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KIA schrieb am 28.8. 2003 um 23:01:15 Uhr über

Kirchstetten

Raoul Schrott

Kirchstetten




vom zug aus streicht man die hügel mit dem ballen
der hand flach wie eine folie die kaum am untergrund
haftet . auch die scheinwerfer der autobahn übertragen
den abstich ihres zirkels nur zur seite des blicks ein abstrich

der langsam im bogen abwärts führt und in intervallen
den schnee streift . lichter die aus der dämmerung ragen
wie sonden auf einem lawinenfeld die zweigestrichenen
achtel der kartoffelstauden über der zwischenzeile der schiene

auf den mit den nägeln aus dem frost gekratzten äckern
in der stummen masse land und seinem gewälzten metall
bleibt die fahrt die spiegelung eines fensters . der vorhang
flattert über das gesträuch und die schiefen erlen des damms

durch den schorf der wiesen die mit der kante des arms
von den hängen geschoben werden an den blechschildern
vorbei welche jeden kilometer über den paß einer milderen
jahreszeit angeben . Kirchstetten . und hinter dem geleisstrang

audens haus . vor den leeren bänken steht im abschnitt b
der nächste zug 6 07 auf der anzeigentafel . schlaftrunken
wird hugerl oder bert drin sitzen einen plastikbecher kaffee
in der einen in der anderen gefaltet die paar hundert schilling

für einen fick . strich oder freier war ihm wurscht wenn
es nur den abgrund nannte und auf dem senkrechten grün
jeden ton einzeln . dann jedoch sind es das vitriol der funken
an der keramik der generatorenspulen auf dem industrieareal

dahinter und die notbeleuchtung des abteils die was real
ist zeigen . das kurze zucken eines muskels im galvanischen
bad des abends schwefelsäure auf den anatomischen bildern
einer begier . sie gebiert diese gefrorenen schollen widerwillig

erde bis zum ende der zäune und darüber hinaus den stamm
der bäume gegen den wind . eine erinnerung von gestreckten
fingern auf dem firn eines felds den mund naß bis zur wange
die schließmuskel der lider und zerborstene lippen voll zunge

den schlaf im schatten der lehne . und vor dem beschlagenen
fenster ist ein viadukt bis dort wo der morgen wieder beginnt
fächer von eis über dem fluß güterwaggons block um block
voll schrott und geräusch auf den hall in einem tunnel gestimmt

der doppler-effekt von maschinen in einer der offenen minen
der nacht . für den frequenzbereich des ohres schlägt die nadel
auf dem blatt des winters nicht mehr aus atmet auch die lunge
in ihrem eisernen korsett nicht mehr ein . in der nächsten geraden

auf dem grat der schwellen die sich vorn ins dunkel grätschen
bleibt für einen fluchtpunkt lang im liegen nur die geschichte
der perspektive bestehen die keine brechung des lichtes stört
die darstellung der fläche in einem raum wo man nichts mehr hört

Kirchstetten, 8.11.95




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