Einige überdurchschnittlich positiv bewertete
Assoziationen zu »Russland«
Capital Online schrieb am 8.4. 2019 um 11:56:00 Uhr zu
Bewertung: 1 Punkt(e)
Der Yale-Historiker Timothy Snyder ist einer der großen Experten für Totalitarismus. 30 Jahre nach dem Mauerfall bat »Capital« ihn zum Gespräch – über die schwierige Europawahl, den Siegeszug des Populismus und den Einfluss Moskaus
Teil 2
Capital:
Derzeit benutzen aber viele eine alarmistische Sprache, nicht nur Autokraten, sondern auch demokratische Politiker, Historiker und Ökonomen: Die Welt sei in Aufruhr und aus den Fugen, heißt es dann. Ist diese Sprache des Ausnahmezustands schon eine Falle?
Timothy Snyder:
Wir müssen einen Mittelweg finden. Es ist tatsächlich gefährlich zu sagen: Die Welt ist aus den Fugen – denn die Konsequenz ist, dass wir nichts dagegen tun können. Die andere Falle aber liegt darin zu sagen: Na ja, wenn man sich die objektiven Zahlen ansieht, ist doch eigentlich alles in Ordnung. Auch da ist das Ergebnis, dass wir nichts tun müssen. Die Erkenntnis muss sein: Es gibt große Probleme, aber wir können sie lösen, gerade weil wir die Technologie und den Fortschritt haben. An dieser Einstellung mangelt es.
Capital:
Es gab ja die Hoffnung, das Internet und der freie Zugang zu Informationen würden die Debatten rationaler machen.
Timothy Snyder:
Das Internet hat die Probleme aber noch verstärkt.
Capital:
Was meinen Sie damit?
Timothy Snyder:
Ein Internetzugang ist nicht das Gleiche wie Zugang zu realen Tatsachen, zu einem gemeinsamen Pool an Fakten. In der Debatte zur Meinungsfreiheit wurde immer vorausgesetzt, dass wir schon zur Wahrheit gelangen werden, wenn jeder Zugang zu den gleichen Informationen hat. Aber was heißt das? Wenn Sie auf Google gehen, werden Ihnen andere Dinge gezeigt als mir, und wir sind uns noch relativ ähnlich. Was passiert erst, wenn ein arbeitsloser Bergarbeiter in West Virginia auf Google geht?
Capital:
Warum ist das ein Problem?
Timothy Snyder:
Eine offene Gesellschaft verlangt, dass wir Sorge für die Informationen tragen. Wir leben in einer Welt, die vor allem von Maschinen gemacht wird, die Informationen schneller übermitteln als unsere Gehirne. Informationen gehen nicht mehr von Mensch zu Mensch, sondern es wechseln Gigabyte von einer Maschine zur anderen. Die Gesellschaft kann zerbrechen, weil die Menschen an große Fiktionen glauben. Genau das passiert in den USA. Wir brauchen ein Ethos der Wahrheit. Derzeit haben wir ein Vakuum, das erst vom Fernsehen und jetzt von Facebook gefüllt wird. Wahrheit ist nichts, was einfach so kommt, weil es einen funktionierenden Markt oder gute Institutionen oder das Internet gibt. Heute gelangt derjenige an die Macht, der Emotionen am besten manipulieren kann.
Capital:
Beruht darauf auch der Erfolg von Donald Trump?
Timothy Snyder:
Ja. Trump gehört zu denen, die die Wahrheit an sich loswerden wollen. Es klingt, als hätte diese Idee eine befreiende Wirkung. Aber es ist eine furchtbare, autoritäre Idee. Wenn es keine Wahrheit gibt, dann funktioniert Pluralismus nicht. Kein Rechtsstreit kann geklärt werden, wenn es keine Wahrheit gibt. Wie kann man eine Wahldebatte führen, wenn die Teilnehmer nicht über die grundlegenden Fakten übereinstimmen? Diese Ideologie zersetzt unsere Institutionen wie Säure.
Capital:
Brauchen wir deshalb mehr Regulierung im Netz?
Timothy Snyder:
Das ist eine große Frage. Wir brauchen Fakten, die von allen anerkannt werden – sie müssen ein öffentliches Gut sein wie saubere Luft oder reines Wasser. Konkret gefragt: Warum sollten Regierungen keine Suchmaschinen betreiben? Als Alternative zu Google. Es spricht auch viel dafür, Computer aus dem Klassenzimmer zu verbannen.
Capital:
Wie bitte? In Deutschland ringen wir eher darum, Computer in die Klassenzimmer zu bekommen.
