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zeitzeugin schrieb am 22.5. 2004 um 17:34:17 Uhr über

MetropolitanDetentionCenter

Der Fluch des falschen Verdachts

Terrorkrieg auf Amerikanisch: Ein Algerier ohne Schuld gerät in die Mühlen der Justiz und findet nicht heraus

Von Thomas Kleine-Brockhoff

Buffalo, NewYork

Das Verblüffendste an BenamarBenatta ist seine Nachsicht. Wie ein Chorknabe sitzt er da in seinem olivfarbenen Nylonhemd, das ihm die Gefängnisleitung eigens für das Interview verpasst hat. Die Hände sind brav gefaltet und liegen zwei Stunden lang regungslos auf dem Tisch. Nur einmal nimmt er sie hoch, um zu zeigen, wie ihm Wärter das Handgelenk verdrehten, als er an Armen und Beinen und Hüften in Ketten lag. Aus seinem Mund kommt kein lautes Wort und vor allem kein Vorwurf. Dabei hätte er allen Grund, seine Geschichte herauszuschreien wie eine Anklage gegen all jene, die ihn weggeschlossen, beleidigt, gequält und seiner Rechte beraubt haben. Stattdessen sagt er, nichtempörtsei er, sondernenttäuscht“: „Wenn so etwas in der Dritten Welt passiert wäre! Aber in Amerika?“

Benatta, 29 Jahre alt, algerischer Staatsbürger, ist unschuldig. Er war (anders als zunächst vermutet) nicht am Anschlag auf das WorldTradeCenter beteiligt. So steht es im amtlichen Persilschein der Bundespolizei FBI, ausgestellt im November 2001, zwei Monate nach der Verhaftung. Doch sogar zwei Jahre später kann man mit BenamarBenatta nicht in Freiheit sprechen. Ein Besuchsantrag ist zu stellen bei der Federal Detention Facility in Batavia, Bundesstaat New York, eine halbe Autostunde östlich von Buffalo. Sobald die Genehmigung vorliegt, führt ein freundlicher Vollzugsbeamter durch das Gebäude, einen Zweckbau von der Tadellosigkeit eines Kreiskrankenhauses. Der Besuchsraum V 108 ist fensterlos, vielleicht zwei mal vier Meter groß, cremeweiß getüncht, mit Tisch und Stühlen möbliert. Zwei Beamte führen Benatta herein. Bald wird er sagen, er sei anfangs ein „Gefangener der Terrorismus-Panikgewesen und späterverloren gegangen im System“.

Rasieren ist im Knast verboten, Klopapier gibts auf Anforderung

Eine weniger wohlwollende Interpretation der Ereignisse sieht im Fall Benatta eher die neue Norm eines Rechtsstaates à la John Ashcroft. Amerikas eiserner Justizminister hat im Kampf gegen den Terror ein paar tausend Ausländer muslimischen Glaubens verhaften lassen. Wie viele es genau sind, ist nicht zu erfahren. Die letzte amtliche Angabe datiert vom November 2001. Zwar sind viele längst wieder entlassen. Aber nur die Regierung weiß, wer auch jetzt noch einsitzt. Erkennbar ist allein, dass die Verdachtsmomente bis heute bei keinem der Inhaftierten zur Anklage wegen einer terroristischen Straftat ausreichen. Auch nicht bei BenamarBenatta. Stattdessen stellt ein Amtsrichter im September 2003 fest, die Bundesbehörden hätten ein juristisches „Täuschungsmanöver“ inszeniert, um Benatta dauerhaft festzusetzen. Ihre Haft-Begründungen grenzten „an Lächerlichkeit“. Benatta seiunter harschen und repressiven BedingungenseineFreiheit entzogen“ worden. Ihn länger festzuhalten hieße, „zum Mitspieler der Scharade zu werden“. Doch der Amtsrichter darf nur eine folgenlose „Empfehlungzur Freilassung aussprechen.

