Konfirmation
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Der Anstand verbietet es, einen Pfarrer mit Begriffen unterhalb der Gürtellinie zu belegen. Trotzdem, mein Konfirmationspfarrer war eins. Nur seine Frau war noch schlimmer. Sie hieß zwar nicht Xanthippe, aber sie war eine! Wieso ich mich traue, so respektlos in aller Öffentlichkeit darüber zu schreiben? Hier vermischen sich Wut über die verlorene Zeit und Verachtung auch nach vielen, vielen Jahren noch. Eigentlich sollte es der evangelischen Kirche peinlich sein, solche Leute auf junge Menschen loszulassen.
In der Schule versuchte man, uns zu einigermaßen selbständigem Denken zu motivieren. Auch unser Schul-Pfarrer machte da keine Ausnahme (er gehörte zu einer anderen Gemeinde). Der Pfarrer in der heimischen Kirche jedoch versuchte genau das Gegenteil. Psalmen und Verslein lernen bis zum Umfallen! Heute kann ich mich weder an die Verse noch an den restlichen Inhalt des Unterrichts erinnern. Nur an einige eher weltliche Begebenheiten. Nein, es handelt sich nicht um meine krankhafte Phatasie, wie vielleicht in anderen Beiträgen von mir. Es hat sich tatsächlich so abgespielt, und führte ziemlich konsequent zum Kirchenaustritt.
Apropos Verslein. Hier galt das (sonst in der Chemie übliche) Prinzip des kleinsten Zwangs. Man lerne die drei ersten Verse einer langen Liste, melde sich zu Beginn der Abfrageprozedur und genieße dann seine Ruhe. Die restliche Zeit vergeudete er mit den Typen, die ohnehin nichts gelernt hatten. Und der Trottel merkte den Trick nicht einmal.
Der sonntägliche Kirchgang war Pflicht. Dafür gab es aufwändige Stempelkarten mit aufgedruckten Sonntagen und Feiertagen. Bei jeder Gottesdienstteilnahme mussten wir sie in einen Kasten werfen. Zur Unterrichtsstunde bekamen wir sie mit dem Stempel „teilgenommen“ zurück. Der Anwesenheitsabfrage folgte immer zusätzlich die Frage Kirche Ja/Nein. Den Stempelkarten hat er wohl selbst nicht ganz geglaubt. Herr Pfarrer wunderte sich, warum seine Konfirmanden nicht in den normalen Gottesdienst gingen sondern in den Kindergottesdienst. Ganz einfach, der Kindergottesdienst war wesentlich kürzer. In dem Punkt aber ließen wir ihn dumm sterben.
Frau Pfarrer hatte auch Theologie studiert und durfte ihn deshalb im Unterricht vertreten. Oh ja, sie hatte die Hosen an, und wir unsere voll, wenn Xanthippe am Ruder war. Ihr Unterricht war ein nervendes Gekeife und Dauergezeter. Auch von ihr die obligatorische Frage Kirche Ja/Nein.
„Nein“ sagte ein Kumpel.
„Warum nicht?“ – „Ich hatte keine Zeit.“
„Warum nicht?“ – „Ich spiele Hockey, und wir hatten ein wichtiges Spiel.“
„Warum bist Du dann nicht am Samstag Abend gekommen?“ – „Da haben wir immer Training.“
„Und was machst Du, wenn der Liebe Gott für Dich keine Zeit hat? - Nun sag schon!“
Eigentlich sollte es der evangelischen Kirche peinlich sein, so jemanden auf junge Menschen loszulassen.
In Pfarrers Unterricht ging es wieder einmal hoch her. Plötzlich ging die Tür auf, Pfarrers erwachsener Sohn stand in seiner ausgefransten Jeans in der Tür. „Wie oft soll ich Euch noch sagen, dass Ihr bei meinem Vater nicht so einen Lärm machen sollt?“ Peng, Tür wieder zu. Pfarrers Autorität nahm durch derartige Blamagen nicht gerade zu.
