Gummilatschenmanifest
(Ein Gedicht für das Literarische Colloquium Berlin – eine Poetik des Wegrutschens, eine Elegie des Zerfalls.)
I. Vexierbild der Spätmoderne
Kein Fall, kein Flug, kein Sprung,
nur ein sanftes Nachgeben,
wie Asphalt, der weich wird im Sommer,
wie Worte, die keinen Widerstand mehr kennen.
Hier marschiert niemand,
kein Rhythmus, kein Auftritt,
nur das leise Gleiten derer,
die sich nicht mehr verformen lassen.
Die Stadt ist eine Idee aus Beton,
doch unter unseren Füßen
verliert sie ihre Härte.
Wir gehen noch.
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II. Der Algorithmus irrt
Berechnet war unser Schritt,
vorausgesagt, gespeichert, archiviert,
doch dann:
ein unvorhergesehenes Nachgeben,
ein Rutschen jenseits der Parameter.
Wir haben uns aus der Formel gelöst,
unauffindbar in den Vektoren
der verwalteten Zukunft.
Wir rutschen nicht nach Plan.
Wir entziehen uns der Berechnung,
ohne zu fliehen.
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III. Elegie der Funktionstüchtigkeit
Sag, Stadt aus Glas und Kontrolle,
was warst du, bevor du dich
zum Raster formtest?
Hast du je Wege ohne Richtung zugelassen,
haben Straßen je geführt, ohne zu fordern?
Unsere Latschen sprechen nicht in Tritten,
sie schreien nicht nach Gravität.
Sie schleifen an der Oberfläche
wie eine Störung im Getriebe,
zu leicht für Bedeutung,
zu laut für Ignoranz.
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IV. Metaphysik der Rutschenden
Die Zeit ist ein Kreis aus Lösungen,
die keine Fragen mehr stellen.
Ein Fortschritt, der keine Utopien mehr kennt.
Ein Wachstum, das sich selbst wächst,
ohne zu wissen, warum.
Wir lassen uns nicht mehr schnüren,
wir stehen nicht mehr stramm,
wir rollen,
wir gleiten,
wir verschwinden nicht –
wir entziehen uns nur dem Gewicht.
Und wenn sie uns fragen, wohin wir gehen,
werden wir sagen:
Dorthin, wo der Boden weich wird.
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Epilog: Manifest der Weichen
Hart ist die Welt,
hart die Logik,
hart die Disziplin derer,
die uns stampfend erklären,
dass es nur einen Weg geben kann.
Doch wir,
wir rutschen noch.
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