beschadeter schrieb am 4.5. 2005 um 21:11:55 Uhr zu
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Als ich in jungen Jahren einen zweimonatigen Abenteuerurlaub in Ostasien machte, kam ich eines schönen Abends im Laufe einer Zechtour durch die verruchten Viertel Shanghais in einen Nachtclub, zumindest würde ich dieses zwielichtige Lokal der Verständlichkeit halber so bezeichnen, auch wenn es vielleicht nicht gerade das geeignetste dafür ist. Dort wurden die besonderen Qualitäten der Mädchen dieses Clubs angeprießen; auch einem Tafel standen mit Kreide Worte wie »fellatio« u.s.w. geschrieben, unter anderem auch »several kinds of penetration, especially konzentration«. Mein Freunde und ich, verwundert von dem ungewöhnlichen Zusammenhang, in dem wir das Wort »Konzentration« wiedererkannten beschlossen, diese Art des Koitus unverzüglich auszuprobieren. Wir teilten unserem Wunsch dem Wirten oder Inhaber des Lokals oder wasauchimmer er war mit. Er nickte, als ob er sich gleich Gedacht hätte, dass wir auf Konzentration ständen. Er führte uns in einen dunklen Raum, in dem an die zehn Stühle waren. Sie waren zu einem Kreis angeordnet, wobei die Sessel dem Kreismittelpunkt abgewandt angeordnet waren. Wir nahmen Platz, indem wir uns gleichmäßig auf die im Überfluss vorhandenen Sessel verteilten. Dann verließ der Wirt den Raum. Nachdem er die Tür geschlossen hatte, war es wirklich absolut dunkel. Wir sahen rein gar nichts mehr, was uns sozusagen loslöste von allem gegenständlichen, all dem, das wir sonst jeden Tag ununterbrochen zu sehen gewohnt sind. Anfangs klammerten sich unsere Gedanken noch an diese Welt, wir erwarteten, dass endlich die leicht bekleideten Mädchen kommen würden um uns zu zeigen, was »konzentration« ist. Wir warteten mehrere Stunden, glaube ich. Genau kann ich es jetzt nicht mehr sagen. Denn es war, als hätten wir mit offenen Augen geschlafen und geträumt. Wir verfielen in einen tranceartigen Zustand, der irgendwo zwischen dem Schlafen und dem Wachen liegen musste, in dem wir jegliches Zeitgefühl verloren. Und mit ihm verloren wir unser alltägliches Bewusstsein. Unsere Gedanken fingen sich zu drehen, Bilder erschienen vor unseren Augen, die gleich wieder verschwanden oder sich ihn andere verwandelten. Jeder von uns würgte an seinem eigenen Gedanken. Mir steckte ein ausgesprochen schwulstiger im Hals. Er betraf irgendetwas, das mit dem Sinn des Lebens oder etwas ähnlich aufgeblähtem zu tun hatte, ich habe ihn gleich nachher wieder vergessen. Ich spürte also diesen Gedanken, wie er sich in meinem Kopf drehte, Kreise zog, die immer enger wurden, bis er sich über einem Punkt zusammenzog, wie ein Lasso. Das war der Höhepunkt. Ich spürte ein starkes Prickeln, das bis in die letzten Glieder meines Körpers wirkte. Es begann langsam und zurückhalten, wurde immer stärker, bis ich mich schließlich kaum noch auf dem Sessel halten konnte vor Erregung. Ich konnte nicht anders, als laut schreiend meine Lust auszudrücken. Wir kamen alle zugleich. Es muss sehr laut gewesen sein. Wir versuchten dieses Erlebnis zu vergessen. Es war nicht vereinbar mit den Vorstellungen, die wir vom Leben hatten. Niemand von uns hätte zuvor je daran geglaubt, einzig und allein durch das Denken auf eine so intensive Art befriedigt zu werden. Oft sprachen wir von diesem Erlebnis, es hatte uns wirklich beeindruckt. Wir kamen immer zu demselben Schluss. Ich weiß noch genau, wie es Henner auf den Punkt brachte. »Ich weiß, es war kein Orgasmus, aber es war mindestens genauso gut, so prickelnd, so erregend... Und es hatte mit Denken zu tun. Meine Herren, das war Gehirnwichsen, und nichts anderers, Konzentration, meine Herren, Gehirnwichsen, Gehirnwichsen.« Wir sprachen darüber, obwohl wir uns unmittelbar danach vorgenommen hatten, es zu vergessen, dieses unglaubliche Erlebnis. Ich versuchte, so gut ich konnte, nicht daran zu denken. Doch es gelang mir nicht. Immer wieder stellte ich fest, wie meine Hände schwitzten, allein durch dir Vorfreude auf die Konzentration, auf die unglaubliche Genugtuung einen geilen Gedanken zu fassen zu kriegen und ihn bis zum Ende durchzudenken. Ich konnte dann nicht anders, als diesem Drang nachzugeben. Er war einfach zu stark für mich. Nur wenige Wochen nach dem ersten Mal war ich zum Konzentrations-Junkie geworden. Ich brauchte es jeden Tag, manchmal soger mehrmals am Tag. Ich wusste, dass es den anderen ähnlich erginge und sie wussten das auch, also trafen wir uns und führten Gespräche, die wir im Rahmen einer von uns gegründeten Selbsthilfegruppe für Konzentrationsabhängige abhielten. Wir sprachen darüber, wie sie unsere Leben ruiniert hatte. Henner z.B. war immer ein recht leutseliger Mensch gewesen, hatte viele Freunde und verstand sich wirklich gut mit ihnen. Er hatte ein schönes Leben, Frau, Kinder, eine sichere Arbeit als Briefträger, ein ansehnliches Einkommen. Doch nun hängte er plötzlich seine Arbeit bei der Post an den Nagel. Er kündigte mir nichts dir nichts seinen Job, wenige Tage nachdem er von dem Urlaub zurückgekommen war. Er sperrte sich in der Abstellkammer in der Wohnung ein und verbrachte dort die meiste Zeit, verließ sie nur zum essen, um auszutreten und um sich neue Bücher zu holen. Niemand wusste, woher er sie hatte, doch sie waren zahlreich, bald füllten sie die Abstellkammer gänzlich an, bis unter die Decke, und er sah sich gezwungen in ein größeres Zimmer umzuziehen, wo er Buch um Buch verschlang. Keine Minute verging, in der er nicht vor einem Buch saß. Er hatte mit all seinen Freunden gebrochen, sah sie so gut wie nie, seine Frau war kurz davor sich scheiden zu lassen, als er sich an uns wandte und ab sofort an unseren Sitzungen teilnahm. Uns ging es um nichts anders. Daher konnten wir endlos lange über unsere Probleme sprechen. Es war jedesmal schwer sich zu einem Ende zu kommen, sich zu verabschieden, besonders dann, wenn Henner, er hatte sich mitlerweile durch seine Abhängigkeit mehrere Doktortitel erlesen, darunter auch einer der Philosophie, weshalb er öfters etwas weiter ausholte und unser gemeinsames Problem in Zusammenhang mit der Kant'schen Kritik der reinen Vernunft brachte, nicht enden wollte in seinen unerschöpflichen Ausführungen über seine geistreichen Gedanken zu unserer Sucht. Blah Blah Blah