Psychosomatische Störungsbilder als
Langzeitfolge des psychotraumatischen
Belastungssyndroms (PTBS)
Explorative Untersuchung und Modellentwicklung zur psychosomatischen
Symptombildung
Dr. Ruth Nathan, Prof. Dr. Gottfried Fischer
Zusammenfassung
In einer explorativen Studie wird untersucht, ob und wieweit Störungsbilder, die zur
Einleitung einer stationären psychosomatischen Behandlung führen, als Langzeitfolge
einer psychotraumatischen Belastungsstörung verstanden werden können. An einer
Stichprobe von 52 Patientinnen und Patienten einer psychosomatischen Station wurden
traumatische Erfahrungen aus der Lebensgeschichte erhoben und bei der am stärksten
belasteten Untergruppe (ca. ein Drittel) auf ihren Zusammenhang mit der
Aufnahmesymptomatik hin untersucht. Durch systematischen qualitativen Fallvergleich
(cross-case-Methodik) konnten fünf typische Langzeitverläufe ermittelt werden, die in die
psychosomatische Aufnahmesymptomatik münden. Im einzelnen handelt es sich um eine
leistungskompensatorische Form der Traumaverarbeitung (Typ workaholic),
fortbestehende Angst bzw. Vermeidungsverhalten ( PTBS-Vermeidungs-Typ), Vorwiegen
dissoziativer Verarbeitungsformen (Dissoziationstyp), Suchtentwicklung als
Traumakompensation (Sucht-Typ) sowie ein Mangel an dissoziativen Phantasien als
Kompensationsform („dissoziationsarmer Verlaufstyp”) mit Traumatisierung im
Erwachsenenalter, bei überwiegend neurotischer Konfliktverarbeitung in der Kindheit. Die
Verläufe erklären sich zum einen aus fortwirkenden Komponenten des PTBS, zum anderen
aus Bemühungen der Persönlichkeit um Kompensation und Kontrolle des Traumas, die
ihrerseits wieder zu Symptomen führen können. Die Ergebnisse legen es nahe, eine
Punktdiagnose wie PTBS durch eine „Verlaufsdiagnose” zu ergänzen, welche das
Störungsbild im zeitlichen Längsschnitt und seiner inneren Dynamik erfasst. Gutachten
oder Anträge auf Übernahme einer psychotherapeutischen Behandlung durch die
Krankenkassen sollten bei Störungen mit vorwiegend psychotraumatischer Ätiologie auf
die Kernsymptomatik des Traumas und ihre individuellen Verarbeitungsformen im weiteren
Lebenslauf eingehen.
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