Goldt
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Max Goldt
Stinksvans tötet die Theaterstimmung (Mai 1995) (Auszug)
Ein volkskundliches Interesse verpflichtet mich, gelegentlich das Warenangebot der Firma Aldi in Augenschein zu nehmen. Wie billig alles ist! 200g Räucherlachs für 3,98 - Konservative könnten etwas von einer Profanisierung des Besonderen murmeln. Es ist beachtenswert, wie rasch Produkte, die noch vor kurzem als ausgesuchte Delikatessen galten, sich einen Platz im Aldi-Sortiment erobern, kanadischer Wildreis etwa. Auch die Macadamia-Nuß, andernorts noch als »teuerste Nuß der Welt« beworben, liegt schon bei Aldi aus, für DM 3,99 das Viertelpfund. Interessant sind auch die Namen vieler Produkte, sie sind noch sonderbarer als die von Ikea. Über das Haken-Set namens »Ömsen«, die Schachtel, die »Love« heißt, und das Kaffeeservice »Gulasch«, schmunzelten schon Generationen von Regalbesitzwilligen. Aber wilder noch ist wohl, daß die Körperlotion von Aldi nach einer in Greifswald gelegenen Klosterruine benannt ist: Eldena. Ein Streichkäse trägt den Namen Creme Noblesse. Der Fruchtaufstrich, der vor kurzem noch Ouvertüre hieß, heißt nun Marmelinchen. Das Hanuta heißt Nutoka, das Nutella Nusskati, der Lady Cake heißt Marina, Speisepulver nennen sich Albona, Milchprodukte Milsani, und man kann wählen zwischen den Ölen Butella und Brölio. Wäre die Luft kein gottgewollter Gratis-Naturgascocktail, sondern ein Aldi-Produkt, dann hieße sie Aerosina, und wenn die Luft von Ikea hergestellt würde, dann wäre ihr Name wohl Stinksvans.
Wenn ich schon bei Aldi bin, gucke ich natürlich nicht nur, sondern kaufe auch etwas. Erstens den Kaffeeweißer Hollands Completa, weil alle anderen Kaffeeweißersorten den Kaffee töten, so wie Knickerbocker die Theaterstimmung töten, wie jeder weiß, der das eine alte Benimmbuch besitzt, in dem ein Foto von einem Mann in Knickerbockern ist, unter welchem steht: »Knickerbocker töten die Theaterstimmung«, und zweitens ein Zehnerpack Toilettenpapier, weil man dann eine Weile Ruhe hat vor Situationen, in denen es heißt, mit runtergelassenen Knickerbockern in die Küche zu trippeln und sich an der Küchenpapierrolle zu vergehen. Die Klopapier-Familienpackung ist voluminös und paßt nicht in die Einkaufstasche, so daß man sie sich unter den Arm klemmen muß auf dem Heimweg. Einem Gesprächspartner gegenüber erklärte ich neulich, daß es mir immer ein bißchen peinlich ist, mit so einem Großgebinde auf der Straße herumzugehen, ich käme mir dann wie ein rückwärtiger Nimmersatt vor, wie jemand, auf den sich das Gegenteil der Redewendung »Er kriegt den Hals nicht voll« anwenden läßt. Der Dialogpartner erwiderte, wieso denn, jene Sorte von Orten, wo der Kaiser zu Fuß hingehe, übe doch von Zeit zu Zeit auf jeden Organismus eine magische Anziehungskraft aus. Gewiß, so verhält es sich. Trotzdem bin ich mir sicher, daß den meisten Menschen, die gerade ein Toilettenpapier-Zehnerpack gekauft haben, daran gelegen ist, auf direktem Wege nach Hause zu kommen. Niemand macht damit noch einen Boutiquenbummel oder geht zu einem Bewerbungsgespräch. Allenfalls würde man eine Nachmittagsvorstellung im Kino besuchen. Einmal ging ich in eine 18-Uhr-Vorführung, und im Foyer stand eine Frau mit einem Baumwollbeutel, aus dem Lauchstangen herausragten. Sie lächelte mir zu, denn auch ich hatte einen Beutel dabei, aus dem Porree rausguckte. Vor Schreck hätte ich sie beinahe geheiratet.
Neulich kaufte ich mir ein Fahrrad. Im Vorprogramm dieser Anschaffung spielten Gedanken darüber mit, was für eine Art Fahrrad ich denn gern hätte. Ich dachte, das beste wäre es, ein Fahrrad zu kaufen, an dessen Lenker ein Einkaufsbeutel mit herausragenden Lauchstangen hängt. Das macht jedes Rad unsportlich und unattraktiv; Diebe halten sich die Hand vor Augen, zucken zurück. Niemand stiehlt gern so ein biederes Suppengrün-Fahrrad. Vielleicht ist Porree ein viel sicherer Schutz gegen Fahrraddiebstahl als das feudalste Schloß. Man müßte es halt mal ausprobieren. Handeln statt reden!
Dem Fahrradfritzen sagte ich: »Ich hätte gern ein unauffälliges, langweiliges Fahrrad mit möglichst wenig Gängen.« Ich dachte, dem Händler würden die Ohren abfallen bei einem solchen Kundenwunsch. Er fuhr aber fort, normal zu gucken, so als ob er so etwas zwanzig Mal am Tag zu hören bekommt, und deutete auf ein metallenes Häufchen Elend, ein graumeliertes Herrenvehikel, das phlegmatisch in einer Ecke kauerte. Begeistert griff ich zum Portemonnaie. Nun bin ich Besitzer eines Rades, das man wohl drei Monate in die am wenigsten entwickelte Region von China stellen und von Scheinwerfern beleuchten lassen müßte, bis ein Dieb sich seiner erbarmt. Doch es ist schnell wie ein Pfeil des Amor. In nur zehn Minuten erreiche ich St. Pauli, den Stadtteil, wo das Vergnügen und das Elend Hand in Hand im Bette liegen wie zwei an der gleichen Krankheit erkrankte Geschwister. Ich persönlich möchte dort nicht residieren, aber ich kenne ein armes Würstchen, das dort hausen muß. Ich habe es bei einer Hochhaussprengung kennengelernt. Das erzähle ich jedenfalls immer, weil es viel besser klingt als »Wir haben uns bei einem Tanita-Tikaram-Konzert kennengelernt.« Das mag man ja gar niemandem erzählen. Aber: »Ich habe ihn bei einer Hochhaussprengung kennengelernt« - das kann man noch mit 80 in Talkshows erzählen, und alle werden denken: »Ah, geistig noch rege.«
(Auszug aus: Max Goldt, Ä, Zürich 1997)
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