Handgranate
Bewertung: 1 Punkt(e)Ich hab sehr sehr dünnes Haar. Lang ist es dazu, im Moment, genauer gesagt, der letzte Haarschnitt war exakt zu Beginn der Pandemie im Sommer zwanzig. Zwanzig. Dazu ist es fast transparent. also sehr fein hellgrau. Nun habe ich gestern Rinderzunge in einer sehr feinen Madeirasauce in Weckgläser eingemacht. Dazu wird die Rinderzunge von drei Pfund aus ihrer blutigen Packung in Plastik herausgeholt und mit Wasser bedeckt aufgekocht. Das Wasser schüttet man weg, es schäumt ein wenig. Dann bereitet man damit eine normale Fleischbrühe. Man gibt Sellerie Lauch und Karotte hinzu, Lorbeerblatt, eine Scheibe Biozitrone, Pfefferkörner sowie frisch gemahlenen Pfeffer, ein Zweig frischen Thymian, eine Prise getrockneten Rosmarin, halber flacher Teelöffel, drei scheibchen frischen Ingwer, eine halbe sehr reife und aromatische Tomate, drei halbierte Zwiebeln die mit einigen Nelken gespickt auf der Elektroherdplatte sich schwarz bräunen durften, das macht gar nix wenn die schwarzgebrannt in die Brühe kommen, ein Esslöffel Salz, flach, Petersilienstengel die man, weil der große Petersilienstrauß im Wasserglas steht eh mal gekürzt werden müssen damit sie besser Wasser aufnehmen, drei Lorbeerblätter, oder hab ich die schon erwähnt, naja, eben Leitungswasser, wie so oft, die Hauptzutat. Das steht dann zweieinhalb Stunden auf Stufe Eins und köchelt ganz leicht. Und es duftet in der gesamten Wohnung. Gestern hab ich das schon einmal gemacht, ich hatte zwei Zungen in der Metro gekauft. Den Kalbsfuß hab ich auch schon mit der Eisensäge in drei Teile zersägt und eingefroren. Das Sauerkraut das mag ihn. Der alte Kalbsfuß war auch schon zwei Jahre alt und mußte mal gegessen werden. Immerhin hat er noch gut geschmeckt. Aber ich wollte ja von dem Haar erzählen. Also nachdem die Zungenbrühe fertig ist, gießt man sie über ein Sieb ab und macht damit eine Soße indem man Margarine und Mehl, zu einer Einbrenne verrührt und dann die Brühe in Portionen einrührt. Dazu kommt ein Wasserglas voll Madeirawein. Der Rinderzunge wird die Haut abgezogen und zur Soße gereicht. Zur Soße gereicht. Wie das klingt. Jedenfalls, weil das viel Arbeit ist, mache ich vier Gläser im Backofen mit Zunge und Soße ein und habe dann ein kleineres Töpfchen mit zwei schönen Portionen zum baldigen Vezehr. Gestern ist mir die Soße besonders gut gelungen wie ich finde. Heute nun schaue ich mir die Weckgläser an, der Stolz die Produktion des Vortags zu betrachten, da fällt mir etwas auf, etwas fast unsichtbares, doch tatsächlich Vorhandenes was da nicht hingehört. Etwas was da gar nicht hingehört. Ein dünnes Haar, unzweifelhaft mein Haar, ragt unter dem Weckgummi in das Einmachglas hinein bzw. ist im Weckgummi felsenfest festgeklemmt, und kuckt keck viele Zentimeter, bestimmt fünf, sechs, hinaus. Nun Tragen professionelle Einwecker selbstverständlich Kochmützen bzw. Hauben auf dem Kopf, was ich hier beim Einwecken eben nicht getan habe. Da sieht man mal wieder wohin das führen kann. Ich habe diese Glas nur zur besonderen Beobachtung auf den Prüfstand gestellt wo ich es nun jeden Tag beobachten kann. Die einzige Frage die sich mir stellt ist mitnichten eine hygienische, ob nun mein einzelnes dünnes Haar in die Speise hineinragt und diese kontaminieren könne, nein, das macht mir gar keine Sorge, aber ob sich entlang der Bahn des Haares daß sich durch die Gummidichtung schlängelt nicht doch langsam Luft in das Vakuum des Einmachglases schleicht, das interessiert mich viel mehr. Ohnehin werde ich derartige Schadware baldigst selbst verzehren.