Sonnenwender
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Er war schon alt. Er hatte den Job schon sein ganzes Leben lang gemacht. Und sein Leben war schon verdammt lang. Der Mann, den er seinen Vater nannte, hatte ihn alles gelehrt, bevor er gestorben war. Und jetzt würde er sich einen Lehrling suchen und ihm alles beibringen.
Zweimal im Jahr mussten die Sonnenwender ihre Pflicht erfüllen, dann war sie Sonne vom vielen Scheinen rußig und voller Sonnenflecken. Die Sonnenwender zogen dann die leichten Tarnanzüge (in den letzten Jahren immer öfter die grauen statt der blauen) und die leichten, aber stabilen Kletterstiefel an. Die feuerfesten Handschuhe (gestrickt aus der Wolle des goldenen Vlieses) steckten sie in die Tasche. Mit der langen Himmelsleiter, länger als das Leben eines Sonnenwenders, unter dem Arm gingen sie dann zu der kleinen Lichtung vor der Hütte, wo sie die Leiter aufstellten und sich sodann auf den Weg nach oben machten. Der Aufstieg dauerte Tage, aber nur für sie. Für einen Beobachter von unten schienen sie mit dem Betreten der (vor dem Himmel selbst kaum sichtbaren) Leiter gleichermaßen zu verschwinden.
Oben angekommen wurden zuerst die wertvollen Handschuhe Angezogen. Dann musste die Sonnenscheibe mit sanftem Ruckeln vorsichtigst aus ihrer Verankerung gelöst werden (die Befestigung war ja auch schon uralt, und eine Reparatur wäre unendlich teuer geworden), um dann mit einer blitzschnellen Bewegung, auf der Erde kaum als Flackern wahrzunehmen, umgedreht und dann wieder ganz behutsam in die Verankerung eingesetzt zu werden. Auf der Rückseite indes begannen schon wieder die Putzengel, die Viledaphim, mit ihrem großen Werk. So eine Sonnenscheibe ist schließlich nicht gerade klein, und die Arbeit in einem halben Jahr kaum zu schaffen. Und während die Viledaphim bereits wieder die Sonnenscheibe blankscheuerten, machten sich der alte Sonnenwender und sein »Sohn«, sein Lehrling wieder auf den Weg zu ihrer Hütte, wo sie es sich vor dem Kamin bequem machen und eine Pfeife rauchen würden.