Kulturschock
Bewertung: 1 Punkt(e)Die heutige Beisetzung war eine gute Vorübung für den ungleich gewichtigeren familiären Angang am Freitag, ich konnte mich sozusagen warmseufzen und gleichzeitig meine neugewonnene Gefasstheit mitsamt Schaftstiefeln zur Schau tragen. Das erzkatholische Exequienritual trug aber auch das seine zu der tröstlichen Distanz bei. Kaum einen Augenblick verbrachte ich bedrückten Sinnes beim Gedenken an den Verstorbenen, vielmehr blickte ich ein ums andere Mal mit kopfschüttelnder Neugierde auf den fremdartigen Spuk, der sich dort vor meinen Augen in nachkonziliarer Spröde entfaltete. Zudem wußte ich die ganze Zeit: Irgendwann würde der Priester DAS WORT sagen. Doch bis dahin war noch ein langer Weg: Zunächst galt es, meine Enttäuschung über die Abwesenheit von Messdienern zu bewältigen, zwei an der Schwelle zum Greisentum stehende Herren assistierten dem noch jugendlich wirkenden Priester im liturgisch violetten Gewand, dessen unnötig moderner Walleschnitt an eine Eurythmielehrerin denken ließ. Nach einer ausgesprochen gruseligen Lesung aus dem Buch Hesekiel, in der es um die göttliche Zusammenfügung vertrockneter und zerstreuter Gebeine ging und dem steten auf und ab im Wechsel von Gemeindegesang und Gebeten war ich innerlich schon ein wenig erschlafft und nur der Gedanke an DAS WORT goß ein wenig Erwartung in mein müdes Herz. Doch zunächst galt es, die Predigt zu überstehen, die lose am Dreikönigsschrein des Kölner Doms aufgehängt war, und dem Würdenträger erneute Gelegenheit bot, daß Bild verstreuter Gebeine zu bemühen, eine auch in Hinsicht auf die wütende Gewalt des Bauchspeicheldrüsenkrebses, dem der Tote erlegen war, unnötig fleischliches Bild, wie ich fand. Den Priester schien auch kein rechter göttlicher Funke ergriffen zu haben, und schon nach zehn Minuten endete sein Sermon und ich wußte, daß der Augenblick DES WORTES näherrückte. Zunächst allerdings Kollekte, von einer dragonerhaften Postmenarchin unter bohrenden Blicken eingesammelt, etwas taktlos, wie ich fand. Gerade noch andächtig die Hände gefaltet, ging der Griff aller vermummten männlichen Trauergäste plötzlich in die Ficke, um unter großen Anstrengungen das Portemnnaie zu zücken und den Obolus, für die Gattin gleich mit, zu entrichten. Würdeloses Geklimpere, begleitet von einer lustlosen Orgelimprovisation in e–moll. Doch nun ging alles sehr schnell: Der Ablauf wurde zunehmend ritualisierter, Geklingel, gestisches Indiehöhehalten verschiedener Gegenstände und schließlich der Satz, auf den ich vom ersten Moment an gewartet hatte: »Und er nahm den Kelch und dankte, gab ihn den Jüngern und sprach...« Nur meiner seelischen stabilen Seitenlage war es zu danken, daß ich an diesem Punkt nicht aufsprang und schrie: »Er hat Kelch gesagt! Er hat Kelch gesagt!«, um hernach irre kichernd aus dem Gotteshaus zu stürzen.