Die unerträgliche Leichtigkeit des Steins
Andrea Naica-Loebell 19.05.2003
Wenn Physiker ditschen
Es ist immer wieder nett, wenn sich Naturwissenschaftler seltsamer Geschichten
oder Alltagsphänomene annehmen, um ihnen wissenschaftlich auf die Spur zu
kommen. Dazu gehört die Frage, warum im Müsli immer die dicksten Nüsse nach
oben wandern (vgl. Dicke Nüsse liegen obenauf), oder warum der
Frühstückstoast meist mit der fettigen Seite auf dem Boden landet, um dort nach den
Regeln von Murphy's Law kleben zu bleiben (vgl. Buttertoast und
Murphy's Law).
Videostill vom
Weltrekord im Steine
Hüpfe am Blanco River,
der ins Guiness-Buch
der Rekorde
aufgenommen wurde,
Foto: North American
Stone Skipping
Association
Jetzt ist das Steinehüpfen dran, das im Deutschen auch Ditschen, Steinschnellen oder
Klippen genannt wird. Ein Zeitvertreib von meist männlichen Personen jeder
Altersgruppe, gerne auch in der Kombination Vater und Sohn ausgeübt. Ziel ist es, einen
Kieselstein so zu schleudern, dass er möglichst oft auf dem Wasser springt, bevor er
versinkt. Zu beobachten an jedem Fluss, See, Teich oder anderem Gewässer mit ruhiger
Oberfläche und wenig Badenden. Das Spiel ist alt, über diesen Wettkampf hatte schon
Homer geschrieben und später Shakespeare in der Originalfassung von Henry V.
Die beste praktische Anleitung für dieses Spielchen findet sich online im Forum eines
Seniorentreffs:
1. Die Form des Steines muss ein flaches Ellipsoid sein .. also ein Körper, der
durch eine gedrehte Ellipse im Raum entsteht. Sollte möglichst keine Ecken und
Kanten haben. 2. Größe und Gewicht muss so gewählt werden, dass er gut in die
Hand passt und der eigenen Wurfkraft entspricht. Wichtig ist die
Geschwindigkeit beim Aufsetzen. 3. Die Wurftechnik: der Stein wird zwischen
Daumen und Zeigefinger so gehalten, dass die Fingerbeeren die Schmalseite
berühren. Der Stein erfährt beim Abwurf durch den Zeigefinger eine starken
Drall um die ... Achse. 4. Standort: so tief wie möglich, am besten auf der Höhe
der Wasseroberfläche (z.B. im Wasser stehend). 5. Flugbahn: in spitzem Winkel
auf die Wasseroberfläche, der Winkel bestimmt die Weite des ersten Sprunges.
6. Stellung des rotierenden Steines: in der Flugrichtung leicht nach oben
gekantet. 7. Die Wasseroberfläche sollte möglichst glatt und ohne Wellen oder
Wirbel sein. Ein gelungener Wurf bringt den Stein ca. 15 - 20 mal zum Hüpfen
... am Ende der Bahn werden die Sprünge immer kürzer und gehen in ein
Schlittern über.
Felix
.
Aber das ist natürlich nur eine prosaische Beschreibung, wenn auch von einem
wissenschaftlich geschulten Menschen.
Lydéric Bocquet, ein Physiker von der Claude-Bernard-Universität in Lyon veröffentlichte
sein Paper im American Journal of Physics; "The physics of stone
skipping", eine Betrachtung der Grundlagen und Bewegungsabläufe beim Steine hüpfen
lassen. Frei verfügbar gibt es den Artikel auch beim arXiv.org
e-Print archive. Bocquet hält seine Auseinandersetzung für besonders geeignet, um im
Unterricht eingesetzt zu werden und legt sie deshalb speziell den Lehrern ans Herz.
Das Ziel des Ditschens ist es, den Stein möglichst häufig auf der Wasserfläche tanzen zu
lassen und er untersucht die Faktoren, die dafür ausschlaggebend sind.
Unsere Intuition gibt uns einige empirische Regeln für den besten Wurf: die
besten Steine sind flach und möglichst rund; man wirft sie sehr schnell und in
einem kleinen Winkel zur Wasseroberfläche; man gibt dem Stein mit einem
Finger einen kleinen Kick, um ihn in eine Drehbewegung zu versetzen,
schreibt er am Anfang seines Artikels zur grundsätzlichen Wurftaktik. Das theoretische
Modell der Physik, das er entwirft, setzt sich dann folglich vor allem mit Radius,
Geschwindigkeit und Eigendrehung (Spin) auseinander. Das sind die Hauptparameter, von
den die Anzähle der Sprünge abhängig sind. Vorausgesetzt werden dabei allerdings
bestimmte Optimalbedingungen wie eine glatte Wasseroberfläche und kein Wind.
Dann bleiben als Hauptfaktoren, die den Stein ausbremsen oder destabilisieren vor allem
die Folge der Kollisionen mit der Wasserfläche übrig, wobei der Kiesel zunehmend
langsamer wird und der Winkel sich verändert, bis die Eigenrotation aus dem
Gleichgewicht gerät und von der Bewegungsenergie nichts mehr übrig ist. Der Stein geht
unter.
Lydéric Bocquet ist überzeugt, dass bei einem vertieften Verständnis der Regeln der
Physik der bestehende Weltrekord von 38 Sprüngen gebrochen werden könnte. Nach
seinen Berechnungen und guten Ausgangsbedingungen müsste ein zehn Zentimeter großer
Stein mit 40 Stundenkilometern und 14 Umdrehungen pro Sekunde in flachem Winkel auf
das Wasser geworfen werden. Außerdem spekuliert er, dass durch kleine Mulden auf dem
Stein (ähnlich wie bei einem Golfball) der Wasserwiderstand verringert werden könnte
und damit die Anzahl der Sprünge noch weiter erhöht. Bocquet will jedenfalls demnächst
ein Katapult bauen, um damit die Kiesel in Geschwindigkeit und Rotation kontrolliert aufs
Wasser zu schleudern. Durch die Überprüfung mit neuen Hochleistungskameras sollen
dann seine Thesen experimentell verifiziert werden.
Die bisher ungebrochene Glanzleistung von 38 Steinhüpfern wurde am Blanco River in
Texas aufgestellt und 1994 ins Guiness Buch der Rekorde
aufgenommen. Die US-amerikanischen Steineschleuderer sind in der "North American
Stone Skipping Association" ( NASSA) organisiert, die für
Personen aller Altersgruppen offen ist und seit 1989 "World Stone Skipping
Championships" veranstaltet.
Die NASSA behauptet, viele Schlüsselformeln, warum ein Stein auf dem Wasser hüpft,
seien von den Regierungen der USA und Großbritanniens bisher als geheim klassifiziert.
Das könnte sich nun ändern und jeder kann antreten, um auf dem Wasser hopsende
Geheimwaffen zu bauen oder einfach nur den bestehenden Weltrekord zu brechen. Bis alle
Seen und Flüsse mit Steinen gefüllt sind. Denn wie ein rumänisches Sprichwort sagt:
Wasser verrinnt, Steine bleiben.
Kommentare:
dialekt (Graham, 20.5.2003 2:16)
Maenner? (holger das nilpferd, 19.5.2003 23:55)
Frauen... (Kapi707, 19.5.2003 23:41)
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