Timothy Snyder:
Das mag sein, aber es ist absurd. Computer in Schulen haben fast ausschließlich negative Auswirkungen. Im Silicon Valley gibt es keine Rechner in den Klassen. Die Menschen, die uns mit dieser Technologie versorgen, schicken ihre Kinder alle in Schulen ohne Computer. Ihre Babysitter müssen unterschreiben, dass sie keine Smartphones ins Haus bringen. In 20 Jahren werden auch Deutschland und Europa verstehen, warum das richtig ist.
Capital:
Die Europawahl könnte viele EU-Gegner ins Parlament spülen. Wie pessimistisch sind Sie für Europa?
Timothy Snyder:
Wenn ich mir Frankreich und Deutschland ansehe, fühle ich mich an die Situation in Großbritannien und den USA vor einigen Jahren erinnert. Die Dinge könnten außer Kontrolle geraten, und die Menschen sind sich dessen nicht bewusst. Ich sehe aber auch, und das gibt mir etwas Hoffnung, dass es Europäer gibt, die versuchen, aus den Ereignissen in Großbritannien und den USA zu lernen. Es gibt deutsche Konservative, die sehen, was mit den Republikanern in den USA und den britischen Tories passiert ist.
Yadgar schrieb am 30.5. 2015 um 19:02:02 Uhr zu
Bewertung: 1 Punkt(e)
Rechte lieben Russland (oder sollte man in diesem Zusammenhang besser von »Rrrrrrrrrussland« sprechen?) - wo der Buran und die Taigawölfe heulen (gelobt sei, was da hart macht!), wo Popen mit eisverkrusteten Bärten in minus 40 Grad kalten Kirchen (gelobt sei, was da hart macht!) mit dem Rücken zur Gemeinde vor der Ikonostase zelebrieren, während bei den stundenlangen Gottesdiensten auch schon einmal das eine oder andere alte Mütterchen im Stehen erfriert (gelobt sei, was da hart macht!), wo der Weiße Zar Wladimir dafür sorgt, dass keines seiner Landeskinder mit so etwas Unrussischem wie Homosexualität oder Gender Mainstreaming behelligt, wo kritisches Denken in Wodkafluten ertränkt und die wenigen Oppositionellen bei Bedarf auch schon mal unfreiwillig vom Leben zum Tod befördert werden. Während unsere verweichlichten Politikerattrappen ja nicht einmal ein klitzekleines Kälteertüchtigungslager am Funtensee hinbekommen!
Also, ich bin ja mehr für Georgien - gemäßigtes bis mediterranes Klima, abwechslungsreiche Landschaft, unglaublich reichhaltige Küche, Wein statt Wodka und diese wunderbaren mehrstimmigen Chorgesänge - o.k., die Russen haben Tschaikowsky, aber sonst? Pffff...
Capital Online schrieb am 8.4. 2019 um 12:01:54 Uhr zu
Bewertung: 1 Punkt(e)
Der Yale-Historiker Timothy Snyder ist einer der großen Experten für Totalitarismus. 30 Jahre nach dem Mauerfall bat »Capital« ihn zum Gespräch – über die schwierige Europawahl, den Siegeszug des Populismus und den Einfluss Moskaus
Teil 3
Capital:
Trotzdem könnten Anti-Europäer das EU-Parlament kapern.
Timothy Snyder:
Europa hat ein spezielles Problem. Wenn das EU-Parlament von Anti-Europäern übernommen wird, wird sich die EU selbst von innen heraus zerstören. Diese Leute wollen, dass die Europäer wieder zu Nationalstaaten zurückkehren. Wenn sie das tun, landen sie als hilflose Objekte in einer Einflusssphäre zwischen den USA, China und Russland. Ohne das europäische Projekt könnte sich das Leben für viele Menschen in Europa dramatisch verändern.
Capital:
Was kann man dagegen tun?
Timothy Snyder:
Zwei Argumente: Zum einen ist es patriotisch, in der EU zu sein. Wem ein deutscher, belgischer oder polnischer Staat am Herzen liegt, muss verstehen, dass die EU erst dafür gesorgt hat, dass diese Staaten überhaupt funktionieren. Zum anderen muss man klarmachen, dass Europa die einzige Einheit ist, die den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gewachsen ist. China hat auch einen Weg: Das Leben der Menschen wird durchautomatisiert, jedes Individuum wird durchleuchtet und bewertet. Das ist beängstigend. Amerika setzt sich derzeit gar nicht mit dem 21. Jahrhundert auseinander. Nur Europa kümmert sich um den Klimawandel, den Datenschutz, um Monopole oder den Reichtum in Offshore-Zonen. Europa hat etwas zu bieten, wenn es um die Zukunft geht.
