Yahwe Mutabo schrieb am 24.12. 2005 um 23:48:04 Uhr zu
Bewertung: 1 Punkt(e)
Enttäuscht musste ich feststellen, dass das, was einen guten, spannenden und anspruchsvollen Comic mit Micky Maus, der ältesten Disney-Figur überhaupt, immer ausgezeichnet hat, in den letzten Jahren oder seit ca. 40 LTB Ausgaben, den Weg in die Öffentlichkeit kaum noch und immer weniger gefunden hat bzw. findet.
Micky Maus Comics zeichneten sich in nahezu allen LTBs zwischen Band 2 und ungefähr Band 260 durch eine gut aufgebaute logische Handlung und durch viel Spannung aus. Angereichert wurde dies durch pointierten, geschickt platzierten Witz, zumeist durch die Figuren Goofy und Inspektor Issel repräsentiert, wobei aber auch kleinere Scharmützel zwischen Micky und seiner Verlobten Minni bzw. seinen Neffen Mack und Muck angenehm und unterhaltsam zu lesen waren.
Dies fehlt jedoch bei den neueren Comics aus der kostenaufwendigen Egmontschen Eigenproduktion leider völlig. Stattdessen muss der geneigte Leser feststellen, dass sich der sympathische kleine Nager zunehmend verändert - und das nicht zum Guten. Aus dem netten Mäuserich, dessen Handeln in der Regel durch Verstand und Idealismus gesteuert war, ist nun eine völlig neue Kreation geworden, die mit dem ursprünglichen Micky außer seinem Aussehen kaum noch etwas gemein hat. Micky mutiert zum trotteligen Tollpatsch, zum geistigen Kleinkind, zum gefährlichen Chaosstifter, zum schieren Instinktwesen. Dies hat zur Folge, dass die Charaktere Goofy und Inspektor Issel, die bisher diese Eigenschaften für sich in Anspruch nahmen und so den Gegensatz zum kühlen Erfolgsmenschen Micky bildeten, nun nahezu völlig aus den Comics verdrängt werden, da für solche Charaktere nun einfach kein Platz mehr ist. Dadurch werden die Geschichten zwangsläufig Micky-zentrierter und somit eintöniger und spröder, da es nun kaum noch möglich ist, durch verschiedenartige Charaktere frischen Wind in die Geschichten zu bringen.
Einige Beispiele für die negativen Veränderungen der neueren Micky-Comics:
1.: In allen neueren Geschichten ist Mickys oben beschriebene Charakter- und Verhaltensänderung zu sehen.
2.: Während sich Micky früher in intelligenten und aussagekräftigen Sätzen artikulieren konnte, die oftmals mit hintergründigem Witz versehen waren, verkümmert sein Sprachschatz nun völlig. Statt interessanter pointierter Dialoge bringt Micky nun nur noch seltendämliche platte Sprüche wie: „Hm... vielleicht fehlt ihnen ja einfach nur ein kräftiger Schluck Milch!“ oder „Freut euch, Kinder! Hier kommt der Milchmann mit frischer Vollmilch von einer munteren Mondkuh!“ (LTB 307) zustande.
3.: Der nächste Punkt ist die stark verstärkte Darstellung von Gewalt in den neueren – für Kinder gedachten - Micky-Comics. Während früher bei Prügeleien standardmäßig eine Rauchwolke oder ein Vorhang zu sehen waren, werden nun, wie in LTB 292, brutale Schlägereien gezeigt, während Micky sogar mit Giftpfeilen um sich schießt, woraufhin eine andere Figur beinahe erstickt. Weiteres Beispiel ist auch der Comic „Traumkämpfer“ aus LTB 304:
Auf den Seiten 88-91 ist ein Micky zu genießen, der auf 4 (vier) Seiten sich breit grinsend (!) mit dem schwarzen Phantom ein Gemetzel mit Riesenkanonen liefert und dabei Sprüche wie „Es macht mir wirklich Spaß“; „ein klarer Punkt für mich!“ oder „Haha!“ (2x) zum Besten gibt, während das schwarze Phantom die Schlacht mit „Ich hab einen größeren Ballermann“ und „Mein Strahler ist immer noch größer!“ kommentiert.
Solche Szenen sollten doch in einem Micky-Comic überhaupt nichts zu suchen haben!
4.: Viele der neueren Micky-Geschichten verfügen über keinen vernünftigen Handlungsstrang mehr. Das inhaltliche Grundgerüst ist lückenhaft, fehlerhaft und widersprüchlich. Versuchen Sie doch bitte einmal, das Handlungsgrundgerüst des Comics „Traumkämpfer“ aus LTB 304 in 6-7 Zeilen widerspruchslos und verständlich nachzuerzählen! Sie werden sehen: Es ist unmöglich. Damit keine Missverständnisse entstehen: Wir wollen auf keinen Fall logische Unstimmigkeiten oder kleinere Fehler kritisieren, dadurch gewinnen Comics sogar oftmals ihre Würze; das grobe Handlungsgerüst eines Comics sollte aber stimmen!