BenamarBenatta wird am 16. September 2001, fünf Tage nach dem Terroranschlag von New York, ins MetropolitanDetentionCenter nach Brooklyn gebracht. Das ist ein riesiger Klotz, dessen oberster Stock, der neunte, als Hochsicherheitstrakt dient. Die Zellen liegen an zwei Gängen einander gegenüber. Dazwischen Gitterkäfige ohne Dach. 84 Menschen, die sich im Schleppnetz der Terrorfahnder verfingen, kommen in jenen Tagen auf dem Dach an. Dass Benatta dazuzählt, verwundert ihn nicht mal selber. Hatte er nicht gerade als Luftfahrtelektroniker einen Lehrgang besucht? War er nicht länger geblieben, als das Visum erlaubte? Hatte er sich nicht eine falsche Sozialversicherungskarte besorgt? Wollte er nicht sechs Tage vor dem Anschlag in Kanada Asyl beantragen? Da kann man schon, meint Benatta, „ein bisschen Verdacht“ schöpfen.

Andererseits will es die Ironie der Geschichte, dass Benatta selbst Terrorbekämpfer ist. Im Dienste eines autoritären Regimes reist er zur Fortbildung nach Amerika. Seine Mission bei der Rüstungsfirma Northrop Grumman gilt, wie er sagt, alstop secret“. Unter den 40 Offizieren der algerischen Luftwaffe habe er eine „herausgehobene Positionbekleidet. Mehr verrät er nicht. Ist er Vorgesetzter gewesen? Oder Aufpasser vom Nachrichtendienst?

Seine geheimste Mission ist jedenfalls persönlicher Natur. Er bringt Geld mit und dazu seine Zeugnisse. Denn im Herzen trägt er den amerikanischen Einwanderer-Traum. Benattas Glücks-vorstellung hat einen Namen: Columbia. So heißt die Hochschule, „die beste der Welt“, um in seiner Fachrichtung einen Doktor zu machen. Er erzählt, wie er im April 2001 untertaucht. Mit einem russisch-jüdischen Einwanderer teilt er sich eine kleine Wohnung in New York. Er arbeitet in einem Restaurant, der übliche Tellerwäscher-Job. Später besucht er eine Bartender-Schule, lernt, Drinks zu mixen: „Martini, Manhattan, Screwdriver und solche Sachen.“ Das liegt ihm, „die Leute, die Clubs, die Musik“. Man kann sich Benatta in der Szene Manhattans leicht vorstellen. Er sieht gut aus, hat ein feines, bronzefarbenes Gesicht. In den braunen Augen sitzt die Melancholie des mediterranen Herzensbrechers.

Für einen Gotteskrieger wäre der Bartresen die perfekte Tarnung. Aber wahrscheinlich stimmt einfach nur, was Benatta behauptet: dass ernicht sonderlich gläubigist. Jedenfalls findet er als Bartender keinen Job, solange er nicht gut Englisch spricht. Als ihm das Geld ausgeht, verfällt er der Depression. Schließlich bricht er nach Kanada auf. Es ist der 5. September 2001. Das Schicksal nimmt seinen Lauf.

Die bizarrste Sequenz im Gespräch sind jene Minuten, in denen Benatta aus dem Gefängnis in Brooklyn berichtet. Seine Stimme klingt gleichmütig. Er seziert die Geschehnisse, als handelten sie von einer anderen Person. Ohne Ausschmückung berichtet er, wie die Wärter ihn durch den Flur scheuchen und in eine Betonwand rammen, Kopf zuerst. Wochenlang vegetiert er in Einzelhaft vor sich hin. 23 Stunden Abschluss, 24 Stunden lang brennt das Licht. Das Gesicht darf er nicht unter der Bettdecke verstecken. Alle halbe Stunde schlägt ein Wärter an die Tür. Schlaf findet er kaum. In der Zelle gibt es eine Toilette, Papier aber nur auf Anforderung, Zahnbürste und Zahnpasta einmal die Woche. Rasieren und Haareschneiden sind verboten. Als er einem Richter vorgeführt wird, glaubt er, dass eraussieht wie ein Terrorist“. Er beschwert sich, und als er zum zweiten Mal vor den Richter tritt, darf er sich vorher rasieren, nicht aber die Haare schneiden. Das geschieht übrigens nicht nach 24 Stunden oder einer Woche, sondern nach einem halben Jahr. Monate verstreichen, bis er im Dachkäfig spazieren gehen darf. „Wenn du an die frische Luft trittst“, sagt Benatta, „glaubst du, jemand gebe dir deine Freiheit zurück.“