Es war Winter. In Pfarrers Unterricht ging es noch immer hoch her. Ein paar Buben schnappten sich meine Mütze und warfen sie umeinander, bis sie in irgendeiner Ecke verschwand. Nach dem Unterricht wollte ich meine Mütze suchen. Herr Pfarrer warf mich raus, weil seine Menschenkenntnis ihm offenbarte, dass ich ihn nur ärgern wolle. Der Weg nach Hause war kurz, und ich ging schließlich ohne zu frieren und ohne Mütze heim. Scheiß Konfirmation, scheiß Mütze! Meine Mutter war stocksauer, das Geld war knapp und eine neue Mütze teuer. Ich hoffte insgeheim, dass es meine letzte Stunde im Konfirmandenunterricht war. Gefehlt. Mutter lief böse zur Kirche und suchte dort gemeinsam mit Herrn Pfarrer meine Mütze. Tja, so ist das mit der Menschenkenntnis.
In Pfarrers Unterricht ging es noch immer hoch her. Irgendwer hatte Stinkbomben mitgebracht und in den Konfirmandensaal geworfen (auch das ist nicht erfunden). Es stank bestialisch, einigen von uns wurde es fast schlecht. Endlich hatten Pfarrers Erziehungskünste einen Angriffspunkt gefunden. Sippenhaft! Er ertrug den Gestank tapfer (er war ja auch weiter von der stinkenden Brühe weg als wir), und alle Fenster und Türen mussten geschlossen bleiben. Das ging natürlich nach hinten los. So wie ich stellten auch andere ihren Eltern gegenüber ein Ultimatum. Noch einmal so ein Gestank, und er kann mich mal! Er hatte öfter angedroht, uns die Konfirmation zu verweigern. Jetzt war es genau umgekehrt. Das machten einige Eltern ihm klar. Super-peinlich!
Herr Pfarrer unterteilte uns in zwei Gruppen, Gute und Böse. Kinder haben ein ausgeprägtes Gespür für Gerechtigkeit. Diese Aufteilung war alles andere als gerecht. Ich war ein Guter, mein Freund war kaum unterschiedlich aber per Definition ein Böser. Diese Aufteilung sorgte für Gelächter innerhalb der Kirchengemeinde. So dämlich stellt sich wirklich nur Herr Pfarrer an.
Ohne die paar wirklich bösen Buben in unserer Mitte wurde der Unterricht noch langweiliger, und ich suchte mir krampfhaft einen Zeitvertreib. Ich war in Mathe recht gut. Allerdings hasste ich Hausaufgaben. Aber Herr Pfarrer machte es möglich. Während seines Unterrichts löste ich für verschiedene Schüler einer fremden Schule die Matheaufgaben.
Eine kirchliche Zwangsmaßnahme ist die Konfirmandenprüfung, die Abfrage der theoretisch gelernten Verslein vor versammelter Kirchengemeinde. Aus der Gemeinde gab es Zurufe „lauter“. Herr Pfarrer forderte uns auf, unsere Verse lauter vorzutragen. Wir waren trotz seines Unterrichts noch lernfähig und reagierten wieder einmal nach dem Prinzip des kleinsten Zwangs. Wir sprachen noch leiser. Die Show war für die Gemeinde beendet. Wir waren jetzt praktisch unter uns.
Kurz vor der feierlichen Konfirmation hielt uns Herr Pfarrer eine Predigt, wir sollten auch danach so treu wie bisher in die Kirche kommen, er wolle uns einsegnen und nicht etwa aussegnen. Nun, mich hat er gründlich ausgesegnet. Auf meine alten Tage so einen langen Text zu schreiben, macht echt Arbeit. Allein an dem Zeitaufwand dafür könnt Ihr ablesen, wie sehr mich Herr Pfarrer angewidert hat.