5.: Die allgemeine Handlung. Früher garantierten Micky-Geschichten Spannung und Witz. Dies ist bei den dänischen Micky-Geschichten in der Regel überhaupt nicht der Fall. Spannung wird so gut wie gar keine erzeugt, und der Witz beschränkt sich ausschließlich auf einige äußerst platte hingeworfene Sprüche Mickys. Auch die Handlungen der einzelnen Geschichten sind stupide, eintönig und langweilig. Als Beispiel gibt es die grauenerregende Micky-Geschichte „Angriff der Riesenpinguine“ aus LTB 302. Von der Handlung her absoluter Schwachsinn, und Mickys abscheuliche Gestaltveränderungen sind eine kaum noch zu überbietende Geschmacklosigkeit. Auch wird hier mit einem ernsten Thema (Genveränderungen) völlig fahrlässig umgegangen. Was soll ein zehnjähriges Kind denken, wenn es diese Geschichte liest, und zwei Tage später die „BILD“-Schlagzeile liest, dass soundsoviel Prozent aller deutschen Brote aus genverändertem Getreide hergestellt ist? Nach Lektüre der Micky-Geschichte wird es doch kaum noch einschlafen können, weil es denkt, wenn es von diesem Brot isst, würde ihm plötzlich auch ein Schnabel, Eselsohren, ein Giraffenhals und Hufe wachsen. Egmont wird seiner Verantwortung, die es hat, mit so etwas in keinster Weise gerecht. Die Fehlleistung dieser Geschichte konnte von Egmont einzig und allein nur noch durch die verWalzung des 31. Asterix-Bandes überboten werden.
6.: Neben sowieso nur äußerst lauen Geschichten sind auch die Schlüsse der Comics zumeist vollkommen misslungen. Früher wurden Kriminalgeschichten spannend aufgelöst, nun gibt es stattdessen nur noch Schwachsinn zu sehen. Beispiel ist die „Spaghetti-Plantage“ aus LTB 305. Nach einer an sich nicht allzu schlechten Geschichte kommt ein blamabler Schluss: Ein Hubschrauber, an Bord die Verbrecher, wird von 6 Männern an einem Seil festgehalten, woraufhin die mit Gewehren bewaffneten Schurken landen und aufgeben.
Auch die Schlusssprüche sind flach und dämlich geworden: „Also von Größe will ich erstmal nichts mehr hören!“ (LTB 302). Da waren ja selbst die Schlusssätze, die früher zumeist Goofy vorbehalten waren, noch pointierter und geistreicher.
Natürlich soll Micky aber auf keinen Fall ein besserwisserischer, arroganter, überheblicher und immer Erfolg habender Charakter sein. Ein Beispiel wäre Mickys Verhalten in der ebenfalls von Egmont selbst produzierten Geschichte „Ein Schlitzohr unter Galgenvögeln“ (LTB 212), in der es zwischen Micky und Kommissar Hunter folgenden Dialog gibt: Micky: „Was gibt's denn, Herr Kommissar? Sie sagten, es sei dringend!“ Hunter: „Ha! Dringend ist gar kein Ausdruck, Herr Maus!“ Micky: „Ein schwerer Fall? Also gut, sagen Sie mir, wen Sie diesmal hinter schwedische Gardinen bringen wollen, und ich erledige das für Sie!“ Hunter: „Sie will ich dort sehen!“ Dabei hat Micky zudem einen äußerst unsympathischen und arroganten Gesichtsausdruck. So sollten Micky-Comics selbstverständlich auch nicht aussehen.
Oft ist das Argument zu hören, Micky müsse zum Kleinkind mutieren, da der besserwisserische Micky bei einem Großteil der Leser unbeliebt sei. Daran sind sicherlich Geschichten wie die genannte mit Schuld, aber so soll Micky ja in Zukunft auch nicht wieder werden. Auch die Behauptung, mit diesen Comics wolle man den Typus der erfolgreichen Micky-Comics von Gottfredson fortführen, ist nicht akzeptabel, da auch bei Gottfredson die Geschichten weitaus besser strukturiert und auch intelligenter waren, bei ihm waren die Comics nicht, wie die heutigen Micky-Comics aus dem Hause Egmont, ein nichts an Handlung und auch Micky war geistig nicht restlos verkümmert.
