jeden Tag und für einen Wochenlohn von weniger als vierzig Mark in der Gefängnisküche und zerteilt Fleisch für seine Mitgefangenen. Wer in Canterbury einsitzt, ist meist ebenfalls wegen Grenzdelikten angeklagt. Ein Vietnamese zum Beispiel, seit 1979 in Deutschland und mittlerweile deutscher Staatsbürger, Vater von vier Kindern. Er wurde nach eigenen Angaben von einem Bekannten, dem er tausend Mark schuldete, überredet, zur Tilgung des Kredits einen Chinesen von Rotterdam nach England zu bringen. Als er am Treffpunkt ankam, wollten aber auf einmal drei Menschen mit ihm mit. Sie wurden ebenso an der Grenze erwischt wie ein in Deutschland lebender Nigerianer, der mit einer Engländerin verheiratet ist und mit deren Paß eine hochschwangere Freundin in Sicherheit zu bringen versuchte, die von Deutschland in die Militärdiktatur abgeschoben werden sollte. Obwohl sogar der Staatsanwalt die offenkundig rein humanitären Motive einräumte, bekam er 15 Monate Knast.
Kleiner Tmst
An Kurt Braun aber statuierte die britische Justiz ein Exempel: Er wurde, wie sein Kollege, zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Die Höchststrafe beträgt in Großbritannien sieben Jahre, und Braun kann heute noch keine Erklärung für dieses außergewöhnlich hohe Straftnaß finden. In Deutschland, wo die Beihilfe zur illegalen Einreise' seit neuem sogar bis zu zehn Jahren Gefängnis einbringen kann, wäre ihm vermutlich wenigstens sein bisher unbescholtenes Vorleben angerechnet worden, der englische Richter wollte davon jedoch nichts wissen. Immerhin wurde nach knapp einem Jahr das Strafrnaß in einer Berufungsverhandlung auf drei Jahre reduziert. Und immerhin scheint wenigstens die Familie in Sicherheit und sich - Verwandten zufolge - irgendwo' aufzuhalten, aber sicher nicht in den Kosovo abgeschoben zu sein'.
Vielleicht ein kleiner Trost für Kurt Braun, doch es kann ihm nicht darüber hinweghelfen, daß sein Leben wegen ein paar Stunden, in denen er Zivilcourage zeigte, ruiniert ist. Rückblickend mag seine Handlungsweise naiv erscheinen, doch
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genausogut könnte der kräftige Zwei-Meter-Mann einen zeitgenössischen Helden verkörpern. Erschöpft und aufgeregt zugleich, nach über einem Jahr Haft mit den üblichen Konzentrationsschwierigkeiten nimmt er am Tag vor Weihnachten auf dem Stuhl im Besucherraum des Gefängnisses Platz und erzählt von den Truthahnbeinen, die er für den Festschmaus im Knast auslösen mußte, seinem Tennisellbogen und der schlechten medizinischen Versorgung, davon, daß er bald verlegt wird, und von den vielen anderen Gefangenen, die ohne jede Unterstützung von außen für Dinge einsitzen, an deren Verwerflichkeit sie nie im Leben gedacht hätten. Hüben wie drüben wird ein Beihilfetatbestand. der bis vor kurzem noch eine Lappalie war oder - wenn er ins politische Konzept paßte - zu höchsten Ehren gereichte, zum Kapitalvergehen uminterpretiert: Während die Grenzbefestigungen innerhalb Europas fallen, werden Menschen, die das Versprechen der Reisefreiheit beim Wort nehmen, zu Strafen verurteilt, mit denen sonst eigentlich nur Gewaltverbrechen geahndet werden. Die Familie, die illegal nach Großbritannien einreiste und dadurch zwar gegen geltendes Gesetz verstieß, habe doch keinerlei Schaden angerichtet, geschweige denn irgend jemandem ein Haar gekrümmt, sagt Kurt Brauns Mutter und deutet auf eine Stelle in dem Brief, den sie an den britischen Premierminister schrieb: Schließlich hat mein Sohn keine verseuchten Tiere oder sonstiges in ihr Land gebracht, sondern Menschen, die im Kosovo gefährdet sind, zu ihren Verwandten gebracht.- Tony Blair hat hierzu natürlich nicht Stellung genommen, statt dessen aber schrieb ihr am 26.11.1998 der Generalbundesanwalt aus Karlsruhe. Ihr Sohn sei mit seiner im Ausland begangenen Straftat von nun an in das Bundeszentralregister eingetragen worden: TATBESTAND: Menschenschmuggell. Früher, da hieß das Fluchthilfe, und manch einer bekam dafür das Bundesverdienstkreuz umgehängt, oder es wurde eine Straße nach ihm benannt.
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