An diesem Tag erhob sich der Wolf-,mann von der Couch, er war sehr erschöpft. Er wußte, daß Freud das Talent hatte, die Wahrheit nur leicht zu streifen und zu übergehen, um dann die Leere mit Assoziationen zu füllen. Er wußte, daß Freud nichts von Wölfen verstand, und erst recht nichts vom Anus. Freud kannte sich nur mit Hunden aus, und mit dem Hundeschwanz. Und das genügte nicht, würde nie genügen. Der Wolfsmann wußte, daß Freud ihn bald für geheilt erklären würde, was aber keineswegs der Fall war, und daß er für alle Ewigkeiten von Ruth, von Lacan oder von Leclaire behandelt werden würde. Und er wußte schließlich, daß er im Begriff war, einen richtigen Eigennamen zu bekommen, nämlich Wolfsmann, der viel passender für ihn war als sein eigener, da er ihm durch die spontane Wahrnehmung einer Gattungsmannigfaltigkeit - der Wölfe - Zugang zur höchsten Singularität verschaffen würde.' Doch dieser neue, echte Eigenname sollte entstellt, falsch geschrieben und in einen Familiennamen rückübersetzt werden.
Freud indessen sollte seinerseits bald einige außergewöhnliche Seiten schreiben. Sehr praktische Seiten, in dem Aufsatz von 1915 über »Das Unbewußte«, in dem es um den Unterschied von Neurose und Psychose geht. Freud sagt, daß Hysteriker oder Zwangsneurotiker Menschen mit der Fähigkeit sind, einen Strumpf als ganzes mit einer Vagina oder eine Narbe mit Kastration gleichzusetzen. Es steht außer Frage, daß sie das Objekt gleichzeitig als Ganzes und als verloren wahrnehmen. Aber die Haut erotisch als eine Mannigfaltigkeit von Poren, Mitessern, kleinen Narben oder winzigen Löchern aufzufassen, oder einen Strumpf erotisch als eine Mannigfaltigkeit von Maschen zu begreifen, das würde einem Neurotiker niemals einfallen, während der Psychotiker dazu in der Lage ist: »Auch meinen wir, daß die Vielheit der Grübchen ihn abhalten wird, sie als Ersatz für das weibliche Genitale zu verwenden.«2 Einen Strumpf mit einer Vagina zu vergleichen, das geht noch, das macht man jeden Tag, aber wenn man eine bloße Gesamtmenge von Maschen mit einem Feld von Vaginas vergleicht, dann muß man schon verrückt sein: das sagt jedenfalls Freud. Dabei gibt es eine sehr wichtige klinische Entdeckung, nämlich den entscheidenden stilistischen Unterschied zwischen Neurose und Psychose. Wenn Dalf zum Beispiel versucht, Wahnvorstellungen darzustellen, kann er lang und breit über das Rhinozeros-Hom sprechen und verläßt dennoch nicht den neuropathischen Diskurs. Aber wenn er anfängt, die Gänsehaut mit einem Feld von kleinen Rhinozeroshömern
1. Vgl. Sigmund Freud, Aus dei- Ges(-hii-hte einer injüntilen Neurose, in Gesammelte Wei-ke, London 1946, Bd. 12, S. 29-157. [Französisch wird der Wo@@mann mit »homme aux loups« übersetzt, so daß dieses Spiel mit dem Plural möglich wird. (A.d.Ü.)1
2. Sigmund Freud, Das Unbem,ußte, in Gesammelte Wei-ke, a.a.0, Bd. 10, S. 299.
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zu vergleichen, merkt man gleich, daß sich die Atmosphäre und daß man es mit Wahnsinn zu tun hat. Handelt es sich d haupt noch um einen Vergleich? Es geht doch eher um Mannigfaltigkeit, deren Elemente sich ändern oder die zu e Die kleinen Unebenheiten »werden« auf mikrologischer Hörnem und die Hörner zu kleinen Penissen.
Und kaum hat er die größte Kunst des Unbewußten entd lieb die Kunst der molekularen Mannigfaltigkeiten, kehrt Fr wieder zu den molaren Einheiten zurück, um seine Liebli wiederaufzugreifen: den Vater, den Penis, die Vagina, die K etc. (Kurz davor, ein Rhizom zu entdecken, kehrt Freud im zu schlichten Wurzeln zurück.) Der Reduktionsvorgang in satz von 1915 ist sehr interessant: er sagt, daß der Neurot Vergleiche oder Identifizierungen auf Sachvorstellungen während der Psychotiker nur noch Wortvorstellungen hat spiel das Wort Loch). »Die Gleichheit des sprachlichen A nicht die Ähnlichkeit der bezeichneten Dinge, hat den Ers schrieben.«3 Wenn es also keine Einheit im Ding gibt, so do dest eine Einheit oder Gleichheit im Wort. Man wird beme daß Namen hier extensiv gebraucht werden, das heißt, sie fu Gattungsnamen, die die Einheitlichkeit eines Ganzen siehe subsumieren. Der Eigenname kann nur ein Extrem Gattungsnamens sein, in dem seine bereits gezähmte Manni enthalten ist und auf ein Wesen oder Objekt bezogen wi einzigartig postuliert wird. Dadurch wird allerdings sowohl der Wörter wie von seiten der Dinge das Verhältnis zwi Eigennamen als Intensität und der Mannigfaltigkeit gefähr unmittelbar wahrnimmt. Wenn das Ding zersplittert und sei verliert, ist für Freud immer noch das Wort da, das ihn zu i führt oder mit dem er eine neue Identität erfinden kann. F sich auf das Wort, um eine Einheit wiederherzustellen, Dingen nicht mehr vorhanden ist. Erleben wir nicht gerade hung eines neuen Abenteuers, die des Signifikanten, der sehen despotischen Instanz, die sich selber an die Stelle v kanten Eigennamen setzt, so wie sie die Mannigfaltigkeite trübselige Einheit eines für verloren erklärten Objektes erset Wir sind von den Wölfen nicht weit weg. Denn der Wo jemand, der in seiner zweiten, sogenannten psychotischen dig aufmerksam die Variationen oder die sich verändernde winzigen Löchern oder Narben auf der Haut seiner Nas Aber in der ersten Episode, die Freud für neurotisch erklärt, Wolfsmann, daß er von sechs oder sieben Wölfen auf ei
3. Ebd.
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