Stattdessen sollte Micky wieder ein sympathischer Abenteurer und Detektiv werden, der sich wie ein freundlicher normaler Mensch verhält; weder ein arroganter Besserwisser, noch ein geistiges Kleinkind. Für die Leser, denen auch der frühere LTB-Micky noch zu naseweis war, gibt es ja Figuren wie Goofy und Issel, die das genaue Gegenteil verkörpern, die aber durch den neuen, mutierten Micky-Typus zwangsläufig zurückgedrängt wurden, zum Leidwesen der vielen Leser, denen die bisherige Mischung zwischen Micky und Goofy/Issel gerade recht war. Um den Lesern, die mit dem alten Micky unzufrieden waren, auch gerecht zu werden, ist es keineswegs nötig, im LTB nur noch Geschichten eines geistig verkrüppelten Mickys abzudrucken; diesen Zweck verfolgten doch hervorragend die Geschichten der Reihe „Mittwochs bei Goofy“, in der Mickys normaler Typ karikiert wird. Diesen Geschichtentyp könnte man doch fortsetzen bzw. weiterentwickeln.
Was treibt die Autoren dazu, aus der guten, alten Micky Maus ein überwiegend spaßgetriebenes, dafür aber nicht denkendes Wesen zu machen, das sich wie ein (unreifes) Kleinkind verhält?
Die Mutation der Micky Maus von einer klugen, intelligenten, verstandgesteuerten Maus zu einem sein Glück in Streichen findenden und extrem kindisch auftretenden Wesen, das auf ältere Leser durchgängig albern wirken muss, ist für diesen nicht zu erklären und frustrierend. Dies wird doch auch dem von Peter Höpfner formulierten Ziel, das LTB wieder „schulhoftauglich“ zu machen, in keinster Weise gerecht. Bei solchen Micky-Geschichten in den LTBs wächst die Akzeptanz 12-17-jähriger für gleichaltrige Comicleser auf dem Schulhof doch wohl sicherlich nicht, im Gegenteil werden sie wohl eher „läppscher Kinderkram“ denken und sagen.
Der Leser sieht sein geliebtes Hobby, den anspruchsvollen Disney-Comic, von der Bildfläche verschwinden, ersetzt durch ein nur noch äußerlich ähnliches Produkt, das im Inneren ein komplett anders strukturiertes Konzept enthält.
Man denke nur an die Einflüsse der Vergangenheit, die die Maussche Comicwelt nachhaltig verändert haben. Charaktere wie Atömchen, Gamma oder Professor Wunderlich sind aufgebaut auf Hintergründen, die sogar dazu dienten, das Interesse an den wissenschaftlichen Hintergründen zu wecken, oder andere, charakterlich ausgeprägte Wesen wie die Professoren Marlin und Zapotek oder auch Indiana Goof. Charaktere, die ganz offensichtlich nicht während einer fünfminütigen Kaffeepause auf einer Serviette in ihrer Tiefe entstanden sein können, während dies bei den Neben- und sogar bei den meisten Hauptcharakteren der aktuellen Comics der Fall zu sein scheint. Hingegen war eine echte Konzeption notwendig, die allen, dem Autoren beim Schreiben und dem Leser beim Lesen, zwar mehr Arbeit abverlangte, dafür aber auch mehr als nur einen oberflächlichen Anriss einer Comic-Welt bieten könnte. All dies ist offensichtlich verdrängt worden durch den traurigen Trend zum kurzen, schnellen, grellen, der nicht mehr eine, zumindest in Teilen, anspruchsvolle und hintergründige Unterhaltung will, sondern offensichtlich darauf abzielt, für eine spontane Erheiterung des Einmal-Lesers zu sorgen, dabei aber den Leserstamm, der ein höheres Niveau gewohnt war, vollkommen vor den Kopf stößt.
Falls es so sein sollte, dass die junge Leserschaft, abgestumpft durch die vielfältigen grellen Einflüsse der modernen Medienlandschaft, einen solchen Charakter der Micky Maus vorzieht, ist das dennoch kein Grund, diese so zu verändern. Für diese Zielgruppe, die offenbar nicht gewillt ist, etwas tiefergehende und vielleicht anspruchsvollere Comics zu lesen, müsste man dann einen eigenen, neuen Charakter entwickeln, aber nicht einen etablierten und geliebten derart verfremden, wie es derzeit geschieht.
Im Mittelpunkt scheint überwiegend nicht mehr die Unterhaltung des Lesers durch interessante Storys zu stehen, sondern die Umsetzung von komplett anderen Plots, die entweder eine komplett andere Zielgruppe ansprechen als die der gleichen Publikation einige Jahre zuvor oder die der Zielgruppe nicht mehr zutrauen, sich mit dem Comic wirklich zu beschäftigen.
