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wuming schrieb am 24.7. 2010 um 03:32:01 Uhr über

Taschenbuch

Philosophie für die Hosentasche
Im strengen Sinn verdienen die meisten Taschenbücher ihren Namen doch gar nicht. Zum Beispiel das neue Buch von Slavoi Žižek
Bei Suhrkamp erschienen, ist Die Tücke des Subjekts, ein über 500 Seiten dicker Rundumschlag des slowenischen Starphilosophen Žižek, der zum tückischen Objekt wird, versucht man das Buch wirklich als Lektüre für unterwegs einzustecken. Die Hosentasche für diesen handlichen Theorie-Ziegelstein muss erst noch erfunden werden. Aber die Verlage reagieren und schrumpfen einzelne Titel, vor allem im Bereich der Philosophie. Die stärkste Miniaturisierung hat der Diaphanes-Verlag mit seiner passend betitelten Kleinen Reihe hinbekommen. Judith Butler, Giorgio Agamben, und Gayatri C. Spivak sind wie für die Hintertasche der knallengen Queer-Aktivisten-Röhrenjeans designed. Wer also trotz des CSD immer noch nicht weiß, was und wie Judith Butler schreibt, nach dem Kommunismus-Kongress in der Volksbühne auch mitreden oder einfach mal sagen können will: „Ja klar, habe ich Ranciere gelesen.“ – Auch wenn es nur 47 Seiten waren, muss man ja keinem auf die Nase binden! – der sollte sich durch die exquisite Zusammenstellung dieses Verlags lesen.


Nicht immer haben Taschenbücher ihren Namen auch verdient (Foto: Peter Macdiarmid/gettyimages)
An politischen Bewegungen orientiert und deutlich linke-Szene kompatibler ist die Reihe theorie.org des Schmetterling-Verlags. Im Format etwas größer gibt es von der „Situationistischen Revolutionstheorie“ bis zu Übersichtsbänden zu Trotzkismus und Internationalismus eine breite Palette linksradikalen politischen Basiswissens verpackt in tiefschwarze Buchumschläge mit grellen Letternhaptisch fast schon Demo-Transparente en miniature. Größer, dicker und fester als die Diaphanes-Bände passen die theorie.org-Büchlein eher in die großzügiger gestaltete Hip-Hop-Hosentasche. Oder man nimmt sie mit zur Demo in den Seitentaschen der schwarz gefärbten Militärhose, links Michael Heinrichs großartige Kritik der politischen Ökonomie und rechts das Handbuch für Post-Operaismus. Das dient unter Umständen bei Zusammenstößen mit den staatlichen Ordnungskräften als Gefahren abwehrende Polsterung, schließlich wird das Mitführen linksradikaler Theorie vom Bundesgerichtshof noch nicht als passive Bewaffnung eingestuft.

Ein minimales Format und maximale Radikalität bieten die kleinen Manifeste des kalifornischen Independent-Verlags Semiotext(e). Hier gibt es von dem französischen Autorenkollektiv Tiqqun das auf Deutsch vergriffene Introduction to civil war, ein ebenso poetischer wie kämpferischer Text, der irgendwo zwischen Agamben und Deleuze angesiedelt ist; und natürlich den anarcho-kommunistischen Bestseller aus Frankreich: The coming Insurrection , für dessen Lektüre ja schon Graffitis an Neuköllner und Kreuzberger Hausmauern werben. Sein Theorie-Englisch kann man aber auch mit der Reihe Great Ideas von Penguin-Books trainieren.

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Die zweite oder dritte Lektüre von Walter Benjamins Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit auf Englisch? Warum nicht? Dann lässt sich gediegen in der internationalen Theoriegemeinde mitdiskutieren: Etwa wenn die beste Freundin der Lebensabschnittspartnerin aus Berkley anreist und von ihrer gerade eingereichten Agamben-Dissertation erzählt. Wer unbedingt noch mal in die Mottenkiste der Postmoderne greifen will, dem sei die Fröhliche Wissenschaft von Matthes und Seitz empfohlen. Dort erscheinen auf Deutsch bisher unveröffentlichte Texte von Jean Baudrillard. Aber auch Arthur Rimbaud ist demnächst in diesem Programm zu finden mit Die Zukunft der Dichtung, seinem Konzept einer neuen Poesie, das er im stillen Kämmerlein schrieb, während draußen die Kommunardenaufstände tobten. Von der Aufmachung her am edelsten von allen kleinen Reihen, nämlich gebunden, kommen die zum Teil leider schon vergriffenen, aber antiquarisch noch verfügbaren Essenzen von Suhrkamp daher. Das ist dann am ehesten etwas für den klandestin linke Theorie lesenden Geschäftsmann, der Foucaults Von seinen Lüsten träumen oder Zizeks Das Reale des Christentums schnell und diskret in der Sakkotasche verschwinden lassen muss.

Der Vorteil dieser kleinen Bände liegt in der Kürze und Übersichtlichkeit der Texte. Die erlauben es auch dem gestressten, prekarisierten Akademiker nach Feierabend im Filmschnittpraktikum oder dem jungen linken Anwalt zwischen zwei Terminen, sich mit intellektuellem Lesestoff jenseits des Feuilletons zu beschäftigen. Außerdem ist Theorie sonst immer sehr teuer, die kleinen Bände dagegen liegen für gewöhnlich im einstelligen Eurobereich, und der Verleger freut sich über die vergleichsweise hohen Auflagen. So kann man sich also bei Aldi während des Anstehens an der Kasse mit Marx‘ Mehrwerttheorie auseinandersetzen oder Agambens Aufsatz über Dispositive in der überfüllten U-Bahn lesen. Immerhin: ein erster Schritt von der Theorie zur Praxis.



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