Einige überdurchschnittlich positiv bewertete
Assoziationen zu »Russland«
Starzyrific schrieb am 17.10. 2005 um 01:30:12 Uhr zu
Bewertung: 1 Punkt(e)
Jeder, der ein wenig Ahnung von den wirklichen Geschehnissen in Russland hat, von seinem persönlichen oder politischen Werdegang her nicht »russlandgeschädigt« ist und die Russlandkritik nicht als Mittel für eigene innenpolitische Auseinandersetzungen instrumentalisiert, wird Putins Handeln zumindest als Versuch verstehen, Russland zu stabilisieren. Der Hauptfehler der pauschalen westlichen Russlandkritik liegt in der Weigerung, russische Kultur und politische Traditionen als eigenständig und dennoch komplementär zur gesamteuropäischen Zivilisation zu begreifen.
Was die wesentlichen Fragen wie Energiesicherheit, Abwehr des islamischen Extremismus, Klimaschutz, globale Spielregeln für die Weltwirtschaft, Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen, Demokratisierung des Mittleren Ostens, friedliche Weltraumnutzung angeht, befanden sich die Interessen der USA, der EU und Russlands
niemals so eng beieinander wie heute.
Es gibt übrigens auch ein Russland nach Putin – der Kremlchef hat versprochen abzutreten, doch er wird im Jahre 2008 ein stabiles politisches System in Russland hinterlassen, an dem manche vielleicht mehr Ähnlichkeiten mit dem heutigen chinesischen als mit dem westlichen Demokratiemodell entdecken werden. Doch die Weichen für die Zukunft des Landes werden dann gestellt sein, die Russlands Entwicklung in den ersten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts vorgeben sollen: Großmachtwerdung, aber nicht zum Preis der Zerstörung der Beziehungen zum Westen. Integration in die Weltgemeinschaft, aber nicht zum Preis der Aufgabe eigener nationaler Interessen. Marktwirtschaft und Demokratisierung, aber nicht zum Preis der neuerlichen Schwächung des Staates.
Yadgar schrieb am 30.5. 2015 um 19:02:02 Uhr zu
Bewertung: 1 Punkt(e)
Rechte lieben Russland (oder sollte man in diesem Zusammenhang besser von »Rrrrrrrrrussland« sprechen?) - wo der Buran und die Taigawölfe heulen (gelobt sei, was da hart macht!), wo Popen mit eisverkrusteten Bärten in minus 40 Grad kalten Kirchen (gelobt sei, was da hart macht!) mit dem Rücken zur Gemeinde vor der Ikonostase zelebrieren, während bei den stundenlangen Gottesdiensten auch schon einmal das eine oder andere alte Mütterchen im Stehen erfriert (gelobt sei, was da hart macht!), wo der Weiße Zar Wladimir dafür sorgt, dass keines seiner Landeskinder mit so etwas Unrussischem wie Homosexualität oder Gender Mainstreaming behelligt, wo kritisches Denken in Wodkafluten ertränkt und die wenigen Oppositionellen bei Bedarf auch schon mal unfreiwillig vom Leben zum Tod befördert werden. Während unsere verweichlichten Politikerattrappen ja nicht einmal ein klitzekleines Kälteertüchtigungslager am Funtensee hinbekommen!
Also, ich bin ja mehr für Georgien - gemäßigtes bis mediterranes Klima, abwechslungsreiche Landschaft, unglaublich reichhaltige Küche, Wein statt Wodka und diese wunderbaren mehrstimmigen Chorgesänge - o.k., die Russen haben Tschaikowsky, aber sonst? Pffff...
Capital Online schrieb am 8.4. 2019 um 12:01:54 Uhr zu
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Der Yale-Historiker Timothy Snyder ist einer der großen Experten für Totalitarismus. 30 Jahre nach dem Mauerfall bat »Capital« ihn zum Gespräch – über die schwierige Europawahl, den Siegeszug des Populismus und den Einfluss Moskaus
Teil 3
Capital:
Trotzdem könnten Anti-Europäer das EU-Parlament kapern.
Timothy Snyder:
Europa hat ein spezielles Problem. Wenn das EU-Parlament von Anti-Europäern übernommen wird, wird sich die EU selbst von innen heraus zerstören. Diese Leute wollen, dass die Europäer wieder zu Nationalstaaten zurückkehren. Wenn sie das tun, landen sie als hilflose Objekte in einer Einflusssphäre zwischen den USA, China und Russland. Ohne das europäische Projekt könnte sich das Leben für viele Menschen in Europa dramatisch verändern.
Capital:
Was kann man dagegen tun?
