Einige überdurchschnittlich positiv bewertete
Assoziationen zu »GuteNachtGeschichten«
Sussane schrieb am 12.8. 2006 um 08:54:47 Uhr zu
Bewertung: 10 Punkt(e)
Was wird ihr Bruder jetzt machen? Viel ist ihm nicht von ihr geblieben. Zu wenig, und auch wieder zu viel. Zu viel, um seine Gedanken in eine andere Richtung zwingen zu können. Zu viel, um ruhig zu sein. Zu viel, um am Morgen aufstehen zu können.
Was soll er auch tun? Das Dorf ist weg. Die Mutter verwirrt, zerstört von dem Übermaß an Leid. DerVater nur noch ein Wrack, wenn er aus leeren Augen auf die unzähligen Trümmer schaut. Die älteren Brüder sind den Weg bereits gegangen, oder einfach verschollen an einem dieser verrückten Tage. Die andere Schwester darf nicht mehr genannt werden. Was soll er also tun?
Er weiß um das Leben, das andere führen. Und das ihm für immer verwehrt ist. Studium, Vergnügen, globale Information. Seine Aussichten auf ein Studium haben sich nicht verschlechtert durch die jüngsten Ereignisse. Das ging ohnehin nicht mehr. Clubs, in denen er mit Freunden abhängen könnte, hat es nie gegeben. Bleiben die Informationen. Auf die Dauer tödlicher als die Granaten.
Er weiß präzise, warum das Wasser immer knapper und teurer wurde. Warum keine Produktionen zustande kamen, und wenn, warum sie schon bald wieder zerstört wurden. Kein Vertrieb möglich. Keine Arbeitsplätze vorhanden. Er weiß um die eherne Korruption der alten Männer und die flexiblere der neuen. Er kennt die Zusammenhänge in ihrem Zerrbild von Gesellschaft, das kümmerlich wie ein gekentertes Schiff in der Brandung treibt, auch wenn er seinen Gott anders nennt, auch wenn er seine Schuhe abstreift und sein Haupt zu Boden neigt.
Er kennt jede Facette der Verzweiflung auswendig und jeden Millimeter zu früh verschütteten Lebens. Doch was nützt es ihm? Was nützen seine Gedanken, seine Wünsche, seine Hoffnungen?
Haben sie seiner Schwester geholfen? Durfte sie ihre Liebe leben, den begehrlichen Blick ihrer sechzehn Jahre auf eine schöne Hand, ein Paar verlegener Augen?
Ihm ist zu wenig von ihr geblieben. Von allem zu wenig. Eine zarte Erinnerung, die er mit sich nehmen wird, bald, in einem einzigen furchtbaren Blitz..
Susanne schrieb am 8.8. 2006 um 23:30:15 Uhr zu
Bewertung: 6 Punkt(e)
Sie würde so gerne die Augen schließen. Mehr als alles andere. Dunkelheit, die eine Wand um ihr Innerstes errichtet. Sie abschottet. Doch jedesmal, wenn ihre Lider herab sinken, trifft sie die Hand, knallt ihr den Kopf gegen den harten Boden. Und sie öffnet ihre Augen folgsam.
Sieht hinein in die Gesichter mit den leeren Augen, die nicht dulden wollen, daß sie sich davon macht. Spürt sie noch den Schmerz? Kaum. Was kann ihr der Körper noch bedeuten? Eine einzige Wunde, eine zerbrochene Gestalt. Die können ihn immer noch verwenden. Nur für sie bleibt nichts mehr.
In sich zusammen kriechen, einkapseln, trennen, ablösen. Aber die lassen es nicht zu. Die wissen um ihr Innerstes. Greifen hinein, zerren hervor, kehren zuoberst, was sie verstecken und retten möchte.
Nie wieder wird das zu ihrem Körper werden. Nie wieder die intakte Schale ihres Selbst. Was also sollte ihr noch daran liegen. Sie ist nicht bloß gebrochen – die haben sie für immer aufgebrochen. Kein Versteck mehr für sie auf dieser Welt, für immer hinaus geworfen aus ihrer Behausung, ihrem Körper. Nie wieder das junge Mädchen, nur noch eine untaugliche Hülle.
Irgendwann öffnen sich ihre Augen nicht mehr, man läßt sie liegen. Richtet die Uniformen, raucht noch eine Zigarette. Der Regen hat aufgehört, das monotone Geräusch der Rotoren schwillt ab. Ein unbehagliches Gefühl bleibt manchem, einer wirft noch einen Blick zurück in das halb eingestürzte Haus. Zuckt die Schultern.
