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von nebenan schrieb am 29.9. 2024 um 21:43:49 Uhr über

Die-Sümpfe-der-Traurigkeit

Ich mache zeitlich mal einen kleinen Sprung in die Vergangenheit, in eine Zeit als meine Familie noch lebte und ich dachte ich hätte einen Grund zum schweren Leiden. Wie ich mich doch damals geirrt habe, das schlimmste sollte noch einige Jahre in meiner Zukunft auf mich warten.

Die frühen 2000er auf der Roermonder Strasse in Aachen :


Ich betrete die Wohnung, mein erster Eindruck _ es ist schweinemässig kalt hier. Es riecht nach altem Schweiss, Bier, Zigarettenqualm und Gras. Ein eher trauriges olifaktorisches Vergnügen. Ich taste nach dem Lichtschalter, bis mir einfällt, dass das wohl nichts nutzen wird, da der Strom seit einem Jahr abgestellt ist. Im Raum stehen lediglich ein Tisch, ein Stuhl mit einem Spiegel als Sitzfläche, ein Futonbett und ein Nachtschränkchen, auf dem ein paar Teelichter und ein batteriebetriebener Kassettenrekorder stehen. Also erstmal das Feuerzeug aus der Hosentasche gefingert und auf dem Nachtschränckchen nach einem halbwegs brauchbaren Teelicht stöbern. Das schwache Kerzenlicht erhellt lediglich einen kleinen Bereich des Zimmers. Es werden überquillende Aschenbecher, leere Erdnussflipstüten, unzählige Bücher und Horden leerer Bierflaschen sichtbar. Ich werfe die Jacke auf den Tisch, der mir hauptsächlich als Bücheregal und Schreibtischdient, ziehe die müffelnden Vans von den Füssen, die ich unter den Tisch werfe, während ich mich auch schon nach einem Bier umschaue. Als ich den ersten grossen Schluck aus der Flasche getrunken habe, etwas zu hastig da mir etwas Bier aus den Mundwinkeln nden Hals hinunter läuft, puhle ich vielversprechend aussehende Zigarettenstummel aus dem Aschenbecher, welche ich öffne und die teerigen Tabakreste auf ein Jointblättchen lege. Na wenigstens ist noch etwas Gras da, sonst müsste ich auch noch alte Jointstummel öffnen, was häufiger mal vorkommt. Ich finde zweite oder dritte Generation rauchen zwar widerlich, aber was macht man nicht alles um die liebgewonnenen Süchte zu befriedigen, wenn man mal wieder total abgebrannt ist. Das Gras- / Teergemisch stinkt zwar widerwärtig, dafür knallt es in der Kombination mit dem bier ordentlich rein. ich will eine Kassette an machen, muss aber feststellen das die batterien dafür nicht mehr stark genug sind. Hmm, dann halt wieder Radio, dafür reichen die billigen Batterien garantiert noch zwei / drei Wochen. EinsLive plärrt mir entgegen : ...»Wir haben uns ein Denkmal gebaut und jeder Vollidiot weiss, dass das die Liebe versaut...« Wir sind Helden, ach du Scheisse. Dieser ganze neue Deutsch-Rock Kram, langweilt mich immens. Das sind mir die guten alten Tocotronic oder ButAlive dann doch lieber. Während ich langsam breit werde und mich rückwärts ins Bett sinken lasse, wechselt Sammy Deluxe die Helden ab. Sammy rappt über die verkommene deutsche Jugend, über Kids die nur noch Drogen und ihre Playstation im Kopf haben. Wie gesagt, da sind mir ButAlive lieber. Ich überlege kurz etwas zu lesen, doch bei jedem Buch das ich in die Hand nehme, gehe ich im Kopf auch schon die Geschichte durch. In dieser Wohnung befindet sich kein Buch, das ich nicht schon mindestens fünfmal gelesen habe. Die guten bestimmt fünfzehnmal.
Was ist bloss mit mir geschehen?
Was ist aus dem chiquen Appartment geworden?
Was aus den 2400 DM, pünktlich zum Monatsersten auf dem Konto?
Was aus der atemberaubend schönen Frau an meiner Seite, die immer, egal was auch passierte zu mir stand?
WAS IST MIT MIR PASSIERT?
Das muss ein schlechter Traum sein. Wenn ich morgen früh aufwache, ich neben mich greife werde, wird sich dein perfekter Hintern in meine Hand schmiegen und dein unglaublicher Duft wird meine Sinne verwöhnen. Doch in meinem breiten Kopf, driffte ich nur wieder in gefährliche Tagträume hinüber. Besser das zu lassen. Während ich im übervollen Aschenbecher nach Pklatz suche um den Joint auszudrücken, versuche ich halbwegs erfolgreich nicht an dich zu denken. Deine strahlend grünen Augen mit den rehbraunen Sprenkeln, deine langen, schwarzen und unwiderstehlich gut duftenden Haare,...