Timothy Snyder:
Zwei Argumente: Zum einen ist es patriotisch, in der EU zu sein. Wem ein deutscher, belgischer oder polnischer Staat am Herzen liegt, muss verstehen, dass die EU erst dafür gesorgt hat, dass diese Staaten überhaupt funktionieren. Zum anderen muss man klarmachen, dass Europa die einzige Einheit ist, die den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gewachsen ist. China hat auch einen Weg: Das Leben der Menschen wird durchautomatisiert, jedes Individuum wird durchleuchtet und bewertet. Das ist beängstigend. Amerika setzt sich derzeit gar nicht mit dem 21. Jahrhundert auseinander. Nur Europa kümmert sich um den Klimawandel, den Datenschutz, um Monopole oder den Reichtum in Offshore-Zonen. Europa hat etwas zu bieten, wenn es um die Zukunft geht.
Capital:
In Ihren Büchern spielt Russland eine große Rolle: Sie beschreiben das Land als den großen Schurken, der bei der Wahl Trumps, beim Brexit und dem Aufstieg der Ultrarechten in Europa seine Finger im Spiel hat. Räumen wir Russland damit nicht eine zu große politische Bedeutung ein?
Timothy Snyder:
Russlands Führung hat Macht, aber sie bekommt sie von uns. In der Außenpolitik nutzt Russland die Schwächen, die es bei anderen entdeckt hat. Nehmen wir die Ukraine: Russland marschiert in ein Land ein und schafft es, viele Deutsche davon zu überzeugen, dass etwas völlig anderes geschehen ist. Über soziale Medien und Propagandisten haben sie den Eindruck erweckt, dass Faschisten die Kontrolle über die Ukraine übernommen hätten. Warum gelingt ihnen das? Weil wir sie lassen. Die Russen haben Macht, weil wir gespalten sind und sie das ausnutzen. Wir haben die Wucht des Informationskriegs unterschätzt.
Capital:
Aber haben die Russen eine echte eigene Ideologie?
Timothy Snyder:
Sie haben auf jeden Fall eigene Ideen. Auch wenn sie nur rechtfertigen sollen, dass jemand anderes zerstört wird. Wir haben gedacht: Die liberale Demokratie ist attraktiv, jeder wird das sehen und dem Modell folgen. Aber Russland hat an einem anderen Punkt sein Gleichgewicht gefunden, ob wir das gut finden oder nicht. Sie sagen, dass es keine Wahrheit gibt. Mit dieser Idee kann man weit kommen und uns beeinflussen.
Capital:
Welches Interesse verfolgt der Kreml damit?
Timothy Snyder:
Russland ist wirtschaftlich abhängig von Öl und Gas. Deshalb wollen sie nicht über den Klimawandel sprechen. Es gibt eine extreme Ungleichheit von Einkommen und Vermögen, weshalb der soziale Aufstieg in Russland schwerfällt. Es gibt keinen funktionierenden Rechtsstaat. Jedem kann jederzeit alles passieren. Das alles macht es sehr schwer, an die Zukunft zu denken. Darüber hinaus weiß kein Mensch, was nach Putin kommt – aber niemand redet darüber. Die Zukunft ist ein Tabu, also muss man in der Gegenwart leben. In einer unterhaltsamen oder Schrecken erregenden, aber sehr emotionalen Gegenwart der künstlich erzeugten Katastrophen.
Capital:
Aber was hat das mit uns, mit den westlichen Demokratien zu tun?
Timothy Snyder:
Weil Russland keine Zukunft hat, muss es uns die Zukunft nehmen. Die größte Gefahr für Putin ist ja ein alternatives, erfolgreiches Modell, das seine eigenen Schwächen offenlegt. Es gibt nämlich etwas, was die russische Führung nicht kann: ein Land schaffen, in dem Menschen wirklich leben wollen. Die Wirklichkeit ist ihre Schwachstelle. Deshalb muss Russland die EU zerstören, bevor Putin die Macht verliert.
Capital:
Es gibt eine Tendenz, das russische System nachzuahmen: Erdoğan (Erdogan) in der Türkei, ViktorOrbán in Ungarn. Es fällt schwer, sich eine Zeit nach ihnen vorzustellen.
Timothy Snyder:
Ja. Und all das erinnert uns daran, warum die Demokratie gut ist. Weil sie eine Zukunft möglich macht. Die amerikanische Demokratie hat große Mängel, aber sie ist stark genug, dass man sich eine Zeit nach Trump vorstellen kann. Das Gleiche gilt für Deutschland: Wir wissen nicht, was nach Angela Merkel kommt. Aber wir wissen, dass etwas kommt. Der Warlord mit Charisma ist zu Beginn immer spannend. Aber die Politik dreht sich um die Frage, was danach kommt. Und die Demokratie ist eine Antwort auf diese Frage.