Susanne schrieb am 8.8. 2006 um 23:02:30 Uhr zu
Bewertung: 3 Punkt(e)
Immer vor dem Einschlafen sah sie die Decke wieder einstürzen.
An sich kein beängstigender Anblick, denn sie wußte, daß sich die schweren Betonpfeiler, die beim letzten Bombardement schräg gegeneinander gefallen waren, wie ein Torbogen über sie wölben und die Deckenplatte aufhalten würde. Sie würde also zunächst in Sicherheit sein. Und dann würde das Licht ausgehen. Auch das kannte sie. Und das Geschrei der Frauen und Kinder in der Dunkelheit. Staub würde es geben, der das Atmen erschwerte. Und in den Augen biß, die aber ohnehin nichts sehen konnten. Etwas störend würde sich die Tatsache bemerkbar machen, daß ihre Hände immer noch hinter ihrem Rücken gebunden waren, harter Kuntstoff, der ihrer Haut nicht gut tat. Aber sie würde ihre Beine gebrauchen können, um den Kreislauf in Gang zu halten.
Die Rufe würden dann allmählich leiser werden, in einen jammenden Singsang übergehen, nur machmal noch ein irgendwie rabiates, aufbegehrendes, schrilles Kreischen. Aber auch das würde bald verstummen.
Sie wußte, daß die ersten Stunden die härtesten waren.
Der Staub hat sich schnell gelegt, sie kann jetzt wieder besser atmen. Das dünne Armeehemd ist quer über ihrer Brust aufgerissen, sie spürt eine ölige Flüssigkeit über ihre Haut laufen, kann nicht herausfinden, was es ist. Ihr Bewegungsradius ist jetzt weiter eingeschränkt, nachdem einer der großen Pfeiler in der Mitte einknickte und ein Haufen Steine sich über ihr rechtes Bein ergossen hat. Das linke aber läßt sich noch bewegen.
Wenn sie den Kopf ganz weit zur Seite dreht, so weit, daß der Schmerz in ihren Armen schier unerträglich wird, sieht sie ganz fern ein Licht. Sie versucht diese Bewegung immer wieder, bis sie erschöpft und vor Schmerz laut weinend nicht mehr kann.
Diesmal lassen sie sich aber wirklich Zeit. Und auch der Geruch nach Benzin ist neu. Er dringt immer stärker in ihre Nase. Ist es Dieselöl, das sich inzwischen auf ihrem gesamten Brustkorb verteilt hat wie eine zu reichhaltige Ölung?
Und dann auf einmal das ferne Geräusch elektrischer Entladungen. Ganz unscheinbar erst. Aber für ihr geschultes Ohr unverkennbar.
Jetzt gerät sie doch in Panik. Dabei hat sie doch bis zum Schluß so gut durchgehalten. Keine Atemluft verschwendet mit sinnlosem Rufen. Ihren Körper nicht an den scharfkantigen Stahlarmierungen unnötig verletzt. Doch als ihr jetzt dieser wohlvertraute Rauch in die Nase steigt und die von der Seite heran nahende Hitze sie jäh anfällt, kann sie sich nicht mehr beherrschen. Verzweifelt und vergeblich bäumt sich ihr Körper gegen das auf, was ihr Geist bereits akzeptiert hat.
Der Druck auf ihrer Schulter wird endlich doch überwältigend, und dann jäh wie ein Blitz diese grelle Glut..
Susanne schrieb am 8.8. 2006 um 00:53:43 Uhr zu
Bewertung: 2 Punkt(e)
Er setzt die Brille ab, legt sie, das Glas nach oben, auf seinen Nachttisch, das Buch daneben, dreht sich zu ihr und legt seine Hand auf die Rundung ihrer Hüfte.
Sie seufzt, läßt ihr Buch zu Boden fallen, und rollt hinein in seine Arme.
Er schläft mit ihr.
Danach fragt er sie, ob es ihr gefallen habe, und belohnt ihre positive Antwort mit einem glaubwürdigen Kuß.
Sie rollt sich hinaus aus seinen Armen, hebt ihr Buch auf, legt das Lesezeichen hinein, legt es auf ihren Nachttisch und schließt ihre Augen.
Er löscht das Licht und schaut in die Dunkelheit.
Die Nacht beginnt..
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