Kann das alles stimmen? Auf der Heimreise vom Interview im Gefängnis wachsen die Zweifel. Hat Benatta dramatisiert, um endlich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erhaschen? Ist glaubhaft, dass in einem amerikanischen Gefängnis Menschen, die von Ferne des Terrorismus verdächtig scheinen, in Ketten gelegt und misshandelt werden? Die Zweifel verfliegen, als just am Tag des Gefängnisbesuchs, dem 18. Dezember 2003, der Inspektor des Justizministeriums einen Bericht über die Zustände im MetropolitanDetentionCenter veröffentlicht. Schon im Oktober 2001 hatten Häftlinge Beschwerde geführt. Wenig ließ sich erhärten. Vor ein paar Monaten hat der Inspektor aber Videoaufnahmen aus dem Inneren des Knastes gefunden, die monatelang vor ihm verborgen worden waren. Sie zeigen im Bild, was die Häftlinge immer behauptet haben. Gewalt und Amtsmissbrauch in den Wochen nach dem Terroranschlag sind damit erstmals amtlich beglaubigt. Der Inspektor, ein Angestellter des Justizministeriums, hat einen Beweis seiner Unabhängigkeit geliefert.

Sein Bericht beschreibt die aufgeputschte Atmosphäre jener Tage. Als die ersten Gefangenen gebracht werden, fühlen sich die Wärterwie vor der Schlacht“. Das Personal glaubt, es würden jene Terroristen eingeliefert, die für den Anschlag in Manhattan veranwortlich sind. Einige Bedienstete haben dort Verwandte und Freunde verloren. Folglich begrüßen sie die Häftlinge mitterrorist“, „mother fucker“, „fucking muslimoderbin Laden junior“. Die Häftlinge hören: „Was ihr am WorldTradeCenter gemacht habt, machen wir jetzt mit euch.“ Nach ersten Beschwerden über Misshandlungen lässt die Aufsichtsbehörde seit dem 5. Oktober 2001 jede Bewegung der Häftlinge filmen. Die Dauer-Beobachtung bremst die Beamten offenbar ein wenig. „Die Kamera ist dein bester Freund“, sagt einer der Wärter einem Häftling. Trotzdem zeigen die Videoslaut amtlichem Bericht – „unprofessionelles Verhaltenvon 20 Beamten.

In der Eingangshalle hängt ein weißes T-Shirt, auf das eine US-Flagge gedruckt ist. Darunter der Satz: „Diese Farben laufen nicht weg.“ Diverse Häftlinge werden zur Begrüßung mit dem Kopf auf das Sternenbanner an der Betonwand geschmettert. Die Videos zeigen auf dem T-Shirt Blutflecken, die offenbar absichtsvoll nicht abgewaschen werden: Zwei sehen aus wie die Umrisse blutiger Nasen, einer wie blutige Spucke. Keiner der befragten Wärter kann sich die Herkunft der Spuren erklären. Keiner rechtfertigt Misshandlungen mit der Grausamkeit des Terroranschlages. Keinem ist aber angesichts der Videobeweise noch zu trauen. Der Inspektor des Ministeriums empfiehlt Disziplinarverfahren gegen zehn Beamte und mehrere noch nicht identifizierte Wärter.

Die US-Regierung charakterisiert die Enthüllungen als Übergriffe einzelner kleiner Beamter. Tatsächlich vermerkt der Bericht des Inspektors, dass es keine Indizien für ähnliche Zustände in anderen Gefängnissen gibt. Allerdings steht dort auch, die Häftlinge hätten „mangelhaften Zugang zu Anwältengehabt. Sie nur wegen Verletzung des Einwanderungsrechts festzuhalten und ihnen so Anwälte und Anklagen möglichst lange vorzuenthalten ist aber nicht Beamten zuzuschreiben. Es handelt sich um die erklärte Politik des Justizministers. John Ashcroft sagt am 25. Oktober 2001: „Terrorismusverdächtige wegzuschließen, die irgendein Gesetz gebrochen haben, ist unsere Strategie zur Verhinderung weiteren Terrorismus’.“ Er beruft sich auf seinen Amtsvorgänger RobertKennedy, der einmal sagte, er werde jeden Gangster verhaften lassen, auch wenn dernur auf den Gehweg gespuckthabe.

