Nach Norbert Elias beschäftigen sich die verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen mit unterschiedlichen »Integrationsebenen«. Die physikalisch-chemische Integrationsebene der Atome und Moleküle bildet in Elias Denkmodell eine niedrigere Ebene als die der biologischen Körperzellen, diese wiederum ist einer nächsten Ebene der Organe unterzuordnen, auf welche dann die Ebene der Organismen folgen würde, usw.
Eine höhere Integrationsebene besitzt jeweils aufgrund ihrer komplexer organisierten Funktionszusammenhänge ihrer Elemente Eigenschaften, die sich nicht vollständig durch Reduktion aus den Eigenschaften der jeweils niedrigeren Ebenen ableiten lassen, obwohl sie aus einem kontinuierlichen ontogenetischen Prozess hervorgegangen sind.
Die menschliche Integrationsebene ist eine Stufe der Entwicklung, die Eigenschaften aufweist, die auf keiner der vorhergehenden Stufen zu beobachten sind, und deren Prozesse sich auch nicht einfach aus den Eigenschaften der Prozesse auf niedrigeren Stufen, etwa der der in Herden lebenden Tiere, oder der Ebene der chemischen Vorgänge im menschlichen Gehirn, ableiten lassen. Das Ganze ist immer mehr als die Summe seiner Teile.
Daraus folgt nach Norbert Elias die Erkenntnis, dass für eine realitätsangemessene sozio- und psychologische Beschreibung menschlicher Prozesse andere Denkwerkzeuge als bei der Erforschung biologischer oder anderer, auch nichtmenschlicher Aspekte der Natur vonnöten sind.
Er begründet hiermit die »relative Autonomie« der Soziologie gegenüber den Naturwissenschaften.
Elias kritisiert, dass in den meisten Fällen wissenschaftlicher Arbeit die Denkmodelle und Forschungsmethoden relativ unhinterfragt angewendet werden. Die menschliche Denktätigkeit bzw. -fähigkeit wird zumeist als selbstverständlich angesehen. Die Form des Denkens (etwa die angeborenen Ideen in Platons Lehre, oder die »Gesetze« des logischen Denkens und der Vernunft bei Aristoteles) erscheint so als ewig, nur die Denkinhalte scheinen sich zu wandeln. Dies führt zu trügerischen Vorstellungen, und aus ihnen entstehen einige hausgemachte Schwierigkeiten, mit denen Wissenschaftler immer wieder zu kämpfen haben. Ebenso ist es problematisch, die erfolgreichen naturwissenschaftlichen Methoden der Erkenntnis unreflektiert in die Gesellschaftswissenschaften zu übernehmen.
Nach Elias muss sich ein Wissenschaftler - sofern er nach realitätsangemessener Erkenntnis strebt - darüber im klaren sein, dass das Denken, die menschliche Fähigkeit mit Hilfe von Symbolen verschiedenste Erlebnisse zu reflektieren, nicht angeboren ist, sondern aus einem langfristigen Prozess hervorging (ein Prozess, der noch immer andauert). Und dass damit auch das Denken eines Individuums immer in eine mehrere Generationen übergreifende Kette von übermittelten Denkprozessen eingebunden ist. Jeder Mensch lernt das Denken und Fühlen immer in Abhängigkeit der jeweiligen Gesellschaft, in die er hineingeboren wird. Diese erlernten Verhaltensstrukturen werden in den meisten Fällen stark verinnerlicht, werden im Bild eines Menschen von sich selbst zur Selbst-verständlichkeit, so dass dieses Selbstbild dann leicht als »natürlich« erscheint, es wird habitualisiert, zur »zweiten Natur« des Menschen.
Hieraus folgt für Elias die Notwendigkeit zur Selbstdistanzierung. Eine relativ realitätsangemessene Sicht auf die Prozesse, die ein Mensch untersuchen möchte, kann er nur bekommen, wenn er in der Lage ist, »in Gedanken sich selbst gegenüberzutreten und seiner selbst als eines Menschen unter anderen gewahr zu werden.«. Er muß den Entwicklungsprozess in Rechnung stellen, aus dem er selbst und sein Denken hervorgegangen ist. Das menschliche Denken lässt sich als eine individuell erlernte Form der Selbstregulierung momentaner trieb- und affektbedingter Verhaltensimpulse kennzeichnen. Der Mensch muss diese Fähigkeit erst entwickeln, sein Verhalten zu reflektieren. Er kann durch Lernprozesse von einem stark emotionalen, engagierten Verhalten, hin zu einem mehr von spontanen Trieben und Affekten distanzierten, bewussten Handeln gelangen.
Norbert Elias fordert eine soziologisch begründete Wissenschafts- und Erkenntnistheorie als Forschungsgrundlage in den Gesellschaftswissenschaften. Den Grundstein zu so einer Theorie hat Elias bereits in den 30er Jahren in seinem Werk »Über den Prozess der Zivilisation« gelegt.
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