Das Selbstverständnis des Micky-Comics als solchen scheint sich in eine unglückliche Richtung gewandelt zu haben:
Es ist nicht mehr der anspruchsvolle, aber spannende, fesselnde und auch sammelnswerte Comic vergangener Tage, sondern ein Comic, der darauf angelegt scheint, nach einmaligem Lesen in die Ecke gestellt und vergessen zu werden, da er nur ein oberflächliches Vergnügen bietet.
Die zuvor kritisierten Punkte sind besonders auf die dänischen Autoren Pat & Carol McGreal, Mark & Laura Shaw, Stefan Petrucha, Darko Macan, Michael T. Gilbert, Andreas Pihl, Rune Meikle, Sarah Kinney und Paul Halas und die Zeichner Xavi, Maximino, Joaquin, Miguel und Gonzalez zurückzuführen. Warum werden in den LTBs fast ausschließlich qualitativ minderwertige Comics von diesen Personen abgedruckt? Stattdessen gibt es doch noch viele bisher in Deutschland unveröffentlichte Micky-Comics der Spitzenzeichner Romano Scarpa, Massimo De Vita, Giorgio Cavazzano, Corrado Mastantuono, Sergio Asteriti, Silvio Camboni, Giulio Chierchini, Giovan Battista Carpi, Silvia Ziche, Giampiero Ubezio, Luciano Gatto, Lino Gorlero, Franco Valussi, Roberto Vian, Roberto Santillo und Giuseppe Zironi. Warum können nicht Geschichten dieser Zeichner veröffentlicht werden?
Es ist nicht so, dass die aufgezählten Autoren und Zeichner aus dem Hause Egmont nicht in der Lage wären, auch gute Micky-Comics zu produzieren, dies beweisen die zahlreichen spannenden, unterhaltsamen und gut gezeichneten dänischen Micky-Comics, die bis zur Mitte der neunziger Jahre produziert wurden, seit ungefähr 5 – 6 Jahren scheinen diese Herren aber leider dazu angewiesen worden zu sein, nur noch Micky-Comics vom Typus, wie sie hier beschrieben wurden, zu entwerfen. Ein Beispiel könnten sich oben genannte Autoren, Zeichner und deren Redakteure an den Comic-Künstlern nehmen, die die Welt Entenhausens entscheidend geprägt, verändert und vertieft haben, so zum Beispiel Walt Disney selbst, außerdem Floyd Gottfredson, Carl Barks und viele andere. Sie versuch(t)en stets, den Lesern die bestmögliche Unterhaltung zu bieten und es ihnen mit komplexen, vielschichtigen Charakteren, einem glaubwürdigen Plot und gut recherchiertem Hintergrundwissen zu ermöglichen, in die Story einzutauchen. Ihre Geschichten, die von hintergründigem Witz und liebevollen Details sprüh(t)en, sind/waren trotz ihrer Komplexität gleichermaßen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene ein außerordentliches Lesevergnügen. Sollte man das alles jetzt endgültig aufgeben, nur um eine unsichere Kundschaft zu Lasten der treuen Leserschaft für nur kurze Zeit an die Comics zu binden?
Wir sind verärgert über die seit einigen Jahren anhaltende Entwicklung im LTB von Micky Maus zu einer schwachsinnigen Witzfigur hin. Wir hoffen darauf und bitten mit diesem Brief darum, dass die zuständigen Redakteure sich dessen besinnen, und demzufolge wieder verstärkt normale Micky-Comics aus Italien für die Veröffentlichung im LTB aussuchen und an die verlagseigenen Autoren und Zeichner appellieren, die Mutation Mickys zum chaotischen Kleinkind zu beenden und stattdessen Micky wieder etwas vernünftiger und erwachsener darzustellen und außerdem auch die zahlreichen Nebenfiguren wieder etwas stärker in den Vordergrund dringen zu lassen. Sicherlich gibt es weltbewegendere Ereignisse als Micky Comics, über die man sich aufregen kann, der Abfall der Qualität der Comics in den LTBs der letzten Jahre, insbesondere der Micky-Comics, hat uns aber dermaßen verärgert und enttäuscht, dass wir es angemessen finden, dies mit diesem „offenen Brief“ zum Ausdruck zu bringen und damit vielleicht auch eine Veränderung erreichen können. Wenn Micky-Geschichten sich in Zukunft wieder auf einem akzeptablen Niveau befinden würden, würde es den vielen Fans auch wieder etwas mehr Spaß machen, das „Lustige Taschenbuch“ zu lesen. Ist dies nicht das eigentliche Ziel eines jeden Redakteurs von Comicheften?