Erzgebirge
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Das Rösslein Nimmermüd
Einst, als Kurfürst Augustus auf seinem nach ihm benannten Jagdschloss weilte, trug es sich zu, dass ein Fremder mit Namen Hans in den umliegenden Wäldern herumstreifte, und obgleich er nichts weiter als ein herkömmlicher Tagedieb und Betrüger war, so hielt man ihn doch ganz allgemein für einen Wilddieb. Als Kurfürst Augustus davon Kunde bekam, befahl er, der Fremde solle dingfest gemacht und zur Rechenschaft gezogen werden. Als dies geschehen war, führte man ihn vor den Kurfürsten, wo er seine Unschuld beteuerte. Er flehte, man möge ihm die Freiheit schenken, denn er habe ein Säcklein mit Goldmünzen dabei, was er gern zu opfern bereit wäre. „Euer Gold begehre ich nicht“, sprach der Kurfürst, „aber sprecht, wie seid Ihr in dessen Besitz gelangt?“ „Ich habe in der Fremde einen Lindwurm erschlagen und das Gold zum Lohne erhalten.“ entgegnete Hans, denn die Wahrheit, dass er das Gold durch allerlei unredliche Geschäfte erworben hatte, mochte er dem Kurfürsten nicht verraten. Nun waren die umliegenden Wälder reich an Wild, es gab Wölfe, Hirsche, Bären und Eber, aber ein Lindwurm war schon seit undenklichen Zeiten keiner mehr gesehen worden, und weil Kurfürst Augustus der Jagd außerordentlich zugetan war, wollte er allzu gern mit dem Besitz eines solchen prahlen. „Fangt mir einen Lindwurm und bringt ihn lebendig auf mein Schloss!“ sprach der Kurfürst, „Doch damit Ihr Euch nicht auf Nimmerwiedersehen davonmacht, werde ich all Euer Vermögen bis zu Eurer Rückkehr einbehalten.“ Der Kurfürst nahm Hans das Säcklein ab, prüfte die Goldmünzen gründlich und gab ihm das nun leere Säcklein zurück, um den Fremden hernach in den Pferdestall zu führen. Dort standen drei weiße Rösser und ein kleineres, dunkles Pferdchen. „Diese Rösser sind mein Stolz und Besitz“, sprach der Kurfürst „doch das kleinste unter ihnen ist das Rösslein Nimmermüd. Dieses werde ich Euch für die Reise leihen, denn mit ihm kommt Ihr rascher voran als im Fluge. Ihr dürft es schelten und schlagen, wann immer Euch danach ist. Nur solltet Ihr stets darauf bedacht sein, dass der Sattel dem Rösslein wundersame Kräfte verleiht und niemals abgenommen werden darf. Und nun macht Euch auf die Reise und schafft mir den Lindwurm herbei!“ Hans stieg auf das Rösslein Nimmermüd, gab dem Pferdchen die Sporen, und wie der Wind hub das Rösslein zu laufen an. Fürwahr, es waren wundersame Kräfte, welche der Sattel dem Rösslein verlieh, seine Hufe berührten die Erde nicht, es flog gleichsam dahin, dass es eine Freude war. Das Rösslein Nimmermüd brachte Hans rasch in ferne Gefilde jenseits der hohen Berge, in ein dürres Land der Felsen, wo die Sonne brannte. Hier endete des Rössleins Lauf, und Hans wurde einer Menge dahinhuschender Eidechsen gewahr, welche sich beinah wie kleine Lindwürmer ausnahmen. Hans fing ein Dutzend von ihnen, gab sie in sein leeres Goldsäcklein, stieg wieder auf das Rösslein Nimmermüd und machte sich auf die Reise zurück zum Jagdschloss des Kurfürsten Augustus. Rasch war er dort angekommen. „Schaut her, Hoheit“, rief er dem Kurfürsten spöttisch zu und reichte ihm das Säcklein, „hier habt Ihr gleich ein Dutzend Lindwürmer. Sie mögen klein sein, doch sie werden wachsen. Und nun bitte ich um Rückgabe meines Goldes und meiner Freiheit.“ Der Kurfürst nahm das Säcklein, und als er es öffnete, kamen die Eidechsen hervorgesprungen, um in alle Richtungen davonzuhuschen. Dies freilich erzürnte den Kurfürsten über alle Maßen, doch Hans blieb dabei, dass es sämtlich junge Lindwürmer waren, welche er gefangen hatte. Außerstande, dies zu prüfen, beließ es der Kurfürst dabei. „Gut“, sprach er, „Ihr werdet so lang bei mir in Stellung bleiben, bis ich Gewissheit habe. Denn wenn es wahrhaftig Lindwürmer sind, welche Ihr herangeschafft habt, so mögen sie wachsen und Ihr werdet Freiheit und Vermögen zurückerhalten. Sind es indes keine und sie bleiben klein, so sollt Ihr im Kerker den Ratten zum Fraße werden. Künftig werdet Ihr meinen Rössern dienen und mein neuer Knecht sein. Brot und Wasser sollt Ihr zum Lohn erhalten.“ Sieben Jahre lang war Hans nun seinem neuen Herren und dessen Rössern ein treuer Diener. Überdies bürstete und putzte er das Rösslein Nimmermüd alle Tage und löste dabei stets auch ein wenig die hart gespannten Riemen, um ihm etwas Erleichterung zu verschaffen, und einzig den Sattel wagte er ihm niemals abzunehmen. Doch plagten ihn derweil ganz andere Sorgen, denn die Eidechsen, welche die Schlossmauern bevölkerten, blieben klein und mehrten sich, so dass es Hans angst und bang wurde. „Ach Pferdchen“, sprach er eines Tages bei sich, als er das Rösslein Nimmermüd putzte, „was soll nur geschehen mit mir?