Jugend im Jahr 2010
Generation Biedermeier
Ausgrenzend und anpassungswillig: Eine neue Studie zeichnet ein beunruhigendes Bild der Jugend. Die Resultate erinnern an die Sarrazin-Debatte. Damit ist die Zwei-Klassen-Gesellschaft angekommen im Denken der Heranwachsenden.
Hohe Leistungsbereitschaft: Viel Zeit wird in Ausbildung investiert.
Foto: dpa
Hohe Leistungsbereitschaft: Viel Zeit wird in Ausbildung investiert.
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Panische Absturzangst, massiver Anpassungswille sowie Verachtung für alle, die abgerutscht sind: Das Bild, das das Marktforschungsinstitut Rheingold von der Jugend im Jahr 2010 zeichnet, ist nicht gerade beruhigend. Alle acht Jahre befragen die Kölner Forscher in psychologischen Interviews junge Menschen zwischen 18 und 24 Jahren zu ihren Lebenseinstellungen, und in diesem Jahr haben sie signifikante Zuspitzungen ermittelt.
Irgendwie erinnern einen die Resultate an die Sarrazin-Kontroverse, auch Rheingold-Chef Stephan Grünewald geht es so. Sarrazin „greift offenbar ein vorhandenes Lebensgefühl auf“, sagte Grünewald der FR. Sarrazin macht Migranten, vor allem die muslimischen, selbst für ihre Integrationsprobleme verantwortlich und wirft ihnen vor, der Gesellschaft mehr Kosten als Nutzen zu bringen. So populistisch und sozialdarwinistisch diese Schuldzuweisung sein mag – dafür, dass sie so viel Zustimmung erhält, bietet die Studie Erklärungshilfen.
Denn sie zeigt eine Jugend, die alles als brüchig empfindet. Durch instabile Familiensysteme, vor allem auch die Wirtschafts- und Finanzkrise habe sich bei den jungen Erwachsenen die Überzeugung eingegraben: „Ich kann mich auf nichts mehr verlassen.“ Folge: eine „angstvolle und ungeheuer anpassungswillige“ Jugend, eine „Generation Biedermeier“. Mit Selbstdisziplin und einer „fast manischen Suche nach festen Ordnungen und Regeln“ versuchten die jungen Menschen, der von Krisen erschütterten Lebenswirklichkeit beizukommen. Pünktlichkeit, Höflichkeit, Treue in der Partnerschaft haben ebenso Konjunktur wie eine hohe Leistungsbereitschaft: Viel Zeit wird in die Ausbildung investiert, emsig Praktika gesammelt.
Grünewald nennt das „Kompetenz-Hamstern“. Aber er mahnt zugleich, die Qualifikationen würden „häufig wahllos und schematisch angehäuft, nicht aus Liebe zur Sache oder Interesse“. Bedenklich wird der Selbstschutz aber vor allem, wo er zur Ausgrenzung anderer führt. „Erschreckend“ nennt Grünewald denn auch den Befund, in welchem Ausmaß Jugendliche ihre Absturzängste kompensieren, indem sie gesellschaftliche Verlierer schmähen. „Loser“, „Opfer“ und „Hartz IV“ seien längst zu gern gebrauchten Schimpfwörtern avanciert, konstatiert die Studie.
Selbst Menschen, die sich als eher links und solidarisch einstufen, schauten mit Verachtung auf schwächere Gruppen. Damit ist die Zwei-Klassen-Gesellschaft angekommen im Denken der Heranwachsenden: „Die Welt“, so die Studie, „ist klar geteilt in Winner und Loser, in Superstar und Hartz IV, in gut und böse.“
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