Capital:
In Ihren Büchern spielt Russland eine große Rolle: Sie beschreiben das Land als den großen Schurken, der bei der Wahl Trumps, beim Brexit und dem Aufstieg der Ultrarechten in Europa seine Finger im Spiel hat. Räumen wir Russland damit nicht eine zu große politische Bedeutung ein?
Timothy Snyder:
Russlands Führung hat Macht, aber sie bekommt sie von uns. In der Außenpolitik nutzt Russland die Schwächen, die es bei anderen entdeckt hat. Nehmen wir die Ukraine: Russland marschiert in ein Land ein und schafft es, viele Deutsche davon zu überzeugen, dass etwas völlig anderes geschehen ist. Über soziale Medien und Propagandisten haben sie den Eindruck erweckt, dass Faschisten die Kontrolle über die Ukraine übernommen hätten. Warum gelingt ihnen das? Weil wir sie lassen. Die Russen haben Macht, weil wir gespalten sind und sie das ausnutzen. Wir haben die Wucht des Informationskriegs unterschätzt.
Capital:
Aber haben die Russen eine echte eigene Ideologie?
Timothy Snyder:
Sie haben auf jeden Fall eigene Ideen. Auch wenn sie nur rechtfertigen sollen, dass jemand anderes zerstört wird. Wir haben gedacht: Die liberale Demokratie ist attraktiv, jeder wird das sehen und dem Modell folgen. Aber Russland hat an einem anderen Punkt sein Gleichgewicht gefunden, ob wir das gut finden oder nicht. Sie sagen, dass es keine Wahrheit gibt. Mit dieser Idee kann man weit kommen und uns beeinflussen.
Capital:
Welches Interesse verfolgt der Kreml damit?
Timothy Snyder:
Russland ist wirtschaftlich abhängig von Öl und Gas. Deshalb wollen sie nicht über den Klimawandel sprechen. Es gibt eine extreme Ungleichheit von Einkommen und Vermögen, weshalb der soziale Aufstieg in Russland schwerfällt. Es gibt keinen funktionierenden Rechtsstaat. Jedem kann jederzeit alles passieren. Das alles macht es sehr schwer, an die Zukunft zu denken. Darüber hinaus weiß kein Mensch, was nach Putin kommt – aber niemand redet darüber. Die Zukunft ist ein Tabu, also muss man in der Gegenwart leben. In einer unterhaltsamen oder Schrecken erregenden, aber sehr emotionalen Gegenwart der künstlich erzeugten Katastrophen.
Capital:
Aber was hat das mit uns, mit den westlichen Demokratien zu tun?
Timothy Snyder:
Weil Russland keine Zukunft hat, muss es uns die Zukunft nehmen. Die größte Gefahr für Putin ist ja ein alternatives, erfolgreiches Modell, das seine eigenen Schwächen offenlegt. Es gibt nämlich etwas, was die russische Führung nicht kann: ein Land schaffen, in dem Menschen wirklich leben wollen. Die Wirklichkeit ist ihre Schwachstelle. Deshalb muss Russland die EU zerstören, bevor Putin die Macht verliert.
Capital:
Es gibt eine Tendenz, das russische System nachzuahmen: Erdoğan (Erdogan) in der Türkei, ViktorOrbán in Ungarn. Es fällt schwer, sich eine Zeit nach ihnen vorzustellen.
Timothy Snyder:
Ja. Und all das erinnert uns daran, warum die Demokratie gut ist. Weil sie eine Zukunft möglich macht. Die amerikanische Demokratie hat große Mängel, aber sie ist stark genug, dass man sich eine Zeit nach Trump vorstellen kann. Das Gleiche gilt für Deutschland: Wir wissen nicht, was nach Angela Merkel kommt. Aber wir wissen, dass etwas kommt. Der Warlord mit Charisma ist zu Beginn immer spannend. Aber die Politik dreht sich um die Frage, was danach kommt. Und die Demokratie ist eine Antwort auf diese Frage.
| Einige zufällige Stichwörter |
Lille
Erstellt am 8.4. 2003 um 22:59:46 Uhr von Geraldine, enthält 5 Texte
Gronkorianik
Erstellt am 29.11. 2000 um 12:05:46 Uhr von Gronkor, enthält 16 Texte
Dusche
Erstellt am 21.5. 2000 um 15:05:39 Uhr von Liamara, enthält 100 Texte
gestohlenwerden
Erstellt am 21.4. 2002 um 20:07:36 Uhr von das Bing!, enthält 7 Texte
Eiheitkeit
Erstellt am 27.7. 2023 um 21:06:35 Uhr von Kuh Stark, enthält 2 Texte
|