser Land hat noch nie so viel Wohlstand produziert wie heute. Wir haben nur Schwierigkeiten, den Wohlstand zu verteilen. Das sind wir einfach nicht gewohnt.
SZ: Also keine Krise?
W.: Jedenfalls keine Wirtschaftskrise. Die Frage, die mich wirklich umtreibt, ist eine andere. Wir steuern auf eine Gesellschaft zu, in der die Arbeit verschwindet. Und die Frage ist nur, was die Menschen dann alle mit ihrer Zeit anfangen. Das ist eine Kulturfrage. Das Problem, das wir haben, liegt nicht auf dem Arbeitsmarkt sondern eigentlich in der Kultur. Leider ist dieses Thema im Bewusstsein der Gesellschaft kaum vorhanden. Aber genau hier müssen wir ansetzen.