Wir schreiben das Jahr 2035.
Mein Leben neigte sich dem Ende zu. Es war ein erfuelltes Leben, voller
Spass, Computer, Sex und Burger King. Doch irgendwann geht alles mal zu
Ende. Natuerlich war's bei mir die Manneskraft die mich zuerst verliess.
Das merkte ich daran, dass ich es nicht mehr schaffte mit meinen
zweiundsiebzig Jahren, eine Frau mehr als neun mal hintereinander zu be-
friedigen. Auch die Frauen mit denen ich all die Jahre meinen Spass
hatte, wurden nicht vom Alter verschont. Bumste ich gestern noch
Sechzehnjaehrige, war es mir heute nur noch vergoennt mit schamlosen
Sechzigjaehrigen meinen orgastischen Spass zu haben. Und mal ehrlich, wer
will denn schon solche alten Fregatten bumsen? "Achtzehn muss sie sein
und quieken wie ein Schwein", war der damalige Slogan unter uns
maennlichen, jugendlichen Schnellspritzern. Ein Spruch dem ich bis ins
hohe Alter die Treue hielt.
Ein weiterer Schlag fuer mich war der Verlust meiner vielen Freunde und
Pointkollegen. Sie alle hatten mich nacheinander verlassen. Heute kann
ich sie nur noch auf dem Stadtfriedhof besuchen und ihre Grabblumen
giessen. Ich Zombie, war der Letzte einer Gruppe von Menschen, der noch
die ver- altete Technik nutzte und mit einem Telefon via Modem, Daten
aus einer Mailbox abrief. Doch das alles gibt es nun nicht mehr. Es gibt
nicht mal mehr Mailboxen. Die Leute haben den Kontakt zueinander
verloren. Jeder lebt nur noch fuer sich selber, keiner kuemmert sich mehr
um den anderen. Aus diesem Grund - und weil mir die Krankenschwestern im
Altersheim, immer die Disketten klauten - hatte ich waehrend einer
Selbstbefriedigung beschlossen mein Leben zu beenden. Ich wollte meinem
Leben ein Ende setzen. Ich wollte nicht warten bis der liebe Gott mich
ruft. Nein, ich beschloss ihm schon vorher auf den Geist zu gehen!
Sogar die Frage wie ich sterben wollte, hatte ich mir bereits
beantwortet:
Mein Tod musste spektakulaer und ekelerregend sein - so wie es mein ganzes
Leben schon war.
Nicht das ich unbedingt ein philosophisches oder soziales Zeichen setzen
wollte, nein, ich wollte schoen grausam sterben und denen, die mich
kannten, noch einen schoenen Verabschiedungsschock verpassen.
Mein Plan war es von einem Haus zu hobsen und unten wie ein mit Wasser
gefuellter Luftballon aufzuklatschen. Ich rieb mir schon freudig die
Haende, bei dem Gedanken wie mein fetter, alter Zombiekoerper auf dem
harten Beton aufschlaegt und meinen Kopf zerfetzt. Mein Gehirn sollte
sich in tausend kleine, matschige Gewebeteile quer ueber die Strasse
verteilen. Mein Bauch durch den Aufpralldruck aufreissen, die Organe und
Daerme sollten rausspritzen und sich um eine Ampel wickeln. Vielleicht,
so hoffte ich, klatscht das Zeug auch einem Politiker oder
Steuerbeamten, der zufaellig des Weges kommt, in die Fresse. (Ich kann
diese Berufsgattung einfach nicht leiden).
Einige Tage spaeter war's dann soweit. Der grosse Tag war da, mein grosser
Tag. Ich kletterte auf ein Geschaeftsgebaeude einer verkehrsbelebten
Strasse. War nicht leicht mit meinen Kruecken die Regenrinne rauf zu
kommen (vielleicht haette ich doch den Aufzug nehmen sollen). Mein
kuenstliches Gebiss fiel mir auch aus dem Mund und in einen Strassengulli.
Zwar brauchte ich das Ding nun nicht mehr, aber aergern tats mich
trotzdem; immerhin hatte ich dafuer mal viel Geld bezahlt. Als ich das
Dach erreichte, musste ich erst mal verschnaufen. Fast waere ich an
Luftknappheit gestorben. Und auf meinen schoenen Sprung haette ich dann
auch verzichten muessen. Aber es ging ja noch mal gut.
Nun begab ich mich zum Dachrand. Hui, war das hoch, ganze acht Etagen.
Da kann es einem schon mulmig werden. Aber ich konnte mich beherrschen
mein letztes Mittagessen (5 kuenstliche und BSG-freie Hamburger)
auszukotzen, und bereitete mich auf meinen Sprung vor. Ich wusste genau
wie ich zu springen hatte, um so aufzuschlagen damit es reichte in die
Abend- nachrichten zu kommen: Ein Kopfsprung, wie vom Einerbrett sollte
es werden. Das hiess fuer mich, die Hockposition einnehmen. Doch leider
hatte ich die Rechnung ohne meine Kruecken gemacht, ueber die stolperte
ich naemlich, gerade, als ich in besagte Hocke gehen wollte. Ich verlor
mein Gleichgewicht und fiel vom Dach - ruecklings. Das Ganze ging so
schnell, ich vergass sogar zu schreien. Und haste nicht mal bis Drei
gezaehlt, schon schlug ich unten auf dem Fahrbahndamm auf - mit dem
Ruecken. Nicht mal das Knacken und Krachen meiner Knochen hoerte ich. Ich
glaube, ich hab's auch nicht mal gespuert. Und tot war ich auch nicht,
konnte mich zwar nicht mehr bewegen, war aber auch nicht tot - Mist!
