adresse
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Wohnzimmer mit Wasserhyazinthen in gelber Schale - draußen ein china-blauer Nordhimmel mit treibenden Wolken, drinnen er, unten, häßlichen Aquarellen des sterbenden Medizinstudenten.
»Einen Schnaps möchte ich, Frau Underschnitt.«
Der Arzt telefonierte, ein Schachbrett war vor ihm aufgebaut. »Mei@ nes Erachtens sehr stark angegriffen ... natürlich kann man ohne Durchleuchtung nichts Genaues sagen.« Er nimmt einen Springer und stellt ihn nachdenklich wieder zurück. »ja ... Beide Lungen ... ganz sicher.« Er legt den Hörer nieder und wendet sich an Carl. -Ich habe diese Leute beobachtet, sie zeigen erstaunlich schnelle Wundheilungen. Ganz wenige Fälle von Infektionen. Hier sind es immer die Lungen ... Lungenentzündung und natürlich die gute alte Th.« Der Arzt greift schnell nach Carls Schwanz und springt mit schallendem, rauhem Bauerngelächter auf. Sein europäisches Lächeln ignoriert das @lechte Benehmen eines Kindes oder eines Tieres. Sanft fährt er fort, in seinem seltsamen akzentfreien, körperlosen Englisch. »Der gute alte Kochsche Th-Bazillus.« Er schlägt die Hacken zusammen und verbeugt sich. »Sonst würden sich diese dummen Bauernärsche bis ins Meer vermehren, nicht wahr?« kreischt er und schiebt sein Gesicht nahe an Carls heran. Carl weicht zur Seite, hinter ihm die graue Wand des Regens.
»Kann er nirgends behandelt werden?« »Ich glaube, in der Distrikthauptstadt gibt es so eine Art Sanatorium«, er zieht das Wort mit zweideutiger Obszönität in die Länge, »ich werde Ihnen die Adresse aufschreiben.« »Chemische Ilerapie?«
Seine Stimme klingt flach und schwer in der feuchten Luft.
»Wer kann das sagen. Sind alles dumme Bauern, und die schlimmz. sten aller Bauern sind die sogenannten Gebildeten. Man sollte diese Leute nicht nur vom Lesenlernen, sondern auch vom Sprechenlernen fernhalten. Am Denken braucht man sie nicht zu hindern, das hat die Natur schon getan.«
»Hier ist die Adresse«, flüstert der Arzt, ohne seine Lippen zu bewegen.
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läßt eine Papierkugel in Carls Hand fallen. Seine @mutzigen iger, die vor Dreck glänzen, liegen auf Carls Armel. @a wäre noch die Frage meines Honorars.« rl schob ihm eine zusammengeknüllte Banknote zu ... und der zt verschwand im grauen Zwielicht, schibig und verstohlen, wie
--, alter Süchtiger.
@, @erl sah Joselito in einem großen, sauberen und lichterfüllten Zimliner mit Bad und einem Zementbalkon. Und in diesem kalten, . leeren Raum gab es nichts, worüber man sprechen konnte, Wasseryazinthen wuchsen in einer gelben Schale, china-blauer Himmel ünd treibende Wolken. Angst flackerte in seinen Augen. Als er l@elte, entfloh die Furcht und zerfiel in kleine Lichtteilchen, die rätselhaft in den hohen kalten Ecken des Zimmers lauerten. Und was sollte ich sagen? ich fühlte den Tod um mich herum, und die kleinen Bildfetzen, die vor dem Schlafen in das Gehirn eindringen. »Sie werden mich morgen in das neue Sanatorium schicken. Kommen Sie und besuchen Sie mich. ich werde dort allein sein.« Er hustete und nahm eine Kodeintablette.
»Herr Doktor, so wie ich es verstehe, das heißt, wie es mir nahegelegt wurde, ich hab' es gelesen und gehört - ich bin selbst kein Mediziner - gebe es auch nicht vor -, daß das Prinzip der Sanatoriumsbehandlung mehr oder weniger verdrängt wurde, oder daß sie zumindest von der chemischen Therapie wesentlich ergänzt worden ist Stimmt das Ihrer Meinung nach? Was ich eigentlich zum Ausdruck bringen will, Herr Doktor, ist folgendes: bitte sagen Sie mir in aller Offenheit, als ein Men@ zum anderen, was Sie von der chemischen Therapie im Gegensatz zur Sanatoriums-Therapie halten? Gehören
Sie einer Ricbtung an?«
Das leberkranke Indianergesicht des Arztes war glatt wie das eines
Händlers.
»Ganz modern, wie Sie sehen können«, er deutet mit den violetten Fingern eines Kreislaufkranken auf das Zimmer. »Bad ... Wasser... Blumen. In Mengen.« Mit einem triumphierenden süßlichen Lächeln beendete er seinen Satz in Co&ney Englisch. »ich werde einen Brief
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