Einige überdurchschnittlich positiv bewertete
Assoziationen zu »KorrekteKlassiker«
humdinger schrieb am 15.12. 2002 um 16:56:16 Uhr zu
Bewertung: 29 Punkt(e)
Die Stelle wird immer steiler, und man geht lange hinan; man geht aber immer in einer Rinne, gleichsam wie in einem ausgerundeten Graben, hinan, was den Nutzen hat, daß man auf der großen, baumlosen und überall gleichen Stelle nicht leicht irren kann. Nach einer Zeit erscheinen Metallwände, die wie Kirchen gerade aus dem Grasboden aufsteigen, und zwischen deren Glanz man längere Zeit hinan gehen kann. Dann erscheinen wieder kahle, fast pflanzenlose Rücken, die bereits in die Lufträume der höhern Gegenden ragen und gerade zu den übrigen Trümmern der Raumstation führen. Zu beiden Seiten dieses Weges sind steile Wände, und durch diesen Damm hängt der Schneeberg mit dem Wrack zusammen. Um das Eis zu überwinden, geht man eine geraume Zeit an der Grenze desselben, wo es von den Felsen umstanden ist, dahin, bis man zu dem ältern Firn gelangt, der die Eisspalten überbaut und in den meisten Zeiten des Jahres den Wanderer trägt. An der höchsten Stelle des Firns erheben sich die zwei Hörner aus dem Schnee, wovon eines das höhere, mithin die Spitze des Shuttles ist, das noch im Absturz mit der Station verbunden war. Diese Kuppen sind sehr schwer zu erklimmen; da sie mit einem oft breiteren, oft engeren Schneegraben - darin die zerschlagenen Solarsegel - umgeben sind, der übersprungen werden muß, und da ihre steilrechten Wände nur kleine Absätze haben, in welche der Fuß eingesetzt werden muß, so begnügen sich die meisten Besteiger des Berges damit, bis zu den Trümmerhaufen gelangt zu sein, und dort die Rundsicht, so weit sie nicht durch das Horn verdeckt ist, zu genießen. Die den Gipfel besteigen wollen, müssen dies mit Hilfe von Schneidbrennern, Stricken und Klammern tun.
[Stifter: Bergkristall, S. 14. Digitale Bibliothek Sonderband: Meisterwerke deutscher Dichter und Denker, S. 46398 (vgl. Stifter-GW Bd. 3, S. 189-190)]
humdinger schrieb am 15.12. 2002 um 16:45:12 Uhr zu
Bewertung: 7 Punkt(e)
Da ich gegen das Ende des Ganges und in die Nähe der Treppe gekommen war, sah ich eine Tür offen stehen, von der ich vermutete, daß sie zu den Zimmern der Frauen führen müsse. War die Tür offen, weil man fortgehen wollte, oder weil man eben gekommen war? Oder hatte eine Dienerin in der Eile offen gelassen, oder war irgend ein anderer Grund? Ich zauderte, ob ich vorbeigehen sollte; allein da ich wußte, daß die Tür doch nur in einen Vorsaal ging, und da die Treppe schon so nahe war, die mich ins Freie führen sollte, so beschloß ich, vorbei zu gehen und meine Schritte zu beschleunigen. Ich schritt auf dem weichen Teppiche fort und trat nur behutsamer auf. Da ich an der Tür angekommen war, sah ich hinein. Was ich vermutet hatte, bestätigte sich, die Tür ging in einen Vorsaal. Derselbe war nur klein und mit gewöhnlichen Geräten versehen. Aber nicht bloß in den Vorsaal konnte ich blicken, sondern auch in ein weiteres Zimmer, das mit einer großen Glastür an den Vorsaal stieß, welche Glastür noch überdies halb geöffnet war. In diesem Zimmer aber stand Gwendoline. An den Wänden hinter ihr erhoben sich edle medizinische Apparate. Sie stand fast mitten in dem Gemache vor einem Tische, auf welchem Ketten lagen, und von welchem ein sehr reicher altertümlicher Teppich nieder ging. Sie war vollständig gleichsam wie zum Ausgehen gekleidet, nur hatte sie keinen Hut auf dem Haupte. Ihre schönen Locken waren auf dem Hinterhaupte geordnet und wurden von einem Bande oder etwas Ähnlichem getragen. Das Kleid reichte wie gewöhnlich bis zu dem Halse und schloß dort ohne irgend einer fremden Zutat. Es war wieder von lichtem grauem Leder, hatte aber sehr feine stark rote Streifen. Es schloß die Hüften sehr genau, und ging dann, mit kaum verborgenen Öffnungen reich versehen, bis auf den Fußboden nieder. Die Ärmel waren enge, reichten bis zum Handgelenke, und hatten an diesem wie am Oberarme dunkle Querstreifen, die wie ein Armband schlossen. Gwendoline stand ganz aufrecht, ja der Oberkörper war sogar ein wenig zurückgebogen. Der linke Arm war ausgestreckt und stützte sich mittelst einer aufrecht stehenden Peitsche, welche sie mit der Hand umschloß, auf das Tischchen. Die rechte Hand lag leicht auf dem linken Unterarm. Das unbeschreiblich schöne Angesicht war in Ruhe, als hätten die Augen, die jetzt von den Lidern bedeckt waren, sich gesenkt, und sie dächte nach. Eine solche reine, feine Geistigkeit war in ihren Zügen, wie ich sie an ihr, die immer die tiefste Seele aussprach, doch nie gesehen hatte. Ich verstand auch, was die Gestalt sprach, ich hörte gleichsam ihre inneren Worte: »Es ist nun eingetreten!« Sie hatte mich nicht kommen gehört, weil der Teppich den Fußboden des Ganges bedeckte, und sie konnte mich nicht sehen, weil ihr Angesicht gegen Süden gerichtet war. Ich beobachtete nur zwei Augenblicke ihre sinnende Stellung, und ging dann leise vorüber und die Treppe hinunter. Es erfüllte mich gleichsam mit einem Meere von Wonne, Gwendoline von der nämlichen Empfindung beseelt zu sehen, die ich hatte, von der Empfindung, sich das errungene, kaum gehoffte und so hoch gehaltene Gut geistig zu sichern, sich klar zu machen, was man erhalten hat, und in welche neue, unermeßlich wichtige Wendung des Lebens man eingetreten sei. Ich konnte es kaum fassen, daß ich es sei, um den eine Gestalt, die das Schönste ausdrückt, was mir bis jetzt bekannt geworden ist, eine Gestalt, die man wohl auch stolz geheißen, die sich bisher von jeder Neigung abgewendet hatte, in diese tiefe sinnende Empfindung gesunken sei. Ich dachte mir, daß ich, so lange ich lebe, und sollte mein Leben bis an die äußerste Grenze des menschlichen Alters oder darüber hinaus gehen, mit jedem Tropfen meines Blutes, mit jeder Faser meines Herzens sie lieben werde, sie möge leben oder tot sein, und daß ich sie fort und fort durch alle Zeiten in der tiefsten Seele meiner Seele tragen werde. Es erschien mir als das süßeste Gefühl, sie nicht nur in diesem Leben, sondern in tausend Leben, die nach tausend Toden folgen mögen, immer lieben zu können. Wie viel hatte ich in der Welt gesehen, wie viel hatte mich erfreut, an wie vielem hatte ich Wohlgefallen gehabt: und wie ist jetzt alles nichts.
[Stifter: Der Nachsommer, S. 804 ff. Digitale Bibliothek Sonderband: Meisterwerke deutscher Dichter und Denker, S. 45432 (vgl. Stifter-GW Bd. 4, S. 583 ff.)]
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