Die massenhafte Präventivhaft von Ausländern hat in Krisenzeiten Tradition. Sie begann 1798 mit dem Enemy Alien Act gegen radikale Immigranten aus Irland und Frankreich, lebte nach dem Ersten Weltkrieg mit den Palmer Raids von 1919 wieder auf und fand ihren Höhepunkt im Zweiten Weltkrieg, als 110000 japanische Einwanderer interniert wurden. Über diehistorische Tendenz zur Überreaktion in Phasen der Furcht“ herrsche in Amerika große Einigkeit, schreibt David Cole in seinem neuen Buch »Enemy Aliens«. „In der Rückschau werden solche Reaktionen als beschämende Exzesse gesehen. Aber in ihrer Zeit geschehen sie ohne großen Widerstand.“ Cole, der an der Universität Georgetown Jura lehrt, hält die strafrechtliche Benachteiligung von Ausländern für „verfassungsrechtlich zweifelhaft und unmoralisch“.

Amerikas Bedauern im Fall Benatta steht noch aus. Der erste Schritt wäre seine Freilassung. Zwei Monate hat es gedauert, ihn vom Vorwurf des Terrorismus zu entlasten. Sechs Monate, ihm einen Anruf beim Anwalt zu gestatten, einem Richter vorzuführen und aus dem Hochsicherheitstrakt zurück in die Administrativhaft der Einwanderungsbehörde zu überführen. Nach 24 Monaten empfiehlt ein Richter die Freilassung. Nach 25 Monaten legt ein Staatsanwalt Widerspruch ein, nur um den Vorwurf des illegalen Aufenthalts und der Dokumentenfälschung fallen zu lassen (es hätten sich, wenn überhaupt, höchstens sechs Monate Haft daraus ergeben). In dieser Phase erfährt die Öffentlichkeit aus den Buffalo News erstmals von der Existenz des Häftlings Benatta. Heute, nach 27 Monaten Haft, läuft das Asylverfahren.

Die Opposition gegen Ashcrofts brachiale Justizpolitik wächst

Seit April 2002 darf Benatta die Gefängnisbücherei benutzen. Zuerst hat er Englisch gelernt und dann die amerikanische Verfassung gelesen, einschließlich der Zusätze, zum Beispiel Artikel 5: Recht auf öffentliche Anklage. Oder Artikel 6: Recht auf unverzüglichen und öffentlichen Prozess. „Sehr beeindrucktsei er; die Regeln des Rechtsstaates, so sagt er, hätten ihnüberzeugt“. Für seine eigene Behandlung könne man nichtdie ganze Regierung verantwortlich machen“. Vielmehr beweise sein Fall, dassdas System funktioniert“. Denn der Staat reagiere letztlich auf Widerspruch, und sogar er, BenamarBenatta aus dem fernen Algerien, habe seine Unschuld beweisen können. „Zu Hause“, meint er, „wäre das nicht passiert.“

Wer diese Sätze in der aseptischen Atmosphäre des Besucherzimmers hört, nach 27 Monaten schuldloser Inhaftierung, der schweigt und stellt sich im Stillen die Frage: Woher nimmt Benatta diese Milde, diese Langmut? Biedert er sich in der Not an seine Peiniger an, damit sie ihn nicht abschieben in eine Heimat, in der er als Deserteur gilt? Warum, andererseits, gibt er dann seine Misshandlung zu Protokoll?

Vielleicht hat er einfach nur Recht, und der Fall Benatta erzählt über einen Justizexzess so viel wie über den Widerstand dagegen. Tatsächlich wächst überall die Opposition gegen die brachiale Politik des John Ashcroft. Vor wenigen Wochen ist dessen Vorschlag weiterer Gesetzesverschärfungen im Kongress einfach ignoriert wordenmangels Unterstützung. Längst befindet sich, wie die Washington Post schreibt, „die Exekutive im Kampf mit der Judikative“. Zuletzt haben im Dezember zwei Bundesobergerichte der Regierung das Recht bestritten, Verdächtige ohne Anklage und anwaltliche Betreuung festzuhalten. Das Verfassungsgericht will die Beschwerden der Häftlinge von Guantánamo prüfen. Schon jubelt Elisa Massimino, Direktorin des Lawyers’ Committee for Human Rights: „Das Pendel schwingt zurück.“ Ob das stimmt, wird erst der Urteilsspruch des Verfassungsgerichts weisen.

BenamarBenatta träumt unterdessen weiter von der Columbia-Universität. Im Januar ist seine Asyl-Anhörung. Eine schnelle Entscheidung erwartet er nicht. „Das kann dauern, vielleicht ein Jahr, vielleicht zwei“, erklärt er im Gestus des Experten. „Jede Seite kann ja Widerspruch einlegen.“ Über den Rechtsstaat hat Benatta in amerikanischer Haft viel gelernt.


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