Dafuer sah ich wie sich eine Horde Menschen um mich versammelte und
lauthals nach einem Krankenwagen und einen Notarzt bruellte. Ich wollte
sagen, dass das unwichtig sei und das sie mich sterben lassen sollten,
aber ich bekam keinen Ton heraus, so sehr ich mich auch anstrengte.
Ploetzlich schrie jemand wie am Spiess (war bestimmt eine Frau, die
schreien immer so hysterisch). Leider konnte ich meinen Kopf nicht
drehen und sehen, was der Grund fuer den Schrei war. Dann hoerte ich wie
jemand rief, dass ein LKW-Fahrer die Kontrolle ueber seinen 25-Tonner
verloren hatte. Und dieser zehn Meter lange Truck der Firma "Milch fuer
Babys", raste genau auf die Stelle zu, auf der ich mich befand. In Panik
sprangen alle Leute von der Strasse, um sich in Sicherheit zu bringen -
natuerlich, mich liessen sie liegen. Mal wieder ein typisches Beispiel
dafuer, wie mein Leben ablief: Neunundneunzigtausend Mann im
Fussballstadion, wer kriegt den Ball in die Schnauze? Ich!
Der Laster preschte heran und keine Sekunde spaeter ueber mich rueber. Mit
dem linken Vorderrad erwischte er meinen Kopf. Das Blut spritzte quer
ueber die Strasse und mein Gehirn blieb am Reifen haengen. Die Hinter-
raeder des LKW zermatschten den Rest meines Koerpers, und wie ich's mir
wuenschte, flogen einige meiner blutgetraenkten Organe durch die Luft und
klatschten so manchen vor die Fuesse. Leider keinem von der Steuer-
behoerde. Zumindest war gesichert, dass ich in die Abendnachrichten kam.
Bingo!
Tja, nun war ich tot. Aber noch immer konnte ich denken und fuehlen. Nur
hatte ich keine Schmerzen und auch mein Koerper war heil, sogar der Kopf.
Alles war saeuberlich vorhanden. Lebte ich? Aber das konnte nicht sein.
Der Lastwagen hatte mich doch voll erwischt. Und ueberhaupt war alles um
mich herum schwarz. Ich konnte nur mich selbst sehen - das war alles.
Aber Moment, ich stand auf etwas. Ich bueckte mich zu meinen Fuessen und
versuchte den Boden zu betasten, aber meine Hand glitt ins Leere. Was
sollte denn der Quatsch? Ich spuerte auf etwas zu stehen, aber anfassen
konnte ich's nicht? Eigenartigerweise fuehlte ich mich ploetzlich so gut,
richtig frisch und ausgeruht. Ueberhaupt konnte ich meine Beine ohne die
Kruecken bewegen. Das war auch gut so, denn ich hatte keine Kruecken - wo
immer ich hier auch war. Ich fasste mir ins Gesicht, tastete alles ab und
stellte fest, dass mein Gesicht wieder jugendlich frisch war, so, wie
einst, als ich als Dreissigjaehriger lebte. Ich sah mir meinen Koerper
genauer an, und tatsaechlich, alles an mir war wieder jung. Vor allem
mein kleiner »Zombie« stand wieder wie `ne Eins. Also irgendwas musste
das doch bedeuten.
»Hallo?« rief ich, aber niemand antwortete. Warum auch? War ja niemand
hier. Ich rief unnoetigerweise noch mal, und dann noch mal. Aber nicht
die kleinste Antwort. Sollte das also der Tod sein? Sollte er so
aussehen? Nur Schwaerze um einen rum und mit einem Fussboden unter den
Fuessen, den man nicht anfassen konnte?
Endlich versuchte ich zu laufen. Ich lief einfach geradeaus und lief und
lief. Ich wusste nicht ob ich wirklich lief, zumindest aber kam es mir so
vor. Auch ob ich geradeaus ging wusste ich nicht - bei der Schwaerze
konnte ja kein Toter etwas sehen. Und wenn ich nun auf einen Abgrund
zuliefe? Als ich diesen Gedanken hatte, blieb ich vor Schreck stehen.
Irgendwo runter fallen wollte ich auch nicht. Ich wuenschte mir eine
Taschenlampe. Aber wie es im Leben nun mal ist, Wuensche bleiben oft
unerfuellt. Besonders dann, wenn man das Resultat des Wunsches bitter
noetig hatte.
So, und nun stand ich da so rum, und eigentlich haette ich mir auch an
den Eiern spielen koennen. Das Stehen wurde mir zu bunt, ich setzte mich
und machte nichts im Nichts. Ich wusste nicht wie lange ich da sass,
koennen Minuten, Stunden, aber auch Tage und sogar Jahre gewesen sein.
Ich wusste ja nicht mal, ob hier der Begriff »Zeit« existierte. Vor
lauter Langeweile begann ich mit den Fingern zu schnipsen, ab und zu
ruelpste ich, und einen kraeftigen Pforz liess ich auch ab - der allerdings
geruchlos blieb - leider, sonst haette vielleicht jemand bemerkt, dass ich
anwesend war. Ja, Himmel, war das hier die Hoelle? Wenn ja, wo ist dann
das vielzitierte Hoellenfeuer? Wo der Teufel? Ueberhaupt war's hier weder
kalt noch warm. Also irgend wie fand ich den Tod beschissen und
langweilig.
|