Prof. Everding: Ich habe erfahren, daß die ganzen Konzilien der Kirchengeschichte in den päpstlichen Bibliotheksräumen abgebildet worden sind. Eben habe ich gesehen, bei einem Konzil ging es so dramatisch zu, daß einer der Kardinäle sogar seine Mitra hingeworfen hat.
Kardinal Ratzinger: Ja, ja, das kam vor. Ich weiß nicht, was hier dargestellt ist, aber es gab dramatische Konzilien.
Prof. Everding: Eminenz, darf ich fragen: Das letzte Konzil, war das ein Sprung nach vorne, oder ist da etwas stehengeblieben?
Kardinal Ratzinger: Ich würde sagen, die Geschichte springt nicht. Sie geht normalerweise manchmal schneller, manchmal langsamer voran. Und manches muß sie bewahren, manches abstoßen. Insofern ist das Konzil gemischt aus allem, würde ich sagen. Es hat große Impulse gegeben, und es gab andere Dinge, die nicht richtig aufgenommen und verstanden worden sind. Der Prozeß der Aneignung ist auch immer noch im Gang. Man kann auch gar nicht abschließend sagen, welche Kraft es für die Geschichte dann wirklich entwickelt.
Prof. Everding: Eminenz, nach dem Konzil gab es aber doch so etwas wie eine Kulturrevolution, nicht wie die chinesische, aber was die Liturgie angeht, waren doch eigentlich Dinge im Gange, die mir nicht so gefallen haben.
Kardinal Ratzinger: Ja, das kann man schon sagen. Es fiel natürlich zusammen mit diesem Generationenumbruch der 68er Jahre. Und die Kirche lebt ja nicht auf einem anderen Planeten. Sie besteht aus den gleichen Menschen, die auch die Gesellschaft ausmachen. Und so sind natürlich beide Dinge irgendwie ineinander gegangen. Es war nicht schwer, ein Mißverständnis der Liturgiekonstitution zu entwickeln, als ob nun alles anders werden müßte, als ob sozusagen die große Kultur, die darin lebt, nur noch eine Last sei, von der man sich befreien muß. Insofern hat die Kulturrevolution natürlich auch zugeschlagen als eine Form des Mißverständnisses dessen, was Erneuerung sein sollte.
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