Es soll sie geben, die Große Universität von Zirkum, draußen vor der Stadt im »Klein Polen«.
Die Bahn fährt einmal am Tag von »Zirkum Grenze« hinaus, es sind zwei Stationen.
Klein Polen besteht aus Plattenbauten, die mir nur allzu bekannt vorkommen.
Eine schmale, aus Betonelementen gebildete Straße führt über ödes Gelände hinaus auf ein erschreckend großes und finsteres Gebäude, ganz vom Rotbraun der Zimtwüste bestäubt, auch alle Fenster! Eine Kuppel auf einem großen Kubus, an den eher bescheidene Flügel angebaut sind.
Ich bin weit und breit der einzige Passant.
Ich stemme ein schweres Eingangsportal auf, betrete ein Foyer, genau unter der Kuppel: die sich als gläsern erweist, aber vom Wüstenstaub eingetrübt.
Leere Garderoben. Leere Treppenaufgänge, leere Emporen. Niemand.
Ein schwarzes Brett mit Vorlesungsankündigungen in kaum zu enträtselndem Englisch (hinzugekritzelte Bemerkungen auf mongolisch oder russisch). Es gibt nur ein Fach: Theologie. Und zwar im »Audimax«, einziger Vorlesungstag: heute, Beginn: vor knapp einer Stunde.
Ich gehe eine Treppe hoch, um das Audimax auf unauffällige Weise zu betreten.
Ich sehe weit unten den Dozenten, laut Ankündigung ein Professor Nergüi.
Ich höre ihn (er spricht in ein Mikrophon), sehe aber nicht einen einzigen Studenten. Ein exzellentes Englisch. Es geht um Engel. Er will - er hat mich nämlich gleich entdeckt, ich sehe seine Brille funkeln - noch einmal die vergangene Stunde rekapitulieren.
Soviel verstehe ich: es hat vor Beginn der Schöpfung ein Vakuum gegeben, das aber kein echtes Vakuum war, indem es von Quanten-Engeln wimmelte.
Es scheint dann - wo er weiß, dass er einen Hörer hat - sehr bewegt zu sein - unterbricht sich, zieht ein Taschentuch, um scheinbar seine Brille zu putzen, tatsächlich aber muss er sein tränennasses Gesicht abtrocknen.
Auch versagt ihm die Stimme; soviel verstehe ich aber, dass diese Engel Organe sind, die Stimmen abzuhören und weiterzutragen haben: und zwar bittende und dankende Stimmen.
Für Bitte und Dank, und nichts sonst sei die Welt geschaffen worden. Engel hätten Bitte oder Dank entweder an die zuständigen Adressaten weiterzutragen oder für alle Zeiten aufzubewahren.
Während der Rückfahrt enträtsle ich meine Notizen. Falls da eine Logik ist, ist sie womöglich meine Zutat, und Nergüi meint es ganz anders.
Es dauerte keine Viertelstunde, da gab Nergüi auf, stolperte vom Katheder, das Taschentuch auf seine Augen gepresst, winkte mit Hand und Brille noch in meine Richtung, entschuldigend eher als einfach verzweifelt.
Vielleicht war ihm auch bewusst, dass ich sonst den letzten Zug in die Stadt nicht mehr erreichen würde.
Mit der Heulerei hat er fast auch mich angesteckt.
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