“, da war ihm, als ob dieses mit menschlicher Stimme zu sprechen anhub: „Ihr möget ein Schwindler und Betrüger sein, doch Ihr habt ein gutes Herz. Denn in all den Jahren Eurer Knechtschaft seid Ihr stets gut zu mir gewesen, habt mir Wohltaten bereitet und mich nie gescholten, nie geschlagen. Springt auf meinen Sattel, ich werde Euch in ferne Lande bringen, wo es Euch gut ergehen soll.“ Fürwahr, dies war ein ganz vortrefflicher Gedanke, welchen Hans unverzüglich beherzigte. Geschwind brachte ihn das Rösslein Nimmermüd weit hinfort, es ging durch die Lüfte in ein fernes, entlegenes Land jenseits der tiefsten Wasser und der höchsten Berge, wo die Häscher des Kurfürsten Augustus Hans gewiss nichts mehr anzuhaben vermochten. Dort, an den Gestaden des Meeres, gab es ein prachtvolles Schloss, welches gänzlich anders war als das Jagdschloss des Kurfürsten Augustus, überdies war es verlassen, öd und leer. „Hier werde ich bleiben“, sagte sich Hans, „und du, Rösslein Nimmermüd, hast mir zu diesem Glücke verholfen. Ich weiß, dass ich dir den Sattel nicht abnehmen darf, aber du hast es verdient, nun ebenso frei zu sein wie ich es bin.“ Mit diesen Worten löste er die Riemen und hob dem Rösslein den schweren Sattel vom Rücken, wobei ein großes Mal zum Vorschein kam. Da sank das Rösslein im Stroh zusammen, und mit einem Mal sah Hans vor sich ein wunderschönes Mädchen mit rabenschwarzem Haar und rehbrauner Haut liegen. Einzig die umherliegenden Hufeisen, der Sattel und das Mal auf ihrem Rücken verrieten ihm, dass sie das Rösslein Nimmermüd gewesen war. Rasch hüllte er ihren bloßen Leib in seinen Mantel. „Ihr habt mich erlöst“, sprach sie, zitternd und weinend vor Glück, „denn ich bin die Tochter von Daritos, des Königs über dieses Schloss und dieses Land. Weil mir indes die Pferde kostbarer waren als alles auf der Welt, wurde ich durch den Zauber einer bösen Alten selbst eines, während der gesamte Hofstaat das Schloss fortan in Gestalt von Spinnen bevölkerte. Ich lief davon, doch die böse Alte fing mich ein und versah mich zur Strafe mit diesem zauberischen Sattel, welcher ein rechtes Wunderrösslein aus mir machte und mir eine abscheuliche Last war. Eines Tages indes war die Alte meiner überdrüssig und ich wurde verkauft, immer und immer wieder. Vielen Herren musste ich dienen, man schlug, schalt und peinigte mich, doch niemand vermochte in all den Jahren zu ahnen, wie furchtbar es mir zusetzte, unentwegt den schweren Sattel tragen zu müssen. Irgendwann kaufte mich der Kurfürst Augustus, aus dessen Stall Ihr mir zur Flucht verhalfet. So habe ich Euch in meine einstige Heimat geführt, und indem Ihr mich von dem Sattel befreitet, wurde nicht nur ich, sondern auch mein gesamter Hofstaat vom Fluch der bösen Alten erlöst.“ Die schöne Königstochter führte Hans sogleich durch ihr Schloss, das nun keinesfalls mehr öd und leer war, und auch die Untertanen waren keine Spinnen mehr. Sie hatten ebenso dunkle Gesichter wie die schöne Königstochter und kleideten diese in die prächtigsten Gewänder, und auch Hans wurde auf das Trefflichste ausgestattet. Sodann führte man Hans vor den König Daritos, welcher alt war und einen Nachfolger suchte. Hans schien ihm der rechte Gemahl für seine Tochter, alsbald wurde eine prachtvolle Hochzeit abgehalten und die beiden wurden König und Königin. Sie herrschten über das Land an den Gestaden des Meeres und lebten glücklich und zufrieden auf ihrem Schlosse. Einzig das Mal des Sattels auf dem Rücken der Königin blieb bestehen und erinnerte daran, wie sie einst als Rösslein Nimmermüd gelitten hatte. Und auch wenn Hans all sein Gold an den Kurfürsten verloren hatte, so war er doch durch die Vermählung mit der hübschen Königstochter unendlich viel reicher geworden als dieser. Kurfürst Augustus auf seinem Jagdschloss indes wurmte es ganz außerordentlich, dass Hans ihm ein Schnippchen geschlagen und sich mit seinem Wunderrösslein auf und davon gemacht hatte. Und selbst wenn ihm das Gold geblieben war, so gemahnten ihn die Eidechsen an den sonnigen Schlossmauern fortwährend an diese Schmach. Zwar vermag niemand mehr zu sagen, ob es irgendwo in fernen Landen das einstige Schloss des Königs Daritos noch gibt, doch wer das Glück hat, auf Schloss Augustusburg zu weilen, wird vielleicht auch heute noch bisweilen einer jener umherhuschenden Eidechsen gewahr, welche vorzeiten als Lindwürmer den Weg hierher fanden.
aus „Das Erzgebirge“, 1904