Ich merke wie ich wieder abdriffte, also schlage ich mir, kurz aber feste ins Gesicht. Das hilft. Zumindest für die nächsten Minuten. ICh blicke auf die unzähligen Bilder an der Wand, die ich aus Zeitschriften und Magazinen geschnitten habe, welche ich aus der Papiermülltonne des Hauses gefischt habe. Mein Spiegel der Welt da draussen. Doch es kommt wie es kommen muss, ich bleibe auf deinem Foto hängen, dass einzige das ich noch von dir besitze. Du sitzt auf dem Beifahrersitz deines alten Polos und schaust mich aus vom Schlaf verklebten Augen an. Ich habe dieses Foto in unserem ersten Urlaub gemacht. Irgendwo des Nachts auf einem Parkplatz bei Salin de Giraud / Carmargue. Ich öffne mein zweites Bier und wo ich schonmal dabei bin, drehe ich auch noch einen Joint. Auf einem Bein lässt sich halt schlecht die Vergangenheit betrauern. Tränen treten mir in die Augen. Was ich doch für ein verdammtes Weichei bin. Ich komme noch nichtmal damit klar, dass ich es war, der die Beziehung beendet hat. Wärst du es bloss gewesen. Dann könnte ich wütend, verletzt und entäuscht sein und dir die Schuld geben. Doch so einfach ist es nicht, da ich der schuldige bin und niemand anders. Das macht mich am meisten fertig, dass ich mich selbst in diese Situation gebracht habe. Ich wollte Freihei, Action, Parties, Reisen und Abenteuer, wie ich sie nur aus Büchern und Filmen kannte. Ich wusste das dies mit dir nicht zu reallisieren wäre. Du warst zufrieden mit deinem, mit unserem Leben. ICH NICHT! Also musstest du gehen. Ich war im Himmel und bin freiwillig hinaus gesprungen, um mich den Verführungen des Lebens hinzugeben. Doch als ich nach einem halben Jahr gemerkt habe, was ich da verbrochen hatte, war es zu spät. Der Himmel sollte mir verschlossen bleiben. Wie soll man mit beiden Beinen fest auf der Erde stehen, wenn man im Kopf immer wieder an die himmlichen Zeiten im Paradies denkt? Wie soll man mit dem irdischen Leben zufrieden sein, wenn man schonmal einen Einblick ins Paradies bekommen hat und weiss, dass es einem für immer verwehrt bleiben wird? WIE? Ich weiss es nicht. Ich bin mittlerweile beim vierten Bier angekommen und mein Kopf schmerzt von den widerlichen Joints. Die Tränen laufen jetzt die ganze Zeit über mein Gesicht und meine Lippen schmecken schon ganz zalzig. Süsses Selbstmitleid. Es ist ein fast körperlicher Schmerz, wie so eine Art Phantomschmerz. Als hätte ich mir das Herz aud der Brust gerissen, spürte es aber noch immer schmerzhaft pochen. Das Teelicht ist verloschen, doch das stört mich nicht im geringsten. So im dunkeln fühle ich mich wohl. Naja, wohl ist vielleicht das verkehrte Wort. Meine eigene Kälte und Dunkelheit, vermischt sich fast homogen mit der des Zimmers. Wir sind fast eins. Was für abstruse Gedanken. Ich sollte mit dem Trinken aufhören, ich sollte mit so vielem aufhören. Also warum zuerst mit der Sauferei? Weil ich betrunken so schnell melancholisch und wehleidig werde. Deshalb. Und weil ich in diesem Zustand zu schnell flenne, was mich, sobald ich aufgehört habe, richtig auf die Palme bringt. Ich versuche mich abzulenken und an morgen zu denken, doch wie wird sich das Morgen vom Heute unterscheiden? Ausser das ich morgen sehr wahrscheinlich selbst keine Zigarettenstummel mehr haben werde, und gezwungen bin, die Leute auf der Strasse nach Zigaretten zu fragen. Das ist mir so peinlich, als ob jeder den ich frage, wüsste in welchem Elend ich lebe. Deshalb warte ich ich solange es geht, bis ich zu diesem Mittel greife, um meine Sucht zu befiedigen. Das Flaschenpfand dürfte für drei oder vier Bier aus dem nahegelegenem LIDL reichen. Essen? Irgendwo müsste noch eine halbe Tüte Erdnussflips rumgammeln, das wird fürs erste reichen. Weich geworden schmecken die eh besser. Ob das stimmt, oder ich mir das bloss einrede, weiss ich selbst nicht so genau. Aber es ist Monatsende, da lebe ich immer nur von Erdnussflips. Die sind billig und sättigend, das reicht. Kulinarisch bin ich nicht sehr anspruchsvoll, wenn ich so darüber nachdenke, in anderen Dingen wohl auch nicht. Hauptsache ich kann meine Süchte befiedigen. Bis auf eine. Die Sucht nach dir.Die schlimmste und stärkste von allen. Ich weiss zum Glück noch nicht, dass ich selbst in sieben Jahren noch unter schweren Entzugserscheinungen leiden werde.



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