Siebenschwanz
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Vielleicht liegt es an regionalen Unterschieden, daß ich »Siebenschwanz« bisher nur als mundartliche Bezeichnung für eine Vogelart kannte. Ich bin in Berlin Ende der 40er und in den 50er Jahren aufgewachsen, und hier nannte man diese Klopfpeitschen nur »Siebenstriemer« oder »Siemstriem«. Der hatte in Berlin und Umland schon vor dem Krieg in der häuslichen Kindererziehung die Rolle gespielt, die gemeinhin dem Rohrstock zugeschrieben wird. Die Kleineren bekamen ihre Haue mit dem Ausklopfer, und wenn der den Eltern für die Größeren nicht mehr wirksam genug erschien, wurde eben meist der zum Ausstauben von Vaters Uniform im Kleiderschrank hängende Siebenstriemer genommen.
Als ich aufwuchs, kam hier der Rohrstock sogar noch viel seltener vor, was nicht nur traditionell bedingt war, sondern auch am Problem der Beschaffbarkeit lag. In den schweren Nachkriegsjahren gab es schließlich Wichtigeres, als ausgerechnet Rohrstöcke aus Südostasien zu importieren. Die einfach und billig aus einem handgerecht gedrechselten Griffstück und schmalen, aus Lederresten geschnittenen Riemen herzustellenden Siebenstriemer gab es hingegen weiter in jedem Sattlerei- und Gebrauchslederwarengeschäft zu kaufen.
Siebenstriemer gab es deshalb hier noch in jeder zweiten oder dritten Familie, und es war kein Geheimnis, daß er da längst nicht mehr zum Ausstauben von Kleidungsstücken Verwendung fand, sondern so gut wie ausschließlich, um uns Kindern die Ungezogenheiten auszuklopfen.
Betroffen waren davon hauptsächlich die Größeren, d.h. die Altersgruppe ab etwa 12 Jahren, wenn die etwas besonders schlimmes angestellt und nach Meinung der Eltern eine besonders fühlbare Tracht Schläge verdient hatten. Und es waren nicht etwa nur die Jungens, die ihn dann zu spüren bekamen, sondern auch und gerade wir Mädchen!
Dies ergab sich schon aus der Beschränkung auf die schon etwas älteren Jahrgänge, denn während nach meinen Erfahrungen kaum ein Junge nach seinem 14. oder allenfalls 15. Geburtstag noch gezüchtigt wurde, galt es für uns Mädchen noch als völlig normal, sogar mit 17 Jahren und darüber den Hintern versohlt zu bekommen.
Vor allem die Mütter waren es, die sich dieses Utensils bedienten, und vor allem jene, deren Männer nicht aus dem Krieg zurück gekommen waren und nun glaubten, die den Kindern fehlende feste Hand des Vaters durch vermehrte Strenge wettmachen zu müssen bzw. anders mit ihren Rangen nicht fertig zu werden. Hatten sie größere Töchter, kam in der damals noch sehr prüde gewesenen Zeit die Angst hinzu, daß die sich zu früh mit jungen Männern einlassen, durch eine voreheliche Schwangerschaft Schande über die Familie bringen und sich ihre ganze Zukunft verbauen könnten. Meine eigene Mutter machte da keine Ausnahme. Da reichte es schon, abends nach der Tanzstunde nicht gleich nach Hause gekommen zu sein, um in Verdacht eines verbotenen Techtelmechtels zu geraten und über die Sofalehne gelegt die »Herumtreiberei« mit dem Siebenstriemer ausgetrieben zu bekommen!
Wir alle hatten die denkbar größte Furcht vor solchen Züchtigungen, denn beim Siebenstriemer gehörte es dazu, mit ihm ausnahmslos auf die nacktgemachte Sitzfläche zu bekommen, was schlimmer wehtat, als alles andere, was sonst noch zum Verhauen üblich war. Insofern halte ich die Mehrzahl der zum Stichwort »Siebenschwanz« eingestellten Beiträge nicht nur wegen mancher Wortwahl für gesponnen. Wer an die 30 kräftige Hiebe mit dem Ding erhalten und und zudem größenteils still und reglos ausgehalten haben will, weiß überhaupt nicht, wovon er redet!
Das hauptsächliche Strafmaß bewegte sich nämlich meist »nur« bei 5 bis 6 Hieben, und selbst die hielt keines von uns Mädchen und auch keine Junge aus, ohne dabei mit Aua-aua-ich-mach's-nicht-mehr-Geschrei das halbe Haus zusammen zu brüllen. Dies war ja einer der Hauptgründe für den Siebenstriemer: er erzielte bereits mit wenigen Hieben das, wozu bei anderen Gegenständen etliche mehr erforderlich gewesen wären. Das gerade noch halbwegs schadlos vertretbar gewesene, aber dennoch schon fast an Mißhandlung grenzende und dem entsprechend äußerst selten angewandte Höchstmaß lag bei etwa 10 Hieben. Ein deutliches Mehr hätte aufgeplatzte Striemen und ein blutig geschlagenes Hinterteil bedeutet, was mit Erziehung nichts mehr zu tun gehabt hätte.
Die Frage, ob derartige Strafen tatsächlich richtig waren oder noch immer angebracht wären, will ich hier nicht weiter vertiefen. Sie erübrigt sich durch die jetzige Gesetzeslage sowieso, Ebenso will ich nicht das zwar meist zutreffende, mir aber viel zu stereotype »es hat uns nicht geschadet« wiederholen. Als heranwachsendes Mädchen hatte ich zu sehr darunter gelitten, um mich dem vorbehaltlos anzuschließen. Andererseits frage ich mich angesichts der heutigen Jugend, ob damals vielleicht doch nicht alles völlig falsch war.