Penisblindheit
Bewertung: 4 Punkt(e)1976 wurde in einem Aufsehen erregenden Experiment an der Ann Arbor–Universität von Michigan das Foto eines Mannes mit erigiertem Glied 1044 Studentinnen, alle zwischen 20 und 35 Jahren alt, gezeigt. Anschließend wurden die Teilnehmerinnen eine Viertelstunde lang mit leichten Rechenaufgaben unter Musikbeschallung abgelenkt, um danach zu sagen, was sie auf der zuvor gezeigten Abbildung im Gedächtnis behalten hatten. Es stellte sich heraus, dass 26 Studentinnen der Tatsache, dass es sich um einen deutlich unbekleideten Mann handelte, nicht die geringste Beachtung geschenkt hatten und auch bei mehrmaligem Nachfragen nicht mit Gewissheit zu sagen vermochten, ob sich das gezeigte Modell in statu erectionis befunden habe oder nicht. Von diesen 26 Versuchspersonen schied das Forscherteam um Professor Raymond Powys 19 dezidiert lesbische Frauen aus, vier weitere aufgrund ihres soziokulturellen Hintergrunds, zwei davon aus dem ländlichen Mittelwesten der USA, zwei weitere aus dem muslimischen Kulturraum. Das forscherische Interesse galt nun den verbleibenden drei Studentinnen und den Ursachen ihrer Penisblindheit. Mittels umfangreicher optometrischer Tests wurde ausgeschlossen, dass eine Sehschwäche oder eine Blindfleckanomalie die Ursache war. Schnell stellte sich heraus: Die jungen Frauen waren kerngesund, hatten einen unterschiedlichen ethnischen und sozialen Hintergrund, da war nichts, dass sie mehr oder weniger voneinander unterschied als von irgendeiner ihrer Kommilitoninnen: Sie konnten nur keine Penisse wahrnehmen. Wo im Gehirn war diese Fehlschaltung angelegt? Lag die Ursache in den Genen? War es eine spontane Mutation oder lag ein längst vergessener evolutionärer Vorteil in der fehlenden Genitalwahrnehmung? Wieder und wieder wurden den drei Probantinnen erotische, pornographische und medizinische Abbildungen präsentiert, doch das Ergebnis blieb stets das gleiche: Alle drei erzielten eine Sichtungsquote von unter drei Prozent, wo in ihrer Altersgruppe eine über 90%ige Sichtung die Regel war. Auch die medizinische Literatur vergangener Jahrhunderte lieferte keine oder doch nur spärliche Hinweise auf Apenopsie, wie der Fachterminus lautet. Inzwischen hatte der rätselhafte Fall der 'Three prick-blind sisters', wie sie die reißerische Boulevardpresse taufte auch das Interesse der obersten Gesundheitsbehörden geweckt; aber auch religiöse Eiferer, Feministinnen und Sexualneurotiker verfolgten mit Spannung die wöchentlichen Bulletins der Ann Arbor-Universität und die Auflage des von ihr herausgegebenen 'Psychophysiological Newsletter' stieg besonders in den Monaten der Testreihenveröffentlichungen sprunghaft auf mehr als das Doppelte. Um Jacky, Jill und Jane Doe, wie die drei Apenoptikerinnen zur Anonymisierung genannt wurden vor dem Zugriff einer immer hysterischeren Öffentlichkeit zu schützen und zugleich einige Versuchsreihen im zu jener Zeit modernsten Kernspintomograph durchzuführen, wurden sie und das Team um Dr. Powys in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus Michigan geflogen, mit dem Zielflughafen La Guardia, New York. Sie sollten nie ankommen. Eine Viertelstunde nach dem Start verschwand das Charterflugzeug ohne Vorwarnung von den Radarschirmen. Da der Untersuchungsbericht über die spätere Auffindungsstelle des Flugzeugs in Teilen unter Verschluss gehalten wurde, wucherten schnell die Spekulationen, es könne sich um einen gezielten Abschuss, veranlasst etwa durch die religiöse Rechte, gehandelt haben; auch wurden Zweifel laut, dass es sich bei den zur Unkenntlichkeit entstellten Leichen überhaupt um Jacky, Jill und Jane gehandelt habe und diese vielmehr beiseite geschafft wurden, um in einem unterirdischen Forschungslaboratorium zu Stammmüttern einer neuen Generation von Apenoptikern zu werden. Vielleicht werden wir es nie erfahren und werden immer mit unbegriffenem Staunen vor einer Wahrnehmung stehen, die so völlig anders ist als das, was wir alle als Grundlagen unserer Welt zu fassen bereit sind. [Aus einem abgelehnten Skript für 'Galileo Mystery']