Als Seconde-Lieutenant entlassen, studirte K. nun von Ostern 1799 ab in Frankfurt a. O. vorzugsweise Philosophie. Bei Hüllmann hörte er Geschichte, bei Wünsch Mathematik und außerdem besuchte er die Vorlesungen von Huth, Kalau und Madihn. Nach einer Julian Schmidt gegebenen Versicherung Dahlmann’s hat K., wie aus seinen Collegienheften hervorging, ernste, nicht blos dilettantische Universitätsstudien gemacht. Wie ernst es ihm damals mit den Wissenschaften war, geht auch daraus hervor, daß er eine (nicht erhaltene) Abhandlung über die Kant’sche Philosophie schrieb. Die erste Zeit des Frankfurter Aufenthaltes verlief ziemlich glücklich. Sein Drang das Wahre und Schöne zu verbreiten, veranlaßte ihn seinen Schwestern und deren Freundinnen Unterricht zu ertheilen, er ließ sich sogar, da ihm der Lehrberuf vorschwebte, im elterlichen Hause ein Katheder errichten und hielt seinen jungen Zuhörerinnen culturgeschichtliche Vorlesungen. Die ästethische Erziehung, die er sich und anderen gab, hatte eine gewisse Weihe über ihn ausgebreitet, ohne daß er darum dem im ganzen Hause herrschenden heiteren Tone abhold gewesen wäre. Eine schroffe Abneigung gegen das Gemeine war überhaupt eine seiner hervorragendsten Eigenschaften. Die Idee der inneren Sittlichkeit war gerade damals so stark in ihm, daß die Nachricht von dem verfehlten Selbstmorde eines Freundes ihn mit Abscheu erfüllte und er dem Selbstmörder brieflich ernste Vorstellungen darüber machte. Ebenso rügte er den Entschluß seiner körperlich wenig begünstigten Schwester Ulrike, unverheirathet zu bleiben. Schon damals regten sich indessen in K. zu viel verschiedenartige Seelenkräfte, als daß das Studium allein ihm volle Befriedigung hätte gewähren können. Sein Herz bedurfte des Ergusses und Ulrike war es, der er mündlich, oder wenn sie abwesend war schriftlich seine Gefühle mittheilte. So entstand jene merkwürdige Reihe von 57 Briefen, deren Veröffentlichung im J. 1860 wir A. Koberstein verdanken und welche über 16 Jahre sich verbreitend, mit dem bereits angeführten Eschborner Schreiben im J. 1795 beginnt und nachdem sie zwischen dem ersten und zweiten Brief eine Lücke von mehr als vier Jahren zeigt und störenderweise nicht selten von Geldbedürfnissen handelt, mit einem erschütternden Abschiede von der Schwester im November 1811 endet. Nicht immer ist an diese Briefe der richtige Maßstab gelegt worden. Gleich in dem ersten Schreiben des Achtzehnjährigen sind die warmen Ueberströmungen des Dankes an die Schwester rührende Beweise der außerordentlichen Feinfühligkeit und Zartheit des jugendlichen Gemüthes. Auch beginnt es schon vollständig mit Ansätzen zu der späteren so eigenthümlich dichten Prosa Kleist’s. „Du zwingst Dir eine Gleichgültigkeit gegen die für Dich sonst so reizbaren Freuden der Stadt ab, um Dir das einfache Vergnügen zu gewähren Deinen Bruder Dir zu verbinden.“ In dem zweiten Briefe, der aus der Frankfurter Studentenzeit vom 12. November 1799 datirt ist, nimmt er den Vorwurf der ihm eigenen Sonderbarkeiten auf und sagt, mit einem einzigen Federstriche den Riß bezeichnend, der sich für ihn nie geschlossen hat: „Tausend Bande knüpfen die Menschen aneinander, gleiche Meinungen, gleiches Interesse, gleiche Wünsche, Hoffnungen und Aussichten; – alle diese Bande knüpfen mich nicht an sie und dieses mag ein Hauptgrund sein, warum wir uns nicht verstehen. Mein Interesse besonders ist dem ihrigen so fremd und ungleichartig, daß sie – gleichsam wie aus den Wolken fallen, wenn sie etwas davon ahnden. Auch haben mich einige mißlungene Versuche, es ihnen näher vor die Augen, näher ans Herz zu rücken, für immer davon zurückgeschreckt und ich werde mich dazu bequemen müssen, es immer tief in das Innerste meines Herzens zu verschließen. Was ich mit diesem Interesse im Busen, mit diesem heiligen mir selbst von der Religion, von meiner Religion gegebenen Interesse im engen Busen, für eine Rolle unter den Menschen spiele, denen ich von dem was meine ganze Seele erfüllt, nichts merken lassen darf, – das weißt Du zwar nach dem äußeren Anschein, aber schwerlich weißt Du, was oft dabei im Innern mit mir vorgeht. Es ergreift mich zuweilen plötzlich eine Aengstlichkeit, eine Beklommenheit, die ich zwar aus allen Kräften zu unterdrücken mich bestrebe, die mich aber dennoch schon mehr als einmal in die lächerlichsten Situationen gesetzt hat. – Wenn man durch häufigen Umgang, vieles Plaudern, durch Dreistigkeit und Oberflächlichkeit zu dem einem Ziele kommt, so erreicht man dagegen durch Einsamkeit, Denken, Behutsamkeit und Gründlichkeit das andere.“ Mit solchen tiefen und stilistisch bereits meisterhaften Selbstbetrachtungen hat K. manche Kritik der älteren und neueren Ausleger seines Wesens von vornherein widerlegt.
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